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»Z … Zwei … Zweiter August neunzehnhundertzweiundsechzig … D … Das Fest des Ja … Jahrzehnts ha … hat begonnen«, sprach Klaus Mario Schreiber, sanft besoffen, in ein Mikrofon. Das Tonbandgerät, das dazugehörte, hing an einem Riemen über seiner Schulter und wog knappe drei Kilo. Vor dreizehn Jahren, am Ende der Blockade Berlins, hatte Schreiber noch einen Tonbandkoffer benützt, der seine zweiundzwanzig Kilogramm gewogen hatte. Vollaufen lassen hatte er sich damals noch mit ›Johnnie Walker‹-Whisky. Jetzt, dreizehn Jahre später, besoff er sich mit ›Chivas Regal‹, und im Glase befand sich sogenanntes ›Polareis‹, das scheußlich schmeckte, dafür aber sehr teuer und infolgedessen der letzte Schrei der ganz feinen Leute war. Es kam von dorther, was der Name vermuten ließ. Beim Auftauen knisterte es dauernd. Aus diesen beiden Veränderungen mag man wohl den Fortschritt der Menschheit erkennen.
Schreiber trug einen Smoking. Seine Akne war fast verschwunden, nur noch wenige Pickel verunstalteten das Gesicht. Jakob hatte ihn, den Starfotografen Senkmann, drei weitere Reporter von OKAY und drei weitere Fotografen einfliegen lassen. Sie alle wieselten nun hier herum, denn OKAY sollte ganz groß über Jakobs Fest im CHÂTEAU NATASCHA auf Cap d’Antibes berichten.
»… es ist ein … einfach phan … phantastisch, wa … was hier vor sich ge … geht«, sprach Schreiber, auf dem Sockel einer Marmorgestalt von Überlebensgröße hockend, sanft und scheu in sein Mikrofon. Er nahm einem vorbeieilenden livrierten Diener ein neues Glas Whisky von dem Silbertablett, auf dem er das leere abgestellt hatte, genehmigte sich einen großen Schluck und fuhr fort: »B … Blöd … Blödsinnige Angeberei, neureiche, besch … beschissene! Kö … Könige im Exil … Thronprä … prätendenten, … die erste Ga … Garnitur von Hollywoods Schauspieler … spielern und R … Regisseuren … die berühmtesten Sänger und Sänge … Sängerinnen der Me … Me … Met. Ma … Maler von Welt … Weltruf. T … Tänzer un … unseres Jahr … hunderts … Da, im Ge … Gespräch, l … lachend und g … gelöst … Liz Taylor und Ri … Richard Burton … mein Go … Gott, sie vergöttert ihn, er ver … vergöttert sie … Nie … Niemals we … werden die … diese bei … beiden wu … wunderbaren Menschen auseinandergehen! Nie … Niemals! … Und da … die größten Re … Reeder der Welt, die mäch … mächtigsten Ban … Bankiers, Ko … Ko … Konzernherren, die be … berühmtesten Wiss … Wissenschaftler … die Häup … Häupter der ä … ältesten A … A … Adelsgeschlechter Eu … Europas …« Wieder ein Schluck. »Ein Theater ist das! Z … Zum Kotzen! … Die … Die be … bewundertsten Frauen d … dieser Erde … Phi … Philosophen … fünf Nobelpreisträger … ach, Scheiße, i … ich habe ja die G … Gästeliste … I … Ich muß m … mich auf das Ge … Geschehen ko … ko … konzentrieren, m … mit die … diesen Leuten re … reden … Sta … Statements b … brauche i … ich … und gute F … Fotos … S … Senkmann! S … Senkmann, ko … komm he … her, du Arschloch! Jetzt m … mußt du m … mich m … mit den He … Herrschaften fo … fotografieren! U … Und rei … reiß di … dich zu … zusammen, Mensch, da … daß das an … anständige Auf … Aufnahmen we … werden! Die K … Ko … Ko … Konkurrenz schlä … schläft nicht!«
Da … Das stim … stimmte –
Verzeihung, Damen und Herren. Aber wenn man längere Zeit so schreibt, wie Schreiber sprach, kann einem so etwas schon passieren.
Also noch einmal: Das stimmte! Die Konkurrenz schlief weiß Gott nicht. Wort- und Bildreporter aus dem In- und Ausland waren da und ackerten schwer – einundzwanzig insgesamt. Das Zweite Deutsche Fernsehen in Zusammenarbeit mit dem O.R.T.F., dem französischen Staatsfernsehen, ließ riesige Scheinwerfer die Szene erhellen. Die Scheinwerfer standen auf hohen Stativen. Es gab Podeste für die schweren Mitchell-Kameras, und es gab Männer mit Schulter-Aufnahmegeräten, die sich durch das Gewühl drängten, einen Lichtträger mit Akkutasche hinter sich. Kabel lagen überall herum. Ein paar Damen und Herren bester Qualität waren schon über sie gestolpert, eine dicke Fürstin aus dem Morgenlande war lang hingeschlagen. Aber niemand zeigte sich böse oder verärgert. Alle, alle hatten nur einen Wunsch: auch fotografiert zu werden!
Schreiber hörte, saufend, ins Mikrofon reportierend, mit Senkmann vorwärtsstapfend, einen amerikanischen Kollegen zu einem anderen Fotografen sagen: »Mensch, der Marlon ist ganz unruhig, weil ich ihn nicht schieße. Ich merk’ schon die ganze Zeit, wie der Brando wartet, daß ich zu ihm komme. Aber den lass’ ich heute am ausgestreckten Arm verhungern. Kein Wort. Kein Bild. Der Marlon kann nicht erwarten, daß wir ununterbrochen was von ihm bringen!«
Der Kollege sinnierte: »Wenn wir nicht wären, gäb’ es die da alle und das ganze Fest überhaupt nicht.«
»Da hast du recht«, sprach sein Freund. »Kein Mensch wüßte ja etwas davon!«
Es war ein heißer Tag gewesen, es war eine heiße Nacht – die Scheinwerfer machten sie noch heißer. Glänzend von Schweiß, Perlen und edlem Gestein, eingepfercht in der Menge, so durchlitten die Großen dieser Erde diese Nacht der Nächte.