V.

Lore von Trettin krauste die Stirn, als Komtess Nathalia bereits das dritte Mal mit Leutnant von Bukow tanzte, und diesmal sogar einen Walzer. Zwar war Bukow ein eleganter Offizier und ein ausgezeichneter Tänzer, aber in Lores Augen alles andere als ein wünschenswerter Bewerber um die Hand ihrer Freundin. Mit seiner Uniform und dem schneidigen Schnurrbart sah er blendend aus und war auch ein angenehmer Gesprächspartner, doch Lore hatte von einigen Frauengeschichten des Leutnants gehört. Schon so mancher Erbin sollte er eifrig den Hof gemacht haben.

Während sie überlegte, wie sie Nathalia von ihrer Vorliebe für den Offizier abbringen konnte, sprach jemand sie an. »Sie haben sich mit diesem Fest wieder einmal selbst übertroffen, liebste Gräfin Trettin. Aber finden Sie nicht, dass Komtess Nathalia Leutnant von Bukow gegenüber etwas zu zuvorkommend ist?«

Als Lore sich umdrehte, sah sie Rodegard von Philippstein vor sich, eine füllige Matrone, die nach Berlin gezogen war, um für ihre älteste Tochter einen passenden Bräutigam zu finden. Lore wusste daher, wie die Bemerkung zu verstehen war. Frau von Philippstein nämlich schien durchaus an dem jungen Mann interessiert. Auch wenn von Bukow nicht als vermögend galt, so hatte er doch angeblich die besten Aussichten, von seinem Großonkel, dem steinreichen Grafen Grimbert von Nehlen, als Erbe eingesetzt zu werden.

Mit einem vor dem Spiegel eingeübten Lächeln blickte Lore die Dame an. »Leutnant von Bukow ist ein ausgezeichneter Tänzer, finden Sie nicht auch, liebste Frau von Philippstein? Da ist es für mich kein Wunder, dass Nathalia gerne mit ihm ihre Runden dreht. Ihre Gottlobine hat sich vorhin bereits das zweite Mal von ihm auffordern lassen, und wie ich hörte, will er es auch noch ein weiteres Mal tun.«

»Hoffentlich«, murmelte Rodegard von Philippstein und enthüllte damit unbewusst ihre Pläne. Lore schenkte ihr ein mildes Lächeln und zog sich von dieser unangenehmen Frau zurück. Ihr Entschluss, ihrem Schützling Nathalia noch am selben Abend den Kopf zu waschen, stand fest. Leider kannte sie keinen jungen Mann, den sie ihr als ernsthaften Bewerber empfehlen konnte.

»Was ist dir für ein Läuschen über die Leber gelaufen, meine Liebe?«, hörte sie ihren Ehemann fragen.

»Nur ein Leutnant, der sich etwas zu aufdringlich um Nathalia bemüht«, antwortete Lore und gab dann zu, sich über Rodegard von Philippstein geärgert zu haben. »Denk dir nur, sie hat mir Vorwürfe gemacht, weil Nati schon das dritte Mal mit von Bukow tanzt. Dabei würde sie Beifall klatschen, wenn dieser den ganzen Abend nur für ihre Gottlobine Augen hätte. Mein Gott, wie kann man einem Kind nur so einen Namen geben? Würdest du von mir verlangen, eine Tochter so zu nennen, müsste ich mir überlegen, ob ich nicht die Scheidung einreichen sollte.«

Während Lore den Kopf schüttelte, lachte Fridolin leise auf. »Das ist der Fluch der Tradition, meine Liebe. Du solltest heutzutage aber auch nicht auf der Straße rufen: Wilhelm – oder Friedrich – zu mir! Du könntest zertrampelt werden.«

»Auf jeden Fall wünsche ich Gottlobine von Philippstein eine erfolgreiche Werbung durch Leutnant von Bukow. Nathalia sollte der Mann jedoch in Ruhe lassen.«

»Ich glaube nicht, dass er das tun wird. Schließlich ist sie eine ungewöhnlich reiche Erbin. Auch wenn er selbst nicht gerade am Hungertuch nagt, stellt ein Mädchen wie sie eine große Verlockung für ihn dar, zumal Nati auch noch ausnehmend hübsch ist und Gottlobine in den Schatten stellt. Wir müssen achtgeben, dass alles im Rahmen bleibt. Erinnere dich an den jungen Studenten, der Nati im letzten Jahr dazu überreden wollte, mit ihm durchzubrennen. Der Bursche hatte sich ganz schön in Unkosten gestürzt, um eine Kutsche und einiges mehr zu besorgen. Doch als er damit zum Treffpunkt kam, erwartete ihn Johann dort mit der Nachricht, die Komtess habe es sich anders überlegt und wolle noch ein paar Jahre warten, bevor sie in den Stand der Ehe eintrete.«

Der Anflug eines Lächelns erschien auf Lores Gesicht. Der enttäuschte Freier hatte Nathalia zwar einen Brief geschrieben, sie habe ihm das Herz gebrochen, doch im Grunde war die ganze Sache harmlos gewesen. Bei von Bukow sah das schon anders aus. Offiziere wie er würden sich nicht so leicht abspeisen lassen.

