I.

Voller Anspannung trat Fridolin auf Grünfelders Haus zu, denn sein Ärger über den Verwalter auf Klingenfeld war noch nicht geschwunden. Zwar wollte er das Gut übernehmen, aber er war nicht bereit, den Preis, den Grünfelder ihm genannt hatte, ohne weiteres zu akzeptieren. Er sah harte Verhandlungen voraus, die er so würde führen müssen, dass seine beiden Partner sich hinterher als Gewinner fühlten, ohne es tatsächlich zu sein.

Mit einem Seufzer betätigte er den elektrischen Klingelknopf. Grünfelder hatte sein Haus so modern wie möglich eingerichtet, um, wie er sagte, auf der Höhe der jetzt herrschenden Zeiten zu sein. Fridolin liebte es ein wenig altmodischer und behaglicher, aber das stand ihm als Vertreter eines alten, angesehenen Adelsgeschlechts auch zu.

Ein Diener in grüngoldener Livree öffnete und verbeugte sich. »Darf ich den Herrn Grafen in diesem Haus willkommen heißen?«

»Sie dürfen!«, antwortete Fridolin und brachte den guten Mann damit aus dem Konzept. Der Diener hatte sich rasch wieder gefangen und forderte Fridolin auf, im Rauchsalon zu warten, bis er ihn bei seinen Herrschaften angemeldet habe.

»Gerne.« Fridolin folgte dem Mann in einen Raum, in dem Grünfelder einige seiner bedeutendsten Geschäfte getätigt hatte. Kisten mit erlesenen Zigarren standen auf den Borden bereit, ebenso eine Karaffe mit Cognac bester Qualität. Obwohl Fridolin sich hätte bedienen können, setzte er sich nur in einen Sessel, nahm das aktuelle Berliner Tageblatt, das auf einem Tischchen lag, und blätterte es durch. Ein Kommentator beschäftigte sich noch einmal mit der Affäre Schnaebelé und nannte den franzö-sischen Zollinspektor einen üblen Spion, der zu Recht verhaf- tet worden sei. Ein anderer konstatierte zufrieden, dass Papst Leo XIII. den Kulturkampf gegen das Reich als beendet erklärt habe und wohl bald Verhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl folgten, um das Verhältnis zueinander neu zu gestalten.

Viel Zeit zum Lesen blieb Fridolin nicht, denn nach kurzer Zeit ging die Tür auf, und seine Kompagnons traten ein. Grünfelder und Dohnke begrüßten ihn überschwenglich.

»Nun, mein lieber Trettin, wieder zurück aus Klingenfeld? Na, was sagen Sie zu dem Gut? Es ist doch wie für Sie gemacht!«, rief Grünfelder, der ihn offenbar mit seiner Begeisterung anstecken wollte.

Fridolin wiegte zweifelnd mit dem Kopf. »Die Gebäude sind noch halbwegs in Ordnung, doch nach zwei Jahren Misswirtschaft ist das Gut arg heruntergekommen. Das Vieh wurde verkauft und muss teuer ersetzt werden, und was von den landwirtschaftlichen Maschinen, die so ein großes Gut braucht, noch vorhanden ist, kann ich nicht sagen. Mein Gespräch mit dem dortigen Verwalter verlief nämlich äußerst unerquicklich. Um es deutlich zu sagen: Ich halte ihn für einen Gauner, der mit Baron Anno von Klingenfeld gemeinsame Sache gemacht hat.«

»Schon wieder Anno von Klingenfeld«, stellte Grünfelder unwillig fest. »Eigentlich ist das nur der Sohn des Gutsherrn, der die Geschäfte im Namen seines Vaters führt.«

»Das gilt schon seit zwei Jahren nicht mehr. Damals ist Richard von Klingenfeld gestorben – oder, besser gesagt, er hat sich erschossen, als ihm seine Schulden über den Kopf gewachsen sind.«

»Was sagen Sie da? Der alte Baron Klingenfeld soll tot sein? Und so lange schon? Davon hat der Sohn uns nicht unterrichtet!« Grünfelder schien schockiert.

