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»Maître«, sagte Señor Miguel Santiago Cortez am Nachmittag darauf, nicht die Spur ermüdet, gebadet, rasiert, frisch und munter, »wie Ihnen Monsieur Rouvier schon am Telefon erzählt hat, werde ich in Belgien ein Industrieunternehmen erwerben. Der Vertrag zwischen mir und den bisherigen Besitzern sieht vor, daß von der Kaufsumme zweihunderttausend Dollar bar in belgischen Francs bezahlt werden. Ich erlaube mir also, Monsieur Rouvier, meinem Bevollmächtigten für Belgien – ich bin nämlich dauernd unterwegs –, einen Scheck über zweihunderttausend Dollar zu übergeben. Er gibt mir dafür den Gegenwert in belgischen Francs. Das alles wollen wir in einem von Ihnen beglaubigten Vertrag festhalten …«
Maître Jean-Louis Labisse – sein Büro befand sich in dem altehrwürdigen Gebäude 42, Boulevard Leopold II. – war einer der feinsten und angesehensten Notare Brüssels. Das hatte Jakob schon am Vormittag von Rouvier erfahren, als sie miteinander telefonierten, nachdem ihm bei seiner Rückkehr ins PLAZA eine von der Telefonistin aufgenommene Nachricht übergeben worden war: ›Bitte rufen Sie mich gleich an. Herzlichst Rouvier.‹
Also hatte Jakob den Schieber angerufen.
Der guten Ordnung halber (wie Rouvier sagte) berichtete der Schieber zuerst, seine amerikanische Bank habe ihm mitgeteilt, daß die beiden Schecks zu je fünftausend Dollar, die Jakob ihm gegen belgische Francs gegeben hatte, bereits gutgeschrieben seien.
Damit habe ich endgültig sein Vertrauen gewonnen, dachte Jakob und sagte: »Das freut mich! Und sonst?«
Rouvier druckste eine Weile herum. Dann konnte er nicht länger an sich halten: »Hatten Sie Erfolg auf Ihrer Reise, Señor Cortez?«
»Ach ja, doch, doch, ich bin recht zufrieden«, ließ sich Jakob vernehmen. »Ich habe da was sehr Hübsches gefunden.«
»Oh!« Ein leises Keuchen Rouviers war zu hören. Dann stammelte er Unzusammenhängendes. Er brachte einfach nicht heraus, was er sagen wollte. »Ich will es Ihnen leichter machen, Rouvier«, sagte Jakob väterlich. »Sie haben mir seinerzeit gesagt, daß Sie gerne groß mit mir ins Geschäft kommen wollten …«
»Ja … und?«
»Sehen Sie, ich werde dauernd in der Welt herumgejagt, ich brauche deshalb einen Bevollmächtigten für Belgien. Ich habe noch keinen. Jetzt brauche ich ihn nötiger denn je, weil ich fort muß. Aber da habe ich nun das Ding hier am Hals. Wenn Sie also Zeit und Lust hätten …«
Rouvier stotterte vor Aufregung: »Bi … bi … bin in zehn Minuten bei Ihnen im Hotel, Señor!«
Er war binnen acht Minuten da, wie Jakob zufrieden feststellte. Sie setzten eine Bevollmächtigungserklärung des Señor Miguel Santiago Cortez für Monsieur Robert Rouvier, betreffend das Gebiet Belgien, auf.
»Nun brauchen wir noch einen Notar für das Geld«, sagte Jakob.
»Ich würde Maître Jean-Louis Labisse empfehlen, Señor. Er ist einer der feinsten und angesehensten Notare Brüssels …«
Zwei Stunden später saßen die beiden dann vor dem vornehmen alten Herrn mit dem Silberhaar, und Jakob sprach die Worte, die wir schon niedergeschrieben haben.
Der vornehme alte Herr mit dem Silberhaar rief eine ungemein hübsche Sekretärin herein. Ich könnte schon wieder, dachte Jakob. Diese ›Schlittenfahrt‹ … Aus! Seriös, Jakob, seriös jetzt!
