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Die Dienerschaft des Herrn
Es war nie verkehrt, wenn er auf seine Instinkte
vertraute.
Auch dieses Mal wurde Adam nicht enttäuscht, als er
sich dazu entschloss, nicht auf direktem Weg Anders’ Grundstück zu
betreten. Zuerst einmal wollte er seine Neugierde befriedigen, die
dieses hinter unauffälligem Grün verborgene Revier weckte. Dabei
ging es allerdings nicht bloß um Wissensdurst, sondern auch um eine
gewisse Eitelkeit, die er sich nur ungern eingestand.Ausgelöst
wurde sie von dem ausgeklügelten Alarmsystem, mit dem Anders
unwillkommene Gäste fernhalten wollte. Solche Grenzen erkannte
Adams Instinkt nicht an. So bereitete es ihm ein Heidenvergnügen,
als er in das wohlbehütete Revier eindrang und darin
herumstromerte, die Ohren gespitzt, in der Hoffung, auf etwas
Interessantes zu stoßen.
Was er schließlich auch tat:Anders’Torwächter
Benson kreuzte seinen Weg, ohne dass dieser ihn entdeckte. Wenn
Adam wollte, gelang es ihm, im Dickicht regelrecht unsichtbar zu
werden, was ihm vor allem während seiner Zeit in Kambodscha viele
Vorteile verschafft hatte. Es kostete ihn einiges an Überwindung,
den ahnungslosen Mann an sich vorbeiziehen zu lassen, ohne ihm
einen kräftigen Schrecken einzujagen. Denn wenn Adam ehrlich zu
sich war, musste er zugeben, dass er es vermutlich nicht bei einem
Schrecken belassen hätte. Mit seiner sturen Art war Benson ihm
gegen den Strich gegangen,
aber das war noch lange kein Grund, die grausame Seite seines
Jagdinstinkts zu wecken.
Also flanierte Adam weiter durch die Dunkelheit,
den vielfältigen Geräuschen des nächtlichen Gartens nachhängend,
während sich ein kühler Film auf sein Gesicht legte, hervorgerufen
vom Wind, der nach Harz, Frühjahrsblumen … und einer Mischung aus
lockendem, wie auch zugleich abstoßendem Muskat duftete. Natürlich
hatte Adam mit Fährten von Anders’ und Rischkas Dämonengeruch
gerechnet, allerdings kamen sie ihm aus einer Richtung entgegen,
aus der er sie nicht vermutet hatte:Anstelle in Richtung der Villa
deutete die Fährte auf den Garten hin.
Anders …, hauchte der Dämon. Ganz nah,
bald wieder meins. Geh zu ihm!
Dieser Befehl war überflüssig, da Adams Neugierde
ihn ohnehin antrieb. Er folgte der Spur, bis er erneut auf die
efeugrüne Mauer stieß. Geschickt kletterte er über das hohe
Mauerwerk hinweg, wobei weder Alarmdrähte noch Stacheldraht eine
Herausforderung darstellten. Nachdem er die Baumreihen hinter sich
gelassen hatte, gelangte er auf eine Baustelle. Hier wurde ein
neues, großflächig umrissenes Haus errichtet.Wenn er sich nicht
täuschte, würde das Ergebnis ganz dem modernen Geschmack
Kaliforniens entsprechen: ein futuristisch anmutender, streng
geometrischer Bau. Ein altes Gästehaus, auf das er ebenfalls einen
Blick erhaschen konnte, verriet, dass hier zuvor wohl ein
viktorianisches Holzhaus gestanden hatte.
Für einen Moment verharrte Adam, um in sich
hineinzuhorchen. Warum störte ihn die Tatsache, dass hier etwas
Altes einfach gegen etwas Neues eingetauscht wurde? Schließlich
entsprach es doch der Mentalität dieses Landstriches, deren Blick
fest auf die Gegenwart und höchstens ab und an auf die Zukunft
gerichtet war. Du solltest dich hier eigentlich wie zu Hause
fühlen, sinnierte er. Ein Ort, der nichts auf die Vergangenheit
gibt, der vielmehr ihre Spuren auslöscht, wo er nur kann. Ein
solcher Ort ist doch wie dein Spiegelbild.
Aber so wollte er nicht sein, verflucht! Selbst
nach all den Jahren konnte er den Widerstand gegen sein Schicksal
nicht abstreifen und akzeptieren, dass es keine Vergangenheit für
ihn gab, weil er kein Leben im eigentlichen Sinne führte. Da half
ihm auch seine Sturheit nicht weiter.
