Mit dem Meer verbunden
Handelsrepublik Venedig
Auf den Laguneninseln an der Adriaküste zwischen Brenta und Piave hatte sich zu Römerzeiten ein Gemeinwesen gebildet, das gewisse Eigenständigkeiten gegenüber der Umwelt bewahrte. Während der langobardischen Landnahme im 6. Jahrhundert wurde Venedig Zufluchtsort für romanische Bevölkerungsgruppen des Festlandes. Die prekäre Randlage bewirkte eine Hinwendung der Venezianer zum Meer; sie verlegten sich auf den Seehandel. Bereits in karolingischer Zeit nahm Venedig eine außerordentliche Stellung als Verbindungsschiene zwischen dem Abendland, Byzanz und der islamischen Welt ein. Nominell den Herrschern in Konstantinopel untertan, wussten die Venezianer ihre Autonomie immer umfassender auszubauen. Das gewählte Oberhaupt der Stadt, der Doge, übte sein Amt lebenslang aus, mehr und mehr allerdings kontrolliert vom „Rat der Weisen“ (später dem „Großen Rat“), in dem die einflussreichsten Familien vertreten waren. Weder vermochte das Lehenswesen in Venedig Fuß zu fassen, noch wurde dem Klerus gestattet, sich in öffentliche Fragen einzumischen. Macht und Reichtum Venedigs beruhten auf dem Handel, die Stadt hielt die Schifffahrt auf dem Po unter Kontrolle und hatte auch die Nachbarhäfen an der Adria von Ravenna bis Triest durch Verträge gebunden.
Die Hochzeit mit dem Meer
Venedig feierte seine Verbundenheit mit dem Meer alljährlich zu Himmelfahrt in einer symbolischen Handlung. Begleitet von einem prächtigen Gefolge bestieg der Doge das Staatsschiff „Bucintoro“, eine prunkvoll ausgestattete Galeere, und fuhr hinaus zu seiner „Braut“. Auf See vollzog der Doge dann die Vermählung, indem er mit den Worten „Wir ehelichen Dich, o unser Meer, zum Zeichen echter und dauerhafter Herrschaft“ einen goldenen Ring ins Wasser warf. Der Brauch, in Venedig seit dem hohen Mittelalter gepflegt, kam erst nach dem Untergang der Stadtfreiheit 1797 aus der Übung.
Führend im Bankwesen
Venedigs Hafen war nicht allein Stapel- und Umschlagplatz; in der Lagunenstadt gab es bedeutende Gewerbe, etwa Schiffbau, Textil- und Metallwesen und Glasproduktion sowie die Herstellung von Luxusgütern aller Art, so dass auch kräftig exportiert werden konnte. Ebenso war Venedig führend im Bankwesen, in den venezianischen Kontors gehörten bereits im Hochmittelalter bargeldloser Zahlungsverkehr und Wechselgeschäfte zum Alltag des Wirtschaftslebens. Vor allem durch die Kreuzzüge erhöhte sich der Zustrom von Kapital, vom Geschäft, das sich im Rahmen der bewaffneten Wallfahrt durch Pilgertransporte und Steigerung des Handelsverkehrs mit dem Orient entwickelte, schnitt sich Venedig ein bedeutendes Stück ab.
Vormacht in der Levante
Beim Vierten Kreuzzug (1202–1204) übernahm Venedig sogar praktisch die Führung. Es nutzte die finanziellen und organisatorischen Probleme der Kreuzfahrer, die in der Lagunenstadt auf ihre Überfahrt warteten, um den ganzen Zug gegen Konstantinopel zu lenken, mit dem sich Venedig seit einem Massaker unter den Lateinern im Jahre 1182 nicht mehr im besten Einvernehmen befand. Die Etablierung eines sogenannten Lateinischen Kaiserreichs in Konstantinopel 1204 mehr oder weniger von Venedigs Gnaden machte die Seerepublik zur Vormacht in der Levante. Es begann die eigentliche Blütezeit Venedigs, die auch durch das Ende des Kaiserreichs 1261 und den Untergang der Kreuzfahrerherrschaft im Heiligen Land 30 Jahre später keinen Abbruch erfuhr. Noch für Jahrhunderte konnte die Handelsrepublik den östlichen Mittelmeerraum dominieren.