VII.

Dorothea Simmern war eine zierliche Frau knapp unter vierzig und trug ein schlicht aussehendes, aber modisches Kleid, das sich vorteilhaft gegen die überladenen Kleider von Mutter und Tochter Philippstein abhob. Ohne ein Zeichen von Ungeduld stand sie auf dem Vorplatz, sah sich interessiert um und lächelte erfreut, als Lore aus dem Portal trat und auf sie zueilte.

»Liebste Dorothea, wie schön, dich hier begrüßen zu können!« Sie schlang die Arme um ihre Freundin und küsste sie auf die Wange.

»Ich bin froh, dich endlich wiederzusehen! Als ich hörte, du wärest auf Klingenfeld und dabei, es einzurichten, musste ich einfach hierherkommen.«

Dorothea lachte, wies dann in die Runde und zwinkerte Lore zu. »Feudaler ging es wohl nicht mehr, was? Dazu will Fridolin auch noch die Fabrik fertigstellen. Wer hätte das gedacht, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. Er war von der Seereise noch ganz grün im Gesicht und zudem mit einer heftigen Erkältung geschlagen. Aber schon damals sagte ich zu meinem Mann: Schau dir Fridolin genau an, habe ich gesagt. Er wird noch Großes vollbringen. Und nun ist er auf dem besten Wege dazu!«

Empört darüber, missachtet zu werden, machte Rodegard von Philippstein sich durch ein lautes Räuspern bemerkbar.

Dorothea drehte sich zu der Dame um und staunte über deren Kleidung, die eher für eine festliche Veranstaltung in der Stadt geeignet war denn für einen formlosen Besuch auf dem Land.

»Willst du mir deine Bekannte nicht vorstellen, liebste Lore?«, fragte sie und zeigte durch ein Blinzeln an, wie wenig ihr Rodegard gefiel.

»Aber natürlich! Frau von Philippstein und ihre Tochter Gottlobine – meine Freundin Dorothea Simmern!«

Dorothea gluckste leise, als sie den Namen der jüngeren Philippstein hörte, konnte sich aber beherrschen und neigte freundlich den Kopf. »Angenehm!«

Sie erntete ein weiteres Schnauben von Rodegard, die sich nicht mit einer schlichten Bürgerlichen gemeinmachen wollte, und zeigte dann auf den vollbeladenen Wagen. »Diese Sachen habe ich aus Bremen mitgebracht. Du kannst gewiss Bettwäsche und Ähnliches brauchen, bis du dir neue Sachen in der Stadt kaufen kannst.«

»Um diese Ruine bewohnbar zu machen, braucht Frau von Trettin mehr als nur ein paar Überzüge«, höhnte Rodegard von Philippstein, drehte sich um und kehrte ins Haus zurück. Gottlobine folgte ihr wie ein Schatten, und ihre beiden Verehrer schlossen sich den Damen an.

Graf Nehlen kommentierte die Ungezogenheit seiner Großneffen mit einem Stirnrunzeln und trat nun selbst auf Dorothea zu. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Frau Simmern. Graf Trettin berichtete bereits, Ihr Gatte und einige andere Herren aus Bremen wollten sich an unserem Projekt beteiligen. Diese Zusagen erleichtern uns, denn wir müssen nun nicht mehr befürchten, dass das Projekt sich doch noch zerschlägt.«

»Ich danke Ihnen für Ihre freundlichen Worte«, antwortete Dorothea und sah Lore verstohlen an. »Wer ist dieser Herr?«, fragte ihr Blick.

»Darf ich vorstellen – Graf Nehlen, einer der größten Gutsbesitzer im Landkreis Hoya und einer der eifrigsten Verfechter des Baus der neuen Fabrik«, half Lore ihr aus.

»Sehr erfreut!« Dorothea reichte dem alten Herrn die Hand, die dieser galant küsste. Um zu zeigen, dass er aus einem anderen Holz geschnitzt war als seine Neffen, reichte er ihr den Arm, um sie ins Haus zu führen.

Da wandte sich Dorothea erneut an Lore. »Wo ist eigentlich Nati? Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nicht mit dir gekommen ist.«

»Natürlich bin ich mit Lore gekommen«, klang da Nathalias Stimme auf. Sie war gerade in ihrem eleganten Reitkleid aus dem Haus getreten, fiel Dorothea nun um den Hals und befahl fast noch im gleichen Atemzug einem der neu eingestellten Knechte, ihre Stute zu satteln.

»Willst du schon wieder weg?«, fragte Dorothea verwundert.

»Ich räume das Feld für dich, damit du dein müdes Haupt auf einem weichen Kissen betten kannst, und komme morgen zurück«, lachte Nathalia, küsste sie auf die Wange und ließ sich von dem Reitknecht auf die Stute helfen.

»Bis morgen!«, rief sie noch, dann zog sie das Pferd herum und preschte davon.

Dorothea sah ihr kopfschüttelnd nach. »Sie ist immer noch der gleiche Wildfang wie früher.«

»Die Komtess mag etwas unkonventionell erscheinen, aber sie ist mir immer noch zehnmal lieber als eine gewisse andere Dame, die sich bereits als Gutsherrin auf Nehlen sieht«, sagte der alte Herr brummig und blickte dann Lore und Dorothea mahnend an. »Das haben Sie nicht gehört!«

»Natürlich nicht!«, versprach Lore lachend und bat den neuen Gast ins Haus. Dabei fragte sie sich besorgt, wie Dorothea auf die vielen leeren Räume und die buntscheckige Ausstattung der bereits eingerichteten Zimmer reagieren würde.

Juliregen
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