Die Gedanken wie lästige Fliegen abschüttelnd,
hielt Adam auf den halbfertigen Bau zu, wobei ihm Rischkas Lachen
aus der Ferne entgegenschallte. Sie und Anders mussten sich
irgendwo in einem anderen Bereich des Gartens aufhalten. Zunächst
wollte er dem Lachen nachgehen, dann entschied er sich jedoch dazu,
schnell noch einen Blick in das Gebäude mit seinen nackten
Fensterlöchern zu werfen. Es lockte ihn wie ein dunkles
Versprechen.
Die Arme vor der Brust verschränkt, stand Adam im
ersten Stockwerk, in das er über eine provisorische Treppe aus
Holzbrettern gelangt war. Da die Wände hier gerade erst hochgezogen
wurden, hatte er einen hervorragenden Blick auf das Schauspiel, das
ein Stück von der Baustelle entfernt geboten wurde.
Neben dem nächtlich beleuchteten Pool, der von den
Abrissarbeiten verschont geblieben war, stand eine Liege, auf der
sich eine verführerische Frau räkelte. Rischka bog mit gespielter
Verzückung den Rücken durch, während Anders sich ausgiebig ihren
nackten Füßen widmete. Ihre rot geschminkten Lippen waren zu einem
kunstvollen »Oh« geöffnet, die Lider flatterten leicht.
Ehe das Ganze noch intimer wurde, sprang Adam hinab
und schlenderte auf das Paar zu, das ihn jedoch erst bemerkte, als
er neben der Liege angekommen war und ein Schnalzen mit der Zunge
hören ließ.
»Vielen Dank für die nette Vorstellung, selbst wenn
sie nicht für meine Augen bestimmt war.«
Voller Genugtuung steckte Adam Rischkas wütendes
Funkeln weg. Eigentlich hatte er damit gerechnet, ihr nach der
letzten Nacht voller Zorn entgegenzutreten, da sie keine Hemmung
gezeigt hatte, seinem Dämon ins Bett zu folgen. Aber stattdessen
fühlte er sich geradezu gut gelaunt. »Es ist wirklich ein Segen,
dass du deine Vorführungen auf ein kleines Publikum beschränkst,
meine Liebe. Auf einer echten Bühne könnte so eine Darbietung wohl
kaum bestehen. Dieses hingebungsvolle Stöhnen war wirklich zu dick
aufgetragen.«
»Mag sein«, erwiderte Rischka hocherhobenen
Hauptes. »Aber nachdem ich diese Darbietung letzte Nacht doch
ausgiebig unter dir geübt habe, wollte ich nun einmal nicht darauf
verzichten. Ich kann mich jedenfalls an keine Beschwerde erinnern,
dass meine Hingabe zu überzogen war.«
Adam zuckte mit der Schulter. »Keine Ahnung, ich
war ja nicht dabei. Falls du letzte Nacht also nicht wirklich auf
deine Kosten gekommen sein solltest, musst du dich leider bei einem
anderen beschweren. Obwohl ich mir gut vorstellen kann, dass mir
dieser entrückte Schrei, mit dem du Anders für die Sache mit deinem
großen Zeh entlohnt hast, nicht einmal bewusstlos entgangen
wäre.«
Anders lachte, wobei er sich das Haar mit der Hand
zurückstrich, bis der Seitenscheitel wieder akkurat saß.An seinem
Hals leuchtete noch die frische Narbe auf, die Adam ihm beigebracht
hatte - eines von jenen Malen, die nicht so schnell wichen.
»Sie wissen wirklich, wie man sich anschleicht,
mein Guter. Mir ist eben vor Schreck fast das Herz in die Hose
gerutscht. Morgen früh werde ich Benson wohl mal ordentlich wegen
der Alarmanlage auf den Zahn fühlen müssen. Wenn Sie über mein
Grundstück bis hierher gekommen sind, hätte sie eigentlich
anschlagen müssen.«
»Welche Alarmanlage?«
Mit einer ahnungslosen Miene setzte sich Adam in
die Mitte der Liege, woraufhin Anders aufstand und Rischka ein
wütendes Zischen ausstieß. Einen Augenblick lang gab er sich noch
der Zufriedenheit hin, sie beide ordentlich durcheinandergebracht
zu haben, dann fixierte er Anders, der sich gerade eine Zigarette
zwischen die Lippen steckte.
»Ein interessanter Bau, den Sie da hochziehen
lassen. Reicht der Platz in der Villa für Ihre Familie nicht
länger aus?«
»Nein, an mangelndem Platz liegt es nicht, vielmehr
an dem Wunsch nach Veränderung. Als dieses Grundstück zum Verkauf
stand, kam es mir wie ein Zeichen vor. Wenn man sich den Luxus
leisten kann, ein Haus zu bauen, das zu den eigenen Bedürfnissen
passt, dann sollte man nicht lange zögern.«
»Neue Bedürfnisse, hm?«
Adam streckte die Beine aus, was ihm von Rischka
ein abfälliges Schnauben einbrachte. Offenbar war sie mit seinem
Verhalten nicht sonderlich einverstanden.Was hast du denn
erwartet?, hätte Adam sie fast gefragt. Dass ich um Nachschlag
bettele oder es nicht wage, dir unter die Augen zu treten, nachdem
du dich über meinen Willen hinweggesetzt hast? Du warst mit dem
Dämon zusammen, nicht mit mir. Und selbst der interessiert sich
gerade einen feuchten Kehricht für dich, weil er nur Anders und
seine Gabe im Kopf hat.
