15
Ein schwarzer Vertrag
Das Hausboot lag in der tiefsten Nacht, als Adam den Steg überquerte. Nur das rote Licht flackerte unter dem Rand des schwarzen Tuchs, mit dem die Laterne bedeckt war. Ein gleichmäßiger Regen ging auf die Seine nieder, überzog ihren Spiegel mit einem Spitzenmuster.
Adam hatte es nicht eilig, den Weg hinauf zur Uferpromenade zu nehmen. Gemächlich schlenderte er voran, die Hände in den Manteltaschen vergraben, während ihm das Wasser in den Kragen rann und das Hemd aufweichte.Wie Seetang klebten nasse Haarsträhnen an Stirn und Hals, der von einem roten Mal gezeichnet war, auch wenn es in keiner Hinsicht mehr an die Bisswunde erinnerte, die es noch vor einigen Stunden gewesen war.
Obwohl er die Stimmen im Bootsinneren bis hier draußen hören konnte, blieb Adam stehen.Was auch immer Etienne und Rischka zu besprechen hatten, es kümmerte ihn nicht. Selbstversunken hielt er sein Gesicht dem Regen hin. Vielleicht mochte er ihn nicht reinwaschen, aber der klare Geruch besänftigte ihn. Reglos verharrte er, selbst als ihn ein bekannter Duft nach Leder erreichte. Sein Nacken kribbelte, Adrenalin brandete durch seine Adern, alles in ihm erwachte zu Leben, als er hinter sich eine Bewegung wahrnahm. Aber er drehte sich nicht um, sondern konzentrierte sich darauf, wie Wasserrinnsale über seine Lider liefen.
»Es gibt keine größere Einsamkeit denn die des Tigers im Dschungel.«
Truss’ Stimme klang erstaunlich mädchenhaft, vermutlich der Grund dafür, dass diese düstere Frau sie möglichst selten einsetzte. Sie passte nicht zu ihrer in Leder gekleideten Angriffslust und einer Ahnung von getrocknetem Blut, nun, da sie direkt hinter Adam stand. Wenn er seine Sinne richtig verstand, dann hätte Truss sich den lieben langen Tag waschen können und wäre den Gestank nicht losgeworden. Sie riecht wie der leibhaftige Tod, dachte Adam.
»Glaubst du, ich bin hierhergekommen, um meiner Einsamkeit zu entfliehen?«
»Dafür ist es zu spät. Du bist, was du bist: ein Jäger.«
Langsam drehte Adam sich um. Seit er Truss das letzte Mal begegnet war, hatte sich nur eine einzige Sache an ihr verändert: In ihrem Blick lag Interesse, eines der so dunklen Sorte, dass Adam einen Stich in der Brust fühlte. Denn was er in ihren Augen las, war ihm keineswegs fremd. Es war ein Spiegelbild seiner Abgründe, mit denen er bereits Bekanntschaft gemacht hatte und die nicht den Grausamkeiten des Dämons geschuldet waren. Mühsam unterdrückte er das jäh aufbrausende Bedürfnis, Truss mit einem Griff das Genick zu brechen und sie in der Seine zu versenken.
Truss nickte, als könne sie seine Gedanken erraten. »Wir sind mehr als nur verwandt«, sagte sie leise. »Jäger und Tod passen gut zusammen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie an ihm vorbei, wobei sie das schwarze Tuch von der Messinglampe zog und es sich um die Hüften schlang. Als Adam auf die Treppe zur Uferpromenade zuhielt, schenkte sie ihm keinerlei Beachtung. Ihr Blick war fest auf die Dunkelheit unter dem Brückenpfeiler gerichtet, in der er eine Bewegung auszumachen glaubte. Doch da war kein Geruch, der die Anwesenheit eines anderen verraten hätte. Dann heftete Truss sich an seine Fersen.
Du hast doch schon eine zweite Hälfte, wozu brauchst du da mich?, wollte Adam schon fragen, entschied sich jedoch anders. Schließlich konnte es nicht schaden, jemanden an seiner Seite zu haben, der danach fieberte, das Töten für ihn zu übernehmen.
 
Zufrieden ließ er sich in die Tiefen sinken, in denen er sein Lager aufgeschlagen hatte. Hier war er ganz bei sich und konnte darauf warten, dass sich eine Gelegenheit auftat, wieder aufzusteigen und seinen Tribut einzufordern.
Endlich gehörte sein Tempel ihm. Nun, vielleicht nicht vollständig, denn es waren immer noch Spuren dieses Störenfrieds da. Aber wer wollte angesichts eines solchen Sieges schon kleinmütig sein.Von jetzt an würde er bekommen, was ihm zustand - er würde baden in Blut, und wenn man die Talente dieses Sturkopfs bedachte, würde er vielleicht sogar regelrecht von dem roten Lebensfluss überrollt werden. Ein wunderschöner Gedanke, gestand er sich ein und stimmte sein Lied an, das ihn durch die Unendlichkeit begleitete.
Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
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