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Sie hatten drei Wagen – einen Lincoln Continental und zwei Chevrolets –, und sie fuhren auf der verkehrsreichen Straße einmal vor und einmal hinter dem schwarzen Chrysler. Der Mann am Steuer des schwarzen Chrysler war hager, hatte weiße Haare, schwarze Augenbrauen und ein hartes Gesicht …
In seinem Telefonat mit dem Senator Connelly, das Jakob am 22. Juni noch von Bonn aus geführt hatte, war lange die Rede davon gewesen, daß die Polizei normalerweise in den mit größter Wahrscheinlichkeit von Corbett inszenierten Streik nicht eingreifen konnte, ebensowenig wie sie Telefonleitungen anzapfen, einzelne Menschen, von denen nichts Nachteiliges bekannt war, überwachen oder gar gegen ganze Gruppen Fahndungsmaßnahmen einleiten konnte in der Hoffnung, irgendwelche Verdächtige werde man schon zu fassen kriegen. Als der Senator dann Jakob in Bonn zurückrief, war das anders …
»Ich habe mit dem Polizeipräsidenten von Los Angeles gesprochen, Jake. Der ist ein College-Freund von mir. Ich habe ihm die Sachlage geschildert und erreicht, daß Sie ab sofort Hilfe bekommen.«
»Danke, Senator, danke!«
»Schon gut. Sie haben Glück. Der Polizeipräsident will ein Exempel statuieren! Solche Sachen nehmen überhand, sagt er. Von dieser Minute an arbeiten Detektive einer Sonderkommission für Sie, Jake …«
Nun, die Sonderkommission hatte nach kurzer Zeit bereits herausgebracht, daß Jakobs Konkurrent John A. Corbett eine gewisse Kanzlei Dickins, Stark, Holloway, Holloway & Crown (ohne Wissen seiner hausinternen Rechtsabteilung!) beschäftigte, und die Detektive der Sonderkommission waren daraufhin dazu übergegangen, alle Anwälte der erwähnten Kanzlei, die Fabrik im Stadtteil Compton und Corbetts Haus in Beverly Hills rund um die Uhr zu überwachen. Dann, am 28. Juni 1961, morgens, hatten die Beamten im Präsidium diesen Anruf bekommen: »Jerry Stark wird in einer Stunde seine Kanzlei verlassen – nach einem Telefongespräch mit Corbett!« (Corbetts Telefonanschluß war schon seit Tagen angezapft.)
Daraufhin hatte der Chef der Sonderkommission bei George Misaras angerufen, und der und Jakob waren losgesaust.
Der Mann in dem schwarzen Chrysler mit dem harten Gesicht, den weißen Haaren und den schwarzen Augenbrauen war also der Anwalt Jerry Stark. Sie verfolgten ihn praktisch von dem Augenblick an, in dem er seine Kanzlei in dem Wolkenkratzer am Pico-Boulevard verlassen hatte.
Jakob saß mit Misaras und drei Detektiven in dem Lincoln Continental, in den beiden anderen Wagen fuhren jeweils drei weitere Kriminalbeamte. Die Einsatzwagen hatten untereinander direkten Sprechfunk-Kontakt; elektronische Zerhacker machten die Gespräche aber für jeden Fremden unverständlich.
Der Anwalt Jerry Stark fuhr zunächst ostwärts aus der Stadt hinaus. Im Valley war es grausig heiß, später in San Bernardino wurde es noch heißer, und auch in eintausendzweihundert Meter Höhe, hinauf nach Puma Point, war es nicht kühler auf der Straße, die sich nun in Kurven wand. Erträgliche Temperatur kam erst auf, als sie den Damm erreichten und am Südufer des Puma-Sees die großen Campingplätze passierten. Corbett hatte den Anwalt beauftragt, ein Zimmer im INDIAN HEAD HOTEL zu nehmen. Das hatte die Zentrale abgehört; also blieben die Detektive ein wenig zurück und ließen Stark vor dem braunen Eckhaus vorfahren und in das Hotel hineingehen, dem ein Tanzlokal gegenüberlag. Sie warteten eine ganze Weile, bis er im Hotel verschwunden war. Sie wußten, daß sie noch den ganzen Tag warten mußten, denn Corbett hatte seinen Anruf erst für zwanzig Uhr annonciert.