Es wurde ein äußerst präziser Vertrag aufgesetzt, der alle Rechte und Pflichten Rouviers sowie die damit zusammenhängenden finanziellen Fragen genauestens klärte. Monsieur Rouvier wies sich mit einer belgischen Identitätskarte, Jakob mit dem argentinischen Reisepaß auf den Namen Cortez aus. Die ungemein hübsche Sekretärin tippte den Vertrag sogleich mit mehreren Kopien. Danach stempelte der vornehme alte Maître Labisse sämtliche Seiten des Vertrages, versah sie mit seinen Initialen und beglaubigte zum Schluß alles mit eigener Unterschrift und Siegel. Der Platz für den Namen des Industrieunternehmens, das Señor Cortez erwerben wollte, war freigelassen worden, denn dieser, so sagte er, hatte sich verpflichtet, den Namen bis nach Abschluß des Vertrages geheimzuhalten.
Der ebenso bildschöne wie impotente Rouvier wuchtete einen Koffer hoch und zählte belgische Franc-Noten auf den Schreibtisch, die dem Gegenwert von zweihunderttausend Dollar entsprachen. Es war ein hübscher Montblanc aus Papier, der da zuletzt aufragte, als Rouvier seinem Partner Jakob auf die Schulter schlug und mit hinreißend verlegenem Lächeln sagte: »Den Koffer schenke ich Ihnen!«
Sie bezahlten die Gebühren des vornehmen alten Maître Labisse und verließen das Notariat. Beim Abschied vor dem PLAZA, wohin ihn der Schieber zurückgefahren hatte, sagte Jakob, daß er nun für drei bis vier Tage nach Italien reisen müsse. Dann werde er wieder in Brüssel sein. (Er hatte keineswegs die Absicht, so bald wieder in Brüssel zu sein!)
Rouvier wünschte glückliche Wiederkehr und empfahl sich mit tiefen Verbeugungen.
Jakob saß geduldig in seinem Appartement, bis um 18 Uhr der Handelsattaché anrief. »Wir hauen ab«, sagte Jakob.
»Was, schon?«
»Ja. Alles erledigt.«
»Herrgott, und Claire hat morgen Frühdienst, und ich habe mich schon so auf morgen früh gefreut!«
»Freuen Sie sich auf Yvonne. Seien Sie um neunzehn Uhr dreißig bei der Abbaye de la Cambre in der Allée du Cloître, Ecke Avenue Emile De Mot«, sagte Jakob, einen Zeigefinger auf dem Stadtplan.
»Aber ich muß mich doch wenigstens verabschieden …«
Jakob legte einfach auf, packte seine Sachen und fuhr mit dem Lift in die Halle hinunter, um die Rechnung zu bezahlen. Der Hoteldirektor, alle Portiers und Receptionisten, die Dienst taten, bereiteten Jakob einen ergriffenen Abschied. Auch ihnen sagte er, er werde sehr bald wieder da sein. Das linderte ihren Schmerz – von den Trinkgeldern ganz zu schweigen. Jakob sah gern glückliche Menschen.
Der Taxichauffeur war Flame. (Auch in dieser Hinsicht hatte Jakob inzwischen einiges gelernt.) Unglaublich, wie einfach das alles gegangen ist, dachte er. Die menschliche Dummheit kennt keine Grenzen! Sie fuhren zur Gare du Nord. Jakob drehte sich um und blickte durch das Rückfenster. Ein schwarzer Wagen fuhr hinter ihnen her. Der Chauffeur dieses Autos und die drei anderen Herren darin sahen aus wie Catcher.
»Fahren Sie ein bißchen herum«, sagte Jakob. Vielleicht kannte die menschliche Dummheit doch Grenzen? Und dabei hatte dieser Schieber Rouvier sich so freundlich verabschiedet!
»Aber Sie wollten doch zur Gare du Nord …«
»Schauen Sie in den Rückspiegel. Der schwarze Wagen. Ich werde verfolgt.«
»Von wem?« fragte der Taxifahrer in flämisch gebrochenem Englisch.
»Von Wallonen.«
»Ah«, sagte der Taxichauffeur.
Sie fuhren zunächst zur Börse.
Das schwarze Auto mit den vier Kerlen folgte.
»Jetzt zum Justizpalast, Sir?«
»Zum … meinetwegen.«
Also fuhren sie zum Justizpalast.
Das schwarze Auto mit den vier Kerlen desgleichen, dicht hinter dem Taxi her.
Das ist aber gar nicht angenehm, dachte Jakob.
»Noch ein bißchen weiter«, sagte er.
