Weiterleben des Imperiums
Kaisertum und Reichsidee
Das mittelalterliche Kaisertum nahm die Tradition des spätantiken Imperium Romanum, des Römischen Reiches auf, das bei den Völkern Europas einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen hatte. Nun war es 395 in ein Ostund ein Westreich geteilt worden und als es im Westen 476 zusammenbrach, gab es dort vorerst auf lange Zeit keinen Nachfolger, der oströmische Herrscher verstand sich so lange als Repräsentant des gesamten Imperiums.
Heilsgeschichtliche Begründung
Das Bündnis zwischen dem Papsttum und den fränkischen Karolingern führte zur Wiedererrichtung des westlichen Kaisertums, die in der Kaiserkrönung Karls des Großen (800) sichtbare Gestalt gewann. Neu war die Hegemonialstellung des Frankenkönigs, die heilsgeschichtliche Begründung des Reiches als eines „regnum christianum“ und die Bindung an den Papst. Mit Byzanz, dessen Alleinvertretungsanspruch gleichwohl massiv angegriffen war, wurde 812 eine diplomatische Lösung gefunden. Die Kaiser erkannten einander an, der Titel „imperator Romanorum“ blieb dem Herrscher in Konstantinopel vorbehalten.
Warum nach Italien?
Es lag nicht an einer romantischen Italiensehnsucht, und selbst das hergebrachte Selbstverständnis des Kaisers als Schirmherr der Kirche und des Papsttums gab noch nicht den Ausschlag dabei, wenn die deutschen Herrscher immer wieder in den Süden zogen, sondern es wirkten ganz handfeste politische und ökonomische Interessen. Nord- und Mittelitalien gehörten als Kronländer zum Reich. Die deutschen Könige verfügten im eigenen Land nicht über genug Hausmacht, um erfolgreich Politik zu betreiben, etwa den Landfrieden durchzusetzen. Sie brauchten dazu die Steuern und Erträge aus dem reichen Italien. Und das Land südlich der Alpen war wichtig als Drehscheibe und Durchgangsland für den Handel. Deutschland befand sich in einer Randlage zu der wirtschaftlich und technisch weiter entwickelten Welt des Mittelmeerraumes. Einen Zugang zum Beispiel nach Venedig zu haben, über das wiederum die Verbindung mit Byzanz lief, war von hoher Bedeutung.
Nach Karl trugen noch verschiedene Karolinger die Kaiserkrone, immer in Verbindung mit der Herrschaft über Italien, bis die Reihe 924 mit dem Tod Berengars I. abriss. Mit der Kaiserkrönung Ottos I. des Großen (962) begann dann eine neue Epoche. Das Kaisertum wurde mit dem deutschen Königtum, später mit der Trias Deutschland–Burgund–Italien verbunden, und zwar in der Form eines Rechtsanspruchs des deutschen Königs auf die Kaiserkrone. Diesem Anspruch stand jedoch die Bindung des Kaisertums an den Papst entgegen, der seine Kirche nicht unter die politische Herrschaft des Kaisers geraten lassen wollte. Im Investiturstreit (1075–1122) zerbrach die weltlich-geistliche Einheit, fortan war das Verhältnis zwischen Kaiser und Papst durch einen Kampf um die Vorrangstellung geprägt, in dem die geistliche Gewalt deutliche Vorteile gegenüber der weltlichen erlangte.
Das Kaisertum, wie es die Ottonen geschaffen hatten und Salier und Staufer dann fortführten, war keine staatsrechtliche, sondern eher eine geistige Größe. Der Kaiser besaß faktisch nicht mehr Macht als er zuvor als König schon besessen hatte, ebenso wenig waren Eingriffsrechte in die Souveränität der übrigen Königreiche des Abendlandes vorgesehen. Für die Zeitgenossen verband sich mit dem Titel „Kaiser“ jedoch immer ein ungeheurer Nimbus. Der Stauferkaiser Friedrich II. (1212–1250) brachte das selbst einmal zum Ausdruck: „Alles auf Erden verliert seine Bedeutung gegen die Hoheit, den Glanz, die Herrlichkeit des Kaisertums.“