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»Mein lieber, alter Freund«, sprach Jakob Formann ganz leise im Salon seines Appartements im Hotel ATLANTIC, einen Telefonhörer am Ohr. »Ich mache mir solche Sorgen um Sie, Sie können sich das nicht vorstellen. Fühlen Sie sich krank?« Sein Gesprächspartner befand sich auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans. Es war der Präsident eines der größten Flugzeugwerke der Welt. Jakob hatte zwar eine Frage gestellt, forschte jedoch, behutsam wie ein Priester, sofort weiter: »Sind es die Nerven? Das Herz? Wächst Ihnen alles über den Kopf?« Der Herr aus Übersee wollte wieder etwas sagen, doch der Menschenfreund Jakob Formann ließ ihn nicht. »Es gibt Momente – besonders nach einem so arbeitsreichen Leben wie dem Ihren –, in denen möchte man am liebsten in Pension gehen. Nein, nein, nein, so ist es, das habe ich schon oft bei meinen liebsten Geschäftsfreunden gesehen! Und zu denen zähle ich Sie doch, nicht wahr – wirklich nicht nur, weil ich einer Ihrer Großaktionäre bin, sondern aus menschlichen, tief menschlichen Gründen … Niemand«, fuhr Jakob fort und schnurrte dabei fast wie eine Katze, »ist diesem ungeheueren Streß gewachsen, dem Sie, mein Bester, nun schon seit so langer Zeit ausgesetzt sind, nein, nein, nein, ich weiß, was ich rede! Oder arbeitet hier Ihr Unterbewußtsein? Wollen Sie Ihren Posten los sein? Der Seele dunkle Pfade, ach ja, ach ja … Wie ich das meine? Nun schauen Sie, mein Bester, es macht den Eindruck, als wäre es so, wirklich … Ein Beispiel: Sie haben zwei Ihrer neuesten Düsenflugzeuge bereits an Deutsche verkauft. Natürlich weiß ich, wer die beiden Herren sind.« (Er wußte es seit einer halben Stunde.) »Sie haben ja eine ›Learstar‹ verkauft an die Herren … Jaja, ich verstehe, man könnte mithören. Aber überarbeitet, wie Sie sind, haben Sie vollkommen vergessen, auch mir eine ›Learstar‹ zum Kauf anzubieten. Das ist kein Vorwurf, mein Freund! Das ist nur Sorge um Sie, die mich so sprechen läßt. Denn wenn einem Mann in Ihrer Spitzenposition eine derartige Gedankenlosigkeit unterläuft, dann muß man doch – und das ist nur Christenpflicht! – besorgt um diesen Mann sein … Entschuldigen? Ich bitte Sie, ich habe doch nichts zu entschuldigen! Und vor allem: Sie haben sich nicht zu entschuldigen. Ein so großer Mann … Einer meiner Besten, jawohl! Darum mein Anruf, darum meine tiefe, tiefe Besorgnis: Schaffen Sie es noch? Ist es nicht zuviel für Sie geworden? Wäre es nicht nur human, Sie von so viel schwerer Verantwortung, von so gewaltigen Belastungen zu entbinden? Was für einen schönen Lebensabend könnten Sie noch haben, bedenken Sie das einmal! Ein Haus in Vermont … Golf spielen … Spazierengehen … Das Leben ist doch so schnell vorbei. Nur darum rufe ich an, lieber Freund. Weil mir Ihr Wohlergehen am Herzen, so sehr am Herzen liegt … Bitte? … Was sagen Sie? … Selbstverständlich benötige auch ich eine ›Learstar‹ … Nein, nein, nicht in einem Monat! Wenn überhaupt, dann sofort. Aber das ist für Sie wieder mit soviel Aufwendungen verbunden, daß ich es nicht verantworten kann, wirklich nicht … Bitte? … Sagten Sie, in zwei Tagen ist die ›Learstar‹ hier in Hamburg? … Und zugelassen, mit allen Papieren? Übermorgen nachmittag? Fünfzehn Uhr Lokalzeit? Mein Freund, das ist mehr als freundschaftlich, daß Sie das machen wollen, aber ich flehe Sie an, achten Sie auf Ihre Gesundheit …«
Zwei Tage später, pünktlich um 15 Uhr, landete eine fabrikneue ›Learstar‹ dann in Fuhlsbüttel. Sie war die teuerste damals in Deutschland zugelassene Privatmaschine. Preis: über eine Million Dollar. Jakob zahlte auf der Stelle per Scheck. (Nachdem er drei Prozent Skonto abgezogen hatte.)
