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Der geraubte Kuss
Das Winseln des Dämons, sich endlich Anders’
segensreicher Gabe zu überlassen, hatte sich innerhalb kürzester
Zeit zu einem schrillen Crescendo gesteigert, dem kaum ein
Opernsaal, geschweige denn Adams Schädel standhielt. Mit Not
reagierte er auf Anders’Worte, während er vollauf damit beschäftigt
war, den verfluchten Dämon davon abzuhalten, die Kontrolle an sich
zu reißen. Er musste fort von hier, sofort.
Er wollte sich gerade zum Gehen abwenden und diese
Villa samt ihren Bewohnern, die ihm mit einem Mal allesamt zuwider
waren, hinter sich lassen. Notfalls auf allen vieren, falls der vor
Verzweiflung tobende Dämon ihn dazu zwingen sollte. Da schnippte
Anders seine brennende Zigarette gegen die Glasscheibe. Seine Augen
folgten nur für einen Sekundenbruchteil dem Funkenflug, doch genau
diesen Moment nutzte Anders, um ihn niederzuringen.
Ehe Adam begriff, was geschah, schlug er hart auf
den Steinboden. Mit einem dumpfen Pochen prallte sein Hinterkopf
auf die Fliesen, und ihm wurde schwarz vor Augen. Das überdrehte
Gelächter des Dämons brachte ihn wieder zu Bewusstsein, aber
vielleicht war es auch der bittere Geschmack des eigenen Blutes im
Mund.
Jetzt … endlich … Blut … gleich … alles
meins, krakeelte der Dämon in einem vielstimmigen Chor.
Benommen versuchte Adam, sich auf den Unterarmen
aufzurichten,
was ihm jedoch nicht gelang. Anders hockte breitbeinig auf seinem
Oberkörper und riss ihm das Hemd auf, um sogleich beide Hände auf
seine nackte Brust zu legen. Adam schrie auf und wollte den Mann
von sich stoßen, aber es war zu spät.
Während er noch vor Wut schrie, jubilierte ein Teil
von ihm, der sich nach dem Frieden der Vereinigung sehnte, den
Anders’ Berührung zu bieten hatte. Den aufliegenden Händen wohnte
eine eigene Magie inne, die alle negativen Gefühle wie eine Welle
fortspülte.
Von einer Sekunde zur anderen verlor sich Adams
Ablehnung. Als Anders seinen Nacken umfasste und ihn zu sich
hochzog, ließ er es nur allzu willig geschehen. Er wünschte den
Augenblick herbei, in dem seine Lippen den Kuss erwidern konnten,
der Einladung zu einem Leben war, das der Dämon regierte. Kein
schwacher Dämon wie der, der jetzt in Adam hauste und seinen
Herrschaftsanspruch mit List und Gewalt durchsetzen musste, sondern
ein wahrer Herrscher, dem sich niemand entgegensetzen würde … weil
dort niemand mehr war.Trotzdem zögerte Adam nicht, als Anders’ Mund
nur noch einen Hauch von seinem entfernt war. Er wollte diesen Kuss
wie nichts anderes zuvor.
Sehnsuchtsvoll lehnte er sich vor … doch im
entscheidenden Moment wandte Anders den Kopf ab.
Adam gab einen enttäuschten Laut von sich, als
verweigerte man ihm die Luft zum Atmen. Er wollte nach Anders
greifen, doch der erhob sich bereits und hatte keinen weiteren
Blick mehr für ihn übrig.
Hol ihn dir, er darf nicht gehen, nicht
jetzt!
Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, sprang
Adam auf. Als er jedoch die Hand ausstreckte, um Anders notfalls
gewaltsam in seine Arme zurückzuholen, verflüchtigte sich die
bezaubernde Wirkung der Berührung bereits.Verstört über das eigene
Verlangen, stand Adam da. Dann erkannte er, warum ihm Anders’
Geschenk im letzten Augenblick verweigert worden war: Rischka
vergrub gerade ihre Finger in Anders’ Haar und drückte seinen Kopf
entschieden nieder, bis der Mann ihr zu Füßen lag, bezirzt von
ihren Künsten, jeden Dämon zu verführen.
Sie warf Adam einen Blick zu, und ihre Lippen
formten nur ein Wort: Lauf!
Mehr brauchte es für Adam nicht. Kaum Herr seiner
Sinne, taumelte er hinaus, stolperte mehrmals auf dem Weg zu seinem
Wagen. Er war wie betäubt durch das nicht enden wollende Lamento
seines Dämons, der die Zurückweisung immer noch nicht akzeptieren
wollte. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, geschweige denn
seine Sinne gebrauchen.Trotzdem gelang es ihm irgendwie, den Wagen
zu starten, und als er ins dunstige Abendlicht fuhr, registrierte
er noch Benson, der neben der Ausfahrt stand und ihm interessiert
nachblickte.