XIII.

Mit seiner aufwendig gestalteten Fassade glich das Le Plaisir den anderen Häusern in dieser Straße. Weder gab es ein Schild, das auf das Bordell hinwies, noch zeigten sich leicht bekleidete Frauen hinter den Scheiben. Stattdessen waren die Fenster mit dicken Vorhängen verhängt, durch die kaum ein Lichtschein nach außen drang. Die Eingangstür wurde durch eine Straßenlampe erhellt und befand sich über einer kleinen Freitreppe. Da Ottwald von Trettin das Bordell nur aus Erzählungen kannte, wusste er nicht, ob es sich noch in demselben Gebäude befand wie vor fünf Jahren oder ob es wegen des damaligen Skandals umgezogen war.

Der Gutsherr befahl dem Kutscher, dem die Müdigkeit anzusehen war, hinter der nächsten Straßenecke auf sie zu warten, und folgte Gerhard Klampt, der bereits den Zug der Türglocke betätigt hatte. Keine fünf Sekunden später schwang die Tür auf, und sie sahen sich einem älteren Mann gegenüber, dessen Uniform an ausländisches Militär gemahnte.

»Ah, der liebe Herr Klampt! Treten Sie doch ein. Sie haben heute einen Freund mitgebracht?« Anton, der Türhüter des Bordells, musterte Ottwald von Trettin mit einem prüfenden Blick und ordnete diesen als kleinen Landedelmann ein, der in der Hauptstadt etwas erleben wollte. Zwar fragte er sich, wie dieser in Klampts Gesellschaft geraten war, weil dieser sich normalerweise nicht in gehobenen Kreisen bewegte und nur Manfred Laabs’ wegen, dem Ehemann der Chefin, geduldet wurde. Doch er begrüßte beide Männer höflich und ließ sie ein.

Das also ist der Sündentempel, der Onkel Fridolin beinahe zum Verhängnis geworden wäre, durchfuhr es Ottwald von Trettin, als er durch den schlichten Vorraum auf die Tür zum Empfangssalon zuging. Dort umfing ihn eine andere Welt. Die Tapeten an den Wänden waren in einem sanften Rot gehalten, ebenso die bequemen Ottomanen, auf denen hübsche Mädchen in knappen, flitterbesetzten Kleidern sich um die anwesenden Herren bemühten.

Schräg gegenüber der Eingangstür befand sich ein Tisch mit roter Tischdecke, um den vier Polsterstühle standen, von denen nur einer besetzt war. Der Mann, der dort saß, erhob sich bei Gerhard Klampts Eintritt und begrüßte ihn freudig.

Die braunen Hosen und die dunkelrote Weste gaben ihm das Aussehen eines kleinen Geschäftsmanns. Nur trugen solche keine mit Halbedelsteinen besetzten Ringe an drei Fingern der rechten Hand. Auch wirkte die schwere, goldene Uhrkette viel zu protzig. Der Mann war von mittlerer Größe, schlank und hatte ein hübsches, in Trettins Augen aber zu weichlich wirkendes Gesicht. Sein Alter schätzte der Gutsherr auf knapp unter vierzig.

»Und wen haben wir denn da?« Nachdem Manfred Laabs seinen Freund Klampt begrüßt hatte, wandte er sich dessen Begleiter zu. Im ersten Augenblick hatte er angenommen, es handelte sich um einen dem mittleren Bürgertum entstammenden Angestellten, der bei den Pferdewetten in Hoppegarten genug Geld gewonnen hatte, um sich eine Nacht in einem Nobelbordell leisten zu können. Bei näherem Hinsehen musste er seine Ansicht revidieren. Dieser Gast mochte vielleicht nicht nach der neuesten Mode gekleidet sein, doch der edle Zwirn und die Haltung des Mannes wiesen auf einen Landadligen hin.

