X.

Nach langer Überlegung hatte Dirk Maruhn entschieden, doch das Le Plaisir aufzusuchen. Als er aus der Droschke stieg und auf das Gebäude zutrat, das nach außen hin nicht erkennen ließ, was sich hinter seinen Mauern verbarg, spottete er über die Bedenken, die ihn bisher gequält hatten. Was machte es schon aus, wenn er jemand begegnete, der ihn früher einmal gekannt hatte. Mit diesem Gedanken erklomm er mühsam die Treppe zum Eingang und zerrte am Klingelzug.

Die Tür wurde geöffnet, und er sah sich einem Mann in prächtiger Uniform gegenüber. Wenn diese echt war, musste sie aus einem weit entfernten Land stammen, denn die in Europa gebräuchlichen Uniformen kannte er. Wahrscheinlich aber hatte der Mann, der darin steckte, sie von einem phantasiebegabten Schneider nähen lassen, um nach etwas auszusehen.

»Guten Tag«, grüßte Maruhn, da Anton ihn nur schweigend musterte. »Ich hätte gerne den Besitzer oder die Besitzerin dieses Hauses gesprochen.«

Anton sah den Gast mit gerunzelter Stirn an. Nichts an dem Mann deutete darauf hin, dass dieser zu der Gesellschaftsschicht zählte, die das Le Plaisir im Allgemeinen besuchte. Sein Anzug war zwar sauber, wirkte aber altmodisch und ließ ihn wie einen städtischen Beamten aussehen. Auch seine Bemerkung, die Besitzerin sprechen zu wollen, deutete darauf hin. Kam der Kerl etwa von der Steuerbehörde, um Hede Pfefferkorn zu schikanieren?

»Ich bedauere, mein Herr, aber Gäste, die zu uns kommen, pflegen ihre Visitenkarte zu übergeben«, antwortete Anton daher abweisend.

»Visitenkarte? Ja, natürlich!« Maruhn kramte in seiner Tasche nach dem kleinen Etui, in dem er seine Karten verstaut hatte. Da tauchte auf einmal Fridolin vor ihm auf.

»Ah, Herr Maruhn, guten Abend! Sind Sie wegen dieser bewussten Sache hier?«

Jetzt erst erkannte der Detektiv ihn und kniff die Augen zusammen. »Herr Graf, ich …, ja, deswegen bin ich gekommen.«

»Ihr Weg war leider umsonst. Man weiß hier nichts über das Mädchen.«

»Welches Mädchen?«, fragte Anton, der dem Wortwechsel zwischen Fridolin und Maruhn verwirrt folgte.

»Es geht um Dela Wollenweber, ein Bauernmädchen, das in Berlin verschollen ist, und um Betrug«, erklärte Fridolin leise. »Ich habe mit Frau Pfefferkorn darüber gesprochen. Wenn sie etwas erfährt, wird sie mir Bescheid geben!« Bei den letzten Worten sah er Maruhn direkt an.

Dieser begriff, dass der junge Bankier nicht wollte, dass er selbst hier Nachforschungen anstellte. Noch während er überlegte, ob er dennoch mit der Besitzerin dieses Bordells und ein paar ihrer Mädchen sprechen sollte, fasste ihn Fridolin bereits am Arm. »Kommen Sie! Ich bringe Sie nach Hause. Unterwegs können Sie mir erzählen, was Sie mittlerweile herausgefunden haben.«

Maruhn verzog das Gesicht. Im Grunde war er genauso weit wie am Anfang. Er wusste nichts, außer, dass Dela Wollenweber in dem halben Dutzend Bordellen, die er in den letzten zwei Tagen aufgesucht hatte, nicht aufzufinden war.

Mit einem Seufzen wandte er sich um und trat durch die Tür, die Anton ihm zuvorkommend öffnete, stieg in die Droschke, die Fridolin hatte warten lassen, und erstattete Bericht.

»Es wird Sie enttäuschen, Graf Trettin, aber die Spur, die Sie mir letztens genannt haben, ist bis jetzt nicht sehr erfolgversprechend. Ich konnte Adele Wollenweber nirgends auftreiben. Da eine weitere Suche in der Stadt der nach einer Nadel im Heuhaufen gleicht, werde ich meine Ermittlungen auf einem anderen Weg fortsetzen.«

»Und was wollen Sie tun?«

»Ich habe mich entschlossen, in die Heimat des Barons Anno von Klingenfeld zu fahren und dort möglichen Hinweisen nachspüren.« Maruhn hatte dies bereits ins Auge gefasst, als Fridolin ihm von dem verschwundenen Mädchen erzählt hatte, und ärgerte sich nun, weil er sich durch die Suche nach Adele Wollenweber davon hatte abhalten lassen.

»Gut! Zufällig breche ich morgen in dieselbe Richtung auf«, erklärte Fridolin nach einer kurzen Denkpause. »Wenn Sie wollen, können wir die Reise gemeinsam antreten.«

Maruhn lachte leise auf. »Verzeihen Sie, aber Sie vergessen den Unterschied zwischen einem Grafen Trettin und einem kleinen Detektiv. Wäre ich so vermessen, erster Klasse reisen zu wollen, würde Herr Grünfelder mir zu Recht mein Spesenkonto sperren.«

Fridolin musste lachen. Tatsächlich war ihm der Detektiv sehr viel sympathischer als bei ihrer ersten Begegnung. »Ich schlage vor, wir fahren dennoch zusammen mit der Bahn. Wir treffen uns gegen zehn am Lehrter Bahnhof. Für die Fahrkarten sorge ich«, erklärte er und brachte Maruhn nach Hause, bevor er dem Droschkenkutscher den Befehl gab, zu seiner Villa am Tiergarten zu fahren.

Juliregen
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