III.

Auf Steenbrook bedachte Nathalia um die gleiche Zeit Lore mit einem nachsichtigen Lächeln. »Du musst entspannt und gerade im Sattel sitzen, meine Liebe. Auch brauchst du keine Sorge zu haben, dass Sofa unter dir durchgehen könnte. Ein gelinder Trab ist das Äußerste, was diese Stute zustande bringt, und das auch nur, wenn du ihr die Sporen gibst und sie gleichzeitig an einer delikaten Stelle von einer Bremse gestochen wird.«

Die Komtess musste sich das Lachen verkneifen. Zwar stand die Stute unter einem anderen Namen im Zuchtbuch, doch ihr Temperament hatte ihr den Spitznamen Sofa eingetragen, da sie angeblich genauso feurig sei wie dieses Möbel.

Während ihre Freundin sich amüsierte, versuchte Lore deren Ratschlag zu befolgen. Der Damensattel erschien ihr jedoch fürchterlich unbequem, und da sie zu verkrampft saß, rutschte sie immer wieder nach unten. Daher stemmte sie sich mit dem linken Fuß gegen den Steigbügel, verlor ihn aber und geriet in Gefahr, vom Pferd zu fallen.

Sofort war Nathalia bei ihr, legte ihr beide Hände unter das Gesäß und stemmte sie wieder nach oben. Dann stellte sie ihr den linken Fuß wieder in den Steigbügel und sah kopfschüttelnd zu ihr auf.

»Ich dachte, du wärst ein Landmädel! Warum hast du denn auf dem Gut deines Großvaters nicht reiten gelernt?«

»Als kleines Kind hat der Stallknecht mich genau wie meine Brüder so aufs Pferd gesetzt, dass die Beine an den Seiten herabhingen. Doch als mein Großvater das entdeckte, hat er es verboten, weil es unschicklich sei, als Mädchen so zu reiten. Ich solle bis zu meiner Einsegnung warten und dann einen Damensattel benützen. Doch als es so weit war, lag er bereits mit Ottokar im Streit um das Gut und hat es kurz darauf an seinen Neffen verloren. Daher habe ich nie reiten gelernt.«

»Das ist zu dumm, denn andernfalls würdest du dich jetzt leichter tun. So, und jetzt setz dich richtig hin, stemme dich mit dem linken Fuß nur leicht gegen den Steigbügel, so dass du ihn nicht mehr verlierst, und halte den Rücken gerade. Du bist eine Dame und keiner dieser Jockeys, die für Geld Pferderennen bestreiten!«

Nathalia wurde energisch, denn zum einen sah sie sich als Lehrerin von Lore nicht richtig gewürdigt, und zum anderen wollte sie am Nachmittag nach Nehlen fahren, um den alten Grafen zu besuchen und die übrigen Neffen unter die Lupe zu nehmen, die an diesem Tag eintreffen sollten. Zwar verspürte sie den Wunsch zu heiraten in weitaus geringerem Maße als ihre gleichaltrigen Freundinnen, aber noch weniger hatte sie vor, als alte Jungfer zu enden, die irgendeinen entfernten Verwandten als möglichen Erben ins Haus holen musste.

»So ist es schon besser!«, lobte sie Lore, als diese sich mehr als zwanzig Meter weit so im Sattel hielt, wie sie es ihr erklärt hatte.

Ein vertrautes Jauchzen brachte Lore dazu, sich Nathalias Lehren noch mehr zu Herzen zu nehmen. Es gelang ihr sogar, sich auf dem Pferd leicht zu drehen, ohne den Halt zu verlieren, und nach ihren Kindern zu sehen, die, von Fräulein Agathe begleitet, näher kamen. Wolfi sah seine Mutter auf dem Pferd sitzen und wollte zu ihr, doch Nathalia fing ihn unterwegs ab.

»Vorsicht, kleiner Mann! Auch wenn die Stute Sofa heißt, hat sie doch Beine, mit denen sie auskeilen kann, wenn du sie erschreckst.«

Wolfi nickte, blickte aber weiterhin sehnsüchtig zu seiner Mutter. »Will auch reiten!«

»Wie heißt das?«, fragte Nathalia nach.