Mit einem Blick, der seinem Gegenüber zeigen sollte, dass er sich Vertraulichkeiten verbat, stellte der Gutsherr sich vor. »Ich bin Freiherr Ottwald von Trettin auf Trettin!«

»Trettin! Doch nicht etwa ein Verwandter des Grafen Trettin?«, rief Laabs erstaunt und streckte Ottwald die Rechte hin. »Seien Sie mir willkommen!«

Über Ottwald von Trettins Nasenwurzel erschien eine scharfe Kerbe. »Sie kennen meinen Oheim?«

»Aber ja doch! Früher war er sozusagen ein Stammkunde in diesen Hallen. Jetzt kommt er leider ein wenig seltener.« Manfred Laabs strahlte den Gutsherrn dabei so an, als hätte dieser ihm mit seinem Erscheinen eine große Freude bereitet.

»Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir und trinken ein Glas Wein mit mir!«, forderte er Ottwald von Trettin auf.

»Eigentlich bin ich nicht hierhergekommen, um Wein zu trinken.«

»Natürlich nicht! Das könnten Sie auch in einer Gaststätte tun. Sie sind der Mädchen wegen gekommen. Was wollen Sie für eine? Eine Blonde, eine Schwarze? Dick oder dünn? Wir haben für jeden Herrn das Richtige.« Dabei zeigte Manfred Laabs auf ein paar Frauen, die bereits neugierig zu ihnen blickten.

»Ich wüsste schon, welche ich nehmen würde. Aber ich lasse Ihnen die erste Wahl, Trettin!« Gerhard Klampt gab sich großzügig, verärgerte seinen Begleiter mit dieser Vertraulichkeit jedoch noch mehr.

Ohne die Mädchen richtig anzusehen, deutete Ottwald auf eines. »Die könnte mir gefallen.«

»Aber natürlich! Hilma ist eine Spitzenkraft. Ich habe sie selbst ausprobiert. Komm, Hilma, zeige dem Herrn, wo dein Paradies liegt!« Laabs lachte, brach aber ab, als er Ottwald von Trettins empörten Blick bemerkte.

»Viel Vergnügen!«, sagte er noch und wartete, bis Hilma mit dem Gutsherrn in Richtung der Séparées verschwunden war. Dann wandte er sich stirnrunzelnd an Gerhard Klampt. »Dieser Herr scheint nicht sehr umgänglich zu sein.«

»Er ist von uraltem Adel und besitzt ein reiches Rittergut in Ostpreußen. Solche Leute mögen es nicht, wenn man zu persönlich wird«, erklärte Klampt und unterschlug dabei wohlweislich, dass er mit Ottwald von Trettin bereits den ganzen Abend vertraulich verkehrt hatte.

In seinen Augen bestand jedoch ein himmelweiter Unterschied zwischen einem Zuhälter und Bordellwirt und ihm selbst, insbesondere, da er nur durch einen dummen Zufall nicht als Sohn eines Grafen geboren worden war. Nun war ihm weniger zum Reden zumute als vielmehr, es Ottwald von Trettin gleichzutun und mit einem Mädchen im Séparée zu verschwinden. Er winkte eine dralle Blonde zu sich, steckte mehrere blitzende Markstücke in deren Dekolleté und folgte dem kichernden Ding zu den Séparées. Kurz vor dem Torbogen drehte er sich noch einmal zu Laabs um.

»Sorgen Sie dafür, dass eine Flasche Wein und Gebäck bereitgestellt wird.« Damit hatte er dem anderen den Stand eines Bediensteten zugewiesen und klargemacht, dass er selbst ein Herr war.

Manfred Laabs nahm ihm die kleine Spitze nicht krumm, sondern wies eines der Mädchen an, das Verlangte zu bringen. Daraufhin betrat er einen anderen Flur, öffnete eine Tür und ging in den dahinter liegenden Raum. Darin saß an einem kleinen Sekretär eine Frau zwischen dreißig und vierzig Jahren, deren Schönheit auch von dem schlichten, hochgeschlossenen Kleid aus dunkelblauem Samt und der strengen Frisur nicht beeinträchtigt wurde.

