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»Guten Abend«, sagte das Woditschka Reserl alias Gloria Cadillac, nunmehr Signora Maria Terulli, in feinstem Hochdeutsch. »Ich bin glücklich, hier sein zu dürfen, liebe gnädige Frau, lieber Herr Formann. Möge Gott der Allmächtige Sie behüten und beschützen in Ihrem neuen Heim und mit Ihnen sein auf allen Ihren Wegen. Ja, ja, mein Mann und ich sprechen deutsch!« Sie redete feierlich, und da war kein Falsch, kein Ich-verrat-dich-schon-nicht-Blick in ihren Augen. Klar und fest sah sie Jakob an. Der dachte: Die kann doch nicht alles vergessen haben, das gibt es doch nicht.
Das Reserl hatte alles vergessen, so etwas gibt es eben doch.
Ihr fast allzu schöner Mann sprach, ebenfalls in bestem Deutsch: »Meine geliebte Maria empfiehlt alle Menschen der Gnade und Güte Gottes. Bevor ich sie kennenlernte, war sie Schauspielerin. Doch dann erschien dieser Beruf ihr hohl und leer. Sie wollte ihrem Leben einen Sinn geben.«
»Sinn geben …«, lallte Jakob blödsinnig.
»Gewiß, Herr Formann«, sagte die Woditschka-Reserl-Madonna ernst. »Ich habe mich schon immer für Religions- und Glaubensfragen interessiert. So legte ich denn in Rom nach langem Studium die Prüfung als Religionslehrerin ab …« Jetzt trifft mich der Schlag, dachte Jakob und sein Schädel schmerzte, so sehr pochte die Narbe. Religionslehrerin ist sie geworden, dieses muntere Vögelein! »… und gebe seither Unterricht. Sie können sich nicht vorstellen, welch innerer Friede, welche Ausgeglichenheit, welch göttliche Ruhe mir das schenkt, Herr Formann, wenn ich …« Ihre weiteren Worte waren nicht mehr zu verstehen, denn rapide schwoll das Dröhnen eines Hubschrauber-Rotors an, der sich aus dem Nachthimmel herabsenkte.
Scheinwerfer flammten auf. Taghell erleuchteten sie ein großes Stück der riesigen Wiese. Die Kameras aller Fotografen und Fernsehteams waren jetzt auf dieses Stück Wiese gerichtet, wo langsam, sicher und federnd ein Hubschrauber landete. Der Pilot kletterte ins Freie. Er half einer Dame, die Jakob gut kannte (es handelte sich um die Edle) und einem beleibten Herrn in violettem Gewand, der einen flachen Hut auf dem Kopf trug.
»Ein Bischof …? Ein hoher Prälat …?« hörte Jakob ringsum flüstern. Der Rotor stand. Plötzlich herrschte Totenstille.
Der Violette war gekommen.
Er tat drei unsichere Schritte im blendenden Licht der Scheinwerfer. Dann krachte er auf die Nase.
Aufschrei!
Der Violette war über einen kindkopfgroßen Globus aus Marmor gestolpert, der da als besondere Attraktion mitten auf der Wiese stand. Kontinente und Weltmeere waren in diesen Globus gemeißelt, er ruhte auf einem niedrigen Sockel und drehte sich langsam. Zu ihm gehörte ein Läutwerk, das in regelmäßigen Abständen einen Bimmelton hören ließ. Auf den vier Seiten des Sockels stand in vier Sprachen:
JEDESMAL, WENN DIESE GLOCKE ERTÖNT,
WIRD IRGENDWO AUF DIESER WELT
EIN KIND GEBOREN!
Dort, wo das auf Russisch stand, war der Violette zu Fall gekommen. Jakob raste über die Wiese. Von allen Seiten eilten Gäste herbei.
Jakob versuchte den Violetten aufzurichten. Es ging nicht. Er schaffte es – so sportgestählt er auch war – nicht allein. Der Violette war ein sehr korpulenter Herr. Mit Hilfe eines Lords, eines Botschafters und eines Nobelpreisträgers brachte Jakob seinen prominentesten Gast wieder auf die Beine. Er stammelte in Panik: »Hochwürdigste Exzellenz … Exzellenz … Haben Exzellenz sich verletzt? Ich bin untröstlich, Exzellenz! Tut etwas weh? Ist etwas verstaucht? Dieser verfluch … Pardon, dieser dumme Globus! Ich werde sofort einen Arzt …«
»Das erübrigt sich, mein Sohn«, sprach der Violette und wischte Wiesenerde von der Soutane. »Alles ist in Ordnung.« Er hob die Hand. Jakob neigte sich tief über die Hand, er ging dabei halb in die Knie. Er zitterte vor Aufregung am ganzen Leib, als er stammelte: »Gott zum Gruß, Hochwürdigste Exzellenz, Gott zum Gruß! Ich danke für die unendliche Ehre, die Exzellenz mir mit Ihrem Erscheinen erweisen …«
Von weitem sah Klaus Mario Schreiber der Akrobatik seines Chefs zu, hielt sich an seinem Whiskyglas fest und murmelte erschüttert: »Ge … gelobt sei Jesus Christus …«