»Ich werde noch heute Abend mit Nati sprechen und ihr klarmachen, dass sie Bukow nicht ermutigen darf.« Sie lehnte sich gegen ihren Mann. »Und was ist mit dir? Gehen wir nach dem Fest gemeinsam zu Bett?«

Fridolin schüttelte bedauernd den Kopf. »Dohnke und Grünfelder haben vorhin angekündigt, dass sie noch heute Abend wichtige geschäftliche Dinge mit mir besprechen müssten. Es soll um eine bedeutende Summe gehen – das kann länger dauern.«

»Aber du wirst sie gewiss nicht noch irgendwohin begleiten?«

Fridolin glaubte, einen Hauch Eifersucht in Lores Stimme zu vernehmen. Dabei gab es dafür wahrlich keinen Grund. Männer wie Grünfelder und dessen Schwiegersohn mochten gelegentlich ein Bordell wie das Le Plaisir aufsuchen, um dort Entspannung zu finden. Er brauchte das nicht. Nachdenklich betrachtete er seine geliebte Frau und dachte nicht zum ersten Mal, dass sie mit den Jahren immer schöner wurde. Obwohl sie zwei Kinder geboren hatte, hatte sie eine schlanke Figur und musste den Busen auch nicht mit so einem Wunderkorsett stützen, wie es letztens in der Zeitung angepriesen worden war. Ihr Gesicht wirkte immer noch mädchenhaft, auch wenn sie im Augenblick eher nachdenklich aussah. Das elegant frisierte Haar war in den letzten Jahren ein wenig dunkler geworden, leuchtete aber im Schein der Kerzen, die Fridolin der elektrischen Beleuchtung vorzog, wie Bernstein, und was ihre Garderobe betraf, so war ihr Geschmack vortrefflich.

»Ich wüsste gerne, was du gerade denkst.« Lore stupste ihm in die Seite und riss ihn aus seinem Sinnieren.

Lächelnd drückte Fridolin ihre Hand. »Ich habe mir eben gedacht, wie glücklich ich mich schätzen kann, dich zur Frau gewonnen zu haben. Du bist wunderschön!«

»Das hört man gerne, besonders vom eigenen Ehemann.« Lore fand, dass auch sie sich nicht beschweren konnte, denn Fridolin sah gut aus und kleidete sich stilvoll und elegant. Zwar trug er einen ähnlichen Rauschebart wie Kronprinz Friedrich, während sein Kompagnon Emil von Dohnke ebenso wie Leutnant von Bukow jenen schneidigen Schnurrbart vorzog, den Prinz Wilhelm, der Sohn des Thronfolgers, in Mode gebracht hatte. Doch daran hatte sie sich mittlerweile gewöhnt. Außerdem verlieh der Bart, wie ihre Freundin Mary Benecke zu sagen pflegte, Fridolin jene Gediegenheit, die er als erfolgreicher Bankier benötigte.

»Ich glaube, der Tanz ist zu Ende«, hörte sie ihren Mann sagen und drehte sich um.

Eben verbeugte Adolar von Bukow sich elegant vor Nathalia und führte sie zu Lore, die zufrieden feststellte, dass ihr Schützling dem jungen Offizier nur die Fingerspitzen gereicht hatte.

»Gnädige Frau!« Leutnant von Bukow setzte ein strahlendes Lächeln auf, dem die Frauen selten widerstehen konnten, und verbeugte sich.

»Ich danke Ihnen, Leutnant, dass Sie mein Mündel unbeschadet zurückgebracht haben!« Lores Lächeln fehlte die Wärme, die Bukow sich erhofft hatte, und sie wandte sich sofort an Nathalia. »Du siehst erhitzt aus, meine Liebe. Du solltest für den restlichen Abend auf weitere Tänze verzichten.«

»Das wäre grausam, gnädige Frau!«, rief Bukow aus. »Ich hatte die Hoffnung, das gnädige Fräulein zum Abschlusstanz führen zu dürfen.«

»Dieses Vergnügen wird Ihnen nun leider verwehrt bleiben.« Lores Miene zeigte dem Leutnant deutlich, dass er für diesen Tag keinen weiteren Erfolg erwarten konnte. Daher verbeugte er sich erneut und bat, sich verabschieden zu dürfen.

