XIV.
Lore betrachtete das Zimmer mit einer Miene, die zwischen Lachen und Entsetzen schwankte. »Hast du so etwas schon gesehen, Nati? Anno von Klingenfeld hat buchstäblich alles verkauft, was er irgendwie zu Geld machen konnte. Ich glaube, wenn er für den Fußboden etwas bekommen hätte, lägen die Dielen ebenfalls nicht mehr hier.«
»Du musst das Ganze positiv sehen. Nun kannst du das Herrenhaus so einrichten, wie es dir gefällt«, versuchte Nathalia ihre Freundin aufzurichten.
»Es wird unendlich lange dauern, bis wir das Geld dafür haben. Fridolin muss alles in die Fabrik stecken, und da bleibt für Möbel kaum etwas übrig.«
Lore überlegte, ob sie ihren Mann nicht wenigstens um ein paar hundert Mark bitten sollte, verneinte es aber sofort. Fridolins Situation – und damit auch die ihre – glich derzeit einem Tanz auf einer scharfen Klinge. Er würde die Fabrik nur dann fertigstellen können, wenn sie eisern sparten. Und selbst dann würde es mindestens ein, zwei Jahre dauern, bis diese genug Gewinn abwarf, um an andere Ausgaben denken zu können.
»Jetzt gib dich keinen trüben Gedanken hin. Es hätte ja noch weitaus schlimmer kommen können. Stell dir vor, Baron Anno hätte die für die Fabrik geplanten Maschinen auch noch zu Geld gemacht! Aber zum Glück hat er an die nicht gedacht. Vielleicht war er nie drüben auf der Baustelle und wusste gar nichts von dem Schatz, der dort zu finden ist.«
Nathalia kicherte, denn durch sein Desinteresse an den Vorgängen auf dem Gut hatte der betrügerische Baron Fridolin Investitionen erspart, die in die Zehntausende gegangen wären.
Lores Laune hob sich. »Du hast recht, Nati! Wir wollen nicht klagen. Außerdem haben uns die Nachbarn Möbel versprochen, mit denen wir die wichtigsten Räume einrichten können.«
»Ich beteilige mich übrigens auch an dieser Spendenaktion«, erklärte Nathalia lachend, »und zwar mit den Möbeln des Schlafzimmers, das in meinem Palais in Bremen für euch bereitsteht. Bis es neu eingerichtet ist, werdet ihr, du und Fridolin, wenn ihr Bremen besucht, in einem Gästezimmer oder bei Dorothea und Onkel Thomas schlafen müssen.«
»Nati, du bist ein Schatz!« Ein Schlafzimmer schien Lore das Wichtigste zu sein. Alles andere konnte improvisiert werden. Graf Nehlen hatte ihnen versprochen, die Möbel für das Frühstückszimmer zur Verfügung zu stellen, und Kowalczyk war nach Berlin gefahren, um den Transport einiger Möbel in die Wege zu leiten, die dort nicht dringend gebraucht wurden.
»Irgendwie bekommen wir das hin. Es wird ein lustiger Mischmasch aus verschiedensten Stilen und Zeiten werden. Doch bin ich all den Leuten, die uns nun helfen, sehr dankbar!« Lore umarmte Nathalia und forderte sie auf, weiter mit ihr das Herrenhaus zu erforschen.
Wie Fridolin ihr erklärt hatte, waren die Räume bis auf den Gesindetrakt leer geräumt. Doch als sie die hölzerne Treppe zum Speicher hinaufstiegen, erwartete sie eine Überraschung. Hinter alten Kisten entdeckten sie mit Planen zugedeckte Möbel aus dem Barock, die offenbar schon seit vielen Jahren unberührt waren.
»Baron Anno hat diesen staubigen Speicher wohl ebenso wenig betreten wie die halbfertigen Bauten der Fabrik«, rief Nathalia lachend und wischte sich eine Spinnwebe aus dem Gesicht.
»Vorsicht, auf den Haaren sitzt auch noch etwas.«
»Danke!« Nathalia versuchte, das klebrige Zeug zu entfernen, während Lore trotz der aufstiebenden Staubwolke die Planen noch weiter zurückzog und verblüfft auf die zierlichen Möbel starrte.
»Anno von Klingenfeld kann als Kind hier nicht gespielt haben, sonst hätte er gewusst, was für ein Schatz hier verborgen ist!«
»Auf jeden Fall kannst du die Prachträume des Herrenhauses so einrichten, wie es zu Zeiten Augusts des Starken üblich war. Das mag zwar jetzt nicht in Mode sein, aber es wird Eindruck auf die Nachbarschaft machen. Etliche haben doch gesehen, in welchem Zustand der Betrügerbaron das Gut hinterlassen hat.«
Nathalia klang überaus zufrieden, denn zum einen besaß ihre Freundin nun Möbel, mit denen sie ihre Gäste in Staunen versetzen konnte, und zum anderen hatte Anno von Klingenfeld sich durch eigene Unachtsamkeit um eine nicht gerade geringe Summe gebracht, die ein Sammler gewiss gerne für die Barockmöbel bezahlt hätte.
