56

An diesem Vormittag kaufte ein gewisser Mr. Jerome Howard Fletcher in der Rue de la Paix einen sehr schönen Smaragdring von ungewöhnlicher Reinheit. Der sehr schöne Smaragdring kostete fünfunddreißigtausend Dollar. Ich habe schon immer viel zu große Trinkgelder gegeben, dachte Jakob.

Als er den Ring dann Laureen überreichte, begann diese fassungslos zu weinen.

»Das … das ist das erstemal in meinem Leben, daß ein Mann mir etwas schenkt!« stammelte sie.

»Na, einer muß ja mal anfangen«, erwiderte er freundlich.

Sie sprang ihn an wie eine wilde Bestie. Er kippte fast um. Zwei Minuten später lagen sie im Bett.

Vier Stunden lang waren sie tätig. Am Ende der vierten Stunde sah Jakob auf seine Armbanduhr. Sehr zärtlich. Denn mit dem Arm, an dem sich die Uhr befand, hielt er Laureens Kopf umschlungen. Verflucht, dachte Jakob, schon so spät? Jetzt muß aber Schluß sein, ich versäume ja sonst noch alle Anschlüsse! Wie kriege ich Laureen zum Einpennen? Ach, ich weiß schon, wie ich Laureen zum Einpennen kriege. Er ging ans Werk.

Laureen begann heftig zu keuchen.

»Was soll denn das? Was ist denn das?«

»In China nennt man es die ›Schlittenfahrt‹.«

»Oh … das … das ist verrückt … das halte ich nicht aus! … Weiter, mach weiter! … Wer hat dir das beigebracht, du Wüstling?«

»Mein Kindermädchen.«

Nach dem Ende der ›Schlittenfahrt‹ rutschte Laureen zur Seite und schlief vor Erschöpfung von einer Sekunde zur andern ein. Na also, ich hab’s ja gewußt, dachte Jakob. Seine Kraftreserven, wir sagten es bereits, waren unerschöpflich.

Punkt 8 Uhr abends schrillte das Telefon neben dem Bett, Laureen brummte, wälzte sich, erwachte mühevoll, nahm mit zitternder Hand den Hörer ab.

»Es ist zwanzig Uhr, Mrs. Fletcher. Ihr Herr Gemahl hat uns einen Weckauftrag gegeben«, flötete eine Telefonistin.

»Weck …« Laureen ließ den Hörer in die Gabel fallen. Sie stierte entsetzt auf die Kissen. Sie lag allein im Bett.

»Jerome!«

Sie konnte schreien, soviel sie wollte – Jakob blieb verschwunden. Mit ihm sein Geld und alle seine Anzüge und alle seine Koffer …

 

Etwa um diese Zeit erreichte der CD-Bentley des unfaßbar häßlichen argentinischen Handelsattachés Amadeo Juarez die französisch-deutsche Grenze vor Strasbourg. Hier stieg Jakob aus. Als Jerome Howard Fletcher fuhr er mit allen seinen Koffern bis auf einen über die Grenze. Die Polizisten und Zöllner hatten nichts zu beanstanden.

Auf deutschem Boden zeigte Jakob dann die ›Travel-orders‹, die der liebe Josef Mader für ihn gefälscht hatte und – endlich wieder einmal – seinen richtigen Paß. Alle Papiere waren auf einen gewissen Jakob Formann ausgestellt.

In Kehl, der ersten Station hinter der Grenze, stand ein Bentley mit CD-Nummer vor dem Bahnhof. Der argentinische Handelsattaché wartete schon ein Weilchen. Er gab Jakob nun auch noch den Diplomatenkoffer mit rund hunderttausend Dollar. Die Herren nahmen voneinander Abschied.

»Ich würde ja mit Ihnen warten«, sagte der Handelsattaché, »aber ich muß schleunigst zurück nach Paris.«

»Warum die Eile?«

»Yvonne hat eine jüngere Schwester. Die lebt in Le Havre. Heute ist sie nach Paris zu Besuch gekommen. Yvonne sagt, daß ihre Schwester fast noch besser … und daß wir zu dritt … Muß ich weitersprechen?«

»Absolut nicht«, sagte Jakob. »Viel Glück, Amadeo. Bleiben Sie ein braver Mensch.« Er sah dem Bentley nach, der davonschoß. Und dabei ist der Kerl der häßlichste Mann, den ich je gesehen habe. Also, darauf kommt’s nicht an! Nun will ich mir aber selbst auch etwas Gutes gönnen. Verdient habe ich es. Und gesehnt habe ich mich schon eine Ewigkeit danach …

Eine kleine Anfrage beim nächsten Polizisten genügte, dann wußte Jakob, wo in Kehl der Schwarzmarkt blühte. Daselbst erwarb er gutes, würziges Graubrot und fünf Schweineschmalz-Konserven. Auf einer Parkbank öffnete Jakob eine Büchse und genehmigte sich mehrere Portionen seiner Lieblingsmahlzeit. Ach ja, dachte er glücklich, so schmeckt das eben. Endlich wieder Schmalzbrot nach diesem ganzen verfluchten Dreck – Austern und Hummer und Langusten und Filet Wellington und Froschschenkel und Birnen auf Eis mit heißer Schokoladensauce, die er hatte hinunterwürgen müssen in den letzten Tagen. Und das war amerikanisches Schmalz! Da waren genügend Zwiebeln drin! Ach, und Grieben! Solche Grieben hatte Jakob noch nie gegessen! Die vier anderen Konserven bekommt der Josef, mein lieber Fälscher in München, dachte er, über sich selbst gerührt. Der hat sie verdient. Für derartig gute Arbeit! Kauend erreichte er den Bahnhof und erwartete ohne Unruhe das Eintreffen des ›Orient-Expreß‹, der ihn nach München zurückbringen sollte.

 

Zu jener Zeit lag Mrs. Fletcher im Schlafzimmer ihres Salons wild schluchzend bäuchlings auf dem Bett und schlug mit den Fäusten auf die Kissen ein. Ihr Körper bäumte sich immer wieder auf. Es war ein schrecklicher Anblick, den Gott sei Dank niemand sah. Neben ihr lag ein Brief. Laureen hatte ihn nach dem Erwachen gefunden und gelesen. In diesem Brief stand:

Geliebter Schatz!

Ich habe nicht den Mut gehabt, es Dir zu sagen, darum schreibe ich es. Und gebe einen Weckauftrag für 20 Uhr. Damit du Deinen Zug nicht versäumst. Wenn Du also um 20 Uhr geweckt wirst, wirst Du diesen Brief finden. Ich weiß, ich tue Dir sehr weh – aber es geht nicht anders. Natürlich kann ich nicht mit Dir an die Riviera fahren, denn ich muß zurück zu meinen Eiern, und zwar schnell. Verzeih mir. Du erreichst Deinen Zug leicht, er geht erst um 24 Uhr. Ich danke Dir für all Deine Güte. Vielleicht werden wir uns einmal wiedersehen. Wer weiß?

Ganz zärtlich umarmt Dich Dein Jakob,

in dem Du einen Freund fürs Leben gewonnen hast.

Tausend Bussi!

P. S. Dem Portier habe ich gesagt, ich fahre schon voraus an die Riviera. Keine Angst!

Hurra, wir leben noch
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