17
Schwierige Verhandlungen
Anders schlug seine Beine übereinander, was auf dem niedrigen Sofa gar nicht so einfach war. Er hatte Adam aufgefordert, sich zu setzen. Doch genau wie Rischka hatte er es bevorzugt, stehen zu bleiben. Bei einem anderen Gast hätte Anders diese Unhöflichkeit vermutlich gestört, aber zum einen war Adam jemand, der sich sichtlich wohler fühlte, wenn er Abstand halten konnte, und zum anderen wollte Anders sich auf keinen Fall das Vergnügen dieser Unterhaltung mit solchen Nebensächlichkeiten verderben lassen.
Dazu gehörte auch, dass er Rischkas leidlich überspielte Ungeduld nach Kräften ignorierte. Es machte ganz den Anschein, als könne sie es kaum erwarten, dass der von ihr herbeigerufene Jäger endlich seine Beute präsentierte.Wie sonst ließe sich ihre zunehmende Unruhe erklären? Gerade drückte sie einen ihrer halb aufgerauchten Zigarillos mit solchem Druck im Kristallaschenbecher aus, dass er auseinanderbrach und sie überrascht aufschrie, als sie sich an der Glut verbrannte. Oder vielleicht sehnte sie sich danach, dass Adam seinen Bericht möglichst rasch vortrug, damit Anders erneut dessen Dämon stärken konnte. Die eine gemeinsame, mehr oder weniger geraubte Nacht mit dem hochgewachsenen, verwirrend schönen Mann hatte eindeutig Spuren auf Rischkas stolzem Ego hinterlassen. Fast beneidete Anders sie um diese Erfahrung - unerwidertes Begehren war eine Erfahrung, die ihm fremd war.
»Nun?«, fragte er in den Raum hinein. »Esther rief bereits vor einiger Zeit bei mir an und kündigte frohe Neuigkeiten an, ehe sie mir weniger Erbauliches mitteilte. Kann man dich auch mit der Suche nach einer neuen geeigneten Dienerin beauftragen, Adam?«
Rischka stieß ein scharfes Schnaufen aus. »Warum? Hat er deine alte Dienerin kaputtgemacht? Nicht, dass es mich überraschen würde.«
Einen Moment lang war Anders irritiert, dann begriff er den Seitenhieb. Rischka war eifersüchtig - auf eine Dienerin! Mit Not gelang es ihm, ein Grinsen zu unterdrücken. Diesem Rätsel würde er bei Gelegenheit nachgehen, jetzt stand Wichtigeres an.
»Ich befürchte, dich enttäuschen zu müssen, mein Schatz. Esther klang vielmehr überdreht. Die Hochzeitsvorbereitungen mit Hayden scheinen gerade in den Endspurt überzugehen. Eigentlich hatte ich gehofft, Esther würde sich - ganz das brave Mädchen, das sie gibt - noch eine Weile zieren, so dass mir genug Zeit mit der Suche nach einem Ersatz bleibt. Aber so, wie sie vorhin geklungen hat, wird nun wohl doch alles sehr schnell gehen.Wirklich schade.«
Eigentlich rechnete Anders damit, dass Rischka seine Worte als Vorlage dafür benutzen würde, Esther mit einer Gemeinheit zu verunglimpfen. Stattdessen brachte ihn ein leidlich unterdrücktes Aufstöhnen von Adam aus dem Konzept. Neugierig sah er zu dem Mann, aber der hatte sich bereits abgewandt. Adam hatte beide Armen gegen den Flügel gestemmt und verharrte dort mit hängendem Kopf. Anders spielte kurz mit dem Gedanken, der Sache auf den Grund zu gehen, verwarf ihn dann jedoch gleich wieder. Das alles war wirklich ausgesprochen interessant, aber später würde noch ausreichend Gelegenheit für Fragen bestehen.