Sie blickte auf. »Gibt es Schwierigkeiten, Manfred?«

»Oh nein, ganz im Gegenteil! Das Haus ist voller Gäste. Nur drei Mädchen haben noch nichts zu tun. Aber das wird sich bald ändern«, erklärte Laabs fröhlich.

Über das Gesicht der Frau huschte ein Schatten. Das kann ich mir denken, dachte sie. Spätestens nach Mitternacht wirst du dir eines davon oder auch zwei aussuchen und ausprobieren – wie du es nennst –, ob sie noch taugen. Sie sagte jedoch nichts, sondern beugte sich wieder über ihr Rechnungsbuch.

»Freut es dich nicht?«, fragte Laabs verwundert.

»Doch!«, kam es kühl zurück. »Schließlich muss das Geld erst verdient werden, bevor du es ausgibst.«

»Da du gerade von Geld sprichst, Hede: Ich könnte ein paar Scheine gebrauchen. Hatte letztens Pech beim Pferderennen. Die Gäule sind nicht so gelaufen, wie ich es erwartet habe.« Laabs legte seiner Frau die linke Hand auf die Schulter, während seine Rechte drohend durch die Luft schwang.

Hede wusste aus leidvoller Erfahrung, dass er jederzeit ohne Vorwarnung zuschlagen konnte. Trotzdem gab sie nicht sogleich nach. »Sagtest du nicht letztens, du würdest bald so viel Geld verdienen, dass du mich und meinen Puff, wie du es nanntest, nicht mehr brauchst?«

Manfred Laabs juckte es in den Fingern, seine Frau zu verprügeln. Doch er hielt sich zurück. Nach dem letzten Mal hatte sie ihm zwar ein paar hundert Mark gegeben, ihn dann aber tagelang ignoriert und sich auch von dem Blumenstrauß, den er schließlich gekauft hatte, nicht versöhnen lassen. Sie zu schlagen, bis sie ihren Widerstand aufgab, wagte er nicht. Auch wenn er nach außen hin als Besitzer des Le Plaisir auftrat, so gehörte es doch seiner Frau, und er hatte nur das Anrecht auf einen Teil des Verdienstes. Diesen Ehevertrag hatte Hede vor der Heirat aufsetzen lassen, und er ärgerte sich immer noch, dass er darauf eingegangen war. Obwohl er als Ehemann nach Recht und Gesetz ihr Herr und Gebieter war, musste er um jeden Groschen betteln.

»Ich werde bald Geld bekommen. Aber das dauert noch etwas. Bis dorthin kann ich nicht ohne ein paar Mark aus dem Haus gehen. Das musst du einsehen!«

»Ich habe dir erst letztens Geld gegeben, nachdem du mir einige Ohrfeigen versetzt hast. Das würdest du doch jetzt auch wieder tun, wenn ich dir nichts geben wollte, nicht wahr?«

In Hedes Stimme schwang abgrundtiefe Enttäuschung mit. Dabei, sagte sie sich, war sie selbst schuld. Niemand hatte sie gezwungen, Manfred Laabs zu heiraten. Doch ihr Wunsch nach einem Kind war einfach übermächtig geworden, und da sie dieses nicht der Schande einer unehelichen Geburt hatte aussetzen wollen, war ihr nur die Heirat geblieben. Vielleicht hätte sie Manfred länger beobachten sollen, bevor sie auf sein Werben eingegangen war. Doch für Selbstvorwürfe war es nun zu spät.

Ohne seine Antwort abzuwarten, erhob sie sich und trat an die Wand. Dort nahm sie ein Bild ab, das im Gegensatz zu einigen Gemälden im Empfangssalon und in besonders ausgestatteten Séparées keine erotischen Szene zeigte, und zog einen Schlüssel unter ihrem Kleid hervor, der an einem goldenen Kettchen an ihrem Hals hing. Damit schloss sie den kleinen Wandsafe auf, der hinter dem Bild zum Vorschein gekommen war, und holte mehrere Geldscheine heraus.

Manfred Laabs fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er die dicken Bündel Banknoten sah, und er erlag beinahe der Versuchung, hineinzugreifen und wenigstens die Hälfte davon an sich zu nehmen.

