VIII.

Als Fridolin ins Schlafzimmer kam, hatte Lore sich bereits zur Nacht zurechtgemacht. »Ist etwas passiert?«, fragte sie besorgt, denn ihr Mann sah aus wie ein kleiner Junge, der etwas ausgefressen hatte.

Fridolin ließ sich tief durchatmend auf dem Bettrand nieder. »Es kann sein, dass du mich einen Narren nennen wirst, der sich von seinen Geschäftspartnern über den Tisch hat ziehen lassen.«

»Wie meinst du das?«

»Ich habe vielleicht einen Riesenfehler begangen, aber ich wusste mir nicht anders zu helfen. Es geht um einen Kredit, der geplatzt ist. Eigentlich müsste Grünfelder die Verluste alleine tragen, denn er hat die Summen bewilligt.«

Fridolin überlegte, wie er Lore die Sache am einfachsten erklären konnte. Von den Regeln interner Verrechnungen verstand sie nichts, ebenso wenig von den gesetzlichen Vorgaben in einem solchen Fall.

»Haben Grünfelder und Dohnke dich aufgefordert, den Verlust mitzutragen?«, fragte Lore schließlich, der Fridolins Schweigen zu lange dauerte.

»So könnte man es sagen.« Da die Geschichte nicht mit einigen wenigen Worten zu erklären war, holte Fridolin etwas weiter aus und berichtete Lore von dem gefälschten Schmuck.

»Wie es aussieht, hat Baron Anno von Klingenfeld, der im Namen seines Vaters aufgetreten ist, den Schmuck mehrfach kopieren lassen, die Originale jeweils auf dem Weg von den schätzenden Juwelieren zu den Banken gegen die wertlosen Falsifikate ausgetauscht und den echten Schmuck behalten. Er muss dabei ein Vermögen ergaunert haben! Zwar hat Grünfelder einen Detektiv damit beauftragt, Klingenfeld zu suchen. Doch ich glaube, der Mann wird weit reisen müssen, vielleicht sogar in die USA oder nach Argentinien. Geld genug, um sich dort anzusiedeln und den großen Herrn zu spielen, hat der Betrüger zusammengerafft.«

»Dann wollen wir hoffen, dass dieser Detektiv den Mann trotzdem findet und das Geld und den Schmuck zurückbringt«, antwortete Lore und fand, dass dieses Thema bei weitem nicht so interessant war, wie Fridolin zu küssen.

Ihr Ehemann umarmte sie und erwiderte den Kuss. Doch dann hielt er inne. »Du kannst mir glauben, dass ich jetzt auch Besseres zu tun wüsste, als weiterzureden. Doch es liegt mir am Herzen, dir alles zu berichten. Was würdest du sagen, wenn du dich bald Gutsherrin nennen könntest?«

»Gutsherrin! Wie kommst du denn darauf?«

»Es geht um das einzige Pfand, das Grünfelder in dieser Sache noch besitzt, nämlich um ein Gut unweit von Bremen. Es soll ganz in der Nähe von Nathalias Besitz Steenbrook liegen. Grünfelder und Dohnke haben mich gefragt, ob ich es übernehmen will, da es, wenn es unter den Hammer kommt, nur einen Bruchteil seines Wertes einbringen wird. Sie haben mir ein Zahlungsziel von zehn Jahren zugebilligt – ohne Zinsen. Außerdem werden meine Anteile an der Bank auf ihre Kosten um fünf Prozent erhöht. Auf diese Weise kann es sich für uns sogar lohnen, diesen Besitz zu übernehmen.« Fridolin lächelte ein wenig gezwungen. »Allerdings werden wir uns in den nächsten zehn Jahren arg einschränken müssen. Das Geld für einen Gutshof dieser Größe schüttelt man nun einmal nicht aus dem Ärmel.«

»Vielleicht hätten wir uns dieses große Haus nicht kaufen sollen«, antwortete Lore nachdenklich.