»Also gut«, setzte er stattdessen an. »Es wäre schön, wenn wir diese unerfreuliche Angelegenheit, wegen der wir dich hierhergebeten haben, nun möglichst rasch beheben könnten. Wie sieht es aus, Adam?«
»Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er diese Aufgabe wirklich in so kurzer Zeit zu unserer Zufriedenheit gelöst haben soll!«
Rischka trat mit ein paar schnellen Schritten auf Adam zu, die Hände angriffslustig in die Hüften gestemmt. Langsam richtete Adam sich auf, und in diesem Moment hätte Anders viel dafür gegeben, seinen Gesichtsausdruck sehen zu können. Rischka wich nämlich zurück, wobei sie eine Hand um ihre Kehle legte. Dann hielt sie abrupt inne, und der Stolz kehrte auf ihre Züge zurück.
»Du solltest dir wirklich gut überlegen, was du uns hier so ruckzuck als Ergebnis präsentieren möchtest«, fuhr sie mit zittriger Stimme fort. »Zumindest wäre es eine große Überraschung, denn die Lösung, die ich von dir erwarte, liegt keineswegs offen auf der Hand. Pfuscharbeit werde ich dir nicht durchgehen lassen, sondern …«
Endlich drehte Adam sich um. Die graue Farbe seines Gesichtes verriet, dass er unter einer enormen Anspannung stand. Ein leichter Schauer breitete sich über Anders’ Nacken aus. Auch wenn er Adam keineswegs zu fürchten brauchte, unterschätzte er nicht die Gefahr, die von diesem Mann ausging.
»Du solltest besser aufpassen, was du sagst«, forderte Adam Rischka auf. »Du bist weder meine Herrin noch meine Auftraggeberin - und du willst ganz bestimmt auch nicht meine Feindin sein. Wenn ich jetzt hierhergekommen bin, um Anders zu sagen, wer hinter den Morden auf dieser Liste steckt, dann weiß ich es auch ganz genau. Oder hegst du daran etwa Zweifel?«
»Nein«, erwiderte Rischka kaum hörbar. »Es geht hierbei aber nicht nur um diese läppische Liste.«
Einen Augenblick lang glaubte Anders, dass sie weitersprechen würde, und es hätte ihn durchaus interessiert, worum es dabei wohl gegangen wäre. Doch sie verstummte und verließ den Raum. Adam scherte sich nicht darum, sondern kam zu ihm hinüber. Die ganze Angriffslust, die eben noch in ihm gelodert hatte, war verflogen. Zurückgeblieben war ein erschöpfter Mann, der sich ungeniert die Augen rieb.
»Eigentlich ist Rischkas Reaktion ja auch kein Wunder, da ich doch vor gerade mal zwölf Stunden behauptet habe, das Ganze gestalte sich schwieriger als erwartet. Wenn ich den Spuren nachgegangen wäre, hätte es sicherlich auch noch einige Zeit in Anspruch genommen, aber es hat sich ein viel direkterer Weg aufgetan. Zuerst habe ich das Muster nicht erkannt, das hinter den Opfern stand, weil sie alle so unterschiedlich waren. Alter, Geschlecht, Rasse - das ging genauso kreuz und quer durcheinander wie die Tötungsweisen. Der einzige gemeinsame Nenner bestand in dem Fakt, dass die Leichen alle blutleer waren. Aber dann ist mir ein zweiter gemeinsamer Nenner aufgefallen.«
»Sieh an, dann hast du das Ganze also durch reine Kopfarbeit gelöst. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.«
Einen Moment zu spät registrierte Anders, dass seine Äußerung nicht nur beleidigend war, sondern auch viel darüber verriet, wie er Adam eigentlich einschätzte: nämlich gering. Eine instinktgeleitete Kreatur, die nicht in der Lage war, die gefundenen Spuren einem Puzzle gleich zusammenzusetzen. Nun, jetzt ließ es sich nicht mehr zurücknehmen, also begnügte er sich mit einem entschuldigenden Lächeln, das Adam jedoch genauso wenig zu kümmern schien wie alles andere auch.
