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Asche zu Asche
Das nasse Kleid klebte wie eine zweite Haut an
Rischka, als sie aus dem Fluss stieg, der friedlich unter dem
nächtlichen Himmel dahinplätscherte.Wie schon einmal zuvor hatte
sie sich von der Strömung treiben lassen - eine gute Art zu reisen,
wenn man Spuren vermeiden wollte. Doch jetzt musste sie das
schützende Wasser verlassen, um Gewissheit zu erlangen.
Unbekümmert schritt sie mit nackten Füßen über das
Kiesbett, denn jeder Schnitt und jeder Kratzer wurden sogleich vom
Beherrscher geheilt, so dass sie keinen Gedanken darauf
verschwendete. Der Rauch, der von den noch schwelenden Resten
ausging, kam ihr wie eine Bedrohung und gleichzeitig wie eine
Erlösung vor. Das schreckliche Geheimnis war zu Asche zerfallen.
Nun würde sie nicht länger von dem Gedanken heimgesucht werden,
dass sich ein Tempel in einen verwesenden Leichnam verwandelt
hatte.
Der Verschlag war bis auf den Grund niedergebrannt,
lediglich ein Ballen Stacheldraht hatte den Flammen getrotzt.
Darunter glaubte sie Knochen aufblitzen zu sehen, aber das war
bestimmt ihrer aufgebrachten Fantasie geschuldet. Nias Leichnam
gehörte der Vergangenheit an, so musste es einfach sein. Etwas
anderes konnte sie nicht ertragen.
»Warum überrascht es mich nicht, dich hier
anzutreffen?«
Beim Klang der tiefen Männerstimme fuhr Rischka
zusammen. Einen Augenblick lang wünschte sie sich inniglich, die
Phiole mit dem Gift nicht im Sekretär zurückgelassen zu haben.
Dann hätte sie jetzt wenigstens eine Waffe … die einzige Waffe, die
etwas gegen den Mann auszurichten vermochte, der langsam aus der
Dunkelheit hervortrat.
»Sieht ganz danach aus, als wäre Adam hier
gewesen«, brachte sie atemlos hervor.
Anders trat so dicht vor sie, dass sie eine feine
Rußspur auf seinen Wangen ausmachen konnte. Er war also bereits vor
ihr hier gewesen.
»Verbrannte Erde zu hinterlassen, scheint sein
Markenzeichen zu werden.«
Sanft umfasste Anders ihr Kinn. Allein diese kleine
Berührung ließ sie wie eine Verdurstende aufstöhnen. Mit einem
Schlag waren die rauchenden Brandreste genauso vergessen wie die
Sorge, was wohl passieren mochte, wenn Anders ihr auf die Schliche
kam. Es gab nur noch den unwiderstehlichen Sog, den seine Gabe
auslöste.
»Es wundert mich, dass Adam diesen Fund nicht
erwähnt hat. Er kann ihn doch unmöglich für Lakas’Werk gehalten
haben«, dachte Anders laut nach, während er langsam wieder seine
Finger zurückzog, unbeeindruckt von Rischkas bittendem Wimmern.
»Vielleicht hätte er das auch, wenn du unsere Vereinigung nicht auf
diese unnachahmliche Weise unterbrochen hättest.«
»Vergiss Adam.« Obwohl sie kaum einen klaren
Gedanken fassen konnte, gelang Rischka jener laszive Ton, der ihr
die Jahrhunderte mit männlicher Gesellschaft versüßt hatte. Auch
Anders würde ihr wieder zu Füßen liegen, wenn sie es bloß richtig
anpackte. »Er hat Nia gefunden - na und? Dass er ihre Reste
verbrannt hat und verschwunden ist, beweist doch nur, dass er
nichts begriffen hat. Seit er Esther begegnet ist, ist er nichts
weiter als ein kopfloser Narr. Glaub mir, er wird sich irgendwo ein
Loch suchen, in dem er sich verbergen und seine Wunden lecken
kann.«
»Und was ist, wenn ich gar nicht will, dass Adam
sich vor mir verbirgt?«
Obwohl die Magie von Anders’ Berührung immer noch
in ihr nachhallte, stieg Angst in Rischkas Brust auf. »Adam hat die
Aufgabe, deretwegen ich ihn gerufen habe, erledigt. Seine Suche ist
abgeschlossen.«
»Die Suche fängt gerade erst an«, erwiderte Anders.
Dann riss er die schreckensstarre Rischka an sich.