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Hohe Erwartungen
Nachdem Rischka fluchtartig das Hotel verlassen
hatte, ging Adam auf sein Zimmer, um seinen Trenchcoat für einen
Spaziergang zu holen. Er pfiff leise vor sich hin und dachte
darüber nach, ob er Rischka gegenüber nicht ein wenig zu weit
gegangen war. Eigentlich fühlte er sich ihr verbunden - zumindest
wenn sie sich nicht gerade in seiner Nähe aufhielt. Trotzdem musste
er ihr stets aufs Neue beweisen, dass sie ihm im Zweifelsfall nicht
überlegen war. Doch wenn er sich mit ihr auf Augenhöhe glaubte,
warum verspürte er dann das Bedürfnis, ihr Grenzen
aufzuweisen?
Versunken in diesen unauflösbaren Widerspruch, wäre
ihm fast der dunkle Haufen auf seinem Balkon entgangen. Auf den
ersten Blick hätte man es für ein liegengelassenes Kleidungsstück
halten können, doch da hatten Adams Sinne ihm schon zugeflüstert,
dass es sich um einen Katzenkadaver handelte. Allerdings war es
kein schlicht verendetes Tier, nein, die Katze war ausgeblutet
worden. Nur ein winziger Schnitt hatte gereicht, um auch an den
letzten Tropfen zu gelangen, wie sich herausstellte. Wer auch immer
Adam diesen makaberen Willkommensgruß hinterlassen hatte, hatte
genau gewusst, was er tat. Dabei tröstete es Adam wenig, dass die
Katze dank der perfekten Schächttechnik vermutlich kaum Schmerzen
verspürt hatte.
»Katzen abschlachten … Wenn ich dich in die Finger
bekomme, du mieser Dreckskerl«, fluchte er leise, während er das
tote Tier in dem hoteleigenen Garten verscharrte, auf den sein
Balkon hinausging.
Wer immer es darauf angelegt hatte, ihn mit dieser
Geste zu treffen, hatte eine größere Reaktion hervorgerufen, als er
vermutlich zu hoffen gewagt hatte. Adam mochte Katzen nämlich
ausgesprochen gern und genoss es, sie um sich zu haben - was er
allerdings sorgfältig verbarg. Nicht, dass jemand sich daraus hätte
einen Vorteil verschaffen können. Niemand interessierte sich
ernsthaft für vierbeinige Fellknäule, aber es zeigte eine Seite von
ihm, die er lieber für sich behielt.
Als er später zu einem Streifzug durch die
Nachbarschaft aufbrach, brauchte er eine Zeit lang, um den Gedanken
an den Kadaver zu verdrängen, genau wie seine Enttäuschung darüber,
keine brauchbare Spur an ihm wahrgenommen zu haben. Sein
unbekannter Freund hatte allem Anschein nach nicht nur gewusst, wie
empfindsam Adams Sinne waren, sondern auch wie man sie
austrickste.
Gereizt blieb Adam stehen und atmete tief ein. Auch
für dieses Rätsel würde sich eine Lösung finden,jetzt wollte er
sich allerdings einfach nur treiben lassen. Sein verdammter
Jagdinstinkt mochte geweckt sein, aber er allein bestimmte, ob er
ihm nachgehen wollte, und damit Schluss.
Keine Lust auf eine kleine
Jagdsession?
Der Dämon lachte hämisch. Er war gesättigt und
zufrieden, so dass er sich damit begnügte, Adams Wege wie ein
Unterhaltungsprogramm zu betrachten, das er gelegentlich
kommentierte. Adam vermutete, dass der Dämon gezielt stichelte,
damit er nicht vergaß, mit wem er sich einen Körper teilte.
Als ob er jemals vergessen könnte, wer sein Herr
war.
Zu guter Letzt gelang es den Straßen von West
Hollywood, Adam in ihren Bann zu reißen. Für eine mondäne
Erscheinung wie Rischka mochte das Viertel tot sein, weil sich
niemand mehr von Bedeutung auf den Straßen tummelte. Dennoch waren
sie voller Leben.Während Rischka sich nach herausragenden
Persönlichkeiten sehnte, die ihr die Langeweile vom Leib hielten
und ihr das Gefühl geben sollten, ganz und gar in der Gegenwart zu
leben, mochte Adam das alltägliche Treiben. Wenn er ohne ein Ziel
vor Augen umherstreifte und nichts anderes tat, als Menschen
flüchtig zu beobachten, breitete sich nach einiger Zeit eine innere
Ruhe aus, als würden seine Jagdinstinkte durch die Vielzahl der
Fährten betäubt werden und ihm eine Auszeit gönnen. Bis der Dämon
sich mit einer Forderung meldete.
