7
Rachlust
Als Adam wieder zu sich kam, konnte er nicht sagen, wie lange er in jener schwarzen Unendlichkeit eingesperrt gewesen war. Er ahnte aber, dass sie der eigentliche Hort des Dämons war. Nun kehrte er wie ein Gast in seinen Körper zurück, der nur noch für eine kurze Weile geduldet werden würde. Und zwar so lange, bis Anders wieder Hand an ihn legte.
Regungslos lag Adam da, spürte zerwühlte Laken unter sich und nahm den Geruch seines Hotelzimmers in West Hollywood wahr, in dem er vor einer gefühlten Ewigkeit eingecheckt hatte. Da war noch ein anderer, bekannter Geruch, den er jedoch tunlichst ignorierte. Ein Geruch nach zwei Körpern, die sich ausgiebig miteinander vereint hatten.
Das Sonnenlicht prickelte ihm auf den Lidern, doch er wagte es nicht, die Augen zu öffnen, zu fragil erschien ihm die Realität. Obwohl er eigentlich keine Hoffnung hegte, tastete er in seinem Inneren nach jener Stelle, die für einige wertvolle Momente durch Anders’ Gabe leer gewesen war. Sofort war ihm, als würde ihm eine Tür vor der Nase zugeschlagen werden. Der Tyrann war zurückgekehrt und nahm sein Reich erneut für sich in Anspruch.
Ein frustriertes Knurren unterdrückend, setzte Adam sich im Bett auf.
Wie war es für dich, Schatz?, fragte der Dämon hämisch.
»Sieht ganz so aus, als wären wir dank Anders beide auf unsere Kosten gekommen«, murmelte Adam. Er strich sich durchs zerzauste Haar, konnte sich jedoch nicht dazu aufraffen, die Beine über die Bettkante zu schwingen. Zum ersten Mal fühlte er sich verkatert.
Auf dem Nachttisch lag der venezianische Dolch, dessen Klinge mit getrocknetem Blut bedeckt war. Anders’ Blut.
Will mehr davon.
»Wie kann ein unsterblicher Dämon nur so kindisch klingen. Hat dir niemand die Wahrung von Würde beigebracht?«
Adam genoss die Verachtung, die in seiner Wortwahl mitschwang. Doch im nächsten Moment überkam ihn als Strafe eine Übelkeitswelle. Stöhnend ließ er sich wieder in die Kissen fallen. Allem Anschein nach war der Dämon zu gereizt, um auf kleinliche Racheakte zu verzichten.
Hat dir niemand die Wahrung deiner Würde beigebracht?, äffte er ihn nach. Hier so elend herumzustöhnen, also wirklich.
Nachdem Adam einigermaßen die Hoheit über seinen Magen zurückerobert hatte, wankte er ins Badezimmer, froh darüber, dass Rischka ihn beizeiten verlassen hatte. Ihr Duft erfüllte den ganzen Raum, aber zu seinem Unglück nahm Adam noch ganz andere Zeugnisse ihrer Anwesenheit wahr - die meisten davon auf seiner Haut.
Während das zuerst eiskalte und dann rasch heiß werdende Wasser auf ihn niederprasselte, stützte Adam sich mit Stirn und Unterarmen gegen die Fliesenwand, außerstande, sich Anders’ geronnenes Blut und die Spuren von Rischkas Lust vom Körper zu waschen. Er brauchte dem Dämon gar nicht erst die Frage zu stellen, wofür er seinen Tempel während der Phase absoluter Gewalthoheit genutzt hatte. Auch wenn er keinerlei Erinnerung an die letzten Stunden besaß, so raunten ihm seine Instinkte zu, was passiert war, nachdem Anders’ Geschenk Wirkung gezeigt hatte. Aber auch ohne seine Sinne, die ihm ein Bild von den nächtlichen Geschehnissen in seinem Bett zusammenfügten, hätte er mühelos erraten, was der Dämon getrieben hatte. Genau das, was Adam am meisten widerstrebte. Und Rischka hatte dem Angebot nicht widerstehen können.
