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Ein schwarzer Vertrag
Das Hausboot lag in der tiefsten Nacht, als Adam
den Steg überquerte. Nur das rote Licht flackerte unter dem Rand
des schwarzen Tuchs, mit dem die Laterne bedeckt war. Ein
gleichmäßiger Regen ging auf die Seine nieder, überzog ihren
Spiegel mit einem Spitzenmuster.
Adam hatte es nicht eilig, den Weg hinauf zur
Uferpromenade zu nehmen. Gemächlich schlenderte er voran, die Hände
in den Manteltaschen vergraben, während ihm das Wasser in den
Kragen rann und das Hemd aufweichte.Wie Seetang klebten nasse
Haarsträhnen an Stirn und Hals, der von einem roten Mal gezeichnet
war, auch wenn es in keiner Hinsicht mehr an die Bisswunde
erinnerte, die es noch vor einigen Stunden gewesen war.
Obwohl er die Stimmen im Bootsinneren bis hier
draußen hören konnte, blieb Adam stehen.Was auch immer Etienne und
Rischka zu besprechen hatten, es kümmerte ihn nicht.
Selbstversunken hielt er sein Gesicht dem Regen hin. Vielleicht
mochte er ihn nicht reinwaschen, aber der klare Geruch besänftigte
ihn. Reglos verharrte er, selbst als ihn ein bekannter Duft nach
Leder erreichte. Sein Nacken kribbelte, Adrenalin brandete durch
seine Adern, alles in ihm erwachte zu Leben, als er hinter sich
eine Bewegung wahrnahm. Aber er drehte sich nicht um, sondern
konzentrierte sich darauf, wie Wasserrinnsale über seine Lider
liefen.
»Es gibt keine größere Einsamkeit denn die des
Tigers im Dschungel.«
Truss’ Stimme klang erstaunlich mädchenhaft,
vermutlich der Grund dafür, dass diese düstere Frau sie möglichst
selten einsetzte. Sie passte nicht zu ihrer in Leder gekleideten
Angriffslust und einer Ahnung von getrocknetem Blut, nun, da sie
direkt hinter Adam stand. Wenn er seine Sinne richtig verstand,
dann hätte Truss sich den lieben langen Tag waschen können und wäre
den Gestank nicht losgeworden. Sie riecht wie der leibhaftige Tod,
dachte Adam.
»Glaubst du, ich bin hierhergekommen, um meiner
Einsamkeit zu entfliehen?«
»Dafür ist es zu spät. Du bist, was du bist: ein
Jäger.«
Langsam drehte Adam sich um. Seit er Truss das
letzte Mal begegnet war, hatte sich nur eine einzige Sache an ihr
verändert: In ihrem Blick lag Interesse, eines der so dunklen
Sorte, dass Adam einen Stich in der Brust fühlte. Denn was er in
ihren Augen las, war ihm keineswegs fremd. Es war ein Spiegelbild
seiner Abgründe, mit denen er bereits Bekanntschaft gemacht hatte
und die nicht den Grausamkeiten des Dämons geschuldet waren. Mühsam
unterdrückte er das jäh aufbrausende Bedürfnis, Truss mit einem
Griff das Genick zu brechen und sie in der Seine zu
versenken.
Truss nickte, als könne sie seine Gedanken erraten.
»Wir sind mehr als nur verwandt«, sagte sie leise. »Jäger und Tod
passen gut zusammen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie an ihm
vorbei, wobei sie das schwarze Tuch von der Messinglampe zog und es
sich um die Hüften schlang. Als Adam auf die Treppe zur
Uferpromenade zuhielt, schenkte sie ihm keinerlei Beachtung. Ihr
Blick war fest auf die Dunkelheit unter dem Brückenpfeiler
gerichtet, in der er eine Bewegung auszumachen glaubte. Doch da war
kein Geruch, der die Anwesenheit
eines anderen verraten hätte. Dann heftete Truss sich an seine
Fersen.
Du hast doch schon eine zweite Hälfte, wozu
brauchst du da mich?, wollte Adam schon fragen, entschied sich
jedoch anders. Schließlich konnte es nicht schaden, jemanden an
seiner Seite zu haben, der danach fieberte, das Töten für ihn zu
übernehmen.
Zufrieden ließ er sich in die Tiefen sinken, in
denen er sein Lager aufgeschlagen hatte. Hier war er ganz bei sich
und konnte darauf warten, dass sich eine Gelegenheit auftat, wieder
aufzusteigen und seinen Tribut einzufordern.
Endlich gehörte sein Tempel ihm. Nun, vielleicht
nicht vollständig, denn es waren immer noch Spuren dieses
Störenfrieds da. Aber wer wollte angesichts eines solchen Sieges
schon kleinmütig sein.Von jetzt an würde er bekommen, was ihm
zustand - er würde baden in Blut, und wenn man die Talente dieses
Sturkopfs bedachte, würde er vielleicht sogar regelrecht von dem
roten Lebensfluss überrollt werden. Ein wunderschöner Gedanke,
gestand er sich ein und stimmte sein Lied an, das ihn durch die
Unendlichkeit begleitete.