XIII
Javier spricht
»Ich bin nicht krank«, sagte ich zum x-ten Mal, »ich will einfach schlafen und ausruhen.« Aber Gumersinda rief immer wieder irgendwelche Ärzte, die mich untersuchten, den Kopf schüttelten, mit geplagter Miene dumme Fragen stellten, am Urin rochen und ihn gegen das Licht hielten, den Puls maßen, Blutegel anlegten und mich Kräuter schlucken ließen. Doch ich war nicht krank. Ich spürte einfach, nach fünfundzwanzig Jahren meines Lebens, dass ich kein Mensch, sondern eine Holzpuppe war und die Fäden an meinen Schultern, Ellbogen, Händen, Knien und Füßen, an meinen Lidern und Lippen abgeschnitten waren und wie lange tote Haarsträhnen auf dem Boden lagen. Marionetten mit abgeschnittenen Fäden sind nutzlos, man sperrt sie in Kisten und vergräbt sie. Oder legt sie zumindest in den Schrank, wo sie ihre Ruhe haben und nicht von Marionetten in schwarzen Arztgewändern, von einer besonders aufdringlichen Marionette in einem Damenkleid und der etwas angeschlagenen Figur eines alten Wildschweins belästigt werden, das sich ins Haus schleicht und nach dem schnüffelt, was es am meisten liebt, nach seinen Leckerbissen, seinen Trüffeln: Fäulnis, Tod, Krankheit.
Auch Mutter kam zu mir. Aber sie sagte so gut wie nichts – sie verstand. Sie war ihr Leben lang begraben. Wie ein Maulwurfweibchen, das Gänge in die fette Erde gräbt, Junge gebiert und die Fehlgeburten verscharrt, sobald sie kalt sind, und die besten Wurzeln für ihren Befruchter sucht. Ich nahm mir ein Beispiel an ihr. Ich bedeckte den Kopf mit dem Kissen, drehte mich zur Wand und sagte mir: Sieh nur. Fünfunddreißig Jahre wie eine von einem Stein erdrückte Bohne verbringen, weiße Triebe treibend, die blind nach Licht und Luft suchen. Eine Dame sein, die Frau eines Reichen, und fünfunddreißig Jahre wie eine Dienstmagd leben, die ihrem Herrn alles, aber auch alles recht macht und dennoch unwichtiger ist als der Stierkampf, als die Sainetes, als der Schulfreund, mit dem er unzählige Briefe wechselt, als die Modelle, die herausgeputzten Damen, die Bilder, als der ganze Rest der Welt. Was war denn unwichtiger als sie? Eine Ratte, die über den Hof läuft, ein Blatt? Verschüttetes Wasser, ein Büschel Katzenhaare?
Sie saß an meinem Bett und sah mich schweigend an. Ich wandte mich ab von der Wand, langsam. Eine Puppe mit abgeschnittenen Fäden tut alles langsam, für schnelle Bewegungen hat sie keine Kraft. Ich legte das Kissen, mit dem ich vorher das Gesicht verdeckt hatte, unter den Kopf, öffnete weit die Augen und blickte in die ihren, und es war, als schütteten wir schwarze Erde von Augenhöhle zu Augenhöhle, mit Steinchen, Käferlarven, Wurzeln, mit klebrigen Lehmbröckchen und aufgequollenen Gräsersamen, von Auge zu Auge, ohne ein Wort, ohne Ende.