20
Asche zu Asche
Das nasse Kleid klebte wie eine zweite Haut an Rischka, als sie aus dem Fluss stieg, der friedlich unter dem nächtlichen Himmel dahinplätscherte.Wie schon einmal zuvor hatte sie sich von der Strömung treiben lassen - eine gute Art zu reisen, wenn man Spuren vermeiden wollte. Doch jetzt musste sie das schützende Wasser verlassen, um Gewissheit zu erlangen.
Unbekümmert schritt sie mit nackten Füßen über das Kiesbett, denn jeder Schnitt und jeder Kratzer wurden sogleich vom Beherrscher geheilt, so dass sie keinen Gedanken darauf verschwendete. Der Rauch, der von den noch schwelenden Resten ausging, kam ihr wie eine Bedrohung und gleichzeitig wie eine Erlösung vor. Das schreckliche Geheimnis war zu Asche zerfallen. Nun würde sie nicht länger von dem Gedanken heimgesucht werden, dass sich ein Tempel in einen verwesenden Leichnam verwandelt hatte.
Der Verschlag war bis auf den Grund niedergebrannt, lediglich ein Ballen Stacheldraht hatte den Flammen getrotzt. Darunter glaubte sie Knochen aufblitzen zu sehen, aber das war bestimmt ihrer aufgebrachten Fantasie geschuldet. Nias Leichnam gehörte der Vergangenheit an, so musste es einfach sein. Etwas anderes konnte sie nicht ertragen.
»Warum überrascht es mich nicht, dich hier anzutreffen?«
Beim Klang der tiefen Männerstimme fuhr Rischka zusammen. Einen Augenblick lang wünschte sie sich inniglich, die Phiole mit dem Gift nicht im Sekretär zurückgelassen zu haben. Dann hätte sie jetzt wenigstens eine Waffe … die einzige Waffe, die etwas gegen den Mann auszurichten vermochte, der langsam aus der Dunkelheit hervortrat.
»Sieht ganz danach aus, als wäre Adam hier gewesen«, brachte sie atemlos hervor.
Anders trat so dicht vor sie, dass sie eine feine Rußspur auf seinen Wangen ausmachen konnte. Er war also bereits vor ihr hier gewesen.
»Verbrannte Erde zu hinterlassen, scheint sein Markenzeichen zu werden.«
Sanft umfasste Anders ihr Kinn. Allein diese kleine Berührung ließ sie wie eine Verdurstende aufstöhnen. Mit einem Schlag waren die rauchenden Brandreste genauso vergessen wie die Sorge, was wohl passieren mochte, wenn Anders ihr auf die Schliche kam. Es gab nur noch den unwiderstehlichen Sog, den seine Gabe auslöste.
»Es wundert mich, dass Adam diesen Fund nicht erwähnt hat. Er kann ihn doch unmöglich für Lakas’Werk gehalten haben«, dachte Anders laut nach, während er langsam wieder seine Finger zurückzog, unbeeindruckt von Rischkas bittendem Wimmern. »Vielleicht hätte er das auch, wenn du unsere Vereinigung nicht auf diese unnachahmliche Weise unterbrochen hättest.«
»Vergiss Adam.« Obwohl sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, gelang Rischka jener laszive Ton, der ihr die Jahrhunderte mit männlicher Gesellschaft versüßt hatte. Auch Anders würde ihr wieder zu Füßen liegen, wenn sie es bloß richtig anpackte. »Er hat Nia gefunden - na und? Dass er ihre Reste verbrannt hat und verschwunden ist, beweist doch nur, dass er nichts begriffen hat. Seit er Esther begegnet ist, ist er nichts weiter als ein kopfloser Narr. Glaub mir, er wird sich irgendwo ein Loch suchen, in dem er sich verbergen und seine Wunden lecken kann.«
»Und was ist, wenn ich gar nicht will, dass Adam sich vor mir verbirgt?«
Obwohl die Magie von Anders’ Berührung immer noch in ihr nachhallte, stieg Angst in Rischkas Brust auf. »Adam hat die Aufgabe, deretwegen ich ihn gerufen habe, erledigt. Seine Suche ist abgeschlossen.«
»Die Suche fängt gerade erst an«, erwiderte Anders. Dann riss er die schreckensstarre Rischka an sich.
Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
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