Für einen Januartag war es erstaunlich warm, auch
wenn ein kräftiger Wind wehte, der den Geruch von Muscheln und Salz
mit sich führte. Das Licht war selbst jetzt am späten Nachmittag
noch derartig klar, dass Adam immer wieder die Augen
zusammenkneifen musste, um nicht geblendet zu werden. Er wäre gern
zur Küste gelaufen, die allerdings deutlich weiter entfernt lag,
als seine Nase ihm vorgaukelte. Doch dann fiel ihm Rischkas
Aufforderung, sich am Abend bei einer Adresse in den Hills
einzufinden, wieder ein. Das lag genau in der entgegengesetzten
Richtung. Aus dem Spaziergang am Meer würde heute nichts mehr
werden, stellte er enttäuscht fest. Er war ohnehin spät dran.
Missmutig winkte er ein Taxi heran, denn zu Fuß war die Strecke zu
weit.
Die Entfernungen in dieser Stadt waren groß, kein
Wunder, dass alle Welt mit dem Auto unterwegs war. Zum ersten Mal
wurde Adam bewusst, welche Vorteile die hoch aufragenden Bauten von
Manhattan hatten: Der verdichtete Raum machte es einem leichter,
von A nach B zu kommen.Von alten Städten wie Paris, wo alles
lediglich einen Katzensprung auseinanderlag, ganz zu schweigen.
Nun, dann würde er sich eben in ein Taxi zwingen müssen, das nach
allen möglichen Fährten stank, bis er sich ein eigenes Auto
angeschafft hatte.Was er umgehend tun würde, wie er beschloss,
während das Taxi für seinen Geschmack
viel zu langsam die Hügel hinaufkroch und dabei nach Alkohol und
Erbrochenem der letzten Nacht stank.
»Sind Sie sicher, dass wir hier richtig sind?«,
fragte der Fahrer, als er vor einer mit Efeu überwucherten Mauer
anhielt, in der lediglich zwei mächtige Garagentore eingelassen
waren. Auf der anderen Seite der Straße stieg der Hügel steil an
und zeigte nur wucherndes Grün. Die Dämmerung brach an, und die
Außenbeleuchtung über den Toren war bereits eingeschaltet. »Es ist
keine Hausnummer und kein Klingelschild zu sehen. Vielleicht ist
das hier nur die Garage, und die Einfahrt liegt ein Stück weiter
oben, obwohl ich kein Haus sehen kann.«
Adam war unterdessen bereits ausgestiegen. »Machen
Sie sich keine Sorgen, das ist schon alles richtig so.«
Das verräterische Muskataroma war so ausgeprägt,
dass man schon fast davon sprechen konnte, die Abendluft wäre von
ihm geschwängert. Während er den Fahrer bezahlte, dachte er darüber
nach, ob er je zuvor mit solch einem intensiven Geruch des Dämons
konfrontiert worden war. Doch ihm fiel kein Vergleich ein. Keiner
von seinesgleichen, dem er begegnet war, hatte solch einen
hochgradigen Muskatduft verströmt, der zugleich so wenig unangenehm
roch.
Neugierig starrte Adam auf die Tore, die sich
plötzlich wie von Geisterhand öffneten. Leise surrend rollten sie
nach oben und gaben den Blick auf einen beachtlich großen Fuhrpark
frei, durch den ein muskulöser Mann in Chinos und einem Polohemd
auf ihn zukam. »Ja bitte?«, fragte er.
Während Adam mit großem Interesse die verschiedenen
Wagen betrachtete, reichte er dem Mann - der eindeutig nur ein Mann
war - die elfenbeinfarbene Visitenkarte.