Lass Anders mir geben, wonach ich verlange.Tu
endlich, was ich dir befehle!
Unablässig schallten die Forderungen des Dämons
durch Adam. Er riss und zerrte an ihm, versuchte, seine
Gefolgschaft zu erzwingen. Da er jedoch noch von dem eben
erbrachten Blutopfer besänftigt war und die Gefühle, die Esther in
Adam wachgerufen hatte, ihn bannten, schaffte er es nicht, seine
sonstige Macht zu entwickeln. Es war fast so, als tobte der Dämon
hinter einer Wand aus Milchglas.
So gelang es Adam, sich ganz auf Anders zu
konzentrieren, den die Affäre von Rischka nicht weiter zu bekümmern
schien. Es gefiel ihm jedoch ganz eindeutig nicht, dass Adam sein
künftiges Haus inspiziert hatte. Zumindest hatte sich seine
Kieferpartie auffällig verspannt, nachdem dieses Thema aufgekommen
war. Genau aus diesem Grund nahm Adam sich vor, noch ein wenig
tiefer zu bohren, zusätzlich angestachelt von der Ungeduld, die er
bei Rischka wahrnehmen konnte. Etwas an diesem Gespräch
elektrisierte sie regelrecht.
»Diese Bedürfnisse, von denen Sie sprechen, haben
nicht zufällig etwas mit dem Keller des Gebäudes zu tun? Kam mir
irgendwie wie das Herzstück des Ganzen vor. Ein gut
weggeschlossenes Herz, wenn man die Türkonstruktion bedenkt. Eine
Tresortür ist es zwar nicht, aber dicht dran.«
»Freut mich, dass sie Ihre Bewunderung findet. Ich
habe die Tür nämlich selbst entworfen. Für irgendwas muss diese
Ingenieursausbildung schließlich gut sein. Zumindest funktioniert
sie besser als mein Alarmsystem, denn wenn es Ihnen gelungen wäre,
die Tür zu öffnen, müssten Sie jetzt nicht nachfragen,
richtig?«
»Richtig.« Adam erwiderte das Lächeln seines
Gegenübers, wobei es mindestens genauso kühl ausfiel. »Übrigens«,
beschloss er, das Thema zu wechseln, »die Liste, die Ihre Dienerin
aufgestellt hat, ist gut und schön.Aber ich kann ihr leider nicht
mehr entnehmen, als Sie es auch selbst können. Einer von uns opfert
ein bisschen zu oft und zu gern. Um mehr zu erfahren, brauche ich
eine echte Spur, etwas, mit dem meine Sinne arbeiten können.«
Unvermittelt lehnte Rischka sich zu ihm hinüber und
streckte die Hand aus.Adam zuckte zusammen, dann begriff er, dass
sie seinen hochgekrempelten Hemdärmel herunterrollen wollte. Er
verwehrte es ihr jedoch mit einem leichten Schlag auf die
Finger.
»In welchen fremden Häusern hast du dich heute
Abend denn noch so herumgetrieben?«, fragte Rischka, wobei die
plötzliche Erregung in ihrer Stimme nicht zu überhören war. »Dein
Hemd ist ganz feucht, und am Ärmel ist …«
»Blut«, beendete Adam den Satz, um dann an Anders
gewandt zu sagen: »Die Leiche, die ich bei dieser Opferung
zurückgelassen habe, wird allerdings für keinen großen Wirbel
sorgen. Es sei denn, das LAPD macht sich die Mühe herauszufinden,
ob alles Blut des Opfers aus der Kehle in den Abfluss gelaufen ist.
Selbst dann würden sie nicht viel vermissen, der Kerl war nämlich
alles andere als lecker.«
Rischka stieß ein raues Kichern aus. »Deshalb bist
du so entspannt, selbst in Anders’ Nähe: Der Beherrscher ist
befriedigt. Heute also kein Verlangen nach stürmischen Küssen?«,
flüsterte sie ihm hinter vorgehaltener Hand zu.
