Um Mitsprache und Mitbestimmung
Städteaufstände
Die europäischen Städte hatten zumeist schon im Hochmittelalter das Regiment ihrer Stadtherren abgeschüttelt und die Verwaltung in die eigene Hand genommen. Der Ablösungsprozess war allerdings nicht immer friedlich verlaufen; da und dort waren die alten Herren regelrecht hinausgeworfen worden.
Im Spätmittelalter kam es erneut zu Kämpfen in den Städten. Diesmal stand eine Schicht der Bevölkerung gegen die andere. Von Revolutionen kann man nicht sprechen, grundlegende Umwälzungen fanden nicht statt. Auch um einen Kampf von Arm gegen Reich handelte es sich nicht. Die Armen waren zwar sehr zahlreich, aber sie fanden zu keiner Organisation. Vielmehr verlief die Trennlinie zwischen den streitenden Parteien quer durch das Stadtbürgertum, durch den Teil der Bevölkerung also, der das Bürgerrecht besaß und Steuern zahlte.
Bürgeropposition gegen Patriziat
Die eine Partei bezeichnet man heute meist als Patrizier. Es waren die Familien, die einst als wagemutige Pioniere die Städte gegründet hatten. Der Fernhandel war ihre Domäne, aber es gab inzwischen auch viele unter ihnen, die den im Handel erworbenen Reichtum in Geldgeschäften anlegen, mit Immobilien handelten, Gewinn aus Vermietung und Verpachtung zogen. Sie dominierten den Stadtrat, der nur ein Ausschuss der jeweils führenden Familien war, und ließen nur ausnahmsweise einzelne aufstrebende Personen als Neumitglieder zu. Ihre Gegner nennt die Forschung Bürgeropposition. Darin versammelten sich Handwerker und kleine Kaufleute, alle wohlorganisiert in berufsständischen Verbänden, dazu noch einzelne Patrizier, die ihrer Klasse den Rücken gekehrt hatten. Der Streit entzündete sich zumeist an Geldfragen. Die Stadtgemeinde empörte sich über Steuererhöhungen, sie fing an nachzufragen, wozu die städtischen Einnahmen verwendet wurden, kritisierte kostspielige außenpolitische Unternehmungen und forderte die Einrichtung von Kontrollgremien, schließlich die Änderung der Verfassung, etwa um die Zünfte am Rat zu beteiligen.
Aufstand in Köln
In Köln endete die Macht der alteingesessenen Fernhändlerfamilien, „Geschlechter“ genannt, abrupt. Am 18. Juni 1396 übernahmen zunftmäßig organisierte Handwerker und Kaufleute in einem unblutigen Putsch das Stadtregiment. Ihre Gegner lösten die Aktion unfreiwillig aus, indem einer von ihnen, der Bürgermeister, abends durchs Handwerkerviertel ritt und von seinem Pferd herunter die Leute fragte, ob sie nicht bald zu Bett gehen wollten. Sie erwiderten, das sollte er ihre Sache sein lassen, warfen ihn vom Pferd, sammelten sich und zogen vor die Versammlungshäuser der Geschlechter, um diese zu entwaffnen. Im sogenannten Verbundbrief vom September 1396 schufen sie sich eine Verfassung, die bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts in Kraft blieb. Ihr Herzstück war die Ratswahlordnung: Sie legte fest, dass die städtische Selbstverwaltung in den Händen von Zunftmitgliedern liegen sollte, die von den verschiedenen Handwerker- und Kaufleuteverbänden nominiert wurden.
Der Streit konnte bis zu Gewalttätigkeiten eskalieren. Rathäuser wurden gestürmt, es kam zu Lynchjustiz. Vielfach emigrierten die angegriffenen Patrizier und nahmen von den Nachbarstädten aus den Kampf gegen ihre Heimatgemeinde auf. Im Falle der Hansestädte wurde das Mittel der „Verhansung“ benutzt: Man verhängte eine Handelssperre gegen die Stadt, in der der Aufruhr tobte. Nicht immer gelang es dem Patriziat, sich durchzusetzen. In vielen europäischen Städten wurden Verfassungen eingeführt, die mehr Raum für bürgerliche Mitsprache boten.