»Ah, ich sehe.« Ohne nach seinem Namen zu fragen,
bedeutete er ihm einzutreten. »Sie werden bereits erwartet.«
Sein »Danke« nuschelte Adam lediglich und nutzte
die erstbeste Gelegenheit, seine Finger über den leuchtend roten
Lack
eines Porsche Spyder 550 tanzen zu lassen. Es reihte sich ein
spektakulärer Wagen an den anderen, doch sein Blick wurde ganz
unvermittelt von einer Karosserie angezogen, deren graue Farbe an
einen Sandstrand nach dem Regen erinnerte. Die Silhouette war
schlicht und geradlinig, voller Eleganz. Er war sich sicher, dass
der Wagen mehr über die Straßen gleiten als fahren würde. Sein
Interesse, dem Geheimnis des Muskatdufts auf den Grund zu gehen,
war angesichts dieser geballten Stärke und Schnelligkeit, die so
wunderbar verpackt waren, vorübergehend erloschen.
Der Mann im Polohemd hatte für dieses Maß an
Begeisterung allerdings wenig Verständnis und unterbrach die
Andacht mit einem lautstarken Räuspern. »Hier entlang, bitte«,
sagte er, wobei das »Bitte« nicht sonderlich höflich, sondern eher
wie eine letzte Aufforderung klang.
Adam spielte mit dem Gedanken, es auf ein
Kräftemessen ankommen zu lassen, besann sich jedoch eines Besseren.
Sich mit einem Torwächter anzulegen, um noch einen Moment länger
einen Wagen zu begutachten, war sicherlich nicht die geschickteste
Art, sich bei dem Autonarr einzuführen.
Notgedrungen riss Adam sich los und ging durch das
Tor, hinter dem sich ein weitläufiger Garten den Hügel hinab
erstreckte, dessen Zentrum ein kreisrunder Swimmingpool war.
Seitlich davon, und von der Straße aus wegen der wild wuchernden
Kalifornischen Heckenkirsche nicht einsehbar, lag eine moderne
Villa mit einer beeindruckenden Glasfront.
Während Adam dem geschwungenen Pflasterweg folgte,
verstärkte sich der Muskatduft mit jedem Schritt und erreichte
seinen Höhepunkt in dem Wohnzimmer, das er bereits vom Garten her
einsehen konnte.
Rischka saß mit angezogenen Beinen auf einem Sofa,
einen Zigarillo in der locker über der Lehne hängenden Hand. Ihr
schulterfreies Kleid in kräftigem Apricot war der einzige
Farbtupfer in dem zurückhaltend eingerichteten Raum. Neben ihr
saß ein Mann mit sandfarbenem Haar, das im Nacken sehr kurz
geschnitten war. Sie waren beide in eine Unterhaltung vertieft, bis
Rischka plötzlich den Kopf hob und Adam ein Lächeln zuwarf.
»Hallo, mein Liebling. Da bist du ja endlich«,
sagte sie mit ihrer sinnlichen Stimme.
Adam rang sich ein höfliches Lächeln ab, als er dem
Torwächter seinen Trenchcoat in den Arm drückte, ehe er auf die
Sitzgruppe zuging. »Der Taxifahrer wäre fast wieder umgekehrt, weil
er sich nicht vorstellen konnte, dass sich hinter den Wänden aus
Efeu und anderem Grünzeug irgendwo ein Haus befinden sollte.«
Der blonde Mann drehte sich um und musterte Adam
ohne eine Spur von Zurückhaltung, obgleich er dabei keineswegs
unfreundlich wirkte. »Nach allem, was ich von Rischka über Sie
gehört habe, hätte es mich überrascht, wenn Sie sich so leicht
hätten ins Bockshorn jagen lassen.« Seine Augenlider waren schwer,
und sein breiter Mund glich dem einer Frau. Trotzdem strahlte er
etwas durch und durch Männliches aus. Ganz eindeutig Rischkas
Geschmack, wie Adam belustigt feststellte. Außerdem jagte der Dämon
über sein Antlitz, als brauchte es nicht viel, um ihn hervorbrechen
zu lassen.
Zu Hause, endlich zu Hause, flüsterte der
Dämon in Adam, dann folgte nur noch unverständliches
Gemurmel.
Verwirrt stellte Adam fest, wie sehnsüchtig und
verängstigt zugleich der Dämon klang. Beinahe fühlte er sich
versucht nachzufragen. Nur vermied er es in der Regel tunlichst,
auf die Stimme einzugehen. Auch jetzt verspürte er kein Verlangen,
hier sogleich als Exot dazustehen, denn trotz seiner vielen Reisen
hatte er nie einen von seiner Art getroffen, dessen Dämon mit einer
eigenen Stimme sprach. Die anderen hörten nur ein Wispern oder ein
Rauschen, ähnlich dem eigenen Herzschlag, den man vernimmt, wenn
man sich die Ohren zuhält.