»So schlimm sehe ich die Sache nicht. Immerhin haben wir das Haus günstig von Rendlinger erwerben können, da es seiner jüngsten Tochter, für die er es hat bauen lassen, nicht prunkvoll genug war. Für uns ist es jedoch ideal. Wir können hier Festlichkeiten abhalten und Persönlichkeiten von Stand bei uns empfangen, die ein Bankhaus niemals betreten würden. Daher macht sich das Haus schon bezahlt, aber …«

Fridolin brach ab, denn im Grunde wusste er nicht, worauf Lore und er verzichten sollten. So üppig lebten sie wahrlich nicht, und Feste wie an diesem Abend waren ein Muss, um den Kunden zu zeigen, dass das Bankhaus Grünfelder und Kompagnons auf stabilen Säulen ruhte.

Er rettete sich in ein Lachen und küsste Lore hinter dem rechten Ohr. »Du wirst mir gar nicht glauben, wie froh ich um dein und Marys Modeatelier bin. Müsste ich deine Roben zum normalen Preis kaufen, könnte ich mir dieses Gut nicht leisten.«

Lore schob ihn mit einer entschiedenen Bewegung von sich. »Jetzt sage nur nicht, dass ich dein Geld verschleudere! Ich gebe weit weniger aus als Wilhelmine von Dohnke. Dabei verdient deren Ehemann nicht so viel wie du, weil seine Anteile an der Bank geringer sind.«

»Allerdings hat Wilhelmine einen in sie vernarrten Vater, der sie am liebsten mit Gold und Diamanten behängen würde. Ich bin sicher, er hat diesen Schmuck nur deshalb als Pfand angenommen, weil er gehofft hat, ihn auf Dauer behalten und ihn seiner Tochter schenken zu können. Stattdessen ist er einem Betrüger aufgesessen.«

Auch wenn er selbst im Gegensatz zu Grünfelder und Dohnke an diesem Desaster schuldlos war, ärgerte Fridolin sich über dieses Schurkenstück und sagte sich, dass er seinen Kompagnons jede Unterstützung zukommen lassen würde, um Anno von Klingenfeld ausfindig zu machen und zur Rechenschaft zu ziehen. Er wischte diesen Gedanken jedoch rasch beiseite und widmete sich seiner Frau.

»Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich morgen Richtung Bremen fahre, um mir dieses Gut anzusehen. Ich soll bis Montag entscheiden, ob ich uns die Übernahme antue oder nicht.«

»Welchen Grund gäbe es für dich, es nicht zu tun?«, wollte Lore wissen, die spürte, dass er die Entscheidung bereits getroffen hatte.

»Wenn das Gut so weit herabgewirtschaftet ist, dass es nur weitere Kosten verursachen würde, wäre das ein Grund, darauf zu verzichten. In dem Fall würde ich mich an den Verlusten meiner Kompagnons beteiligen und dafür einen höheren Anteil an der Bank verlangen.«

Lore nickte. »Wenn du morgen in die Nähe von Bremen fahren willst, könnten Nati, die Kinder und ich doch mitkommen. Ob wir unsere Ferien ein paar Wochen früher beginnen oder nicht, bleibt sich gleich.«

Zuerst wollte Fridolin ablehnen, da er die wenige Zeit für die Besichtigung des Gutes aufwenden und nicht den Reisemarschall für Frau und Kinder spielen wollte. Dann aber sagte er sich, dass Lore gewiss verstehen würde, dass er sich um dieses Geschäft kümmern musste. Wenn er nach Absprache mit Grünfelder und Dohnke in Kürze Ferien machen würde, konnte er ganz für seine Familie da sein.

Er streichelte sie und hob dabei ihr Nachthemd, so dass sie es schließlich abstreifte und ihn lächelnd ansah.

»Nun komm schon. Dieses dumme Gut läuft dir schon nicht davon!«

»Das tut es wirklich nicht.« Auch Fridolin zog sich aus. Einen Augenblick lang dachte er daran, dass er die Kleidungsstücke hinterher sorgfältig weghängen musste, um in den Augen seines Kammerdieners Kowalczyk oder der Zimmermädchen nicht als Wüstling dazustehen. Dann aber ließ er sich von seiner Leidenschaft hinwegtragen und genoss das Zusammensein mit seiner Frau.