»Ich will bitte auch reiten dürfen«, sagte Wolfi kleinlaut.

»Schon besser! Das machen wir morgen. Es ist gleich Mittag, und danach wollen deine Mama und ich ausfahren.«

Für das Zeitgefühl des Jungen war »morgen« etwa gleichbedeutend mit »nächstes Jahr«, daher verzog er schmollend das Gesicht.

Nathalia musterte ihn amüsiert und versetzte ihm einen leichten Nasenstüber. »So ist es brav! Nach dem nächsten Frühstück werden wir beide Queeny satteln, und dann darfst du auf ihr reiten.«

Der Begriff Frühstück sagte Wolfi schon mehr. Das hieß, dass er nur noch ein Mal schlafen müsste, dann würde er auf dem Pony sitzen. Daher nickte er versöhnt und hielt Nathalia die Hand hin. »Nach dem nächsten Frühstück! Versprochen?«

»Versprochen!« Nathalia schlug ein und wandte sich ihrer Schülerin zu. Sie nickte zufrieden, denn mittlerweile hatte Lore gelernt, aufrecht im Sattel zu sitzen, ohne zu rutschen.

»Na siehst du, es geht doch«, sagte Nathalia mit anerkennendem Spott. »Ich werde dir jetzt beibringen, wie du Sofa lenken kannst. Oder hast du für heute schon genug?«

Lore schüttelte mit zusammengebissenen Zähnen den Kopf. Auch wenn ihr auf dem Rücken des Tieres nicht gerade wohl war, so wollte sie weder Nathalia noch ihre Kinder enttäuschen. Es gelang ihr sogar, Wolfi und Doro zuzulächeln, während Nathalia das Pferd am Halfter fasste und führte. Dabei erklärte diese ihr, wie sie Sofa durch eine leichte Verlagerung ihres Gewichts und kurzen Zügelbewegungen dazu bewegen konnte, sich in Marsch zu setzen und eine gewünschte Richtung einzuschlagen.

»Ich bin froh, dass wir diese Schlafmütze im Stall haben. Mein Stutchen würde dir nämlich lustig zum Tanz aufspielen«, erklärte Nathalia nach einer Weile. Trotzdem lobte sie Lore und gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass sie bald gemeinsam ausreiten könnten.

»Natürlich nicht bis Nehlen«, schränkte sie ein. »Das wäre noch zu weit für dich. Heute Nachmittag nehmen wir das Gig. Ich werde selbst die Zügel führen, und du kannst dich neben mich setzen.«

»Du willst selbst kutschieren? Aber das ist doch …«

Nathalia unterbrach sie lachend. »Ungehörig, willst du wohl sagen! Lorchen, wir sind hier nicht in Berlin, sondern auf dem flachen Land. Hier muss die Gutsherrin einen Wagen selbst lenken können.«

»Trotzdem würde ich für eine solch weite Fahrt dem Kutscher die Zügel überlassen!« Lore gefiel weniger, dass Nathalia selbst kutschieren wollte, als dass diese an dem Tag nach Nehlen fahren wollte, an dem Leutnant Bukow eintreffen sollte.

Doch es gelang Lore auch diesmal nicht, Nathalia von etwas abzuhalten, was diese sich in den Kopf gesetzt hatte. Ihre Freundin führte Sofa gut gelaunt zum Stall zurück, half ihr vor dem Tor aus dem Sattel, ohne auf den herbeieilenden Stallknecht zu warten, und befahl dem Mann, den kleinen Zweisitzer für zwei Uhr nachmittags anzuspannen.

»Wir brauchen weniger als zwei Stunden bis Nehlen, halten uns vielleicht zwei Stunden dort auf, und sind gegen acht Uhr wieder zurück.«

Lore verzog das Gesicht. »Ist das nicht etwas arg spät?«

Nathalia schüttelte den Kopf. »Aber wieso denn? Es bleibt doch lange hell.«

»Und was ist, wenn ein Gewitter kommt?« Am liebsten hätte Lore eines bestellt, damit Nathalia nicht fahren konnte.