Daß die ›Learstar‹ das Beste und Schönste war, was es im Moment gab, hatte ihm der US-Air-Force-Pilot der T-33 gesagt, mit dem er von Paris nach Hamburg geflogen war. Nun kletterte Jakob in das Innere der luxuriösen Maschine. Beseligt atmete er das Duftgemisch ein: Leder, Metall, Parfum und Benzin. Der Parfumduft kam von BAMBI, die mit nach Fuhlsbüttel gekommen war. (Die Edle war Jakob losgeworden, indem er ihr etwas von einer höchst dringenden Konferenz erzählt hatte.) BAMBI bekam kein Wort heraus, als sie den Salon sah, in dem vierzehn – nicht zu fassen! – Gäste Platz hatten.
BAMBI trug ein sandfarbenes Kostüm in Christian Diors ›Ligne Fuseau‹, der Spindellinie. Die Jacke hatte einen Gürtel. Nur die Hüften wurden sanft vom Stoff berührt, sonst war alles weich und weit und locker, auch der Kragen der Jacke. Dazu einen Schäferinnenhut, mit Rebhuhnfedern garniert. Als Parfum ›Miss Dior‹. Und eine ›Belle Amie‹-Frisur (mit besonderer Betonung der Stirn durch eine Art Hahnenkamm und großzügige weiche Seitenpartien). Jakob trug ›englisch‹: einen Einreiher aus Tweed, leicht tailliert und mit abfallenden Schultern, sowie eine in der Farbe dazu abgestimmte Weste.
Otto hatte den Rolls auf das Flugfeld gefahren – bei einem so großen Mann wie Jakob Formann erlaubte das die Polizei. Otto und die beiden Piloten luden nun Gepäck in die Maschine. Die beiden Piloten waren von Jakob aus einer Gruppe von siebenundsechzig Bewerbern ausgewählt worden. Der eine hieß Jack Cardiff und hatte vor zwei Jahren mit einer ›Convair 440‹ im Ärmelkanal notwassern müssen, weil er vergessen hatte, in München vollzutanken.
Begründung Jakobs für die Wahl ausgerechnet dieses Piloten: »Der vergißt in seinem Leben nie mehr vollzutanken, auf den kann ich mich verlassen.« Der zweite Pilot hieß Jean Collero. Der war einmal mit einer Verkehrsmaschine losgeflogen, deren Tragflächen nicht genügend enteist waren, weil Collero nicht achtgegeben hatte. Absturz. Fünfunddreißig Tote. Jakobs Begründung für die Wahl ausgerechnet dieses Piloten: »Der gibt den Rest seines Lebens acht wie ein Schießhund darauf, ob auch nur ein Gramm Eis auf den Tragflächen ist. Auf den kann ich mich genauso verlassen.«
Sie flogen zuerst noch kurz nach München. Dort traf Jakob im Flughafenrestaurant seinen Schreiber Schreiber und gab ihm Anweisungen für eine sofort zu schreibende Serie mit dem Titel ›DIE NAZIS SIND UNTER UNS‹. Hier sollten eklatante Fälle von Besetzung wichtiger Stellen in Staat, Gemeinden und Wirtschaft durch alte Nazis aufgedeckt werden.
Eine halbleere Flasche ›Johnnie Walker Gold Label‹ vor sich, erhob der sonst doch zu allem bereite Klaus Mario Schreiber erstaunlicherweise Einspruch.
»Da … Das hau … haut nie hin, Ch … Chef! Da … Das ist ge … gen mein Ko … Konzept. N … Nach meinem Ko … Konzept ist das Thema N … Nazismus ein A … Anti-Thema. Das w … weiß man, aber man w … will es nicht w … wissen. Und schon gar nicht l … le … lesen! So was g … geht ins Au … Auge. M … Muß i … ins Auge gehen!«
»Aber warum? fragte Jakob.
