81

Mit OKAY ging es aufwärts. Im Juni 1948 hatte die Illustrierte eine Auflage von fünfhunderttausend Exemplaren erreicht.

Die Fertighausfabriken in und bei Murnau liefen auf Hochtouren. Hunderte von Häusern für Flüchtlinge, Ausgebombte und Vertriebene waren bereits gebaut worden – mit tatkräftiger Unterstützung des Gouverneurs van Wagoner. US-Laster transportierten Einzelteile und Montagetrupps.

Jakobs drei Eier-Farmen wurden nun Tag und Nacht mit Sinatra-Musik berieselt; denn wieder waren aus Küken Hennen geworden, und die Hennen legten wie verrückt. Jakob lieferte seine Quote an die Amerikaner, die Hälfte des Restes an die Lebensmittelämter und ließ sich in Altersheimen, Kindergärten und Krankenhäusern sehen, als freudebringender Eier-Weihnachtsmann mit vollen Körben. Die Zeitungen brachten tränentreibende Geschichten und Bilder von diesem wahrhaft guten Menschen. Ein herzzerreißender Artikel erschien in OKAY. Den wahrhaft erschütternden Bericht zu den rührenden Bildern, die Jakob mit Waisenkindern, Lungenkranken oder vor Seligkeit weinenden alten Menschen zeigten, hatte natürlich Klaus Mario Schreiber geschrieben.

Die zweite Hälfte des Ertrags an Eiern kam nach einem wohlausgebauten, ja perfekt funktionierenden System anstandslos auf die Schwarzmärkte der Großstädte. Wieselflink sausten uralte Autos, mit Holzvergasern ausgestattet, durch die Lande und transportierten das zerbrechliche Gut. Wahrlich, es gab genug zu tun. Auf Jakob Formanns drei Höfen in der Bi-Zone legten sechsundsechzigtausend Hennen …

Viele Könige des Schwarzen Marktes wurden ärgerlicher und ärgerlicher. Niemals hielt die Polizei einen einzigen Eiertransport an! Niemals ging ein einziges Formann-Ei bei der Razzia verloren! Die Herren Schwarzhändler konnten sich einfach nicht erklären, wie die Verteiler – offenbar hellseherisch begabt – exakt wußten, wann eine Razzia stattfand, also niemals zu solchen Zeiten auftauchten. Die Polizei, unser aller Freund und Helfer, unterstützte Jakobs Unternehmungen vorbildlich. Es gab nichts Zuverlässigeres als die bestochenen Beamten in den einzelnen Präsidien, und es gab keine einzige Razzia, über die Jakob nicht unterrichtet gewesen wäre – Tage, bevor sie stattfand. Die einzige Ausnahme bildete Nürnberg. Dort saß ein Regierungsrat, seinerzeit in Berlin tätig, vor dem hatten sogar Jakobs ›Funktionäre‹ Angst. Der Mann kam aus Preußen und war die Ehrbarkeit selber. An den wagte sich niemand heran, um ihn zu bestechen. Also mußte Jakob es selber tun. Mit der Bahn fuhr er gen Norden. Nürnberg war zu groß und zu wichtig, als daß man einen Formann-Eier-Markt hätte entbehren können.

Im stinkenden Abteil eines stinkenden Eisenbahnwagens zwischen stinkende Hamsterer gepreßt, überlegte sich Jakob am Vormittag des 17. Juni 1948 all das, was wir eben aufgeschrieben haben. Das Geld floß nur so herein. Und wenn es noch ein paar Monate so hereinfließt und alles so weitergeht, dann habe ich mich sehr schnell zu Tode gesiegt, dachte Jakob, zum erstenmal im Leben Opfer einer depressiven Phase. Er hielt die Hasenpfote umklammert, auf seinen Knien lag der Diplomatenkoffer. Der wurde von Jakob besonders behütet, denn er enthielt zerbrechliche Ware – in Watte gebettet, drei Probeeier, die er aus München mitgenommen und dazu ausersehen hatte, die Schwarzhändler in Nürnberg, nach Umstimmung des gefürchteten Regierungsrats, alle begeistern zu können.

Düster war Jakobs Gemütszustand in diesem Moment, sehr düster. Normalerweise wäre ich längst Millionär, dachte er. Normalerweise! Verflucht, er schwamm in Geld – aber leider eben in wertlosem Reichsmark-Geld, das ihm zudem zwischen den Fingern zerrann, kaum daß er es eingenommen hatte.