Jakob, Misaras und ihre Begleiter stiegen schließlich aus, die Detektive des ersten Chevrolets ebenfalls. Die im zweiten blieben neben der Auffahrt zum Hotel. Jakob, Misaras und die Kriminalbeamten gingen in das INDIAN HEAD HOTEL hinein. Hier herrschte großer Wirbel. Sehr viele Männer und Frauen in Sport- und Freizeitkleidung, nicht wenige bereits jetzt ziemlich angetrunken, drängten sich in der Halle. Vom See her ertönte das Donnern vorbeirasender Motorboote, und dazu spielte im Hintergrund der Halle eine Hillbilly-Band. Hier bereitete man sich anscheinend jetzt schon, am Freitagvormittag, auf ein fröhliches Wochenende vor.
Von den drei Detektiven, die Jakob begleiteten, waren zwei Techniker, Jakob erklärte das dem verstörten Hotelmanager.
»Aber was wollen Sie hier tun?«
»Uns in Ihre Telefonzentrale setzen und warten, und wenn wir Glück haben, ein Gespräch mitschneiden.«
»Von wem mit wem?«
»Es genügt schon, wenn wir das wissen.«
»Sie wissen, daß das verboten ist.«
»Schauen Sie sich mal das an«, schlug Jakob vor und zeigte dem Manager, der sie in sein Büro gebeten hatte (um Himmels willen kein Aufsehen!), verschiedene Papiere. Sie stammten alle von der Staatsanwaltschaft in Los Angeles. Nachdem er die Papiere gelesen hatte, sagte der Manager: »Aber wen wollen Sie denn abhören?«
»Das haben Sie schon einmal gefragt«, sagte einer der Detektive unfreundlich. »Jetzt ist es genug. Wo liegt die Telefonzentrale?«
Der nervöse Manager erklärte es.
Die beiden Techniker gingen daraufhin mit ihren Koffern fort. Die Kriminaler aus dem zweiten Chevy saßen in der Halle und an der Bar und bewachten die Lifts. Es gab drei. Die Detektive sahen alle drei.
Jakob, Misaras und ein Kriminalbeamter blieben im Büro.
»Was soll das heißen?« fragte der Manager.
»Wir leisten Ihnen Gesellschaft«, sagte Misaras.
»Aber ich habe zu tun! …
»N-n.«
»Was n-n?«
»Sie bleiben bei uns, bis alles vorüber ist«, erklärte der Detektiv geduldig. »Und wenn ich mich weigere? Von meinem Hausrecht Gebrauch mache?« Der Detektiv zog geduldig seine schwerkalibrige Pistole aus dem Halfter, legte sie auf den Schreibtisch und lächelte.
»Ich glaube nicht, daß Sie sich weigern werden«, sagte Jakob.
Der Manager schwieg verbissen.
»Sehen Sie. Um neun Uhr abends spätestens ist ohnedies alles vorbei«, sagte Jakob gütig, und dachte: Mit Gott! »Sie können sich den ganzen Tag Ihre Pornohefte anschauen. Und auch mit sich spielen, wenn wir Sie nicht stören«, fügte er hinzu.
»Sie werden gleich ein paar in die Fresse … Wo sind hier Pornohefte?« fauchte der Manager, ein kleiner Mann mit einem Frettchengesicht.
»Sie haben sie alle schnell in die mittlere Schreibtischlade geschubst, als wir hereinkamen«, sagte Jakob und trat vor. »Erlauben Sie …« Und blitzschnell öffnete er die Lade und zog das Gesprächsthema hervor. »Quillt ja schon über, Mann. Sie sollten sich ein Mädchen leisten. Oder einen von diesen Analytikern.«
»Sie dreckiger …«, begann der Manager, da läutete das Telefon. Jakob hob ab.