»Ich hoffe, Sie bleiben noch ein wenig. Fräulein von Philippstein hat für den nächsten Tanz noch keinen Kavalier gefunden.« Um Lores Lippen spielte ein amüsiertes Lächeln, als der Leutnant kurz durchatmete und auf Gottlobine zuging.

Für einige Augenblicke waren Lore und Nathalia allein. »Was hast du eigentlich gegen Bukow?«, fragte das Mädchen sogleich.

Lore wusste, dass sie mit Nathalia offen reden konnte. »Er hat mir ein paar Frauengeschichten und Skandale zu viel auf dem Kerbholz! Außerdem halte ich ihn für einen Mitgiftjäger, denn so gewiss, wie er immer tut, scheint ihm das Erbe seines Oheims nicht zu sein.«

»Es gibt noch zwei Mitbewerber, doch der Leutnant glaubt, beide mit Leichtigkeit ausstechen zu können. Sollte dies der Fall sein, wäre Herr von Bukow auch für eine Komtess Retzmann die passende Partie«, erklärte Nathalia leichthin.

Lore glaubte nicht recht zu hören. »Du hast dich doch nicht etwa in Bukow verliebt?«

»Was heißt schon verliebt? So etwas gibt es nur in Romanen. Ich prüfe die Herren, die sich um mich bewerben, ob sie meinen Ansprüchen genügen. Tun sie das, überlege ich mir, wer sich am besten als mein Gatte eignet. Für Bukow sprechen einige Gründe, allerdings auch genügend dagegen. Übrigens verbringt er seine Ferien auf dem Gut seines Erbonkels – gemeinsam mit seinen beiden Konkurrenten, wie er zu seinem Leidwesen erfahren hat. Nun möchte er, dass ich ihn dort besuche. Du hast gewiss nichts dagegen, dass ich diese Einladung in unser beider Namen angenommen habe. Es ist nur etwa zehn Kilometer von meinem eigenen Gut entfernt, und die Fahrt dorthin wird ein gemütlicher Nachmittagsausflug werden.« Nathalia zwitscherte wie ein Vogel, so schien sie sich auf diesen Besuch zu freuen.

Lores Sympathie für diesen Herrn sank weiter. Wie kam von Bukow dazu, ihren Schützling einzuladen. Schließlich war er weder der Besitzer des Ritterguts Nehlen noch der ausgewiesene Erbe, auch wenn er sich über seine Konkurrenten erhaben zu fühlen schien. Doch da sie Nathalia kannte, verkniff Lore sich jede weitere Kritik. Denn wenn sie ihrem Schützling etwas verbot, pflegte dieser ihre Worte eher als Aufforderung aufzufassen, es nun erst recht zu tun.

»Also gut, schauen wir uns dieses Gut an. Schließlich musst du dich ja überzeugen, ob es einer Komtess Retzmann angemessen ist.«

»So sehe ich es auch!« Nathalia lächelte ihr zu, entdeckte dann einen anderen jungen Offizier, der schnurstracks auf sie zueilte, und seufzte. »Ich habe ganz vergessen, dass ich Hauptmann Gierke auch einen Tanz versprochen habe. Wenn er nur nicht so langweilig wäre.«

Ihren Worten zum Trotz neigte sie freundlich den Kopf und reichte dem Offizier die Hand. Als sie an dessen Arm über die Tanzfläche schwebte, sah sie in Lores Augen ganz und gar nicht so aus, als langweile sie sich in von Gierkes Gegenwart. Sie lachte sogar mehrfach über dessen Komplimente und bot genau das Bild, das Frauen wie Rodegard von Philippstein als ungezügelt bezeichneten.

»Wie es aussieht, habe ich wieder einige Arbeit vor mir, was Natis Erziehung angeht«, seufzte Lore.

Im nächsten Augenblick wurde sie von Wilhelmine von Dohnke in Beschlag genommen, der Ehefrau von Fridolins Kompagnon Emil. Während sie mit der Bankiersgattin plauderte, hielt sie Ausschau nach ihrem Ehemann. Doch wie es aussah, hatte dieser sich bereits mit seinen Geschäftspartnern zurückgezogen und es ihr überlassen, das kleine Fest mit Anstand zu beenden.

Juliregen
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