23
Kriegsfehde
Die Dämmerung wich nur widerwillig. Adam beobachtete vom Fenster aus jede einzelne Handbreit, die sie an den anbrechenden Morgen verlorengeben musste, bis das Sonnenlicht das Wasser des Swimmingpools zum Glitzern brachte.
Nachdem der Dämon mit brachialer Gewalt zurückgekehrt war, hatte er seinen Platz an Esthers Seite aufgeben müssen. Behutsam hatte er die Schlafende auf die Kissen gelegt und war dann aufgestanden, obwohl jede einzelne Bewegung ihn mehr Kraft kostete als das Ausheben von Lakas’ Grab.Aber es war ihm gelungen, und das allein verlieh ihm das Vertrauen, am Fenster auszuharren, anstatt das Apartment zu verlassen, wie der Dämon nicht müde wurde, ihn aufzufordern.
Geh und such ein Opfer! Ansonsten nehme ich sie. Ich will Blut, ich brauche Blut! Jetzt!
Lange Zeit brüllte der Dämon auf ihn ein, während er still dastand und zuließ, dass das Bild des Gartens sich auf seiner Netzhaut einbrannte. Feiner Nebel stieg vom Rasen auf, nahm dem Sonnenlicht seine Schärfe, ließ alles angenehm verschwommen wirken. Esther zu betrachten, wagte er in diesem Zustand nicht.
In seinem Inneren tobte der Krieg, äußerlich war er nicht mehr als eine Statue. Und er war fest entschlossen, erst wieder zum Leben zu erwachen, wenn der Dämon schwieg. Dabei glaubte er immer wieder aufs Neue zu versagen, dem Druck nicht länger standhalten zu können. Zu lange war er den Weg dieses Tyrannen gegangen, als dass er nun über eine Abwehr verfügt hätte. Jeden Moment konnte es dem Dämon gelingen, sich so sehr in seinem Inneren auszubreiten, bis für ihn kein Platz mehr vorhanden war. Der Dämon würde ihn verdrängen und die Macht an sich reißen.Aber der Gedanke daran, was der Dämon als Erstes tun würde - nämlich Esther töten -, verlieh Adam die notwendige Kraft.
Glaubst du wirklich, dass du mir die Stirn bieten kannst?, fragte der Dämon mit einschmeichelnder Stimme. Vielleicht hier und jetzt, aber du kannst nicht ewig auf der Hut sein. Und dann bin ich da und werde in ihrem nichtsnutzigen Blut baden. Sei vernünftig, lass uns zu Anders gehen und diesem Elend ein Ende bereiten.Wenn du mir meinen Tempel überlässt, verspreche ich dir, diese Frau zu verschonen.
Adam dachte ernsthaft über dieses Angebot nach, denn er war sich zunehmend bewusst, dass er Esther nur verlassen konnte, wenn sie ihn abwies. Allerdings würde sie ihn nicht abweisen, so wie auch er nicht imstande war, das Richtige zu tun. Jahrzehnte waren an ihm vorbeigerauscht, die sich für ihn nicht in der geringsten Weise voneinander unterschieden hatten. Seine Vergangenheit war eine einzige rote Spur, die nicht ihm, sondern dem Dämon gehörte. Und nun passierten innerhalb von einigen Stunden Dinge, deren einschneidende Wirkung er nicht ansatzweise überblicken konnte.
Seit seiner Ankunft in L.A. hatte das Leben, das er damals in Paris angenommen hatte, bereits zwei Mal eine Wendung erfahren: als Anders, wenn auch nur für kurze Zeit, den Dämon zum Alleinherrscher über den Tempel gekrönt und damit der inneren Zerrissenheit ein Ende aufgezeigt hatte. Und jetzt, da Esther ihn in ihr Leben eingeladen hatte. Ein Leben, das nur ohne den Dämon Bestand haben konnte.
Adam stand demnach vor der Wahl, ein zufriedener Dämon oder ein gequälter Mensch zu sein.
Mittlerweile stand die Sonne so hoch, dass ihre Strahlen Adams Gesicht erreichten. Seine Nase kitzelte, und er musste schmunzeln. Genervt knurrte der Dämon auf, dem so viel Leichtigkeit ein Dorn im Auge war.
In diesem Moment traf Adam eine Entscheidung.