»Der zweite Nenner war die Kunstfertigkeit, mit der die Opfer ausgeblutet wurden. Jemand hat dem Dämon nicht einfach Blut dargebracht, sondern den Opfern mit jedem vergossenen Tropfen auch das Leben geraubt. Der Dämon will nicht einfach Blut, er will Leben und alles, was damit zusammenhängt: Angst, Wut, Verlangen … Ich kenne nur einen von unserer Art, dessen Gabe genau auf diese Art der Opferung zielt.«
Anders zog fragend die Brauen hoch. »Erwartest du etwa, dass ich zu guter Letzt auch noch von selbst draufkomme?«
»Obwohl du den Wald vor lauter Bäumen nicht siehst? Nein, das erwarte ich nicht von dir.« Die Retourkutsche kam schnell, aber Adam schien keine rechte Freude daran zu haben. Mit einer fahrigen Geste wischte er sich das Haar aus der Stirn, das eindeutig zu lang war für den gegenwärtigen Geschmack. Jemand sollte ihn wirklich einmal darauf hinweisen, dachte Anders, ehe Adam den Faden wieder aufnahm.
»Machen wir es kurz:Wenn du willst, dass diese Opferungen ein Ende haben, solltest du nach Lakas suchen. Der mag zwar vorgegeben haben, die Stadt verlassen zu haben, aber in Wirklichkeit ist er geblieben, um sich an dir dafür zu rächen, dass du ihm Rischka genommen hast. Ich habe ein wenig gebraucht, um zu verstehen, dass nur er es sein kann, weil seine Künste früher noch nicht wirklich gereift waren. Ich vermute, es lag an seiner Schwester Truss, die zu dominant war und sich mit ihrem Verlangen zu töten gegen ihn durchgesetzt hat, so dass die Opferungen keinem Ritual, sondern einem Gemetzel gleichkamen. Das hat sich in dem Moment geändert, als er das erste Mal ganz auf sich allein gestellt war.«
»Und da täuschst du dich nicht?«
Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde Adam auf der Stelle kehrtmachen und gehen, weil er einfach nicht mehr die Kraft für Erklärungen aufbrachte. »Ich habe mir eins der Blutopfer angesehen: Es haftete kein Geruch an ihm, der auf den Mörder hinwies. Allerdings hinterlässt ein jeder von uns einen bestimmten Geruch … alle, bis auf einen. Lakas.«
Anders japste vor Verwunderung, doch Adam scherte sich nicht darum.
»Du brauchst Lakas also nur zu finden, dann kettest du ihn am besten an ein Gewicht und wirfst ihn irgendwo vor der Küste ins Wasser. Die unkomplizierteste Art, einen von uns loszuwerden - zumindest für eine Zeit lang. Normalerweise würde ich dir nur allzu gern anbieten, die Angelegenheit zu übernehmen, aber ich will noch den letzten Flug in Richtung Ostküste nehmen.«
»Lakas also, das wird Rischka sehr betrüben.« Anders’ Verstand arbeitete auf Hochtouren, während er aus dem eben Gehörten seine Schlüsse zu ziehen versuchte. Eine Sache erregte besonders sein Interesse. »Warum diese sofortige Abreise, obwohl du doch gerade erst einen Sieg errungen hast? Rischka hat zwar nichts gesagt, aber sie hofft gewiss, dass du noch eine Weile bleibst. Ich dachte, Los Angeles gefällt dir.«
»Das stimmt, aber deine Dienerin gefällt mir auch. Etwas zu gut, wenn du verstehst. Mein Dämon teilt nämlich nicht gern.«
»Aha, daher weht der Wind.« Anders stand vom Sofa auf und stellte sich mit einem breiten Grinsen direkt vor Adam. »Das erklärt einiges, besonders den Wunsch nach Unterstützung durch Esther, obwohl du doch dafür bekannt bist, höchstens den Tod persönlich an deiner Seite zu akzeptieren.Verrätst du mir, was dich mehr an Esther angezogen hat: ihre kühle Fassade, hinter der ein Feuer lodert, oder ihre Zerbrechlichkeit? Manche Männer mögen ja Frauen, die voller unsichtbarer Narben sind. Entweder um ihnen weitere zuzufügen oder um sie zu beschützen. Ich könnte nicht sagen, zu welcher Sorte Mann du gehörst.« Zu seiner Enttäuschung schwieg Adam, das Gesicht eine einzige ausdruckslose Maske. Anders beschloss, ihn noch ein bisschen mehr zu reizen. »Wenn du dir Sorgen darum machst, was du Esther antun könntest, kann ich dich beruhigen. Denn wenn der Dämon, dank meiner Gabe, erst einmal das Ruder bei dir übernommen hat, wirst du keinen Gedanken mehr an sie verschwenden. Esther interessiert ihn nicht im Geringsten, das weiß ich besser als jeder andere.«
Anders wollte dem erstarrt dastehenden Mann beruhigend auf die Schulter klopfen, doch der wich mit einer erstaunlichen Geschmeidigkeit aus. Plötzlich war Adams Blick, eben noch stumpf, angefüllt mit Argwohn und einer Spur Kampfeslust. Offensichtlich sagte ihm die Aussicht, bald vollkommen mit seinem Dämon vereint zu sein, nicht sonderlich zu.