»Wir sind dran«, erklang die Stimme eines der beiden Techniker. »Mitschneidegerät, Zimmer angezapft, alles. Zwei süße Puppen hier, eine Blonde und eine Schwarze.«
Jakob vernahm Gekicher.
»Viel Vergnügen«, sagte er. »Habt ihr so geschaltet, daß auch wir mithören können?«
»Glauben Sie, wir sind Idioten? Natürlich. Ich sage Ihnen, die Mädchen haben vielleicht was in den Blusen …«
Jakob hängte ein.
»Solche Telefonistinnen im Haus und dann so was hier«, sagte er zu dem erschütterten Manager. »Schämen Sie sich nicht? Oder riechen Sie aus dem Mund?«
»Ich bin schüchtern.«
Der Detektiv, der zurückgeblieben war, pfiff durch die Zähne. Er blätterte bereits in einem der Pornohefte.
»Meine Mutter hat mich nämlich noch als Sechsjährigen in Mädchenkleidern herumlaufen lassen …«, begann der Manager, Tränen in den Augenwinkeln, da bemerkte er, daß alle drei Herren ihm nicht zuhörten. Auch Jakob und Misaras blätterten bereits interessiert. Der Manager mit der traurigen Jugend seufzte und griff gleichfalls zu. Von draußen drang der Lärm in der Halle herein. Die Herren sahen sich geduldig Bildchen um Bildchen an. Zu Mittag wurden Sandwiches und Bier in das Büro gebracht, am Nachmittag Kaffee und Kuchen. Danach spielten die Herren bis zum Abend Karten. Punkt acht Uhr läutete das Telefon. Der Detektiv legte seufzend seine Spielkarten hin und hob ab.
Einer der Techniker sagte atemlos: »Jetzt ruft ein Kerl gerade Stark an. Achtung, ich schalte ein …«
Ein leises Summen, dann wurden der Detektiv und Jakob, der den zweiten Hörer des Telefons ans Ohr hielt, Zeugen des folgenden Dialogs: »Ja, Boß, ich bin es, Stark.«
»Okay, wenigstens sind Sie da!« Die andere Stimme klang tiefer, man hörte, daß der Sprechende wütend war. »Was ist das für eine Sauerei, von der Sie mir heute früh Nachricht gegeben haben?«
»Ich kann nichts dafür, Boß! Ich mußte Sie doch benachrichtigen! Dieser Formann ist vor ein paar Tagen hier gelandet, und er scheint was vorzuhaben.« Jakob lächelte milde. »Unsere Leute von der Gewerkschaft haben mir gemeldet, daß dreißig Arbeiter plötzlich erklären, nicht länger streiken zu wollen, weil sie den dringenden Verdacht haben, daß da ein krummes Ding gedreht wird.« Der Detektiv warf Jakob einen herzinnigen Blick zu. »Wir haben sie uns sofort vorgenommen und jedem von ihnen fünftausend zusätzlich versprochen, wenn sie das Maul halten und mit der Rederei aufhören.«
»Sie haben aber nicht aufgehört, sondern im Gegenteil den Kollegen Andeutungen gemacht, daß wer anderer ihnen was geboten hat. Sagen mir meine Leute.«
»Wenn das Ihre Leute sagen, wird’s schon stimmen, Boß.« Jetzt klang die Stimme des Anwalts Jerry Stark beleidigt. »Ich tue, was ich kann.«
»Das ist mir aber nicht genug.«
»Dann nehmen Sie sich einen anderen Anwalt, Mister Corbett!«
Na endlich hat er auch noch den Namen gesagt, dachte Jakob selig, während die tiefe Stimme tobte: »Sind Sie wahnsinnig geworden? Wie können Sie meinen Namen …«
»Tut mir leid, Boß. Aber wenn Sie mich so beleidigen …«
»Ich beleidige Sie nicht, ich stelle nur fest, daß ihr alle zusammen nicht mehr ausreicht, jetzt, wo Formann da ist …«
Die Stimme blendete aus, und die Stimme des Technikers erklang: »Wir wissen, von wo aus Corbett spricht! Die Fangschaltung in dem Sektor hat endlich funktioniert.«
»Wo ist der Mistkerl?« fragte Jakob.