Er wollte weder Esther noch die Gefühle aufgeben, die sie in ihm weckte. Er fühlte sich nicht nur lebendig, sondern verspürte mit einem Mal auch Lust daran, er selbst zu sein. Damals in Paris hatte er seinen Widerstand aufgegeben, weil da nichts gewesen war, für das es sich zu kämpfen gelohnt hätte. Toska war gestorben, weil er nur Verlangen verspürt hatte - die perfekte Vorlage für den Dämon, denn mit Verlangen kannte er sich aus. Jetzt war alles anders. Was er für Esther empfand, war ein Gefühl, das dem Dämon fremd war. Es bannte ihn vielmehr und zwang ihn zum Rückzug. Darauf musste er vertrauen.
Während sein Schmunzeln sich langsam in ein Lächeln verwandelte, hielt Adam sein Gesicht der Sonne hin, plötzlich gleichgültig gegenüber dem Drohen und Schmeicheln des Dämons.
Fehlentscheidung, zischte der Dämon.
Dabei spürte Adam einen Druck, als würde seine Brustplatte eingepresst werden. Gegen seinen Willen keuchte er auf und weckte Esther mit dem Geräusch. Er hörte ihren schneller gehenden Puls, spürte, wie ihre Haut sich erhitzte, glaubte gar, das Flackern ihrer Lider wahrzunehmen. Das Sofagestell quietschte leise, als sie sich streckte und dann abrupt aufrichtete, wohl weil ihr auffiel, dass der Platz neben ihr leer war. »Oh, da bist du ja«, hörte er sie mit schlaftrunkener Stimme sagen.
Ich sehe jetzt schon, wie das Blut aus der Wunde an ihrem Hals fließt, die ich ihr mit größtem Vergnügen bei der ersten Gelegenheit reißen werde.
Der Druck in seiner Brust wollte nicht nachlassen, aber es gelang Adam auf wundersame Weise, ihn zu ignorieren. Ihm bot sich eine einmalige Chance, und die würde er sich weder von Schmerzen noch von Drohungen nehmen lassen.
Als habe er den Dämon nicht vernommen, wandte er sich Esther zu. »Hast du etwa gedacht, ich würde einfach gehen?«
Während sie über seine Frage nachdachte, sog er ihren Anblick in sich auf: ihr vom Schlaf wirres Haar, das sie bereits mit den Händen zu bändigen versuchte, die geschwollenen Lippen und die Mascarareste unter den Augen. Er liebte alles an ihr, und in diesem Moment war es nicht der Dämon, den er fürchtete, sondern er spürte Angst, dass sie ihn fortschicken könnte, nachdem der Glanz der Nacht verflogen war.
Dann zog Esther die Nase kraus, ehe sie lächelnd sagte: »Einfach gehen? Eigentlich nicht, denn so zerzaust, wie du aussiehst, hättest du dich bestimmt nicht vor die Tür gewagt. Du magst zwar riechen wie frisch gefallener Schnee, aber du könntest eine Rasur vertragen.Von deinem Haar ganz zu schweigen. Hat dir schon mal jemand verraten, dass die Herren das Haar in diesem Jahrzehnt ausgesprochen kurz und mit Pomade gebändigt tragen?«
»Tatsächlich?«, erwiderte Adam, während ihm trotz des Drohungen zischenden Dämons ein Lächeln gelang. »Dabei dauert es nicht mehr lange, und ich könnte sie im Nacken zusammenbinden. Das trug man doch gerade erst noch so.«
Esther lachte, während sie vom Sofa aufstand, und ihr mitreißendes Lachen brachte selbst den Dämon zum Verstummen. Am liebsten hätte Adam sie sogleich an sich gezogen, doch sie entwischte ihm im letzten Augenblick. Blindlings holte sie etwas aus dem Kleiderschrank und schob ihn beherzt aus dem Weg, um das Badezimmer zu erreichen.
»Gib mir eine Sekunde, damit ich mich von einem zerknautschten Kissen in eine Frau verwandeln kann. Dann sehen wir weiter.«
Adam verschränkte die Hände hinter seinem Nacken, weil er ihnen ansonsten nicht über den Weg traute. »Ich weiß, was wir tun werden.«
Esther zog eine Augenbraue hoch, sagte jedoch nichts.
»Wir werden packen«, sagte er nach einer Weile mit einem Lächeln, das sich seltsam ungewohnt anfühlte. »Wir machen einen Ausflug, raus aus dieser Stadt.Was meinst du?«
»Einen Ausflug also. Na, wenn ich mir dein frivoles Grinsen so anschaue, wird der Ausflug wohl im nächsten Hotelbett enden.« Sie seufzte. »Was soll ich sagen: Ich nehme, was ich von dir kriegen kann.« Mit diesen Worten verschwand sie im Badezimmer, während Adam dastand, grinste und sich wie ein Mann fühlte. Ein ganz normaler Mann, der bis über beide Ohrenspitzen verliebt war.
Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
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