»Bedauerlicherweise ja! In der Zwischenzeit hat sein Sohn alles verkauft, was sich irgendwie zu Geld machen ließ. Sie können sich vorstellen, wie das Gut jetzt aussieht.«

»Das heißt, Sie haben kein Interesse daran, es käuflich zu erwerben«, antwortete Grünfelder geknickt. Er schüttelte mehrmals den Kopf, weil er nicht darüber hinwegkam, dass Anno von Klingenfeld ihm den Tod des Vaters verschwiegen und so getan hatte, als handele er in dessen Namen.

»Das habe ich nicht gesagt«, antwortete Fridolin. »Allerdings bin ich sehr im Zweifel, ob ich das Gut übernehmen soll. Lore würde sich darüber freuen, denn sie ist auf dem Land aufgewachsen. Aber ich weiß nicht, ob ich sowohl Gut Klingenfeld wieder aufrichten und gleichzeitig weiterhin Anteilseigner des Bankhauses Grünfelder bleiben kann.« Fridolin entging nicht, dass Grünfelder und sein Schwiegersohn erschreckt zusammenzuckten.

»Aber Sie werden doch gewiss nicht Ihre Anteile an der Bank zurückziehen«, rief Dohnke aus.

Wenn dies geschah, ging es dem Bankhaus an die Substanz, das war Fridolin ebenso bewusst wie seinen Kompagnons. Grünfelder und Dohnke waren nicht solvent genug, um die hohen Verluste aus dem geplatzten Klingenfeld-Kredit zu tragen und gleichzeitig ihn auszahlen zu können. Wenn er, was sie nun befürchteten, seine Anteile einem anderen Berliner Bankier anbot, würden sie in Zukunft nur noch dessen Juniorpartner sein – und das wollte keiner von ihnen.

»Jetzt lassen Sie doch erst mal die Kirche im Dorf, mein lieber Trettin. Wir haben Ihnen ja bereits angeboten, dass Sie den Kaufpreis für das Gut in kleinen Raten über Jahre hinweg begleichen können. Wenn wir gleichzeitig Ihre Anteile um fünf Prozent erhöhen, erhalten Sie auch mehr von dem Überschuss der Bank. Damit können Sie Gut Klingenfeld schon fast allein abzahlen«, beschwor Dohnke ihn eindringlich.

Ganz so leicht würde es nicht sein, das wusste er ebenso wie sein Schwiegervater. Doch beide waren bereit, Fridolin diese bittere Pille ein wenig zu verzuckern.

»Was halten Sie von einem Zuschuss von zweitausend Mark, damit Sie Vieh kaufen können?«, bot Grünfelder an.

Fridolin tat so, als müsse er über diesen Vorschlag nachdenken. »Nun, es wäre eine gewisse Hilfe«, antwortete er zögernd, um sogleich eine Einschränkung zu machen. »Es würde trotzdem Jahre dauern, bis das Gut sich wieder selbst tragen kann. Bis dahin hätte ich einen schweren Mühlstein am Hals.«

»Vielleicht sollten Sie daran denken, Ihre Einlagen in der Bank um zwanzig Prozent zu verringern und dieses Geld als Anzahlung für das Gut zu verwenden«, schlug Dohnke zu.

Fridolin schüttelte den Kopf. »Dann gerate ich Ihnen gegenüber endgültig ins Hintertreffen und stehe nicht besser, als wenn ich mich mit dem Geld an einer der anderen großen Berliner Banken beteiligen würde.«

Bei dem Gedanken, Fridolin könnte seine Gelder tatsächlich aus dem Bankhaus herausziehen, wurde Grünfelder flau im Magen. »Aber wir werden doch gewiss zu einer Übereinkunft kommen!«

»Wie wäre denn Folgendes: Sie zahlen zu Beginn kleinere Raten«, bot Dohnke an. »Damit hätten Sie jetzt Geld, um es in das Gut zu stecken, und können später die Gewinne daraus verwenden, es ganz abzuzahlen.«