»W … Weil w … wir w … wieder w … wer sind, Ch … Chef! Wei … Weil w … wir im Begriff sind, w … wieder mal die G … Grö … Größten zu wer … werden. Wei … Weil k … keiner hier an s … seine V … Ver … Vergangenheit erinnert werden will. W … Wenn Sie ein a … alter N … Nazi gewesen wären, wü … würden Sie jetzt, w … wo alles blüht und gedeiht, g … gerne daran er … erinnert w … werden, wa … was Sie angestellt haben?«
»Ich war aber kein alter Nazi!« sagte Jakob milde.
»Da … Dann können S … Sie da nicht m … mitreden. D … Dann können S … Sie sich da g … ga … gar nicht reinfühlen.«
»Aber Sie schon!«
»Ich schon!«
»Obwohl auch Sie kein alter Nazi gewesen sind.«
»O … Obwohl auch ich … Ich ka … kann mich in a … alle Men … Menschen hineinfühlen, Ch … Chef. So … Sonst wä … wären meine Serien Sch … Scheiße, und Sie hä … hätten mich längst gefeuert. Ich bi … bin ein Ke … Kenner der Me … Menschen!«
»Und ich bin Ihr Chef! Sie schreiben, was ich anordne!«
»I … Ich schrei … schreibe da … dann a … aber gegen da … das V … Verdrängte einer ga … ganzen N … Nation, Chef. Da … Das will do … doch wirklich n … niemand wi … wissen. Ha … hat doch gar keine Na … Nazis bei uns ge … gegeben. Je … Jetzt schon gar nicht mehr. W … Wir sind a … alle P … Pa … Patentdemokraten, christlich a … a … abendländische … Ga … Gar nicht zu reden von der Ka … Katastrophe für die In … Inseratenabteilung …«
»Was soll das wieder heißen?«
»Wa … was glauben Sie, Ch … Chef, we … wer uns alles mi … mit Anzeigenentzug d … dro … drohen wird, we … wenn diese Serie nicht a … abgebrochen wi … wird? Und von A … Anzeigen lebt jede Illustrierte!«
»Sie schreiben!«
»Mei … Meinetwegen. Aber ich ha … habe Sie g … gewarnt«, sagte Schreiber und kippte sorgenvoll sein Glas.
Sorgenvoll hat er sein Glas gekippt, dachte Jakob, als er auf das Flugfeld hinauseilte. Sind das seine Sorgen oder meine? Ich kriege dich schon noch, Herresheim!
Und jetzt denken wir nicht mehr daran. Jetzt machen wir Urlaub. Ach, meine ›Learstar‹! Ach, meine BAMBI!
Sie empfing ihn mit Küssen.
Die Maschine rollte zum Take-off-point.
Erhielt Starterlaubnis. »Los!«
BAMBI fand noch immer keine Worte. Und sagte es.
»Ich finde noch immer keine Worte …«
»Wofür, mein liebes Kind?«
»Einen Mann wie dich …«
»Ja, mein liebes Kind?« forschte er.
»…habe ich noch nicht erlebt! So etwas gibt es nur einmal«, flüsterte sie an seiner Brust.
»Ich bin ein Mann wie jeder andere. Nur meiner Zeit immer um zwei Schritte …«
»Ach, Jakob …«
»Ach, BAMBI …«
Schöner großer Salon mit genug Platz, dachte Jakob, während die ›Learstar‹ vornehm, leise und ohne auch nur zu vibrieren, geschweige denn im geringsten zu schwanken, eine Wolkenwand durchschnitt und in den österreichischen Luftraum eindrang. Nette Kerle, die Piloten. Die kommen niemals in den Salon. Ganz zur Sicherheit kann ich ja noch die Tür zum Cockpit zuriegeln.
Zwischen Salzburg und Neapel frohlockte BAMBI während der ersten Chinesischen Schlittenfahrt ihres Lebens. Jakob hatte es immer eilig. Bei einer einzigen Sache ließ er sich Zeit.
And it’s a long, long way zum Indischen Ozean, zu den Seychellen daselbst und im speziellen zur Insel Mahé – der größten und schönsten von den zweiundneunzig Inseln der Seychellen …