»Vielen Dank für die Einladung, Mister …«, setzte
Adam stattdessen an.
Der Mann kam leichtfüßig auf die Beine und hielt
ihm mit weit ausgestrecktem Arm die Hand entgegen. »Entschuldigen
Sie, wie gedankenlos von mir, mich nicht vorzustellen. Anders - nur
Anders, ganz der Tradition unserer Art entsprechend, die ja nicht
viel von Familiennamen hält. Eigentlich schade.«
Zögernd nahm Adam die Hand, und kaum berührte er
sie, hatte er das Gefühl, als überwältige ihn eine fremde Macht.
Vollkommen unvermittelt verspürte er das Bedürfnis, Anders nicht
wieder loszulassen. Er war vielmehr kurz davor, ihn an sich zu
ziehen, als würde der starke Muskatduft, dem er ansonsten mit
Widerwillen begegnete, seine Sinne verführen. Alles an diesem
breitschultrigen Mann war mit einem Mal eine Einladung - und das
Verlangen, sie anzunehmen, war so verlockend, dass es fast
schmerzte. Mit einem Schlag war er nicht mehr als ein Komet, der
von einer übermächtigen Sonne angezogen wurde. Und die Ahnung, dass
er in ihrer Nähe verglühen würde, schreckte ihn kaum.
Mehr, mehr davon, winselte der Dämon.
Adam brach der Schweiß aus. Das war weder Mensch
noch Dämon, in dessen Bann er geraten war. Es konnte nur eine Gabe
sein, ähnlich der von Rischka. Diese Erkenntnis ernüchterte ihn so
weit, dass er der heftigen Sehnsucht, die Anders’ Berührung
auslöste, widerstehen konnte. Betont langsam zog er seine Hand
zurück. Das Funkeln in Anders’ braunen Augen verriet, dass er sehr
wohl wusste, was in seinem Gegenüber vorging. Doch Adam zog es vor,
darüber hinwegzugehen. Zu verwirrend war die eben gemachte
Erfahrung. Gern wollte er so tun, als sei soeben nichts
Außergewöhnliches passiert.
»Was sind schon Namen?«, fragte Adam, dem der Klang
seiner Stimme tönern in den Ohren dröhnte. »Sie verraten ja doch
nichts über die Person, die sie trägt.«
»Meinen Sie?«
Anders trat zur Seite, als Adam sich zu Rischka
hinunterbeugte und die Luft einen Hauch von ihrer Wange entfernt
küsste. Bevor er sich wieder aufrichten konnte, umfing sie seinen
Nacken mit einem festen Griff und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich würde
viel dafür geben, jetzt das Feuerwerk deiner Instinkte miterleben
zu dürfen. Erahnst du bereits Anders’ Gabe?«
Obwohl Adam das Atmen unterließ, solange er so
dicht bei Rischka war, legte sich ihr Muskatduft dennoch auf seine
Zunge und hinterließ einen schalen Geschmack wie erkaltetes Blut.
Er war nur ganz fein, trotzdem regte sich automatisch Übelkeit. Wie
konnte es nur sein, dass Anders’ Geruch genau die gegenteilige
Wirkung bei ihm erzielte? Oder hatte er etwas anderes an sich, das
seine Sinne bannte?
»Ich weiß nicht, wie, aber bei der Berührung übte
Anders einen Einfluss auf mich aus. Scheint so, als sei seine Gabe
deiner nicht unähnlich: Ihr seid beide Meister im Verführen.«
Rischka lächelte geheimnisvoll, ließ Adams Nacken
los und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Anders. »Du bist viel zu
nachsichtig mit Adam umgegangen. Ansonsten schreckst du doch nicht
davor zurück, dich deinesgleichen bei der ersten Gelegenheit zu
offenbaren.«
Die Achseln zuckend, nahm Anders eine silberne
Zigarettenbox vom Beistelltisch und reichte sie Adam. Als der
ablehnte, nahm er sich selbst eine Zigarette und blinzelte Rischka
durch den aufsteigenden Rauch zu. »Warum unnötig Adams
Empfindsamkeit herausfordern? Ich möchte schließlich, dass er etwas
für mich erledigt, und nicht, dass er sich dazu berufen fühlt,
kurzen Prozess mit mir zu machen. Eilt ihm doch ein Ruf als
gnadenloser Jäger voraus.«
»Wenn Sie über meine Empfindsamkeit«, Adam
sprach das Wort wie einen schlechten Scherz aus, »im Bilde sind,
dann
sollten Sie in meiner Gegenwart besser nicht über mich reden. Ich
könnte sonst vielleicht einen falschen Eindruck gewinnen.«
»Nicht doch.« Anders machte eine wegwerfende
Handbewegung und setzte sich auf den niedrigen Tisch vor dem Sofa.
