IV.

Manfred Laabs stieg bester Laune aus dem Zug, wartete, bis ein Dienstmann seinen Koffer an sich genommen hatte, und wanderte hinter diesem in den Ort hinein. Bei dem Hotel drückte er dem Kofferträger ein paar Münzen in die Hand und wandte sich an den jungen Mann, der am Empfang saß. »Mein Name ist Monier. Ich habe telegrafisch ein Zimmer bestellt.«

»Guten Tag, Herr Monier! Es ist alles vorbereitet.« Der Hotelangestellte winkte einen Pagen zu sich und befahl diesem, den Koffer des Herrn in die dritte Etage zu bringen. Er schob dem Gast einen Vordruck hin, auf dem dieser Namen, Heimatadresse und den Zweck seiner Reise notieren sollte. Laabs schrieb nicht nur den falschen Namen hinein, sondern auch eine x-beliebige Adresse in Köpenick und setzte als Zweck der Reise »privat« hinzu. Damit war er im Hotel aufgenommen, verließ dieses aber nach kurzer Zeit wieder und mietete sich einen Wagen, um sich, wie er dem Kutscher sagte, ein wenig die Gegend anzusehen.

»Na, wenn es Ihnen das Geld wert ist«, antwortete dieser kopfschüttelnd.

»Und ob es das ist!« Laabs lächelte. Auch wenn der Mann nicht so aussah, als wäre er ein geborener Redner, hoffte er ihm erste Auskünfte entlocken zu können.

»Es soll einige große Güter in der Gegend geben«, begann er das Gespräch.

»Jo, die gibt es«, klang es einsilbig zurück.

»Was sind das für Herrschaften?«

»Solche und solche!«

Besonders auskunftsfreudig war der Kutscher wahrlich nicht, dachte Laabs und unternahm den nächsten Versuch. »Ich habe reden hören, eine Gräfin Retzmann besäße hier eines der größten Güter.«

»Die ist noch Komtess, keine Gräfin, weil sie noch nicht verheiratet ist. Aber die lebt nicht hier, sondern in Berlin und Bremen.«

Na, es geht doch, sagte sich Laabs und machte sich daran, das Eisen zu schmieden, solange es heiß war. »Ich würde mir das Gut der Komtess gerne ansehen. Es soll prachtvoll sein, habe ich mir sagen lassen.«

»Es macht schon was her«, antwortete der Kutscher und bog gehorsam an der nächsten Straßenkreuzung in Richtung Steenbrook ab. Während der Fahrt gelang es Laabs, dem Mann weitere Informationen zu entlocken. Dieser erzählte vom Reichtum der Komtess, die nicht nur das Gut besaß, sondern auch ein großes Palais in Bremen und weitere Liegenschaften, von denen sich die Leute erzählten.

»Wenn das so ist, wäre die Komtess eine ausgezeichnete Partie«, meinte Laabs nach einer Weile lachend.

»Nicht für unsereinen. Da muss schon ein richtiger Graf kommen oder ein Fürst«, spottete der Kutscher, der seinen Fahrgast als kleinen Geschäftsmann aus der Stadt eingestuft hatte.

»Mir steht auch gar nicht der Sinn danach. Ich bin nämlich bereits verheiratet!« Laabs zwinkerte dem Kutscher zu, der sich zu ihm umgedreht hatte. »Aber wissen Sie, es gibt Herren von entsprechend hohem Stand, die durchaus ein Interesse daran haben, sich um die Komtess zu bewerben. Ein solcher hat mich hierhergeschickt, damit ich mir ein Bild davon machen soll, wie die Komtess lebt und welchen Ruf sie in der Nachbarschaft hat. In Berlin, das muss ich bedauerlicherweise sagen, gilt sie als ein wenig kapriziös.«

»Die Komtess ist in Ordnung«, knurrte der Kutscher, der zwar nicht wusste, was kapriziös hieß, es aber als negativ einstufte.

»Eben das soll ich für meinen Auftraggeber herausfinden«, antwortete Laabs begütigend und brachte den Mann dazu, mehr über Nathalia zu erzählen. So erfuhr er, dass diese in den Ferien auf Steenbrook weilte und Gäste aus der Reichshauptstadt eingeladen hatte.

»Aber derzeit hält sich die Komtess mit ihren Gästen zwanzig Kilometer weiter südlich auf Gut Klingenfeld auf, das ein befreundeter Bankier erstanden hat«, setzte der Kutscher hinzu.

Es war für Laabs von Vorteil, dass der Rosselenker diesmal nach vorne schaute, denn ihm war der Schreck in die Glieder gefahren. Ausgerechnet auf Klingenfeld musste Nathalia von Retzmann sich befinden. Er selbst war in den letzten Jahren mehrfach dort gewesen, durfte sich aber nicht mehr in der Umgebung des Gutes blicken lassen, wenn er nicht riskieren wollte, mit der männlichen Dorfjugend aneinanderzugeraten. Immerhin hatte er das hübscheste Mädchen aus dem Ort in die Stadt gelockt, und so etwas nahmen die einheimischen Bauernburschen übel.

Da sich das Gerede des Kutschers jetzt in Allgemeinplätzen verlor, überließ Laabs sich seinen eigenen Gedanken und überlegte, wie er den Auftrag, den Ottwald von Trettin ihm erteilt hatte, erfolgreich zum Abschluss bringen konnte. Ganz wohl war ihm nicht dabei. Auch wenn der Gutsherr aus Ostpreußen sich bemühte, seine wahren Absichten zu verschleiern, so ahnte Hedes Mann doch, dass sich diese Pläne nur durch Erpressung oder gar Entführung realisieren ließen. Damit aber sprengten sie den Rahmen der kleinen Gaunereien, die er und seine Freunde begingen, und das konnte sich auch für ihn fatal auswirken.

Mit einer heftigen Handbewegung wischte Laabs diesen Gedanken beiseite. Bisher war es ihm stets gelungen, mit heiler Haut davonzukommen. Auch würde er, anders als bei Anno von Klingenfeld, der sie alle betrogen hatte, dafür Sorge tragen, dass er die versprochene Belohnung wirklich bekam. Dann konnte er Hede endlich zeigen, wer in ihrer Ehe die Hosen anhatte. Um dieses Ziel zu erreichen, würde er auch nach Klingenfeld fahren und dort aufpassen, dass er nicht zwischen ein Paar kräftige Bauernfäuste geriet.

Juliregen
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