40

Zwei Tage später bezwangen zwei Herren den Wallberg in seiner herrlichen winterlichen Einsamkeit. Damals kletterte niemand zum Vergnügen. Dazu waren die meisten Menschen viel zu schwach. Der Wehrwirtschaftsführer nicht, der war ganz im Gegenteil mehr als herausgefressen und mußte immer wieder um Atempausen bitten. Er hatte Angst, das Herz könnte ihm versagen.

Jakob, der in sieben Jahren genug Zeit und Gelegenheit zum Trainieren gehabt hatte, nahm den Wallberg sozusagen im Laufschritt. Die Seidenballen, den Zobel, den holländischen Meister und die Ehrenurkunde, die Hitler blanko unterschrieben hatte, waren inzwischen nach München gebracht worden. Der wackere Fälscher Mader bewahrte alles in seiner Werkstatt auf.

Da war die Alm. Junge, Junge, ist der auf Nummer Sicher gegangen, dachte Jakob, als er sah, wie der Wehrwirtschaftsführer mit Spezialschlüsseln ein Schloß nach dem andern aufsperrte. Nebel hüllte alles ein. Gut so, dachte Jakob.

Jetzt hatte Herresheim das letzte Schloß auf. Er öffnete die Tür.

Jakob trat in die große Almhütte. Herresheim folgte ihm. Jakob pfiff anerkennend. Vom Boden bis zur Decke war hier alles gefüllt mit Zucker, Kaffee, Schokolade, mit Konserven aller Art, mit Mehl, Fett, geräucherten Schinken und Würsten. Es sah aus und roch wie im Magazin einer riesigen Lebensmittelhandlung.

»So«, sagte der von Herresheim, total erschöpft, »also das gehört auch noch Ihnen. Das Letzte, was ich habe. Sie sind mir vielleicht ein gerissener …«

Er sprach den Satz nicht zu Ende. Jakob wußte, warum.

Hinter Herresheim war Generalmajor Peter Milhouse Hobson getreten. Er bohrte dem Wehrwirtschaftsführer die Mündung einer Pistole in den Rücken. Hinter Hobson sah Jakob Soldaten. Und ein paar Mann deutsche Polizei. (Darum habe ich gebeten, dachte er gerührt. Peter ist wirklich ein feiner Kerl.)

»Wa … wa … was soll das heißen?« stammelte Herresheim.

»Herresheim, Sie Verbrecher, Sie sind verhaftet, das soll es heißen«, sagte Hobson. (Ein bißchen zu theatralisch, dachte Jakob. Aber das ist wieder eine von seinen Sternstunden. Und auf dieses braune Mistvieh wirkt es! Laß nur …)

»Sie haben doch von den Vorräten gewußt, Major General«, stammelte der Wehrwirtschaftsführer. »Ich habe sie angegeben …«

»Die Pfoten über den Kopf, aber schnell!«

Herresheim hob die Hände.

»… Sie haben … haben … doch alles gewußt! Und alle meine Urkunden gesehen!«

»Das haben unsere Spezialisten in München auch«, sagte Hobson grimmig. »Alles Fälschungen, wirklich sehr gute Fälschungen. Kein Wort von all dem Quatsch, den Sie uns erzählt haben, ist wahr gewesen – für die Alliierten gekämpft, Sabotage gegen Hitler! Auch da habe ich nachforschen lassen. Nirgends ist etwas davon bekannt.«

»Darum wollte ich erst in zwei Tagen mit Ihnen hier raufgehen, Herresheim«, erläuterte Jakob. »Damit der Major General genügend Zeit hat …«

»Sie elender Verräter!« Herresheim machte Anstalten, sich auf Jakob zu stürzen.

Ein Militärpolizist schlug ihm den Schaft einer Maschinenpistole kurz und gar nicht einmal besonders heftig über den Schädel. Herresheim kippte um. Er begann zu weinen über soviel Unrecht, das es gab auf der Welt. Und weil ihm der Schädel weh tat.

»Ihre Saufkumpane, die Herren Ortsgruppenleiter, die sitzen schon alle. Ihre Bubis haben wir ins Arbeitslager Moosburg gesteckt, zu den braunen Bonzen. Und Sie, Herresheim, nehme ich mit nach München. Auf Sie wartet ein hübscher kleiner Prozeß«, sagte Hobson. »Da werden wir nicht mal einen Dolmetscher brauchen – bei Ihren Sprachkenntnissen! Danke, Jake, daß du uns die Alm so genau beschrieben hast. Wir haben sie gleich gefunden.«

»Gerne geschehen«, sagte Jakob, indessen vier kräftige MPs den von Herresheim schon ins Freie zerrten.

