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»Hy … hy … hy …«
»Herr Formann, ich muß doch sehr bitten! Hören Sie sofort mit diesem blöden Gelächter auf!«
»Ich ka … ka … kann nicht! Hy … hy … hy …!«
»Herr Formann, wenn Sie sich nicht augenblicklich beherrschen, löse ich diese Versammlung auf!«
»Ich bin ja schon still. Verzeihen Sie, Herr Professor!« sagte Jakob, hochrot im Gesicht. Er preßte eine Hand gegen den Mund.
»Das will ich hoffen. Wie ich also sagte: Eier aus der Westmoreland-Familie sind Hybrid-Eier. Aus ihnen kommen Hybrid-Hühner. Das hat nichts mit der Hybris zu tun, an die Sie denken, Herr Formann!« (Jakob dachte gar nicht an Hybris. Er hörte das Wort zum erstenmal.) »Nicht also mit Selbstüberheblichkeit oder frevelhaftem Hochmut, besonders den Ewigen Göttern gegenüber!« (Eiweh, dachte Jakob.)
»Seien Sie Herrn Formann nicht gram, Herr Professor«, bat der Hase. »Er ist ein sehr einfacher Mensch.«
Professor Dr.-Ing. Dr. phil. Dr. h.c. Dr. e.h. Karl Wilhelm Donner, der Mann, der für Hitler alle die schönen Flugzeuge gebaut hatte, war ein weißhaariger Herr mit stahlblauen Augen und sah stets grollend aus. Siebenundfünfzig Jahre Groll. Er trug noch die etwas schäbig gewordene und all der schönen Rangabzeichen, Orden und Ehrenzeichen entblößte Uniform der Waffen-SS. Er war ja auch erst seit drei Stunden aus dem Lager Glasenbach raus, man hatte ihm andere Kleidung in Aussicht gestellt, doch im Moment war keine Minute zu verlieren. Für vierzigtausend ging es um Tod oder Leben.
»Die Grenze zwischen Mensch und Gott einzuhalten«, donnerte Donner, »ist ein Hauptmotiv der altgriechischen Religion. Und Hybris ist daher ein Hauptmotiv ihrer Dichtung – denken Sie an Prometheus, Bellerophon, Ixion! Tja, aber das griechische Wort ›hybrid‹ bedeutet auch noch etwas anderes, nämlich: von zweierlei Art, zwittrig! Hybrid-Eier sind also Produkte der Kreuzung zweier Arten von besonderer Güte. Jeder einigermaßen Gebildete – Sie natürlich nicht, Herr Formann …«
»Sagen Sie mal, wie reden Sie eigentlich mit Ihrem Befreier?«
»…kennt außer dem Hybrid-Huhn auch noch das Hybrid-Schwein, den Hybrid-Weizen und den Hybrid-Mais …« Professor Donner hielt seine Antrittsrede im größten Schweinestall des größten Bauern von Theresienkron. Seine Zuhörer standen, lehnten und hockten dicht gedrängt auf Stroh oder Schweinetrögen und lauschten begierig jedem Wort. Sie mußten doch mit der Materie vertraut werden! Gewiß, man hielt Hühner. Aber doch nur die ganz gewöhnlichen Mistkratzer! Nun aber ging es um kostbare Hybrid-Hühner! Viele Anwesende machten sich Notizen. Auch Jakob hörte jetzt aufmerksam zu. Schließlich war es pures – toi, toi, toi! – Gold, das da über Donners grimmige Lippen floß!
Im Anschluß an die Donner-Worte sprach Jakob. Er informierte die Zuhörer über alles Geschehene und Geplante, rief jedermann zu größtem Fleiß und größter Anstrengung auf und machte dann – am 4. November 1946! – als erster Westeuropäer einen Vorschlag, der damals in einer knappen Viertelstunde akzeptiert wurde, während er überall sonst in Westeuropa noch heute, dreißig Jahre später, auf heftigsten Widerstand stößt. Jakob Formann schlug vor, aus Theresienkron ein ›Kollektiv‹ zu machen. Nach kommunistischem Vorbild, inmitten einer kapitalistischen Zone. Hier sollten alle im Besitz der Produktionsmittel sein! Niemand sollte eigenwillig handeln dürfen! Gewinnausschüttung des Unternehmens: jedes halbe Jahr. Ein fünfköpfiger Vorstand, darin Professor Donner, Julia Martens und Jakob Formann; Verkaufs- und Verhandlungsbeauftragter mit Abnehmern: Jakob Formann. Alle Rechte für weitere Unternehmen, Filialen, Zweigstellen und dergleichen vorbehalten 1946 by Jakob Formann. Der Hochwürdige Herr Pfarrer (die ihm zugeteilten Hühner hatte er im Windschatten an der Rückseite des Kirchleins untergebracht) leitete die Abstimmung. Ergebnis: hundert Prozent Ja-Stimmen. (Noch besser als unter Hitler und Stalin!) Hochwürden, der eine besonders schöne Schrift besaß, nahm alles zu Protokoll.
Und dieses Protokoll, ein ebenso denkwürdiges wie wertvolles Schriftstück, verwahrten sie zuletzt in einer eisernen Kassette, die der guten Frau Pröschl gehörte. Es war eine schwere Kassette, und man konnte sie nur mit zwei Schlüsseln öffnen.