Sogleich legte Rischka ihre nackten Füße auf seinen Schoß. »Wenn
ich Sie hätte verärgern wollen, hätte ich die Chance dafür bei
unserer Begrüßung genutzt. Sie machen nämlich nicht den Eindruck,
als wüssten Sie eine Verführung zu schätzen.«
»Das stimmt.« Obgleich Adam sich bemühte, ernst,
wenn nicht sogar bedrohlich zu wirken, konnte er nur mühsam ein
Lächeln zurückhalten. Warum auch immer, er mochte Anders - trotz
seiner verwirrenden Gabe.
Im Laufe der Zeit hatte Adam gelernt,
seinesgleichen in zwei Lager aufzuteilen: Solche, in denen der
Dämon so wild wütete, dass sie oftmals jede Ähnlichkeit mit einem
Menschen verloren. Truss gehörte zu ihnen, denn außer dem Willen zu
töten, war ihr nichts geblieben. Wenn sie nicht ihrer Bestimmung
nachging, mied sie die Menschen, denn sie war nicht in der Lage,
ihr Geheimnis zu verbergen. Vermutlich wollte sie das nicht einmal,
sie liebte den Dämon mit einer fiebrigen Hingabe, die Adam fremd
war. Sowohl Anders als auch Rischka gehörten der anderen Sorte an,
der es spielend gelang, unerkannt unter den Menschen zu wandeln.
Seiner Erfahrung nach war bei dieser Sorte die Verschmelzung von
Mensch und Dämon am vollkommensten gelungen. Denn selbst wenn
Anders in seiner modernen Villa saß, rauchte und die Füße einer
schönen Frau streichelte, war sein Handeln rein auf den Willen des
Dämons ausgerichtet. Dabei teilten sie diesen Körper nicht etwa,
sondern der Mensch, der Anders früher gewesen war, war gewichen.
Dieses Geschöpf hatte nichts mehr mit den Regeln gemeinsam, die für
die Sterblichen galten: Die Zeit berührte ihn genauso wenig wie die
Naturgesetze, Moral und Gefühl
quälten ihn nicht, er folgte blind dem Willen des Dämons, indem er
ihm opferte und seine Gabe aufblühen ließ. Allerdings konnte Adam
nach siebzig Jahren immer noch nicht sagen, welcher Sorte er
eigentlich zuzurechnen war. Obwohl er auf den ersten Blick genau
dasselbe tat wie Rischka und Anders, unterschied er sich dennoch
von ihnen. Dem Dämon zu dienen, hieß für ihn nämlich nicht, ihn zu
lieben. Wie sollte man auch Liebe oder gar Respekt für jemanden
empfinden, der einem die eigene Würde geraubt hatte?
»Adam! Hörst du mich denn nicht?«
Unwillkürlich zuckte er zusammen, als Rischkas
belustigter Ton ihn erreichte.
»Hat Anders dich etwa doch mehr aus der Fassung
gebracht, als es zunächst den Anschein hatte? Diese
Selbstversunkenheit kenne ich ansonsten nur von Etienne, wenn er
angestrengt nach den kümmerlichen Resten seiner Seele
forscht.«
»Da gibt es bei mir nichts zu erforschen.« Er
ignorierte Rischkas Aufforderung, sich neben sie zu setzen.
