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Zwei Tage später bezwangen zwei Herren den Wallberg in seiner herrlichen winterlichen Einsamkeit. Damals kletterte niemand zum Vergnügen. Dazu waren die meisten Menschen viel zu schwach. Der Wehrwirtschaftsführer nicht, der war ganz im Gegenteil mehr als herausgefressen und mußte immer wieder um Atempausen bitten. Er hatte Angst, das Herz könnte ihm versagen.
Jakob, der in sieben Jahren genug Zeit und Gelegenheit zum Trainieren gehabt hatte, nahm den Wallberg sozusagen im Laufschritt. Die Seidenballen, den Zobel, den holländischen Meister und die Ehrenurkunde, die Hitler blanko unterschrieben hatte, waren inzwischen nach München gebracht worden. Der wackere Fälscher Mader bewahrte alles in seiner Werkstatt auf.
Da war die Alm. Junge, Junge, ist der auf Nummer Sicher gegangen, dachte Jakob, als er sah, wie der Wehrwirtschaftsführer mit Spezialschlüsseln ein Schloß nach dem andern aufsperrte. Nebel hüllte alles ein. Gut so, dachte Jakob.
Jetzt hatte Herresheim das letzte Schloß auf. Er öffnete die Tür.
Jakob trat in die große Almhütte. Herresheim folgte ihm. Jakob pfiff anerkennend. Vom Boden bis zur Decke war hier alles gefüllt mit Zucker, Kaffee, Schokolade, mit Konserven aller Art, mit Mehl, Fett, geräucherten Schinken und Würsten. Es sah aus und roch wie im Magazin einer riesigen Lebensmittelhandlung.
»So«, sagte der von Herresheim, total erschöpft, »also das gehört auch noch Ihnen. Das Letzte, was ich habe. Sie sind mir vielleicht ein gerissener …«
Er sprach den Satz nicht zu Ende. Jakob wußte, warum.
Hinter Herresheim war Generalmajor Peter Milhouse Hobson getreten. Er bohrte dem Wehrwirtschaftsführer die Mündung einer Pistole in den Rücken. Hinter Hobson sah Jakob Soldaten. Und ein paar Mann deutsche Polizei. (Darum habe ich gebeten, dachte er gerührt. Peter ist wirklich ein feiner Kerl.)
»Wa … wa … was soll das heißen?« stammelte Herresheim.
»Herresheim, Sie Verbrecher, Sie sind verhaftet, das soll es heißen«, sagte Hobson. (Ein bißchen zu theatralisch, dachte Jakob. Aber das ist wieder eine von seinen Sternstunden. Und auf dieses braune Mistvieh wirkt es! Laß nur …)
»Sie haben doch von den Vorräten gewußt, Major General«, stammelte der Wehrwirtschaftsführer. »Ich habe sie angegeben …«
»Die Pfoten über den Kopf, aber schnell!«
Herresheim hob die Hände.
»… Sie haben … haben … doch alles gewußt! Und alle meine Urkunden gesehen!«
»Das haben unsere Spezialisten in München auch«, sagte Hobson grimmig. »Alles Fälschungen, wirklich sehr gute Fälschungen. Kein Wort von all dem Quatsch, den Sie uns erzählt haben, ist wahr gewesen – für die Alliierten gekämpft, Sabotage gegen Hitler! Auch da habe ich nachforschen lassen. Nirgends ist etwas davon bekannt.«
»Darum wollte ich erst in zwei Tagen mit Ihnen hier raufgehen, Herresheim«, erläuterte Jakob. »Damit der Major General genügend Zeit hat …«
»Sie elender Verräter!« Herresheim machte Anstalten, sich auf Jakob zu stürzen.
Ein Militärpolizist schlug ihm den Schaft einer Maschinenpistole kurz und gar nicht einmal besonders heftig über den Schädel. Herresheim kippte um. Er begann zu weinen über soviel Unrecht, das es gab auf der Welt. Und weil ihm der Schädel weh tat.
»Ihre Saufkumpane, die Herren Ortsgruppenleiter, die sitzen schon alle. Ihre Bubis haben wir ins Arbeitslager Moosburg gesteckt, zu den braunen Bonzen. Und Sie, Herresheim, nehme ich mit nach München. Auf Sie wartet ein hübscher kleiner Prozeß«, sagte Hobson. »Da werden wir nicht mal einen Dolmetscher brauchen – bei Ihren Sprachkenntnissen! Danke, Jake, daß du uns die Alm so genau beschrieben hast. Wir haben sie gleich gefunden.«
»Gerne geschehen«, sagte Jakob, indessen vier kräftige MPs den von Herresheim schon ins Freie zerrten.
»Gebt acht, daß er sich nicht weh tut«, sagte Jakob.
»Sie Schwein! Sie Verräter! Die gerechte Strafe wird Sie treffen!« schrie der Gefangene, als er abgeschleppt wurde.
»Jajaja, sicherlich«, sagte Jakob gelangweilt. Er wandte sich an seinen Freund Hobson. »Ich schlage vor, daß zunächst einmal die Frauen und Kinder im Himmler-Hof mit einem Teil der Vorräte hier versorgt werden, Peter«, sagte er. »Den Rest bekommen die deutschen Behörden zur Verteilung. Einverstanden?«
»Einverstanden«, sagte Hobson. »Mensch, Jake, du bist schon ein Kerl!«
»Es geht«, sagte Jakob bescheiden, und danach summte er leise eine Melodie von Glenn Miller. Und sang schließlich zu ›In the Mood‹ einen Text, der jetzt gerade Mode geworden war:
»Auf, wir gründen wieder eine Nazipartei,
und die alten Bonzen, die sind wieder dabei,
mit Genehmigung der Militärregierung
bringen wir die Sache dann in Schwung …«
Jakob grinste. »Ja, Scheiße«, sagte er vor sich hin. »Hier haben jetzt die Frauen und Kinder aus dem Himmler-Hof ein schönes Heim.«
Wichtiger Hinweis: Der vorangegangene Bericht mußte mit besonderer Umsicht verschlüsselt werden, da es sich bei dem im Roman erwähnten ›Wehrwirtschaftsführer von Herresheim‹ um einen Mann handelt, der heute im Wirtschaftsleben der Bundesrepublik Deutschland eine sehr hohe Position einnimmt.