»In ›Harry’s Bar‹! Santa Monica, zwanzig-vierzig Ashland Avenue«, sagte der Techniker. »Sind schon drei Streifenwagen von dem Revier dort unterwegs, um ihn hoppzunehmen. Hoffentlich redet er noch ein Weilchen.«
»Tja«, sagte Jakob.
Die Hoffnung wurde erfüllt.
Corbett redete noch zwei Weilchen. Er sagte dem Anwalt, daß man jetzt eben mit kräftigeren Mitteln vorgehen müsse.
»Heute nacht brennt die erste Fabrik von Formann ab. Machen Sie sich keine Sorgen. Sie haben damit nichts zu tun. Das habe ich schon alles vorbereitet für den Fall der Fälle. Und diesen Streikbrechern wird die Fresse poliert.«
»Hören Sie, Boß, ich muß Sie warnen. Wenn das auch noch geschieht und wenn auch nur das geringste herauskommt, sind wir wirklich im Eimer.« Jakob nickte bedächtig.
»Es kommt nie heraus! Sie sind doch überhaupt am Puma Lake und haben ein herrliches Alibi. Reißen Sie sich ein Mädchen auf heute nacht, machen Sie Tamtam, aber richtig, vielleicht einen kleinen Skandal, so etwas kann nie schaden, und bleiben Sie ein paar Tage oben. Mit diesem Formann werde ich noch Schlitten fahren.« Ach ja, dachte der belustigt, das wäre was. Vielleicht chinesisch? »Morgen nacht brennt die zweite Fabrik runter. Ist alles geplant. Wir müssen nur noch die paar Tage haben, damit Formann nicht liefern kann …«
»Und wenn er uns reinlegt?« Guter Anwalt, dachte Jakob.
»Der und uns reinlegen! Der hat doch keine Ahnung, was los ist! Der hat doch heute den ganzen Tag das Haus von seinem Freund Misaras nicht verlassen. Meine Leute passen da auf, Jerry.« Aber nicht auf den Hintereingang, die Idioten, dachte Jakob. So sind wir nämlich rausgekommen. Er hörte anschwellendes Sirenengeheul.
»Was ist denn das, Boß?«
»Ach, Scheiße, Verkehrsun …« Den Satz sprach John Albert Corbett nicht mehr zu Ende. Jakob vernahm das Fallen des Hörers, undeutliche Geräusche, dann wurde der Hörer in ›Harry’s Bar‹ wieder in die Gabel gelegt – von zarter Hand.
Jakob ließ den seinen auch fallen.
»Den hätten wir«, sagte er zu dem Detektiv. »Bleiben Sie noch einen Moment hier und passen Sie auf diesen Kerl auf, dem Mami die Mädchenkleider verpaßt hat, ich will sehen, daß uns Jerry nicht entwischt. Komm, George!« Die beiden Freunde eilten in die überfüllte Halle. Lift Nummer II kam eben heruntergeglitten. Als er sich öffnete, trat der untadelig gekleidete Anwalt Jerry Stark heraus. Im nächsten Moment war er umringt von sechs freundlichen Herren, die ihn aus der Halle hinaus und in einen der Wagen geleiteten.
Jakob eilte zurück, entbot dem kleinen Manager mit den kleinen Pornoheften einen schönen guten Abend und verließ dann mit dem letzten Detektiv das INDIAN HEAD HOTEL. Die Leute auf der Straße waren noch besoffener als die im Haus. Die Wagen hatten Mühe, wegzukommen.
Der Anwalt saß jetzt neben Jakob im Fond des Lincoln Continental. Sein Gesicht war weiß wie ein frisches Bettlaken.
Jakob betrachtete ihn staunend.