Stattdessen machte er zwei Schritte auf den Kamin zu, zu dem das
Sofa im rechten Winkel stand, und lehnte sich gegen die Wand. »Auch
wenn ich unseren Gastgeber und sein Anwesen - vor allem seinen
Fuhrpark - hochinteressant finde, würde ich gern langsam zum Kern
unseres Zusammentreffens kommen. Warum bin ich hier?«
Anders’ Lachen war ein volltönendes Geräusch, das
bei Adam die Impression eines gut gelaunten Mannes, der mit seinen
Freunden zusammen Bier trank, weckte. Doch Anders würde weder Bier
trinken, noch kannte er Freundschaft, sondern nur Handel und
Zweckbündnisse. Der Dämon war ein eifersüchtiger Tyrann. »Rischka
erwähnte zwar, dass Sie sehr - nun ja - direkt und kurz angebunden
wären, aber dass Sie ein Autonarr sind, hat sie nicht
erwähnt.«
»Wen kümmern schon Automobile?«, fragte Rischka
gelangweilt
und verzog im nächsten Moment den Mund zu einem »O«, als ihr
bewusst wurde, was für einen altmodischen Begriff sie gewählt
hatte. »Autos«, korrigierte sie sich hastig.
Anders betrachtete sie mit einem nicht zu deutenden
Interesse, dann wandte er sich wieder Adam zu. »Nun, welches Modell
hat es Ihnen denn angetan?«
»Das kann ich leider nicht sagen. Ihr Türsteher
hatte es nämlich sehr eilig, so dass ich nur einen Teil der
silbergrauen Seitenfront zu sehen bekommen habe.«
»Ach, der gute Benson stand also zwischen Ihnen und
dem Objekt Ihres Interesses. Da kann er wohl von Glück reden, dass
Sie ihn nicht kurzerhand beiseitegefegt haben. Oder vielmehr ich,
denn er mag zwar ein Klotz von einem Kerl sein, aber ansonsten ist
er durchaus brauchbar.« Anders schnippte seine aufgerauchte
Zigarette ins Kaminfeuer. Ein listiges Lächeln stahl sich auf sein
Gesicht und betonte seine ausgeprägten Wangenknochen. »Kein Wunder,
dass Sie das Modell nicht gleich zuordnen konnten. Der Mk10 ist
eigentlich noch gar nicht käuflich erwerbbar, aber aufgrund einiger
Patente habe ich einen guten Draht zum Hersteller. Warum wundert es
mich nicht, dass ausgerechnet ein Jaguar Ihr Interesse geweckt hat?
Ihre Ähnlichkeit mit einer Raubkatze hat Rischka nämlich nicht
unerwähnt gelassen.«
Adam ging auf die letzte Bemerkung gar nicht erst
ein. »Der ganze Wohlstand hier wird also mit Patenten
bezahlt?«
Anders’ Grinsen wurde breiter, und einen Moment
lang sah es ganz danach aus, als sei er noch nicht bereit, das
Raubkatzenthema aufzugeben. Doch dann legte er Rischkas Füße sanft
auf das Sofa zurück und gesellte sich zu Adam. »Ingenieurshandwerk,
ja. Keine sonderlich schillernde Geldquelle hier in Los Angeles,
aber auch keine ungewöhnliche. Obwohl ich mir wohl bald Sorgen
darum machen muss, wem ich meine gewinnbringenden Patente vererben
kann.«
»Bin ich deshalb hier, weil Ihnen jemand
Schwierigkeiten macht?«
Auch wenn Adam bereits etwas in dieser Richtung
erwartet hatte, war er nun enttäuscht. Zwar kam es ihm unmaßgeblich
vor, aber er hatte mehr erwartet, seit er Anders gegenübergetreten
war. Dem Auftrag, jemanden zu jagen und zu stellen, wohnte mit
einem Mal ein schaler Beigeschmack inne.
»Ja und nein. Meine Patente spielen hierbei
allerdings keine Rolle, ich werde nur langsam zu alt, um ihre
Gewinne abzuschöpfen, ohne Verdacht zu erregen. Solche Probleme
kennen Sie wohl nicht?«
»Nein«, sagte Adam, der es allmählich leid war,
sich in Geduld üben zu müssen. Plaudereien waren einfach nicht nach
seinem Geschmack. »Ich bin nie lange genug an einem Ort, um darüber
nachdenken zu müssen.Außerdem mag ich Bargeld als Bezahlung … oder
graue Wagen.«
Anders wollte ihm amüsiert auf die Schulter
klopfen, doch Adam wich ihm geschickt aus. Nur ungern wollte er ein
weiteres Mal in den Bannkreis von Anders’ Gabe geraten. Anders
reagierte keineswegs beleidigt - was für ihn sprach -, sondern
steckte seine Hände in die Hosentaschen und begann, auf den
Absätzen zu kippeln.
