Javier spricht

Ich glaube nicht, dass ich älter werde als dieser große, taube Bulle: Muskelmasse unter Fettfalten und schwabbelnder Haut, das mächtige Skelett eines Riesen und die Erinnerungen an all die Triumphe und Eroberungen, die bis zum Schluss diesem alten Ofen einheizten: die tatsächlichen Jagdausflüge mit den Königen und die ausgedachten Kämpfe in der Arena, die Modelle, die er in der Ecke hinter den Blendrahmen vernaschte, im Vorübergehen, zwischen einem Pinselstrich und dem nächsten, weil die Farbe etwas antrocknen musste, und die Alba, die er nie anrührte, über die er aber mit einem Augenzwinkern und Grinsen immer zu verstehen geben wollte, er sei für sie die Liebe ihres Lebens gewesen; von dort, aus diesen Wahrheiten und Illusionen, flossen die Säfte, die ihn so viele Jahre befruchteten und reinigten; ihnen hat er es zu verdanken, dass er immer wieder den Krankheiten entkam: dem Gelbfieber, schlechtem Blut, Lähmungen. Doch in mir wohnt die schwarze Galle und höhlt ihre Gänge wie der Holzwurm in weichem Holz.

Ich verbringe die Tage jetzt ganz ruhig; alle paar Monate erscheint ein Kunde, der Vaters Bilder kaufen will: ein Franzose, Engländer oder Deutscher. Kaufmann, Lord, Maler, mir ist das alles eins – seit man sogar in den Reiseführern über Spanien lesen kann, dass es bei mir noch einige Restposten des großen Goya zu kaufen gibt, kann ich mich über mangelndes Interesse nicht beklagen. Aber was für eine Zeremonie! Von der Straße lasse ich niemanden herein, man muss sich vorher anmelden, einen Termin vereinbaren; das Dienstmädchen weiß, wenn jemand sich stur stellt und behauptet, er wolle gerade aus Madrid abreisen, sofort, jeden Moment komme die Kutsche – dann soll sie ihn abweisen; er wird so oder so am nächsten Tag wiederkommen. Ich empfange sie immer in der Bibliothek, nicht im Atelier – manche Besucher, vor allem Maler, wollen unbedingt die »Arbeitswerkstatt« sehen; das kommt nicht in Frage. Ich zeige ihnen Alben mit Zeichnungen – jedes Mal andere, denn von Zeit zu Zeit macht es mir Spaß, die Seiten zu vertauschen, die Reihenfolge zu ändern, manche Zeichnungen herauszunehmen und andere hinzuzufügen. Ich zeige Bilder – sowohl die des Alten als auch andere. Radierungen. Sie schnalzen mit der Zunge, sind begeistert, und dann fängt der Handel an. »Nicht zu verkaufen«, sage ich. »Nicht zu verkaufen. Dieses auch nicht. Und das hier ebenfalls nicht.« Schließlich sind sie ganz benebelt und nehmen eine Zeichnung, die ich eine Woche vorher aus Langeweile hingerotzt habe, und zahlen dafür Unsummen. In der Überzeugung, dass sie ein Bombengeschäft gemacht haben.