An diese Möglichkeit hatte Fridolin bereits gedacht. Allerdings konnte er nicht das Gut auf Vordermann bringen und gleichzeitig die Fabrik fertigstellen. »Ich habe bereits einige Überlegungen angestellt«, setzte er an. »Zuerst kam mir der Gedanke, das Gut zu übernehmen, wenn Sie mit achtzig Prozent des Schätzwerts als Kaufpreis einverstanden sind.« Er sah Dohnke wie auch dessen Schwiegervater aufatmen. Achtzig Prozent des Schätzwerts waren weitaus mehr, als sie bei einer Versteigerung erwarten konnten. Bevor einer der beiden jedoch etwas sagen konnte, hob er die Hand.

»Dies war, wie gesagt, meine erste Überlegung. Nur befreit mich dies nicht von dem Problem der Anschubfinanzierung, die das Gut dringend benötigt.«

»Wir sagten doch bereits, dass wir dreitausend, vielleicht auch fünftausend Mark für Vieh- und Gerätekäufe zur Verfügung stellen könnten«, trumpfte Grünfelder auf.

»Darüber ließe sich reden. Allerdings brauche ich die doppelte, nein, die vierfache Summe, nicht geschenkt, sondern als Kredit mit geringen Zinsen. Die Sicherheit wäre ein Teil meiner Einlagen bei der Bank«, antwortete Fridolin zögernd.

»Darauf können wir uns einigen. Sie zahlen achtzig Prozent des Schätzwerts innerhalb von zehn Jahren ab – und zwar ohne Zinsen – und erhalten zusätzlich einen Kredit über zwanzigtausend Mark zu geringen Zinsen. Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich morgen die entsprechenden Papiere vorbereiten.« Dohnke lächelte zufrieden, denn damit sparten sein Schwiegervater und er das Viehgeld, wie er es für sich nannte.

»Sie haben die fünfprozentige Aufstockung meiner Anlagesumme vergessen«, erinnerte Fridolin ihn freundlich.

»Ganz bestimmt nicht! Die bekommen Sie wie vereinbart. Was ist, Trettin, sind Sie damit einverstanden?«

»Bereiten Sie die Verträge vor. Sollten sich bis morgen noch Einwände ergeben, werden diese nur einzelne Punkte betreffen. Darf ich die Herren bitten, mich bei Ihren Damen zu entschuldigen? Ich bin müde von der Reise und werde mir erlauben, ihnen morgen Nachmittag meine Aufwartung zu machen.« Fridolin wollte sich erheben, doch so leicht entkam er Grünfelder nicht.

»Mein lieber Trettin, sollten wir unsere Übereinkunft nicht mit einem Cognac begießen? Übrigens hoffe ich, dass Sie morgen zu Mittag unser Gast sind. Zu Hause wird es Ihnen ohne Ihre Frau Gemahlin und die Kinder gewiss langweilig sein.«

»Ich werde gerne kommen, und ich habe auch nichts gegen einen Cognac einzuwenden.« Die Sache war in so vollem Umfang nach seinen Vorstellungen abgelaufen, dass Fridolin beinahe wie ein satter, zufriedener Kater geschnurrt hätte. Er bekam nicht nur das Gut zu einem vertretbaren Preis, viel wichtiger war ihm, dass er nun über zwanzigtausend Mark freies Geld verfügte, das er sofort in die Konservenfabrik stecken konnte. Kühe würde er sich davon keine kaufen. Das hatte Zeit, bis die Fabrik arbeitete und das erste Geld hereinkam. Davon ließ er jedoch nichts verlauten, als er den Cognacschwenker entgegennahm und mit seinen Geschäftspartnern anstieß. Ihren Mienen nach glaubten Grünfelder und Dohnke, ihn über den Tisch gezogen zu haben. Das entlockte ihm unwillkürlich ein Lächeln. Wer das bessere Geschäft gemacht hatte, würde sich in ein paar Jahren zeigen.

Juliregen
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