»Weißt du, dass du mich sehr schlecht behandelst?«, maulte er.

»Wieso? Weder schlage ich dich, noch verlange ich von dir, dass du dir eine Arbeit suchst und Geld verdienst!« Hede klang bitter. Immerhin hatte Manfred vor ihrer Ehe so getan, als besäße er genug Geld, um sich in Berlin eine Bierschenke einrichten zu können. Doch mit der angeblichen Höhe seines Vermögens hatte er sie genauso betrogen wie in anderen Dingen. Nun lebte er wie eine Made in ihrem Speck, und sie musste froh sein, dass er gelegentlich bei den Pferdewetten gewann. Sonst würde er noch mehr Geld von ihr fordern.

Manfred Laabs schien ihre Gedanken zu erraten, denn er zeigte naserümpfend auf die Geldscheine, die sie ihm hinhielt. »Das ist aber wenig!«

Seufzend langte sie noch einmal in den Geldschrank und zählte ihm fünfhundert Mark ab. »Das muss für diesen und den nächsten Monat reichen!«

»Oh Himmel, welch ein Schicksal! Ich bin zum Almosenempfänger meiner Frau abgesunken«, rief Laabs theatralisch aus.

»Ich würde eher sagen: zum Kostgänger. Von zehn Mark, die du ausgibst, verdienst du selbst weniger als drei.« Seufzend reichte Hede ihm noch einen letzten Schein, dann schloss sie den Safe wieder zu, steckte den Schlüssel in ihr Dekolleté und hängte das Bild wieder auf.

Laabs überlegte, wie er an diesen Schlüssel kommen konnte. Natürlich konnte er Hede verprügeln, bis sie ihn hergab, aber wie er sie kannte, würde sie anschließend jeden Groschen, den sie besaß, vor ihm in Sicherheit bringen. Am besten erschien es ihm, zärtlich zu ihr zu sein und ihr, wenn sie eingeschlafen war, die Kette über den Kopf zu ziehen, hierherzukommen und einen Teil der Scheine an sich zu nehmen.

Ohne daran zu denken, dass ihr ein solcher Diebstahl auffallen würde, sobald ihr Rechnungsbuch nicht mehr stimmte, beugte er sich über sie und küsste sie in den Nacken. »Du bist eine wunderbare Frau!«

Da war wieder der Charme, dem sie vor ihrer Heirat verfallen war, dachte Hede traurig. Doch der war nur eine Maske, die ihr Mann nach Belieben aufsetzte. Andererseits hatte er sie bisher nur ein einziges Mal heftiger geschlagen und sich für kurze Zeit sogar bemüht, ihrem gemeinsamen Sohn ein guter Vater zu sein.

Der Gedanke an den Jungen ließ sie weicher werden, und sie lehnte sich einen Augenblick gegen ihn. »Du musst verstehen, dass ich dir nicht mehr Geld geben kann. Es kommen immer wieder unerwartete Ausgaben auf mich zu, wenn ein Mädchen krank wird und nicht mehr arbeiten kann oder wenn eines der Séparées oder gar der Salon renoviert werden müssen. Außerdem will ich eine gewisse Summe vorrätig halten, um einige Herren an entscheidender Stelle zu schmieren, damit uns die Sittenpolizei nicht auf die Pelle rückt.«

»Aber das weiß ich doch, meine Liebe«, antwortete Laabs und verfluchte innerlich all diejenigen, die Geld von seiner Frau forderten und ihn selbst damit einschränkten. Doch sobald das große Geschäft, an dem er sich beteiligt hatte, gelaufen war, würde er über genug Geld verfügen, um ein zweites Bordell aufzumachen. Mit der Unmoral der Menschen ließ sich nun einmal mehr verdienen als mit deren Durst in einer schlichten Bierhalle.

Da ihn bei dem Gedanken das Begehren nach einem der Mädchen erfasste, verabschiedete er sich von Hede und kehrte beschwingt in den Empfangssalon zurück.

Juliregen
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