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Wegfindung
Wie schon zuvor wäre es Adam auch an diesem frühen
Morgen ohne weiteres gelungen, die Alarmanlage, die Anders’
Grundstück schützte, zu umgehen. Nur entschied er sich stattdessen,
wie ein Amateureinbrecher bei der Garageneinfahrt über die Mauer zu
klettern. Unmittelbar vor den Kameras, die eigentlich Gäste zeigen
sollten, die mit dem Wagen vorfuhren. Von dort aus stieg er in die
Krone eines hochgewachsenen Ahorns. Unter einem anderen Mann wäre
das Geäst vermutlich eingebrochen, doch Adam war ein geschickter
Kletterer.
Zufrieden beobachtete er, wie Benson mit einem
Gewehr in den Händen zu den Garagen eilte, wobei er einerseits
Deckung suchte und sich andererseits darum bemühte, alles im Blick
zu behalten. Je näher er der Stelle kam, an der Adam über die Mauer
geklettert war, desto zögerlicher wurden seine Bewegungen. Fast
schien er das helle Tageslicht zu verfluchen, das ihn in jedem
Moment von einem Jäger in einen Gejagten verwandeln konnte.Auf
seinem Gesicht prangte ein unübersehbarer Bluterguss, wo Adams
Faust ihn getroffen hatte.
Schließlich entschied Benson sich dafür, das
Katz-und-Maus-Spiel aufzugeben. »Warum kommst du nicht einfach aus
deinem Versteck, Adam? Das ganze Theater ist völlig umsonst, weil
Anders nicht in seiner Villa ist.«
Mit einem lautlosen Sprung landete Adam direkt
hinter Benson und sagte: »Guter Versuch.«
Der kräftige Mann fuhr zusammen und hätte vor
Schreck fast das Gewehr fallen gelassen. »Verdammte Scheiße«,
keuchte er, dann hatte er sich sofort wieder im Griff, was Adam ihm
hoch anrechnete. Betont langsam drehte Benson sich um, ohne
allerdings die Waffe zu senken. Als der Lauf auf Adams Leibeshöhe
ausgerichtet war, trat Benson der Schweiß auf die Stirn, solche
Anstrengung kostete es ihn, den Abzug vor lauter Furcht nicht
sofort zu drücken.
Adam schenkte ihm ein Lächeln, das den Mann jedoch
keineswegs beruhigte. »Du kannst versuchen, mich zu erschießen, und
mich damit einen Augenblick lang außer Gefecht setzen, Benson. Aber
ich kann dir jetzt schon versprechen, dass ich heute zu schnell für
dich bin.«
»Das mag ja stimmen«, erwiderte Benson, der gequält
den Schweiß aus den Augen blinzelte. »Nur was ändert das? Denn hier
wirst du Anders nicht finden.«
»Hier vielleicht nicht, aber dann doch
bestimmt auf dem Nachbargrundstück. In der neuen Machtzentrale,
richtig?«
Benson zögert genau eine Sekunde zu lang, den Abzug
zu drücken. Diese Sekunde reichte Adam aus, um ihm das Gewehr zu
entwenden. Stöhnend presste Benson die gebrochenen Finger vor die
Brust.
»Das nehme ich dann mal als ein Ja auf meine Frage.
Allerdings bin ich froh, diesen kleinen Umweg nicht umsonst gemacht
zu haben, denn du kannst mir sicherlich verraten, wie man die
Tresortür öffnet - da du den Bau begleitet hast, weißt du bestimmt
Bescheid.«
Adam wartete einen Moment, doch Benson brachte nur
ein energisches Kopfschütteln zustande.
»Vielleicht hast du ja einen falschen Eindruck von
mir gewonnen, als ich dir bei unserem letzten Zusammenstoß nicht
einfach schnell das Genick gebrochen habe. Wie auch immer, auf
meine Nachsichtigkeit solltest du dich kein zweites
Mal verlassen, vor allem nicht, wenn ich unter Zeitdruck
stehe.«
»Du kannst mir nichts antun, was Anders mir nicht
noch viel schlimmer antun könnte«, hielt Benson dagegen.
»Wenn ich hier fertig bin, gibt es keinen Anders
mehr.Verstehst du?«
Zum ersten Mal überwand Benson seine Furcht und
stieß ein krächzendes Lachen aus. »Du überschätzt dich, Schönling.
Wir haben alle zugesehen, wie du an seinen Lippen hingst. Mag sein,
dass du ihm ein Mal entwischt bist, aber ein zweites Mal gelingt
dir das bestimmt nicht. Und dann wird dein Widerstand gebrochen
sein. Anders braucht dich nur in seine Finger zu kriegen, dann
gehörst du ihm.«
»Nun, wenn du mir nicht gleich die
Zahlenkombination verrätst, dann wirst du persönlich erfahren, wie
das mit den Küssen des Dämons so ist. Bist du schon einmal Zeuge
einer missglückten Verwandlung geworden, wenn ein ungeeigneter
Tempel unter dem Gewicht des Dämons zerbirst? Als Diener bist du
vermutlich derartig ungeeignet, dass dein Körper sofort zerstört
werden wird. Natürlich kann man sich nicht hundertprozentig darauf
verlassen. Manchmal überleben einige zerbrochene Teile eines
Tempels und sind dann unfähig, zu sterben. Keine schöne
Sache.«
Bis auf einige leuchtend rote Flecken wich
sämtliche Farbe aus Bensons Gesicht.
Ich hätte ohnehin nicht von ihm kosten
wollen, teilte der Dämon mit. Das Blut von Dienern ist es
nicht einmal wert, auf den nackten Boden vergossen zu werden.
Nichts weiter als roter Sirup.
Doch Adam kümmerte sich nicht um ihn, sondern
prägte sich stattdessen die lange Ziffernreihe ein, die endlich aus
Benson heraussprudelte.