»Zum Parc du Cinquantenaire?«
»Zum Parc du Cin … in Ordnung.«
Also fuhren sie über den Boulevard de Waterloo nordostwärts.
Der schwarze Wagen auch.
Jetzt erreichten sie den nach Norden führenden Boulevard du Régent. Der schwarze Wagen mit den vier Kerlen folgte, als wenn sie ihn mit einem unsichtbaren Seil abschleppten.
Ekelhaft, dachte Jakob, wirklich ekelhaft.
Das Taxi bog in die Rue de la Loi ein. Der schwarze Wagen auch. Also, so geht das nicht weiter, entschied Jakob.
»Halten Sie bitte da vorne bei dem Zeitungsstand!«
»Sehr wohl, Sir«, sagte der Taxichauffeur in flämischem Englisch.
Er hielt vor dem Zeitungsstand. Der schwarze Wagen hielt etwa acht Meter hinter ihm.
Jakob stieg aus, erwarb eine Ausgabe von ›La Dernière Heure‹ und trat dann in die Telefonzelle neben dem Zeitungsstand. In vier Sprachen stand hier über dem Apparat etwas auf einer Tafel. Er las ›Notruf Polizei‹ und eine dreistellige Nummer. Jakob wählte diese Nummer. Eine Männerstimme meldete sich französisch.
»Do you speak English?«
»Just a second, Sir.«
Eine andere Männerstimme fragte englisch: »Was kann ich für Sie tun, Sir?«
»Einen schönen guten Abend«, sagte Jakob. »Ich spreche aus der Telefonzelle vor dem Haus Rue de la Loi 48. Hier randaliert ein völlig betrunkener Privatchauffeur mit drei völlig betrunkenen Wageninsassen. Es ist ein Skandal. Die Kerle haben Pistolen. Jeden Moment kann ein Unglück geschehen.«
»Wie ist die Nummer des Wagens?«
Jakob verrenkte sich fast den Kopf, um das festzustellen.
»B 85 674«, sagte er dann.
»Wir kommen sofort. Bleiben Sie bei der Telefonzelle. Wir brauchen Sie als Zeugen.«
»Selbstverständlich, Wachtmeister«, sagte Jakob.
Er ging zu seinem Taxi zurück und setzte sich in den Fond.
»Wir warten noch einen Moment.«
»Okay, Sir.«
Vier Minuten später klang das Heulen einer Sirene auf. Ein Streifenwagen der Polizei kam angeschossen und bremste vor dem schwarzen Auto. Bewaffnete Polizisten sprangen heraus, zerrten vier baß erstaunte Herren mit Totschlägergesichtern ins Freie und begannen auf sie einzubrüllen. Die Herren brüllten zurück. Menschen strömten zusammen. Autos hupten. Der Abendverkehr stockte.
»Jetzt«, sagte Jakob, »fahren Sie bitte zur Gare du Nord.«
»Yes, Sir.« Der Chauffeur fuhr los und schüttelte besorgt den Kopf. »Eine Schande«, murmelte er.
»Was?« forschte Jakob.
»Diese dreckigen Wallonen. Was müssen Ausländer da für einen Eindruck von Belgien kriegen!«
»Aber ich bitte Sie«, sagte Jakob. Lieber Fürst Metternich, sei bedankt! An der Gare du Nord ging er auf ein Postamt und füllte ein Telegrammformular aus. So lautete der Text: + rubinstein associates new york stop happy birthday to you dear rubi stop cordially yours cortez +
Das war ein verabredetes Zeichen: Sobald Rubi diesen Telegrammtext in Händen hatte, löschte er das Konto des Señor Miguel Santiago Cortez. Das bedeutete natürlich, daß der Scheck über zweihunderttausend Dollar, den Jakob dem Schwindler Rouvier gegeben hatte, platzte. Aber das ist ja der Sinn der Veranstaltung, dachte Jakob. Und Rubi hat sogar noch zwanzigtausend Dollar verdient. Fünftausend weniger als ich mit meinen Präservativen.
»Normales Telegramm?« fragte das Fräulein hinter dem Schalter englisch.
»Blitz.«
»Zehnfache Gebühr! Das ist das Teuerste!«
»Manchmal, liebes Kind«, sprach Jakob Formann freundlich, »ist das Teuerste das Billigste.«