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Schwierige Verhandlungen
Anders schlug seine Beine übereinander, was auf
dem niedrigen Sofa gar nicht so einfach war. Er hatte Adam
aufgefordert, sich zu setzen. Doch genau wie Rischka hatte er es
bevorzugt, stehen zu bleiben. Bei einem anderen Gast hätte Anders
diese Unhöflichkeit vermutlich gestört, aber zum einen war Adam
jemand, der sich sichtlich wohler fühlte, wenn er Abstand halten
konnte, und zum anderen wollte Anders sich auf keinen Fall das
Vergnügen dieser Unterhaltung mit solchen Nebensächlichkeiten
verderben lassen.
Dazu gehörte auch, dass er Rischkas leidlich
überspielte Ungeduld nach Kräften ignorierte. Es machte ganz den
Anschein, als könne sie es kaum erwarten, dass der von ihr
herbeigerufene Jäger endlich seine Beute präsentierte.Wie sonst
ließe sich ihre zunehmende Unruhe erklären? Gerade drückte sie
einen ihrer halb aufgerauchten Zigarillos mit solchem Druck im
Kristallaschenbecher aus, dass er auseinanderbrach und sie
überrascht aufschrie, als sie sich an der Glut verbrannte. Oder
vielleicht sehnte sie sich danach, dass Adam seinen Bericht
möglichst rasch vortrug, damit Anders erneut dessen Dämon stärken
konnte. Die eine gemeinsame, mehr oder weniger geraubte Nacht mit
dem hochgewachsenen, verwirrend schönen Mann hatte eindeutig Spuren
auf Rischkas stolzem Ego hinterlassen. Fast beneidete Anders sie um
diese Erfahrung - unerwidertes Begehren war eine Erfahrung, die ihm
fremd war.
»Nun?«, fragte er in den Raum hinein. »Esther rief
bereits vor einiger Zeit bei mir an und kündigte frohe Neuigkeiten
an, ehe sie mir weniger Erbauliches mitteilte. Kann man dich auch
mit der Suche nach einer neuen geeigneten Dienerin beauftragen,
Adam?«
Rischka stieß ein scharfes Schnaufen aus. »Warum?
Hat er deine alte Dienerin kaputtgemacht? Nicht, dass es mich
überraschen würde.«
Einen Moment lang war Anders irritiert, dann
begriff er den Seitenhieb. Rischka war eifersüchtig - auf eine
Dienerin! Mit Not gelang es ihm, ein Grinsen zu unterdrücken.
Diesem Rätsel würde er bei Gelegenheit nachgehen, jetzt stand
Wichtigeres an.
»Ich befürchte, dich enttäuschen zu müssen, mein
Schatz. Esther klang vielmehr überdreht. Die
Hochzeitsvorbereitungen mit Hayden scheinen gerade in den Endspurt
überzugehen. Eigentlich hatte ich gehofft, Esther würde sich - ganz
das brave Mädchen, das sie gibt - noch eine Weile zieren, so dass
mir genug Zeit mit der Suche nach einem Ersatz bleibt. Aber so, wie
sie vorhin geklungen hat, wird nun wohl doch alles sehr schnell
gehen.Wirklich schade.«
Eigentlich rechnete Anders damit, dass Rischka
seine Worte als Vorlage dafür benutzen würde, Esther mit einer
Gemeinheit zu verunglimpfen. Stattdessen brachte ihn ein leidlich
unterdrücktes Aufstöhnen von Adam aus dem Konzept. Neugierig sah er
zu dem Mann, aber der hatte sich bereits abgewandt. Adam hatte
beide Armen gegen den Flügel gestemmt und verharrte dort mit
hängendem Kopf. Anders spielte kurz mit dem Gedanken, der Sache auf
den Grund zu gehen, verwarf ihn dann jedoch gleich wieder. Das
alles war wirklich ausgesprochen interessant, aber später würde
noch ausreichend Gelegenheit für Fragen bestehen.