Wenn jetzt – aber schnell! – nicht ein Wunder geschieht, dachte Jakob in dem überfüllten Abteil, trauervoll einen mageren Mann ansehend, der seiner Ansicht nach dafür verantwortlich war, daß die bestialische Luft im Abteil von Zeit zu Zeit immer noch ein bißchen bestialischer wurde, wenn das nur eine kleine Weile so weitergeht, dann kann ich zumachen mit meinen Hühnerfarmen, mit OKAY, mit der Fertighausfabrik. Denn dann bin ich pleite.

Schiere Verzweiflung bemächtigte sich des sonst so munteren Jakob. (Übrigens auch aller anderen Menschen in Deutschland, aber das war natürlich kein Trost.) Der Verzweiflung folgte Zorn. War das eine Gerechtigkeit?

Die wirklich großen Schieber wurden fetter und fetter, und ein Mann wie er, der sich halb zu Tode arbeitete (Gott ja, natürlich schob auch er – aber doch nur mit Eiern!), ein solcher Mann stand vor dem Ruin.

Erschütternd! Jakob zerfloß in Selbstmitleid. Drei Minuten lang.

Dann fühlte er, von der Hand ausgehend, welche die Hasenpfote umklammerte, die ihm schon so bekannte wohlige Wärme seinen Körper durchfluten. Der Augenblick der Depression war vorbei. Der bleiche Mann gegenüber hatte es wieder getan (verflucht und zugenäht – offenbar Erbsen!), aber Jakob sah ihn nicht, wie alle anderen im Abteil, empört, böse und strafend an. Nein, er nickte dem Furzer milde zu! Und dachte genau das, was einige Jahre zuvor Zarah Leander gesungen hatte: ›Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen!‹

In dieser Hochstimmung machte er zwei Stunden später dem Herrn Regierungsrat Bernt Schneidewind im Polizeipräsidium Nürnberg, gewinnend lächelnd, einen kleinen Vorschlag …

Hurra, wir leben noch
cover.html
haupttitel.html
navigation.html
chapter1.html
chapter2.html
chapter3.html
chapter4.html
chapter5.html
chapter6.html
chapter7.html
chapter8.html
chapter9.html
chapter10.html
chapter11.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
chapter35.html
chapter36.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
chapter104.html
chapter105.html
chapter106.html
chapter107.html
chapter108.html
chapter109.html
chapter110.html
chapter111.html
chapter112.html
chapter113.html
chapter114.html
chapter115.html
chapter116.html
chapter117.html
chapter118.html
chapter119.html
chapter120.html
chapter121.html
chapter122.html
chapter123.html
chapter124.html
chapter125.html
chapter126.html
chapter127.html
chapter128.html
chapter129.html
chapter130.html
chapter131.html
chapter132.html
chapter133.html
chapter134.html
chapter135.html
chapter136.html
chapter137.html
chapter138.html
chapter139.html
chapter140.html
chapter141.html
chapter142.html
chapter143.html
chapter144.html
chapter145.html
chapter146.html
chapter147.html
chapter148.html
chapter149.html
chapter150.html
chapter151.html
chapter152.html
chapter153.html
chapter154.html
chapter155.html
chapter156.html
chapter157.html
chapter158.html
chapter159.html
chapter160.html
chapter161.html
chapter162.html
chapter163.html
chapter164.html
chapter165.html
chapter166.html
chapter167.html
chapter168.html
chapter169.html
chapter170.html
chapter171.html
chapter172.html
chapter173.html
chapter174.html
chapter175.html
chapter176.html
chapter177.html
chapter178.html
chapter179.html
chapter180.html
chapter181.html
chapter182.html
chapter183.html
chapter184.html
chapter185.html
chapter186.html
chapter187.html
chapter188.html
chapter189.html
chapter190.html
chapter191.html
chapter192.html
chapter193.html
chapter194.html
chapter195.html
chapter196.html
chapter197.html
chapter198.html
chapter199.html
chapter200.html
chapter201.html
chapter202.html
chapter203.html
chapter204.html
chapter205.html
chapter206.html
chapter207.html
chapter208.html
chapter209.html
chapter210.html
chapter211.html
chapter212.html
chapter213.html
chapter214.html
chapter215.html
chapter216.html
chapter217.html
chapter218.html
chapter219.html
chapter220.html
chapter221.html
chapter222.html
chapter223.html
chapter224.html
chapter225.html
chapter226.html
chapter227.html
chapter228.html
chapter229.html
chapter230.html
chapter231.html
chapter232.html
chapter233.html
chapter234.html
chapter235.html
info_autor.html
info_buch.html
impressum.html
hinweise.html