Ihre Freundin lachte hell auf und befahl, das Mittagessen umgehend zu servieren, so dass Lore nur wenige Minuten Zeit blieb, sich umzuziehen. Als sie auf die Terrasse kam, war ihre Freundin bereits bei der Suppe.

»Wo bleibst du denn, du Trödlerin? Beeil dich, sonst wird es noch später, bis wir wieder nach Hause kommen.«

»Es ist ja noch nicht einmal halb eins«, stöhnte Lore.

»Das schon, aber je eher wir von hier fortkommen, umso länger können wir in Nehlen bleiben und mit den Herren sprechen.«

»Ich hätte nie gedacht, dass du dich von einer schmucken Uniform und ein paar abgeschmackten Komplimenten beeindrucken lässt!«

»Du meinst Leutnant Bukow? Der gäbe sicher einen stattlichen Gutsherrn ab. Allerdings müsste er dafür die Uniform ausziehen und einige – nun ja – unnötige Gepflogenheiten ablegen.« Nathalia sagte es in einem Ton, als wäre der Offizier ein Baum, den sie nach ihren Vorstellungen beschneiden konnte.

Lore schüttelte den Kopf. Nathalia war schon immer ein wenig exzentrisch gewesen, doch anstatt diesen Charakterzug mit wachsender Reife abzulegen, pflegte sie ihn mit Begeisterung.

»Vielleicht gefällt dir auch der andere Herr, der heute kommen soll«, sagte sie in dem Versuch, Nathalias Gedanken von dem Leutnant abzulenken.

»Du meinst Herrn von Gademer, den großherzoglich-oldenburgischen Gutsverwalter? Nun, ich werde ihn auf jeden Fall unter die Lupe nehmen. Er versteht etwas von der Führung eines großen landwirtschaftlichen Besitzes, während der Leutnant dies noch lernen müsste.«

»Weißt du, wie du dich anhörst? Wie jemand, der ein Pferd auf der Auktion ersteigern will und sich überlegt, welches die meisten Vorzüge aufweist.«

Nathalia lachte auf. »Was ist eine Ehe denn anderes, als den Mann zu heiraten, an dem man die meisten Vorzüge zu finden glaubt? Man kann hier Glück haben wie du mit Fridolin oder Dorothea mit Onkel Thomas. Doch die Liebe, wie sie in den Romanen beschrieben wird, die du so gerne liest, gibt es nicht. Und wenn es sie gäbe, wäre sie gewiss nichts für mich. Im Grunde kaufe ich mir mit meinem Vermögen einen Bräutigam. Dafür hat dieser genau das zu tun, was ich von ihm verlange.«

Obwohl Lore von Nathalia schon häufig ähnliche Überzeugungen gehört hatte, erschrak sie nun doch über die Vehemenz. »Wenn du so über die Ehe denkst, solltest du besser nicht heiraten.«

»Ich muss, denn ich bin die letzte Retzmann auf Steenbrook. Es ist meine Pflicht, Kinder in die Welt zu setzen, und du willst doch nicht, dass ich das tue, ohne verheiratet zu sein. Das wäre wirklich ungehörig!« Es gelang Nathalia ausgezeichnet, den Tonfall ihrer Freundin zu kopieren.

Lore musste kichern. »Du bist einfach unmöglich! Ich weiß nicht, was Dorothea und ich bei deiner Erziehung falsch gemacht haben. Jedenfalls haben wir auf ganzer Linie versagt.«

»Selbsterkenntnis ist der halbe Weg zu Besserung«, sagte Nathalia lachend.

»Bei dir nicht! Fast möchte ich dir wünschen, dass du dich in einen absolut unmöglichen Mann verliebst.«

»Wenn es dein Herzenswunsch ist, verspreche ich dir, es zu tun«, antwortete Nathalia lächelnd.

Lore gab auf. Diesem kleinen Frechdachs war sie einfach nicht gewachsen. Sie widmete sich ihrer Suppe, die bereits kalt zu werden begann, während Nathalia munter und fröhlich wie ein Vögelchen berichtete, welche Anforderungen sie an jenen Mann zu stellen gedachte, dem sie vielleicht nicht ihr Herz, aber doch ihre Hand schenken wollte.

Juliregen
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