»Also gut«, setzte er stattdessen an. »Es wäre
schön, wenn wir diese unerfreuliche Angelegenheit, wegen der wir
dich hierhergebeten
haben, nun möglichst rasch beheben könnten. Wie sieht es aus,
Adam?«
»Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen,
dass er diese Aufgabe wirklich in so kurzer Zeit zu unserer
Zufriedenheit gelöst haben soll!«
Rischka trat mit ein paar schnellen Schritten auf
Adam zu, die Hände angriffslustig in die Hüften gestemmt. Langsam
richtete Adam sich auf, und in diesem Moment hätte Anders viel
dafür gegeben, seinen Gesichtsausdruck sehen zu können. Rischka
wich nämlich zurück, wobei sie eine Hand um ihre Kehle legte. Dann
hielt sie abrupt inne, und der Stolz kehrte auf ihre Züge
zurück.
»Du solltest dir wirklich gut überlegen, was du uns
hier so ruckzuck als Ergebnis präsentieren möchtest«, fuhr sie mit
zittriger Stimme fort. »Zumindest wäre es eine große Überraschung,
denn die Lösung, die ich von dir erwarte, liegt keineswegs offen
auf der Hand. Pfuscharbeit werde ich dir nicht durchgehen lassen,
sondern …«
Endlich drehte Adam sich um. Die graue Farbe seines
Gesichtes verriet, dass er unter einer enormen Anspannung stand.
Ein leichter Schauer breitete sich über Anders’ Nacken aus. Auch
wenn er Adam keineswegs zu fürchten brauchte, unterschätzte er
nicht die Gefahr, die von diesem Mann ausging.
»Du solltest besser aufpassen, was du sagst«,
forderte Adam Rischka auf. »Du bist weder meine Herrin noch meine
Auftraggeberin - und du willst ganz bestimmt auch nicht meine
Feindin sein. Wenn ich jetzt hierhergekommen bin, um Anders zu
sagen, wer hinter den Morden auf dieser Liste steckt, dann weiß ich
es auch ganz genau. Oder hegst du daran etwa Zweifel?«
»Nein«, erwiderte Rischka kaum hörbar. »Es geht
hierbei aber nicht nur um diese läppische Liste.«
Einen Augenblick lang glaubte Anders, dass sie
weitersprechen würde, und es hätte ihn durchaus interessiert, worum
es
dabei wohl gegangen wäre. Doch sie verstummte und verließ den
Raum. Adam scherte sich nicht darum, sondern kam zu ihm hinüber.
Die ganze Angriffslust, die eben noch in ihm gelodert hatte, war
verflogen. Zurückgeblieben war ein erschöpfter Mann, der sich
ungeniert die Augen rieb.
»Eigentlich ist Rischkas Reaktion ja auch kein
Wunder, da ich doch vor gerade mal zwölf Stunden behauptet habe,
das Ganze gestalte sich schwieriger als erwartet. Wenn ich den
Spuren nachgegangen wäre, hätte es sicherlich auch noch einige Zeit
in Anspruch genommen, aber es hat sich ein viel direkterer Weg
aufgetan. Zuerst habe ich das Muster nicht erkannt, das hinter den
Opfern stand, weil sie alle so unterschiedlich waren. Alter,
Geschlecht, Rasse - das ging genauso kreuz und quer durcheinander
wie die Tötungsweisen. Der einzige gemeinsame Nenner bestand in dem
Fakt, dass die Leichen alle blutleer waren. Aber dann ist mir ein
zweiter gemeinsamer Nenner aufgefallen.«
»Sieh an, dann hast du das Ganze also durch reine
Kopfarbeit gelöst. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.«
Einen Moment zu spät registrierte Anders, dass
seine Äußerung nicht nur beleidigend war, sondern auch viel darüber
verriet, wie er Adam eigentlich einschätzte: nämlich gering. Eine
instinktgeleitete Kreatur, die nicht in der Lage war, die
gefundenen Spuren einem Puzzle gleich zusammenzusetzen. Nun, jetzt
ließ es sich nicht mehr zurücknehmen, also begnügte er sich mit
einem entschuldigenden Lächeln, das Adam jedoch genauso wenig zu
kümmern schien wie alles andere auch.