Denn natürlich zeichne ich manchmal noch. Ein bisschen mit dem Bleistift, ein bisschen mit der Feder. Aber malen kommt nicht mehr in Frage. Ich habe nicht die Kraft dazu und auch gar nicht das Bedürfnis – alles, was ich zu malen hatte, habe ich vor langem gemalt, auf die Wände dort im Landhaus, die ich jetzt gar nicht mehr sehe. Das Haus steht leer, und ich liebe es, mir vorzustellen, wie im Winter das Wasser in die Mauern aus den billigen, in der Sonne getrockneten Backsteinen sickert, wie auf den Gesichtern der Hexen der Schimmel erblüht, wie die schwarzen Risse, diese feinen Striche, mühsam, Nacht für Nacht, denn sie sind Nachtwanderer, den Weg vom einen Ende eines Bildes zum anderen zurücklegen, wie kleine Stückchen Putz abfallen, auf den Boden hinter der Kommode, hinter dem Sofa. Irgendein Finger, der Fetzen einer braunen Wolke. Felipe lebt schon lange nicht mehr. Mariano ist eigentlich nie dorthin gefahren, weder als die Kinder klein waren noch nach dem Tode von Marianito, meinem schlauen Liebling, der sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht hat, und auch nicht später, als Maria größer war; Concepción sagt, man könne dort nicht wohnen, das sei, als würde man im Leichenhaus essen, als würde man im Schlachthaus Geige spielen. Sie denkt wohl, wenn sie anderswo Geige spielt, wenn sie anderswo auf der Welt isst, sie esse nicht im Leichenhaus und spiele nicht im Schlachthaus.

Aber auch wenn ich nicht male, denke ich mir ständig Bilder aus und Titel dazu. Der Esel im Frack, der räudigen Hähnen verschimmelte Körner hinwirft (ich sehe genau seine dunklen Ohren und seine zufriedenen, dumpfen Augen): Das ist Mariano, der versucht, einen ältlichen Granden zu erwischen, um für ein Restchen seines Vermögens einen Titel von ihm zu kaufen; aber die Hähne sind nicht dumm, und bevor schließlich einer bereit ist, seinen roten Kamm zu verkaufen, essen sie sich alle satt und traben zum nächsten Esel. Denn an Eseln fehlt es nie. An Eseln fehlt es nie, das ist ein guter Titel, aber noch nicht gut genug. An denen fehlt es nie? Nein, das wird aussehen, als fehle es nie an Hähnen. Was auch wieder stimmt. An den einen wie den anderen fehlt es nie. Zu lang. Oder das, Sie werden nicht verzeihen: Zwei abgeschlagene, aufgespießte Köpfe, der eine in den anderen verbissen. Das habe ich während meiner ganzen Jugend gesehen. Oder ein heiterer Alter, der das Mark aus kleinen Knochen saugt – an der Schwelle drängen sich weitere Kinder. Lasset die Kindlein zu mir kommen. Gut, nicht wahr?

Manchmal erstaunt mich die Genauigkeit, mit der ich weitere Bilder sehe – ein wenig wie damals, vor langer Zeit, als mir in den kleinsten Einzelheiten der Koloss erschien, aber doch anders. Damals hatte ich eine große, allgemeine Vision, jetzt sehe ich jeden Pinselstrich; ich sehe genau die Farbnuance und weiß, wie man sie erlangt, ich wähle aus, wie dick der Pinsel sein muss – manchmal träume ich von meinen Lieblingspinseln, mit denen ich in der Quinta gemalt habe, vor allem von einem, einem völlig abgefressenen, denn der Putz frisst die Haare schnell weg, bis auf ein Restchen, das mit einer Schale aus vertrocknetem Schwarz bedeckt ist; ich weiß, wie ich die Hand führen muss, wenn ich das Weiß auf die verschwitzte Stirn eines Alten auftrage, wie ich den zinnoberroten Teint gewinne, nicht einen jugendlichen, sondern eben den eines Alten; die Lehnen des Stuhls, auf dem dieser Knochenfeinschmecker sitzt: Jeden Lichtfleck, jeden Schatten, alles sehe ich, alles. Und das genügt mir vollkommen. Mein Sohn, meine Schwiegertochter, meine Enkelin sind sicher, dass ich den Tag verplempere, dass in meinem Kopf stehende Gewässer faulen, in denen nichts geschieht – aber sie haben keine Ahnung, was so viele Jahre Reglosigkeit im Kopf bewirken, dieser faulende Bodensatz; sie haben keine Ahnung von der wachsenden Kraft, die gegen die Schleusen und Dämme drückt und sie jeden Moment sprengen kann, um sich ringsum zu ergießen und die Wände mit den scheußlichsten Bildern zu bespritzen.

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman
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