»Sie arbeiten doch in einer so gutgehenden Kanzlei. Warum machen Sie solche Sachen, Stark?«
»Wenn man Ihnen so viel Geld bieten würde …«
Ja, ich glaube, George hat recht, dachte Jakob, es gibt keine Demokratie, kein Recht, keine Völker und Staaten mehr, sondern nur noch Business und Geld, Geld, Geld …
»Aber dafür gehen Sie jetzt in den Knast«, sagte Jakob äußerlich ganz ruhig, aber innerlich voller Unruhe, denn er mußte an Worte denken, die vor vielen Jahren der Major der Roten Armee Jelena Wanderowa in Berlin-Karlshorst zu ihm gesprochen hatte – über die Zukunft des Westens (und er über die Zukunft des Ostens). »Man wird Anklage gegen Sie erheben …«
»… wegen des Vorwurfs der Mitwirkung an einem Verbrechen, wegen der unterlassenen Anzeige eines Verbrechens, wegen Mißachtung der bestehenden Gesetze des Staates California, wegen Anstiftung zu einem Verbrechen in Verbindung mit konspirativer Tätigkeit, wegen …«
»Ich sehe schon, Sie wissen Bescheid, Jerry«, sagte Jakob, indessen sie wieder nach San Bernardino hinunterkurvten – nun war es schon lange dunkel – und fuhr fort: »Und man wird auch Ihren Klienten Corbett einsperren und den Gewerkschaftsvertreter, den Sie im Auftrag Corbetts gekauft haben, und Corbett dürfte damit am Ende sein – so wie Sie, Stark, und wie der Mann von der Gewerkschaft und …« Etwas war Jakob eingefallen. Er flüsterte mit Misaras, der vor ihm saß. Dieser nickte und flüsterte mit dem Detektiv am Steuer. Der nickte auch.
Also brachten sie den Anwalt zunächst auf das für ihn zuständige Polizeirevier in der Normandie Avenue. Dort wurde Anzeige gegen ihn erstattet und er sodann ins Untersuchungsgefängnis überstellt (in welchem zu dieser Zeit Jakobs Rivale, Mister John Albert Corbett, bereits saß). Anschließend fuhren Jakob, Misaras und zwei Detektive hinaus zu dem vornehmen Stadtteil Beverly Hills. Corbett besaß da eine Villa, die ein Filmstar ihm verkauft hatte. Die Adresse lautete 1065 Coldwater Canion Drive. Jakob kannte sich hier aus, er war schon einmal dagewesen, um sich den Prunk- und Protzbau seines Fertighaus-Feindes anzuschauen. Er hatte ein Fahrrad benutzt, weil er sich ein wenig erholen wollte von der Hetzerei, in der er nun schon so lange steckte (er fuhr bekanntlich, wo immer es nur ging, mit dem Rad), und er war denn auch gleich von Polizisten angehalten und in ein sehr höfliches, aber bestimmtes Gespräch verwickelt worden. In Beverly Hills passierte das jedem, der zu Fuß ging oder mit dem Fahrrad auftauchte und Häuser betrachtete. Man möge daraus ermessen, welch feine Gegend Beverly Hills ist.
Diesmal kamen sie durch, ohne angehalten zu werden. Jakob war eingefallen, daß Corbett eine Freundin hatte. Was war das für eine? Wie weit war die in Corbetts Machenschaften eingeweiht? Was würde die schnellstens noch an Belastungsmaterial gegen ihren Geliebten verschwinden lassen? Das hatte er Misaras auf der Rückfahrt von Puma Point zugeflüstert.
Nun glitten sie in ihrem Wagen also durch diese feinste aller feinen Gegenden von Los Angeles, erreichten Corbetts Palast, wurden von einem verschreckten Pförtner, der sein Häuschen neben dem Eingang hatte, eingelassen und fuhren durch einen Palmenhain auf das Schloß in kitschig maurischem Stil zu.
Ein Diener. Noch ein Diener. Ein Butler.
