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Kriegsfehde
Die Dämmerung wich nur widerwillig. Adam
beobachtete vom Fenster aus jede einzelne Handbreit, die sie an den
anbrechenden Morgen verlorengeben musste, bis das Sonnenlicht das
Wasser des Swimmingpools zum Glitzern brachte.
Nachdem der Dämon mit brachialer Gewalt
zurückgekehrt war, hatte er seinen Platz an Esthers Seite aufgeben
müssen. Behutsam hatte er die Schlafende auf die Kissen gelegt und
war dann aufgestanden, obwohl jede einzelne Bewegung ihn mehr Kraft
kostete als das Ausheben von Lakas’ Grab.Aber es war ihm gelungen,
und das allein verlieh ihm das Vertrauen, am Fenster auszuharren,
anstatt das Apartment zu verlassen, wie der Dämon nicht müde wurde,
ihn aufzufordern.
Geh und such ein Opfer! Ansonsten nehme ich sie.
Ich will Blut, ich brauche Blut! Jetzt!
Lange Zeit brüllte der Dämon auf ihn ein, während
er still dastand und zuließ, dass das Bild des Gartens sich auf
seiner Netzhaut einbrannte. Feiner Nebel stieg vom Rasen auf, nahm
dem Sonnenlicht seine Schärfe, ließ alles angenehm verschwommen
wirken. Esther zu betrachten, wagte er in diesem Zustand
nicht.
In seinem Inneren tobte der Krieg, äußerlich war er
nicht mehr als eine Statue. Und er war fest entschlossen, erst
wieder zum Leben zu erwachen, wenn der Dämon schwieg. Dabei glaubte
er immer wieder aufs Neue zu versagen, dem Druck
nicht länger standhalten zu können. Zu lange war er den Weg dieses
Tyrannen gegangen, als dass er nun über eine Abwehr verfügt hätte.
Jeden Moment konnte es dem Dämon gelingen, sich so sehr in seinem
Inneren auszubreiten, bis für ihn kein Platz mehr vorhanden war.
Der Dämon würde ihn verdrängen und die Macht an sich reißen.Aber
der Gedanke daran, was der Dämon als Erstes tun würde - nämlich
Esther töten -, verlieh Adam die notwendige Kraft.
Glaubst du wirklich, dass du mir die Stirn
bieten kannst?, fragte der Dämon mit einschmeichelnder Stimme.
Vielleicht hier und jetzt, aber du kannst nicht ewig auf der Hut
sein. Und dann bin ich da und werde in ihrem nichtsnutzigen Blut
baden. Sei vernünftig, lass uns zu Anders gehen und diesem Elend
ein Ende bereiten.Wenn du mir meinen Tempel überlässt, verspreche
ich dir, diese Frau zu verschonen.
Adam dachte ernsthaft über dieses Angebot nach,
denn er war sich zunehmend bewusst, dass er Esther nur verlassen
konnte, wenn sie ihn abwies. Allerdings würde sie ihn nicht
abweisen, so wie auch er nicht imstande war, das Richtige zu tun.
Jahrzehnte waren an ihm vorbeigerauscht, die sich für ihn nicht in
der geringsten Weise voneinander unterschieden hatten. Seine
Vergangenheit war eine einzige rote Spur, die nicht ihm, sondern
dem Dämon gehörte. Und nun passierten innerhalb von einigen Stunden
Dinge, deren einschneidende Wirkung er nicht ansatzweise
überblicken konnte.
Seit seiner Ankunft in L.A. hatte das Leben, das er
damals in Paris angenommen hatte, bereits zwei Mal eine Wendung
erfahren: als Anders, wenn auch nur für kurze Zeit, den Dämon zum
Alleinherrscher über den Tempel gekrönt und damit der inneren
Zerrissenheit ein Ende aufgezeigt hatte. Und jetzt, da Esther ihn
in ihr Leben eingeladen hatte. Ein Leben, das nur ohne den Dämon
Bestand haben konnte.
Adam stand demnach vor der Wahl, ein zufriedener
Dämon oder ein gequälter Mensch zu sein.
Mittlerweile stand die Sonne so hoch, dass ihre
Strahlen Adams Gesicht erreichten. Seine Nase kitzelte, und er
musste schmunzeln. Genervt knurrte der Dämon auf, dem so viel
Leichtigkeit ein Dorn im Auge war.
In diesem Moment traf Adam eine Entscheidung.