»Der zweite Nenner war die Kunstfertigkeit, mit der
die Opfer ausgeblutet wurden. Jemand hat dem Dämon nicht einfach
Blut dargebracht, sondern den Opfern mit jedem vergossenen Tropfen
auch das Leben geraubt. Der Dämon will nicht einfach Blut, er will
Leben und alles, was damit zusammenhängt: Angst, Wut, Verlangen …
Ich kenne nur einen von unserer Art, dessen Gabe genau auf diese
Art der Opferung zielt.«
Anders zog fragend die Brauen hoch. »Erwartest du
etwa, dass ich zu guter Letzt auch noch von selbst
draufkomme?«
»Obwohl du den Wald vor lauter Bäumen nicht siehst?
Nein, das erwarte ich nicht von dir.« Die Retourkutsche kam
schnell, aber Adam schien keine rechte Freude daran zu haben. Mit
einer fahrigen Geste wischte er sich das Haar aus der Stirn, das
eindeutig zu lang war für den gegenwärtigen Geschmack. Jemand
sollte ihn wirklich einmal darauf hinweisen, dachte Anders, ehe
Adam den Faden wieder aufnahm.
»Machen wir es kurz:Wenn du willst, dass diese
Opferungen ein Ende haben, solltest du nach Lakas suchen. Der mag
zwar vorgegeben haben, die Stadt verlassen zu haben, aber in
Wirklichkeit ist er geblieben, um sich an dir dafür zu rächen, dass
du ihm Rischka genommen hast. Ich habe ein wenig gebraucht, um zu
verstehen, dass nur er es sein kann, weil seine Künste früher noch
nicht wirklich gereift waren. Ich vermute, es lag an seiner
Schwester Truss, die zu dominant war und sich mit ihrem Verlangen
zu töten gegen ihn durchgesetzt hat, so dass die Opferungen keinem
Ritual, sondern einem Gemetzel gleichkamen. Das hat sich in dem
Moment geändert, als er das erste Mal ganz auf sich allein gestellt
war.«
»Und da täuschst du dich nicht?«
Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde Adam
auf der Stelle kehrtmachen und gehen, weil er einfach nicht mehr
die Kraft für Erklärungen aufbrachte. »Ich habe mir eins der
Blutopfer angesehen: Es haftete kein Geruch an ihm, der auf den
Mörder hinwies. Allerdings hinterlässt ein jeder von uns einen
bestimmten Geruch … alle, bis auf einen. Lakas.«
Anders japste vor Verwunderung, doch Adam scherte
sich nicht darum.
»Du brauchst Lakas also nur zu finden, dann kettest
du ihn am besten an ein Gewicht und wirfst ihn irgendwo vor der
Küste ins Wasser. Die unkomplizierteste Art, einen von uns
loszuwerden
- zumindest für eine Zeit lang. Normalerweise würde ich dir nur
allzu gern anbieten, die Angelegenheit zu übernehmen, aber ich will
noch den letzten Flug in Richtung Ostküste nehmen.«
»Lakas also, das wird Rischka sehr betrüben.«
Anders’ Verstand arbeitete auf Hochtouren, während er aus dem eben
Gehörten seine Schlüsse zu ziehen versuchte. Eine Sache erregte
besonders sein Interesse. »Warum diese sofortige Abreise, obwohl du
doch gerade erst einen Sieg errungen hast? Rischka hat zwar nichts
gesagt, aber sie hofft gewiss, dass du noch eine Weile bleibst. Ich
dachte, Los Angeles gefällt dir.«
»Das stimmt, aber deine Dienerin gefällt mir auch.
Etwas zu gut, wenn du verstehst. Mein Dämon teilt nämlich nicht
gern.«
»Aha, daher weht der Wind.« Anders stand vom Sofa
auf und stellte sich mit einem breiten Grinsen direkt vor Adam.