Auch Anders sah durchaus amüsiert aus, während ihm
der Zigarettenrauch zugleich aus Nase und Mund quoll. »Es ist nicht
so, dass ich etwas gegen das Opfern habe, bestimmt nicht. Es ist
aber eine Frage des Wie. Wir sind hier eine stetig wachsende
Gemeinde, da können wir uns diese Art von Aufmerksamkeit nicht
erlauben. Unser unbekannter Freund hat von der Gerichtsmedizin
bereits einen verräterischen Spitznamen bekommen, der an einen
billigen Horrorstreifen erinnert. Es ist also nur noch eine Frage
der Zeit, bis die Medien ihn aufgreifen werden.«
»Lassen Sie mich raten: Werwolf ist es
vermutlich nicht?«
Anstelle einer Antwort grinste Anders lediglich.
»Nun, auf der Liste, die Esther Ihnen gegeben hat, stand alles, was
wir aus eigener Kraft in Erfahrung bringen konnten. Nach einer
Spur, die Ihren Jagdinstinkten auf die Sprünge hilft, müssen Sie
schon selbst suchen.«
»Das habe ich vor, aber dabei könnte ich ein wenig
Hilfe gebrauchen. Los Angeles ist eine verflucht große Stadt, und
es kostet selbst mich eine gewisse Zeit, sie zu erkunden.«
Anders hob ratlos die Hände. »Was erwarten Sie von
mir?«
»Eine Fremdenführerin. Überlassen Sie mir Esther
für die Zeit der Suche. Schließlich kennt sie den Fall genauso gut
wie ich.« Als die Worte heraus waren, hörte Adam vor lauter
Anspannung einige Sekunden lang nichts anderes als das Rauschen
hinter seiner Stirn.
»Das ist nicht dein Ernst!«
Rischka bohrte ihre künstlich verlängerten Nägel so
ungestüm durch Adams Haut am Oberarm, dass er nicht einmal
zusammenzucken konnte. Augenblicklich setzte ein brennender Schmerz
ein. Was auch immer sie als Lack aufgetragen hatte, es hinterließ
Verätzungen. Wo die Nägel eingedrungen waren, platzte die Haut
weiter auf. Der Dämon musste sich ordentlich anstrengen, um dagegen
anzukämpfen, auch wenn er schallend lachte.
Fieses Miststück, sagte er anerkennend, als
wisse er diesen Trick durchaus zu schätzen. Was ist das: das
erste Weihwasser, das wirklich etwas gegen uns zu bewirken
vermag?
Adam hingegen war keineswegs zum Lachen zumute. Es
kostete ihn sehr viel Kraft, Rischkas Handgelenk nicht so
wegzustoßen, dass es brach. Nur widerwillig löste Rischka ihre
Finger, wobei sie ihn provozierend anstarrte. Zweifelsohne eine
Herausforderung, jedoch eine, deren Sinn er nicht begriff.Warum
hegte sie plötzlich den Wunsch, ihn zu verletzen?
Als Adam sich sicher war, dass seine Stimme trotz
der unablässigen Schmerzen fest war, richtete er sie an Anders, der
von der Attacke nichts mitbekommen zu haben schien. »Es tut mir
leid, wenn ich Sie mit meiner Forderung, mir Esther für diese
Aufgabe zu überlassen, in die Ecke dränge. Ich kann mir gut
vorstellen, wie sehr Sie sich auf Ihre Dienerin stützen. Aber
Esther kennt sich neben Ihnen am besten mit dem Fall aus. Oder
möchten Sie den Part, mir zu assistieren, gern übernehmen? Das wäre
mir natürlich auch recht.«
Wie erwartet verzog Anders das Gesicht. »Ich
befürchte, das lässt sich leider nicht mit meinem Terminkalender
vereinbaren. Aber natürlich liegt es in meinem Interesse, Sie zu
unterstützen, wo ich nur kann.Also werde ich Esther instruieren,
Ihnen nach Kräften behilflich zu sein.«
Adam konnte sich ein Lächeln nicht
verkneifen.
Anders’ Finger umtanzten ein silbernes
Benzinfeuerzeug, während er ihn nachdenklich musterte. »Eine Sache
will ich nur klarstellen: Sie gehen gut mit meiner Dienerin um. Ich
möchte nicht von ihrem Verlobten zur Rechenschaft gezogen werden,
weil Sie Mist gebaut haben. Der Kerl ist nämlich der beste Anwalt
der Stadt. Außerdem liegt mir persönlich viel an Esther.«
»Mach dich nicht lächerlich, Anders. Wenn dir
tatsächlich etwas an Esther liegen würde, würdest du sie Adam nicht
überlassen«, warf Rischka mit bitterem Ton ein.
»Warum nicht? Dich habe ich ihm ja schließlich auch
in der letzten Nacht überlassen.« Gleichgültiger hätte Anders nicht
klingen können. »Letztendlich gehört ihr alle mir.«
»Das mag für die anderen gelten, aber nicht für
mich«, erklärte Adam bestimmt.
Anders sah ihn lange an, ehe er mit einer
aufreizenden Gewissheit erwiderte: »Noch nicht, aber bald.«