Er wollte weder Esther noch die Gefühle aufgeben,
die sie in ihm weckte. Er fühlte sich nicht nur lebendig, sondern
verspürte mit einem Mal auch Lust daran, er selbst zu sein. Damals
in Paris hatte er seinen Widerstand aufgegeben, weil da nichts
gewesen war, für das es sich zu kämpfen gelohnt hätte. Toska war
gestorben, weil er nur Verlangen verspürt hatte - die perfekte
Vorlage für den Dämon, denn mit Verlangen kannte er sich aus. Jetzt
war alles anders. Was er für Esther empfand, war ein Gefühl, das
dem Dämon fremd war. Es bannte ihn vielmehr und zwang ihn zum
Rückzug. Darauf musste er vertrauen.
Während sein Schmunzeln sich langsam in ein Lächeln
verwandelte, hielt Adam sein Gesicht der Sonne hin, plötzlich
gleichgültig gegenüber dem Drohen und Schmeicheln des Dämons.
Fehlentscheidung, zischte der Dämon.
Dabei spürte Adam einen Druck, als würde seine
Brustplatte eingepresst werden. Gegen seinen Willen keuchte er auf
und weckte Esther mit dem Geräusch. Er hörte ihren schneller
gehenden Puls, spürte, wie ihre Haut sich erhitzte, glaubte gar,
das Flackern ihrer Lider wahrzunehmen. Das Sofagestell quietschte
leise, als sie sich streckte und dann abrupt aufrichtete, wohl weil
ihr auffiel, dass der Platz neben ihr leer war. »Oh, da bist du
ja«, hörte er sie mit schlaftrunkener Stimme sagen.
Ich sehe jetzt schon, wie das Blut aus der Wunde
an ihrem Hals fließt, die ich ihr mit größtem Vergnügen bei der
ersten Gelegenheit reißen werde.
Der Druck in seiner Brust wollte nicht nachlassen,
aber es gelang Adam auf wundersame Weise, ihn zu ignorieren. Ihm
bot sich eine einmalige Chance, und die würde er sich weder von
Schmerzen noch von Drohungen nehmen lassen.
Als habe er den Dämon nicht vernommen, wandte er
sich Esther zu. »Hast du etwa gedacht, ich würde einfach
gehen?«
Während sie über seine Frage nachdachte, sog er
ihren Anblick in sich auf: ihr vom Schlaf wirres Haar, das sie
bereits mit den Händen zu bändigen versuchte, die geschwollenen
Lippen und die Mascarareste unter den Augen. Er liebte alles an
ihr, und in diesem Moment war es nicht der Dämon, den er fürchtete,
sondern er spürte Angst, dass sie ihn fortschicken könnte, nachdem
der Glanz der Nacht verflogen war.
Dann zog Esther die Nase kraus, ehe sie lächelnd
sagte: »Einfach gehen? Eigentlich nicht, denn so zerzaust, wie du
aussiehst, hättest du dich bestimmt nicht vor die Tür gewagt. Du
magst zwar riechen wie frisch gefallener Schnee, aber du könntest
eine Rasur vertragen.Von deinem Haar ganz zu schweigen. Hat dir
schon mal jemand verraten, dass die Herren das Haar in diesem
Jahrzehnt ausgesprochen kurz und mit Pomade gebändigt
tragen?«
»Tatsächlich?«, erwiderte Adam, während ihm trotz
des Drohungen zischenden Dämons ein Lächeln gelang. »Dabei dauert
es nicht mehr lange, und ich könnte sie im Nacken zusammenbinden.
Das trug man doch gerade erst noch so.«
Esther lachte, während sie vom Sofa aufstand, und
ihr mitreißendes Lachen brachte selbst den Dämon zum Verstummen. Am
liebsten hätte Adam sie sogleich an sich gezogen, doch sie
entwischte ihm im letzten Augenblick. Blindlings holte sie etwas
aus dem Kleiderschrank und schob ihn beherzt aus dem Weg, um das
Badezimmer zu erreichen.
»Gib mir eine Sekunde, damit ich mich von einem
zerknautschten Kissen in eine Frau verwandeln kann. Dann sehen wir
weiter.«
Adam verschränkte die Hände hinter seinem Nacken,
weil
er ihnen ansonsten nicht über den Weg traute. »Ich weiß, was wir
tun werden.«
Esther zog eine Augenbraue hoch, sagte jedoch
nichts.
»Wir werden packen«, sagte er nach einer Weile mit
einem Lächeln, das sich seltsam ungewohnt anfühlte. »Wir machen
einen Ausflug, raus aus dieser Stadt.Was meinst du?«
»Einen Ausflug also. Na, wenn ich mir dein frivoles
Grinsen so anschaue, wird der Ausflug wohl im nächsten Hotelbett
enden.« Sie seufzte. »Was soll ich sagen: Ich nehme, was ich von
dir kriegen kann.« Mit diesen Worten verschwand sie im Badezimmer,
während Adam dastand, grinste und sich wie ein Mann fühlte. Ein
ganz normaler Mann, der bis über beide Ohrenspitzen verliebt
war.