12
Zwei Stunden später …
»Schreiber, hier ist Formann!«
Jakob stand in der Halle von Franz Arnuschs Haus in Bonn und hielt den Telefonhörer am Ohr.
»Ach, g … guten Tag, Ch … Chef, L … Lange nicht ge … gesehen. W … Wo ha … haben Sie denn gesteckt?« ertönte die Stimme des Starschreibers und größten Trunkenboldes von OKAY an Jakobs Ohr.
»Ich war in Rußland. Jetzt bin ich in Bonn. Sagen Sie mal, ich habe mir eben eine OKAY gekauft. Sie schreiben da eine neue Serie. ES MUSS NICHT IMMER HUMMER SEIN. Also, das ist …«
»Sch … Scheiße, ich weiß, He … Herr Formann, a … aber es l … läuft wie ver … verrückt, was s … soll ich machen?«
»Weiterschreiben, Mensch!«
»Ja, da … das sagen Sie so … so, Ch … Chef. Mi … Mir hängt das Z … Zeug schon zum Ha … Hals raus. Ich krieg’ von L … Lesern und Film … produzenten, die das D … Ding haben wollen, ob … obwohl es gerade erst angefangen hat, jeden Tag, den der l … liebe Gott werden läßt, H … Hummer! J … Jawohl, Hummer! Und na … natürlich ha … habe ich zuerst alles wie ein Irrer aufge … gefressen. Jetzt ka … kann ich keinen H … Hummer mehr s … sehen, ohne daß mir schlecht wird. Ich w … werde nie mehr H … Hummer essen können!«
»Mann, Schreiber, wo haben Sie die Story her?«
»Ach, die ha … haben mich nach Ame … Amerika geschickt, wissen Sie, Ch … Chef. Ei … Eine alte Dame hat uns ge … geschrieben, daß sie einen w … wunderbaren Stoff für u … uns hat. Wa … War auch ein w … wunderbarer Stoff. N … Nur nicht zu brau … brauchen.«
»Warum nicht?«
»Die alte D … Dame war völ … völlig unzurechnungsfähig … Ent … Entmündigt … A … Aber das habe ich erst drü … drüben rausgekriegt. Na, und wie ich mich da … dann so ein b … bißchen in den Staaten rumgetrieben h … habe, d … da ist mir die … dieser Kerl über den We … Weg gelaufen … Da … Das heißt, zuerst seine Frau … Sss … Süße Puppe … Die wollte ich natürlich sofort …«
»Verstehe.«
»A … Aber sie hat mich reingelegt! Z … Zu sich eingeladen … U … Und mir ihren Mann vorgestellt!«
»Diesen Thomas Lieven?«
»Na, in Wi … Wirklichkeit heißt er ga … ganz a … anders … Moment, der Ko … Kornfeld kommt grad rein, er hat gehört, Sie ru … rufen an, er muß Sie … La … Laß meinen ›Chivas‹ in Ruhe, Kornfeld, Mensch! … Spre … Sprechen muß er Sie, sagt er … Tschü … üß, Ch … Chef. U … Und la … lassen Sie sich mal w … wieder hier sehen! Ich ü … ü … übergebe …«
Dann vernahm Jakob die Stimme seines Vertriebschefs. (Er hatte seinerzeit den Redakteuren gekündigt, den anderen Angestellten nicht.)
»Herr Formann!« jubelte der Vertriebschef. »Haben Sie denn unsere Telegramme nicht gekriegt?«
»Kein einziges. Wo habt ihr sie hingeschickt?«
»Na, ins Kulturhaus nach Rostow!«
»Da liegen sie wohl noch. Was ist los? Geht die Serie wirklich so gut?«
»Gut? Das ist überhaupt kein Ausdruck!« Kornfeld schrie jetzt. »So was war noch nie da! Zweihunderttausend Exemplare mehr nach den ersten drei Teilen! Und wir steigen und steigen!«
»Dann muß der Schreiber weiter- und weiterschreiben!«
»Das ist ja das Kreuz! Er will nur eine kurze Serie, sagt er.«
»Quatsch! Ich kenne ihn doch, den Lumpen, den versoffenen. Mehr Geld will er! Und jetzt hat er uns in der Ecke und kann uns erpressen. Er muß einfach weiterschreiben! Und wir müssen ihm mehr Geld geben!«
»Gott sei Dank, daß Sie das bewilligen, Herr Formann. Es kommt hundert- und tausendfach wieder rein! Sie wissen ja, was ich früher immer gesagt habe: ›Text, das ist der Dreck, der zwischen den Inseraten steht!‹ Ich habe mich geirrt. Jetzt, beim HUMMER, da sind die Inserate der Dreck, der zwischen dem Schreiber seiner Serie steht!«
»›Chivas‹ muß er saufen«, brummte Jakob. »Vor ein paar Jahren hat’s noch ›Johnnie Walker‹ getan. Und ganz am Anfang Weinbrandverschnitt. Mit der Bundesrepublik geht’s bergauf!«
»Toi, toi, toi, Herr Formann. Nicht verschreien!«
»Da haben Sie recht, nicht verschreien«, sagte Jakob und klopfte auf Holz. Als er sich verabschiedet und das Gespräch beendet hatte, kam der fette Arnusch Franzl in die Halle. Er strahlte.
»Du strahlst ja so, Franzl?«
»Nachricht für dich!«
»Was für eine Nachricht?«
Der Arnusch Franzl ließ sich ächzend auf eine ächzende Couch krachen. »Na, du warst doch so außer dir wegen dem Hasen … Wo der ist … Ob der sich was angetan hat … Völlig meschugge warst du, als du angekommen bist … Da habe ich mir gedacht, ich muß mich gleich selbst darum kümmern …«
»Und? Wo ist der Hase?« flüsterte Jakob.
»Gleich. Laß mich erzählen, wie ich es angefangen habe. Ich habe alle unsere Piloten verständigt. Die haben die besten Verbindungen zur Polizei auf den Flughäfen.«
»Wieso Flughäfen?«
»Mein Bester, was tut eine Frau, die gerade ihre Wohnung und ihr Geschäft verkauft und ihren Geliebten verloren hat, in ihrer Verzweiflung?«
»Na was? Red schon. Was tut sie?«
»Sie haut ab von dort, wo es passiert ist, habe ich mir gesagt. So weit wie möglich haut sie ab. Bloß an nichts mehr erinnert werden. So denke ich. So denkt jede Frau.«
»Du bist ja gar keine.«
»Aber ich kann mich in eine hineinfühlen«, erklärte der Arnusch Franzl triumphierend. »Und ich hab’ mich richtig hineingefühlt! Die haben auf allen großen Flughäfen nachgeschaut – unseren Piloten zuliebe –, wer um diese Zeit herum – August, September fünfundfünfzig – weit weggeflogen ist …«
»Sie hätte ja auch ein Schiff nehmen können.«
»Hätte sie, ja. Aber hat sie nicht. Wie es so geht im menschlichen Leben. Geflogen ist sie!« Der fette Franzl schlug auf einen Zettel, den er in einer Hand hielt. »Und zwar mit der LUFTHANSA! Erster Klasse! Von Orly aus! Am vierzehnten August 1955 um zwanzig Uhr zehn mit Flug fünfhundertundelf über London nach Los Angeles!«
»LUFTHANSA? Nach Los Angeles?«
»Sage ich doch, mein Guter.«
»Aber warum? Was macht sie in Kalifornien?«
»Das habe ich natürlich nicht rauskriegen können, mein Bester.« Jakob krachte gleichfalls auf die Couch.
»Ich werde verrückt. Nach Kalifornien«, murmelte er …