»Das erklärt einiges, besonders den Wunsch nach Unterstützung durch
Esther, obwohl du doch dafür bekannt bist, höchstens den Tod
persönlich an deiner Seite zu akzeptieren.Verrätst du mir, was dich
mehr an Esther angezogen hat: ihre kühle Fassade, hinter der ein
Feuer lodert, oder ihre Zerbrechlichkeit? Manche Männer mögen ja
Frauen, die voller unsichtbarer Narben sind. Entweder um ihnen
weitere zuzufügen oder um sie zu beschützen. Ich könnte nicht
sagen, zu welcher Sorte Mann du gehörst.« Zu seiner Enttäuschung
schwieg Adam, das Gesicht eine einzige ausdruckslose Maske. Anders
beschloss, ihn noch ein bisschen mehr zu reizen. »Wenn du dir
Sorgen darum machst, was du Esther antun könntest, kann ich dich
beruhigen. Denn wenn der Dämon, dank meiner Gabe, erst einmal das
Ruder bei dir übernommen hat, wirst du keinen Gedanken mehr an sie
verschwenden. Esther interessiert ihn nicht im Geringsten, das weiß
ich besser als jeder andere.«
Anders wollte dem erstarrt dastehenden Mann
beruhigend auf die Schulter klopfen, doch der wich mit einer
erstaunlichen
Geschmeidigkeit aus. Plötzlich war Adams Blick, eben noch stumpf,
angefüllt mit Argwohn und einer Spur Kampfeslust. Offensichtlich
sagte ihm die Aussicht, bald vollkommen mit seinem Dämon vereint zu
sein, nicht sonderlich zu.
Damit hatte Anders durchaus gerechnet, denn so weit
konnte er sein Gegenüber bereits einschätzen: Selbst wenn man Adam
etwas schenken wollte, stieß man auf Ablehnung. Allerdings handelte
es sich einzig und allein um die Ablehnung des Menschen, der
unverständlicherweise in diesem Tempel haften geblieben war und ihn
mit seiner Anwesenheit entweihte. Der Herr des Hauses dagegen
sehnte sich nach Anders’ Berührung, das konnte er mit jeder Faser
spüren. Offensichtlich hatte er nicht nur Adams Intelligenz,
sondern auch seinen Willen unterschätzt, denn jeder andere von
ihrer Art hätte schon um seine Berührung bittend auf den Knien
gelegen. Niemand konnte sich der Macht seiner Gabe entziehen.
Niemand durfte sich entziehen.
Nachdenklich begann Anders, die Zigarettenschachtel
in seiner Hand zu drehen. »Lass mich dir eine Frage stellen: Als
ich den Dämon in dir gestärkt habe, ist das für dich nicht wie eine
Befeiung gewesen?«
»Eher eine Art Tod.«
»Wenn ich Rischka richtig verstanden habe, ist es
doch genau das, was du dir am sehnlichsten wünschst, seit der
Herrscher in dich eingedrungen ist: Erlösung. Das ist meine Angebot
an dich, nach wie vor.«
Adams Kiefer zuckte, als ginge ihm etwas durch den
Kopf, das ihm Schmerzen bereitete.Vermutlich tat es das auch,
schließlich würde sich der Dämon nicht freiwillig unterdrücken
lassen.
»Bis vor zwei Tagen hätte ich es auch tatsächlich
angenommen, selbst wenn es mir gegen den Strich gegangen wäre, den
Dämon zu guter Letzt siegen zu lassen.«
»Ich kann dir nicht ganz folgen.« Anders versuchte
sich an einem kameradschaftlichen Lächeln, das jedoch gründlich
misslang.
Also steckte er sich rasch eine Zigarette zwischen die Lippen. »Du
hängst plötzlich an dem Überbleibsel deiner Menschlichkeit, weil du
dich in Esther verguckt hast. Aber anstatt sie dir zu nehmen, bis
dieser Anflug von Schwachsinnigkeit verflogen ist, willst du dich
wie ein geprügelter Hund aus dem Staub machen.«
Adam verengte seine Augen zu Schlitzen. An seiner
Schläfe pochte eine Vene im verräterischen Rhythmus, der besagte,
dass die Ruhe dieses Mannes lediglich vorgetäuscht war. Es war
vielmehr eine Frage von Sekunden, bis er dem Verlangen, Anders auf
seinen Platz zu verweisen, nachgeben würde.
»Es ist mir ziemlich gleichgültig, ob du das
lächerlich findest.«
»Ich finde es nicht lächerlich, sondern halte es
für einen großen Irrtum, den ich zu korrigieren gedenke.«