Mit all seiner Kraft kämpfte er darum, den aufkommenden Ekel zu unterdrücken. Wenn dieses Gefühl sich breitmachte, könnte er Rischka niemals wieder gegenübertreten, ohne ihr vor die Füße zu spucken. Nein, wegen dieser einen Nacht wollte er sie nicht verlieren; er würde den Dämon nicht gewinnen lassen. Schließlich war sie nicht mit ihm, sondern mit dem verfluchten Dämon ins Bett gegangen.
Sofort entstanden Bilder vor seinem geistigen Auge, die Rischka dabei zeigten, wie sie endlich bekam, wonach sie sich in all den Jahren gesehnt hatte. Ein neuerlicher Gruß des Dämons.
Sosehr Adam auch dagegen ankämpfte, eine weitere Übelkeitswelle überfiel ihn, auch wenn sie dieses Mal nicht auf Kosten des Dämons ging.
Voller Erbitterung schlug Adam mit der Faust gegen die Wand und sah zu, wie die Fliese unter seinem Schlag mit Rissen überzogen wurde, bevor sie in einzelnen Stücken herunterfiel. Schmerz brannte in seiner Handkante auf, doch er vermochte weder das widerwärtige Gefühl des Ekels zu betäuben, noch bereitete er dem Dämon Schwierigkeiten, der ihn einfach fortwischte wie eine lästige Fliege.
Man könnte meinen, du nimmst mir meine Vergnügungen übel. Dabei war es doch dein Wunsch, endlich erlöst zu werden, damit ich frei sein kann.
Adam starrte die grünen Splitter auf dem Wannenboden an, die das Wasser auseinandertrieb. Er fühlte sich wund und verletzt, aber er würde einen Teufel tun, es dem Dämon einzugestehen. Eigentlich wollte er schweigen, wie er es immer tat, doch das war ihm unmöglich.
»Du wirst ja wohl auch gehört haben, was Anders gesagt hat: In meinem Fall wird es eine Zeit lang dauern.« Unwillkürlich schnaufte er durch die Nase. »Du wusstest, dass ich zurückkehren würde. Und da fiel dir nichts Besseres ein, als die kurze Spanne deiner Freiheit dafür zu nutzen, mich zu demütigen?«
Alles dreht sich immer nur um dich! Der Dämon überschlug sich fast vor Rage. Dieser Körper ist mein Tempel, es ist höchste Zeit, dass ich mit ihm verfahren kann, wie es mir beliebt.
»Ich habe dir gedient.« Adams Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
Gedient? Das nennst du dienen, du sturer Kerl? Ich bin doch nicht mehr als ein Bettler, der von deiner Gnade abhängig ist. Lass uns sofort zu Anders gehen, damit dieses lächerliche Schauspiel endlich ein Ende nimmt.
Adam wollte ihm in seiner Verzweiflung schon zustimmen, seiner selbst so müde wie nie zuvor, als plötzlich die Erinnerung daran zurückkehrte, wie es gewesen war, vom Dämon befreit zu sein. Gab es vielleicht doch etwas, für das es sich zu kämpfen lohnte? Die Reste seines Menschseins waren in diesem Moment freigelegt worden und hatten ein graues Augenpaar entdeckt, das ein Versprechen in sich getragen hatte. Zumindest wollte er versuchen, es einzulösen.
Augenblicklich stieg Adam der Duft von Apfelblüten entgegen, der am vorherigen Abend unablässig mit Anders’ lockendem Muskataroma gewetteifert hatte. Die Erinnerungen, welche Flut an Emotionen dieser Geruch in ihm ausgelöst hatte, nahm Adam so lange gefangen, bis ihm bewusst wurde, dass es sich keineswegs bloß um eine ausgesprochen lebendige Erinnerung handelte. Die Trägerin dieses Duftes hielt sich tatsächlich in der Nähe des Hotels auf.
Eine Spur zu heftig zerrte Adam den Duschvorhang zur Seite, so dass einige Schlaufen rissen. Und beinahe wäre er auch noch auf dem Marmorboden mit seinen nassen Füßen ausgerutscht. Er war noch lange nicht wieder richtig hergestellt, das stand schon einmal fest. Adam betrachtete die dunkle Wasserspur, die er hinter sich herzog. Dann nahm er sich zusammen.
Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
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