Damit hatte Anders durchaus gerechnet, denn so weit konnte er sein Gegenüber bereits einschätzen: Selbst wenn man Adam etwas schenken wollte, stieß man auf Ablehnung. Allerdings handelte es sich einzig und allein um die Ablehnung des Menschen, der unverständlicherweise in diesem Tempel haften geblieben war und ihn mit seiner Anwesenheit entweihte. Der Herr des Hauses dagegen sehnte sich nach Anders’ Berührung, das konnte er mit jeder Faser spüren. Offensichtlich hatte er nicht nur Adams Intelligenz, sondern auch seinen Willen unterschätzt, denn jeder andere von ihrer Art hätte schon um seine Berührung bittend auf den Knien gelegen. Niemand konnte sich der Macht seiner Gabe entziehen. Niemand durfte sich entziehen.
Nachdenklich begann Anders, die Zigarettenschachtel in seiner Hand zu drehen. »Lass mich dir eine Frage stellen: Als ich den Dämon in dir gestärkt habe, ist das für dich nicht wie eine Befeiung gewesen?«
»Eher eine Art Tod.«
»Wenn ich Rischka richtig verstanden habe, ist es doch genau das, was du dir am sehnlichsten wünschst, seit der Herrscher in dich eingedrungen ist: Erlösung. Das ist meine Angebot an dich, nach wie vor.«
Adams Kiefer zuckte, als ginge ihm etwas durch den Kopf, das ihm Schmerzen bereitete.Vermutlich tat es das auch, schließlich würde sich der Dämon nicht freiwillig unterdrücken lassen.
»Bis vor zwei Tagen hätte ich es auch tatsächlich angenommen, selbst wenn es mir gegen den Strich gegangen wäre, den Dämon zu guter Letzt siegen zu lassen.«
»Ich kann dir nicht ganz folgen.« Anders versuchte sich an einem kameradschaftlichen Lächeln, das jedoch gründlich misslang. Also steckte er sich rasch eine Zigarette zwischen die Lippen. »Du hängst plötzlich an dem Überbleibsel deiner Menschlichkeit, weil du dich in Esther verguckt hast. Aber anstatt sie dir zu nehmen, bis dieser Anflug von Schwachsinnigkeit verflogen ist, willst du dich wie ein geprügelter Hund aus dem Staub machen.«
Adam verengte seine Augen zu Schlitzen. An seiner Schläfe pochte eine Vene im verräterischen Rhythmus, der besagte, dass die Ruhe dieses Mannes lediglich vorgetäuscht war. Es war vielmehr eine Frage von Sekunden, bis er dem Verlangen, Anders auf seinen Platz zu verweisen, nachgeben würde.
»Es ist mir ziemlich gleichgültig, ob du das lächerlich findest.«
»Ich finde es nicht lächerlich, sondern halte es für einen großen Irrtum, den ich zu korrigieren gedenke.«
Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
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