»Bevor wir die Stühle und Tische vorzeigen können, müssen sie poliert werden. Außerdem müssen wir die Polster ausklopfen lassen und nachsehen, ob sie Löcher haben. Notfalls bestellst du einen Polsterer, der sie repariert.«
Lore entdeckte nun sogar ein großes Bett, das Platz genug für zwei bot. Es hatte einen Dachhimmel, dessen rechte Pfosten von je einer unbekleideten vergoldeten Nymphe, die linken von zwei ebenfalls nackten und vergoldeten Satyrn gekrönt wurden. Damit verfügten sie und Fridolin nun sogar über ein Ehebett. Allerdings fragte sie sich kichernd, was ihr Mann zu diesem Prachtstück sagen würde.
Nathalia betrachtete das Bett und sah Lore dann verwundert an. »In so etwas haben die Leute damals geschlafen?«
»Ich denke schon. Aber kannst du dir das vorstellen? Der Herr des Hauses liegt, in einen Morgenmantel gehüllt, in seinem Bett und empfängt dort seine Gäste!«
»Das wäre aber sehr ungehörig«, stieß Nathalia in einem Ton hervor, als wäre sie selbst stets ein Vorbild an guten Manieren gewesen.
Lore musste niesen, weil ihr der Staub in die Nase drang, und wich bis zur Treppe zurück. Von dort wies sie noch einmal auf das Bett. »Damals galt das nicht als ungehörig. Man erzählt, der französische König Ludwig IV., den man auch den Sonnenkönig nennt, hätte vom Bett aus sein Reich regiert.«
»Bei den vielen Mätressen, die er hatte, kann er ja auch kaum mal aus dem Bett herausgekommen sein«, antwortete Nathalia amüsiert.
»Du verwechselst ihn mit seinem Urenkel Ludwig XV., der nicht zu Unrecht den Beinamen ›der Vielgeliebte‹ trug. Damals empfingen aber nicht nur die Herren der Schöpfung, sondern auch die Damen ihre Gäste im Bett.«
Kaum hatte sie es gesagt, fand Lore ihren Ausspruch doch zu anzüglich und erklärte, dass die Damen selbstverständlich mit Negligé und Morgenrock bekleidet gewesen wären und nichts Ungehöriges getan hätten.
»Meist nicht, aber gelegentlich doch.« Nathalia kicherte erneut und schüttelte dann den Kopf. »Gut, dass Mary uns heute nicht begleitet hat, denn sie würde uns jetzt gehörig den Kopf waschen. Solche Reden gehören sich nicht für Damen!«
»Dann sollten wir uns in Zukunft besser beherrschen.« Auch wenn Lore ihre Freundin Mary mochte, war ihr diese in ein paar Dingen zu englisch, wie sie es für sich bezeichnete. Dazu gehörte eine gewisse Prüderie, die auch hierzulande immer weiter um sich griff. So war es den Herren streng verboten, in Gegenwart von Damen Anzüglichkeiten von sich zu geben. Stattdessen suchten sie Etablissements wie das Le Plaisir auf und lebten dort ihre Triebe aus.
Lore hatte Hede Pfefferkorn seit deren Heirat nur dreimal getroffen, ihre letzte Begegnung lag bereits zwei Jahre zurück. Nun wünschte sie sich, sie könnte diese Bekanntschaft besser pflegen. Doch es war ihr unmöglich, Hede in deren Bordell aufzusuchen, und sie konnte die Bordellbesitzerin nicht offen empfangen, sonst würden etliche Leute sie schneiden.
Während Lores Gedanken sich mit Hede beschäftigten, war Nathalia ihr in das darunterliegende Stockwerk gefolgt und blickte nun durch ein Fenster ins Freie. Plötzlich winkte sie ihre Freundin zu sich. »Wie es aussieht, kommt da jemand. Ach, schau an! Es ist Jürgen Göde. Wahrscheinlich hat Graf Nehlen ihn als Boten geschickt, um uns zu sagen, wann die ersten Spendermöbel kommen.«
»Dann wollen wir nach unten gehen und ihn empfangen. Zum Glück haben wir genug Lebensmittel vom Kaufmann bringen lassen, um ihm einen kräftigen Imbiss vorsetzen zu können.« Lore wollte sich umdrehen, nahm aber die Spuren an Nathalias Kleid wahr, die der Schmutz vom Dachboden hinterlassen hatte, und blickte an sich herab.
»Bevor wir Herrn Göde empfangen, müssen wir uns zuerst umziehen«, sagte sie lächelnd.