Die gnädige Frau werde sogleich kommen, verhieß der Butler, der aussah wie drei englische Hocharistokraten zusammen. Er verhieß es in einer Marmorhalle, von der eine herrlich geschwungene Treppe in den ersten Stock emporführte. Unmittelbar darauf kam eine herrlich geschwungene junge Frau in einem rotseidenen Hausmantel die Treppe herabgeschritten, sich leicht in den Hüften wiegend, brünett, grünäugig, mit Schmuck behängt wie ein Weihnachtsbaum mit Glitzerzeug. Diese Dame, dachte Jakob, während er sie mit aufgerissenen Augen anstierte, hat den schönsten Busen, den süßesten Popo und die längsten Augenwimpern, die ich jemals bei einer Frau gesehen habe. (Wir aber wissen, daß Jakob bei Begegnungen mit hübschen oder gar schönen Frauen gern in Superlativen dachte – oft freilich mit Recht.) Die hohen Backenknochen – leicht slawisch sieht diese Dame aus. Und grüne Augen … grüne Augen, die in meinem Leben doch schon solche Verheerungen verursacht haben! dachte Jakob bebend.
Misaras betrachtete den Freund tief besorgt. Jetzt geht das wieder los, dachte er.
Die Detektive wiesen sich aus und erklärten den Grund ihres Besuchs. Die Traumfrau bewegte hilflos (oder war es Wurschtigkeit?) die Schultern und verzog die vollen Lippen zu einem bitteren Lächeln. Die Detektive machten sich sofort daran, den maurischen Palast zu durchsuchen. Plötzlich standen Jakob und Misaras mit der Traumfrau allein. Sie musterte beide durch halbgeschlossene Augen, eine Hand in der Hüfte, eine überlange Spitze mit Zigarette in der anderen. Jakob fühlte, wie es ihm heiß in die Lenden schoß.
»Sie müssen Mister Formann sein!« Ihre Stimme klang rauchig, tief.
»Stimmt«, sagte unser Freund mühsam.
Ich bin ja schlimmer als der Wenzel mit seinen Rothaarigen, dachte er, indessen seine Schläfennarbe zu zucken und die Hasenpfote, nein, das war ja gar nicht die Pfote – verflucht, immer diese Peinlichkeit, und die Dame schaut genau hin! – lebendig wurde.
»Ich bin Natascha Ashley«, erklärte die Dame.
Er verneigte sich und küßte ihre Hand, wie die Edle es ihm beigebracht hatte. Ohne Schwierigkeiten, denn Natascha Ashley hob ihre weiße Hand seinem Mund zart entgegen. Jakob staunte darüber, wußte er doch, daß Amerikanerinnen einen Handkuß nicht gewohnt sind und deshalb diesen, beziehungsweise den die Hand Küssenden, besonders gern mögen. Misaras hingegen fluchte stumm. Als Jakob sich aufrichtete, traf ihn etwas schmerzhaft am Kopf. Das Etwas war ein enormer tropfenförmiger Smaragd, der Natascha Ashley, an einer Platinkette, vor dem Prachtbusen baumelte. Dem Zusammenstoß, den Jakob mit seinem bekannt charmanten Lächeln parierte, folgten blitzschnell zwei Jakob-Gedanken.
Erster Gedanke: Allmächtiger im Himmel, das Ding hat mindestens neunzig Karat, wahrscheinlich hundert. Lupenrein. Inzwischen versteht Jakob Formann sich auf so was. Kostet? Also, drei Millionen Dollar sicherlich. Mindestens! Das Ding zieht die Lady ja richtig zu Boden! Die steht so herausfordernd aufrecht ja nur, damit der Klunker sie nicht umschmeißt! Zweiter Gedanke: Ich, Jakob Formann, meiner Zeit immer um zwei Schritte voraus, stehe hier vor der Geliebten dieses Lumpen Corbett, dieser Göttin mit dem phantastischen Busen und dem phantastischen Popo und den längsten Augenwimpern, die ich jemals gesehen habe, und meine Hasenpfote, die gar nicht meine Hasenpfote ist, meint es auch: Diese Göttin muß ich haben, und wenn’s mich das Leben kostet! Na, nicht gerade das Leben. Aber wenigstens einen Smaragd, der noch größer ist als dieser Brummer da.