Lore erwies sich erneut als variationsreiche Geliebte, und so kam ihm der Verdacht, dass sie bei ihren Gesprächen mit Hede Pfefferkorn auch gewisse Dinge ansprach, die eine Dame nach Möglichkeit zu meiden hatte. Im nächsten Moment wunderte Fridolin sich, dass er ausgerechnet jetzt an die Besitzerin des Edelbordells Le Plaisir denken musste. Zwar war diese mittlerweile verheiratet und hieß jetzt Laabs, dennoch führte sie ihr Etablissement weiter, um das Geld zu verdienen, das ihr Ehemann ausgab. Welchem Beruf Laabs nachging, hatte er bisher nicht herausfinden können.

Für einige Augenblicke war seine Leidenschaft ein wenig geschwunden, und er vernahm Lores enttäuschtes Stöhnen, dann aber ließ er sich wieder ganz auf ihr Liebesspiel ein.

»Ich hoffe, du bist mit mir zufrieden?«, fragte er schließlich lächelnd und wurde mit einem innigen Kuss belohnt.

»Das bin ich doch immer, wenn wir zwei zusammen sind«, flüsterte Lore ihm ins Ohr und kuschelte sich eng an ihn. Da ihm ein wenig kühl wurde, zog er die Decke hoch und spielte mit ihren Locken. Ein paar Minuten schwiegen sie in trauter Zweisamkeit, dann hob Lore den Kopf. »Weißt du, was schade ist?«

»Was?«

»Dass das Gut, das du erstehen willst, nicht in Ostpreußen liegt. Das ist halt doch meine Heimat.«

»Für mich ist das eher ein Vorteil, denn so bleibt uns erspart, durch einen dummen Zufall unseren dortigen Verwandten zu begegnen.« Fridolin verzog das Gesicht, als er an Ottokar, den vorherigen Gutsherrn auf Trettin, und dessen Frau Malwine erinnert wurde. Die beiden hatten Lore mit ihrem Hass verfolgt und versucht, ihr alles abzunehmen, was sie tatsächlich oder angeblich von ihrem Großvater bekommen hatte. Nachdem Ottokar Lore gezwungen hatte, mit ihm nach Ostpreußen zurückzukehren, war er von einem Mann ermordet worden, auf den er selbst einen Anschlag verübt hatte. Nach seinem Tod hatte Malwine den Familienkrieg sogar hier in der Hauptstadt gegen Lore fortgeführt, bis sie selbst so in Verruf geraten war, dass man sie in Berlin nirgends mehr empfing.

Auch Lore hing diesen Erinnerungen nach. »In der Hinsicht hast du recht. Ich bin froh, dass viele Kilometer zwischen uns und Malwine liegen. Würde ich ihr begegnen, glaube ich nicht, dass ich mich beherrschen könnte.«

»Gott sei Dank haben wir mit dieser Sippschaft nichts mehr zu tun. Mein lieber Neffe zweiten Grades hat mir bei meinem letzten Aufenthalt auf Trettin deutlich erklärt, dass er, sobald er volljährig wäre, die Hunde auf mich hetzen würde, sollte ich mich jemals wieder in der Nähe seines Gutes sehen lassen. Damit hat Ottwald auch den letzten Faden durchtrennt, der uns noch mit ihm verband. Aber sprechen wir lieber von angenehmeren Dingen – oder besser, wir drehen uns um und schlafen. Wenn wir morgen den Zug nach Bremen erreichen wollen, wird dies eine kurze Nacht.«

Juliregen
cover.html
haupttitel.html
chapter1.html
chapter2.html
chapter3.html
chapter4.html
chapter5.html
chapter6.html
chapter7.html
chapter8.html
chapter9.html
chapter10.html
chapter11.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
chapter35.html
chapter36.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
chapter104.html
chapter105.html
chapter106.html
chapter107.html
chapter108.html
chapter109.html
chapter110.html
chapter111.html
chapter112.html
chapter113.html
chapter114.html
chapter115.html
chapter116.html
chapter117.html
chapter118.html
chapter119.html
chapter120.html
chapter121.html
chapter122.html
chapter123.html
chapter124.html
chapter125.html
chapter126.html
chapter127.html
chapter128.html
chapter129.html
chapter130.html
chapter131.html
chapter132.html
info_autor.html
info_buch.html
impressum.html
hinweise.html