»Ja, man sollte sich nie unter Wert verkaufen,
obwohl der Jaguar natürlich eine unverschämte Forderung ist.Vor
allem, weil Sie noch nicht einmal wissen, worum ich Sie bitten
möchte.«
»Mit dem Vorwurf, unverschämt zu sein, kann ich
leben, solange wir uns ansonsten über die Entlohnung einig
sind.«
»Wollen Sie denn nicht zuerst wissen, was ich von
Ihnen will?«
Adam lag auf der Zunge zu sagen »Sie wollen
natürlich das, was alle von mir wollen: dass ich die Jagd auf
jemanden eröffne«, aber stattdessen sah er zu Rischka hinüber. »Sie
hätte mich nicht aufgefordert, zu kommen, wenn es sich lediglich um
eine
Bagatelle handelte. Niemand kennt sich so gut mit Geschäften aus
wie Rischka.«
Obwohl es ein Kompliment war, hatten seine Worte
etwas Beleidigendes an sich, das keinem der Anwesenden entging.
Ohne einen Ton zu verlieren, stand Rischka auf und verließ das
Zimmer.
»Wie auch immer.« Anders räusperte sich
umständlich. »Bevor ich Ihnen genau erzähle, was Sie für mich
erledigen sollen, möchte ich gern, dass Sie mehr über das Leben in
Los Angeles erfahren.« Als Adam ein ungeduldiges Knurren ausstieß,
hob Anders abwehrend die Hände. »Ich meine natürlich, welche Art
Leben unsereins führt. Im Gegensatz zu allen anderen Orten, die ich
bislang kennengelernt habe, meiden wir einander in dieser Stadt
nicht, sondern versuchen uns an etwas wie einer Gemeinschaft. Etwas
Bindendes, damit wir im Strudel der Zeit nicht
verlorengehen.«
»Ist dieser Umweg wirklich nötig? Erzählen Sie doch
einfach Ihr Anliegen, dann erledige ich das und fahre mit meinem
neuen Wagen davon. Ich bin, ehrlich gesagt, nicht sonderlich
erpicht auf dämonische Gemeinschaft.«
»Weil Sie sie noch nie erlebt haben.« Erneut
streckte Anders die Hand nach ihm aus, ließ sie jedoch wieder
sinken, da sich zwischen Adams Brauen eine bedrohliche Furche
bildete. »In gut einer Stunde werden meine Besucher eintreffen. Ich
möchte gern, dass Sie dabei sind. Ansonsten kommen wir nicht ins
Geschäft.«
Diese Vorgehensweise gefiel Adam keineswegs, denn
es wirkte nicht wie ein Auftrag, sondern wie ein Versuch, ihm
Ketten anzulegen. Im nächsten Moment wurde ihm bewusst, dass dieser
Gedanke durchaus paranoid war. Wenn Anders’ Gabe dazu gemacht wäre,
ihm seinen Willen vollständig aufzuzwingen, dann hätte er es
einfach getan. Und wenn er seinen Willen nur kurzfristig brechen
konnte, so wie Rischka, wäre er bei dem
Versuch nicht mehr als ein Selbstmörder gewesen. Auch diese
Erkenntnis würde Rischka Anders nicht vorenthalten haben.
Schließlich nickte Adam zustimmend, zum Teil aus Neugierde, zum
Teil, weil er Anders mochte.
Der Mann atmete hörbar erleichtert aus. »Sehr gut!
Wenn Sie möchten, können Sie die Zeit am Pool verbringen, oder Sie
holen sich die Schlüssel für den Mk10 bei Benson ab. Mit etwas
Glück bekommen Sie noch einen von Los Angeles’ berühmten
Sonnenuntergängen zu sehen. Fahren Sie einfach zügig den Hügel
hinauf.«
»Eine Leihgabe für den heutigen Abend?«, fragte
Adam, dem seine hörbare Begeisterung unangenehm war.
»Eigentlich gehört er ja schon Ihnen, denn ich kann
mir nicht vorstellen, dass Sie einen Auftrag, den Sie einmal
angenommen haben, nicht zu Ende führen.Außerdem kommt man ohne
Wagen nicht weit in dieser Stadt.«
Adam ließ sich zu einem echten Lächeln hinreißen,
was er nur äußerst selten tat, während er sich von der Wand
abstieß.
»Na, dann werde ich wohl mal rasch Benson
aufsuchen, ehe die Dämmerung anbricht.«