»Gebt acht, daß er sich nicht weh tut«, sagte Jakob.

»Sie Schwein! Sie Verräter! Die gerechte Strafe wird Sie treffen!« schrie der Gefangene, als er abgeschleppt wurde.

»Jajaja, sicherlich«, sagte Jakob gelangweilt. Er wandte sich an seinen Freund Hobson. »Ich schlage vor, daß zunächst einmal die Frauen und Kinder im Himmler-Hof mit einem Teil der Vorräte hier versorgt werden, Peter«, sagte er. »Den Rest bekommen die deutschen Behörden zur Verteilung. Einverstanden?«

»Einverstanden«, sagte Hobson. »Mensch, Jake, du bist schon ein Kerl!«

»Es geht«, sagte Jakob bescheiden, und danach summte er leise eine Melodie von Glenn Miller. Und sang schließlich zu ›In the Mood‹ einen Text, der jetzt gerade Mode geworden war:

»Auf, wir gründen wieder eine Nazipartei,

und die alten Bonzen, die sind wieder dabei,

mit Genehmigung der Militärregierung

bringen wir die Sache dann in Schwung …«

Jakob grinste. »Ja, Scheiße«, sagte er vor sich hin. »Hier haben jetzt die Frauen und Kinder aus dem Himmler-Hof ein schönes Heim.«

Wichtiger Hinweis: Der vorangegangene Bericht mußte mit besonderer Umsicht verschlüsselt werden, da es sich bei dem im Roman erwähnten ›Wehrwirtschaftsführer von Herresheim‹ um einen Mann handelt, der heute im Wirtschaftsleben der Bundesrepublik Deutschland eine sehr hohe Position einnimmt.

Hurra, wir leben noch
cover.html
haupttitel.html
navigation.html
chapter1.html
chapter2.html
chapter3.html
chapter4.html
chapter5.html
chapter6.html
chapter7.html
chapter8.html
chapter9.html
chapter10.html
chapter11.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
chapter35.html
chapter36.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
chapter104.html
chapter105.html
chapter106.html
chapter107.html
chapter108.html
chapter109.html
chapter110.html
chapter111.html
chapter112.html
chapter113.html
chapter114.html
chapter115.html
chapter116.html
chapter117.html
chapter118.html
chapter119.html
chapter120.html
chapter121.html
chapter122.html
chapter123.html
chapter124.html
chapter125.html
chapter126.html
chapter127.html
chapter128.html
chapter129.html
chapter130.html
chapter131.html
chapter132.html
chapter133.html
chapter134.html
chapter135.html
chapter136.html
chapter137.html
chapter138.html
chapter139.html
chapter140.html
chapter141.html
chapter142.html
chapter143.html
chapter144.html
chapter145.html
chapter146.html
chapter147.html
chapter148.html
chapter149.html
chapter150.html
chapter151.html
chapter152.html
chapter153.html
chapter154.html
chapter155.html
chapter156.html
chapter157.html
chapter158.html
chapter159.html
chapter160.html
chapter161.html
chapter162.html
chapter163.html
chapter164.html
chapter165.html
chapter166.html
chapter167.html
chapter168.html
chapter169.html
chapter170.html
chapter171.html
chapter172.html
chapter173.html
chapter174.html
chapter175.html
chapter176.html
chapter177.html
chapter178.html
chapter179.html
chapter180.html
chapter181.html
chapter182.html
chapter183.html
chapter184.html
chapter185.html
chapter186.html
chapter187.html
chapter188.html
chapter189.html
chapter190.html
chapter191.html
chapter192.html
chapter193.html
chapter194.html
chapter195.html
chapter196.html
chapter197.html
chapter198.html
chapter199.html
chapter200.html
chapter201.html
chapter202.html
chapter203.html
chapter204.html
chapter205.html
chapter206.html
chapter207.html
chapter208.html
chapter209.html
chapter210.html
chapter211.html
chapter212.html
chapter213.html
chapter214.html
chapter215.html
chapter216.html
chapter217.html
chapter218.html
chapter219.html
chapter220.html
chapter221.html
chapter222.html
chapter223.html
chapter224.html
chapter225.html
chapter226.html
chapter227.html
chapter228.html
chapter229.html
chapter230.html
chapter231.html
chapter232.html
chapter233.html
chapter234.html
chapter235.html
info_autor.html
info_buch.html
impressum.html
hinweise.html