»Das wäre ein guter Gedanke, wenn wir genug Kleider dabeihätten. Aber ich habe nur noch das Reitkleid, und bei dir sieht es nicht anders aus. Weißt du was? Wir klopfen uns gegenseitig den Staub aus den Kleidern, und dann sehen wir wieder präsentabel aus.«
»Und wenn nicht?«, fragte Lore.
»Dann sieht Herr Göde, dass wir nicht auf der faulen Haut herumliegen, sondern etwas tun.« Ohne eine weiteren Einwand abzuwarten, rückte Nathalia den größten Staubflecken auf Lores Kleid zu Leibe und hörte erst auf, als dieses, wie sie behauptete, wieder halbwegs sauber aussah. Danach ließ sie Gleiches über sich ergehen. Da Lores Bemühungen sie kitzelten, kicherte sie und trat so ausgesprochen gut gelaunt ins Erdgeschoss, um Jürgen als ersten Gast auf Klingenfeld zu begrüßen.
»Seien Sie uns willkommen, Herr Göde. Ihr Erscheinen beweist, dass Graf Nehlen uns nicht vergessen hat!« Lore lächelte den jungen Mann freundlich an, denn anders als seine beiden Vettern fand sie ihn sympathisch.
»Guten Tag, Frau Gräfin, Komtess!« Da ihm die zehn Kilometer im Sattel in den Knochen saßen, verbeugte Jürgen sich etwas steif. Außerdem wirkte er niedergeschlagen.
»Ist etwas geschehen?«, fragte Lore besorgt.
Jürgen verneinte. »Es ist nur so«, fuhr er fort, »Graf Nehlen wollte, dass einer von uns dreien nach Klingenfeld kommt und den Damen beisteht, den Haushalt einzurichten. Leutnant Bukow und Herr von Gademer haben sich geweigert, und so hat unser Großonkel bestimmt, dass ich hierherreiten soll.«
»Und das gegen Ihren Willen, wollen Sie wohl sagen. Pfui, Herr Göde! Dabei habe ich Sie für einen Kavalier gehalten.«
Obwohl Nathalia um einiges kleiner war als Jürgen, gab sie ihm das Gefühl, sie sähe auf ihn herab.
Er senkte den Kopf und streckte abwehrend beide Hände aus. »So ist es gewiss nicht, Komtess. Aber ich weiß nicht, ob ich dieser Aufgabe gewachsen bin. Leutnant Bukow ist es gewohnt, zu befehlen, und von Gademer hat sich als Verwalter eines großen Gutes bewährt. Beide wissen gewiss besser als ich, was hier getan werden muss.«
»Jetzt stellen Sie sich nicht an wie ein kleiner Junge, der zum ersten Mal auf die Straße hinausgehen soll. Für das, was hier zu tun ist, sind Sie genau der richtige Mann. Das Herrenhaus von Klingenfeld soll ja schließlich keine Kaserne werden, und wir wollen auch keine Kühe im großen Saal züchten. Daher sind die Herren Bukow und Gademer für unsere Zwecke völlig ungeeignet. Sie hingegen sind sowohl in der Kunst wie auch in der Wissenschaft bewandert und haben den Besitzern großer Häuser geholfen, ihre Sammlungen zu sortieren. Jetzt werden Sie uns helfen, das Sammelsurium an Möbeln zu ordnen, das auf uns zukommen wird. Übrigens können wir Ihnen auf dem Speicher eine Überraschung präsentieren, nämlich Möbel aus einer Zeit, in der die Damen ihre Gäste im Bett empfangen haben. Heute wäre das zwar shocking, wie Mary Penn sagen würde, aber einem geschenkten Gaul – oder in dem Fall einem geschenkten Bett – schaut man nicht ins Maul!«
Nathalia brachte das so trocken hervor, dass Jürgens Mundwinkel zu zucken begannen. Auch Lore musste sich das Lachen verkneifen, nahm sich aber vor, ihrer Freundin wieder einmal die Leviten zu lesen. Ganz so frei sollte man auch vor Freunden nicht sprechen. Erst einmal war sie jedoch froh, dass Jürgen seine Unsicherheit ablegte und sie bat, sich die Barockmöbel ansehen zu dürfen.
»Sie dürfen sie nicht nur ansehen«, erklärte Nathalia spöttisch, »sondern auch mithelfen, sie vom Speicher zu schaffen, zu reinigen und zu polieren, auf dass ihr Glanz die Augen der Besucher blenden wird, die, von der Neugier getrieben, bald in großen Scharen hier erscheinen werden.«
Lore warf ihr einen scharfen Blick zu. »Du wirst unsere Gäste gewiss nicht in diesem Bett empfangen!«
»Natürlich nicht! Wenn, wäre dies deine Aufgabe. Schließlich ist es dein Haus und dein Bett«, gab Nathalia lachend zurück.