Francisco spricht

Ein müßiges oder leeres Leben habe ich nie gehabt – ich habe immer geschuftet wie ein Pferd, für Vergnügungen hatte ich keine Zeit. Man soll sich nicht täuschen: Das Leben ist ein peinliches Klistier. Dennoch habe ich, als ich auf die Siebzig zuging, begriffen, dass mir ganze Jahre zwischen den Fingern zerronnen sind. Immer habe ich alles für andere getan, für mich, für meine eigenen Freuden, hatte ich nie Zeit. Wenn ich auf der Jagd war, musste ich bald zurückkehren, um irgendeine bescheuerte Gräfin zu porträtieren; wenn ich ein Mädel an die Wand gedrückt hatte, musste ich mich schnell wieder an ein Bild machen, weil das Haus kostete, der Kammerherr drängte und Pepa, auch wenn sie es nicht sagte, schon auf sechs Meter Brokat für ein neues Kleid wartete. Es zieht im Kreuz, ich pisse tröpfchenweise, aber der alte Paco mit den Eselsohren nimmt den Wagen und zieht, weil er ihn immer gezogen hat, von klein auf, schon als Knirps: eine Schule, die zweite Schule, Porträts, Tapisserien, die Farbe stimmt nicht, die Komposition stimmt nicht, das Kleid nicht fein genug, das Gesicht nicht hübsch genug, obwohl es in Wirklichkeit eine Visage ist, dass ich mir vorkomme wie ein Grabschänder, der einen Sarg aufmacht und eine verfaulende Leiche sieht … Aber was soll’s, ich male, überarbeite, verbeuge mich und strecke die Hand nach dem Geld aus, und am linken Ohr sitzt ein Blutegel, am rechten ein zweiter, und die nächsten warten schon darauf, sich festzusaugen. Was soll’s, der alte Paco ist aus ordentlichem, gut gegerbtem Leder und hat sich noch nicht abgenutzt. Aber altes Leder muss man, damit es nicht völlig aufscheuert und zerbröselt, pflegen, muss es einschmieren und salben. Und nichts tut ihm so gut wie ein bisschen junger Speck.

Und genauso war sie – nicht dick, nicht schwabbelig, aber mit ein bisschen Speck hier und da, wo Frauen ruhig ein paar Röllchen haben dürfen: der Hintern wie eine süße Birne, die Brüstchen wie Äpfelchen, die Muschi wie ein Pfläumchen, ein Fruchtkörbchen, keine Frau! Ich konnte in sie reinbeißen, saugen, schlecken, schlotzen, bis mir der Saft das Kinn runterlief, bis ich die Süße auf dem Gaumen spürte … Sünde hin, Sünde her, seien wir doch ehrlich: Ist es wirklich so schwer, hier einen Fingerzeig Gottes zu sehen? Wie hoch standen die Chancen, dass ein morscher Baumstumpf, gut sechzig Jahre alt, taub, leidenschaftlich vielleicht, ein Weiberheld, aber machen wir uns nichts vor, hässlich, denn was konnte an diesem aufgedunsenen, faltigen Körper schön sein, an diesen grauen Borsten auf der Brust, an dieser immer höheren Stirn, diesem immer schlafferen Mund, kurzum: Wie standen die Chancen, dass ein alter Knochen wie ich ein hübsches, bildhübsches Mädchen in sich verliebt machen konnte, eine junge Frau, aus dem Haus geworfen von ihrem Mann, der von Bordell zu Bordell gezogen war, ihre ordentliche Mitgift durchgebracht hatte und jetzt die Frechheit besaß, ihr Vorwürfe zu machen, weil sie sich einmal vergessen hatte? Wie standen die Chancen, dass diese im Kloster aufgewachsene Waise, dieses verschreckte Täubchen, sich unter meiner Berührung in eine brünstige Katze verwandeln, mich mit ihren Beinen umklammern, sich unter mir winden, mir den Rücken zerkratzen, um noch mehr betteln würde? Du dummer dicker Juwelier! Keine Hure in ganz Madrid kann dir das geben, was du vor deiner Nase gehabt hast! Wer hätte gedacht, dass sie würde Schutz suchen müssen und ihn bei uns fände, bei Gumersinda und Javier, aber auch bei Pepa und mir, dass wir sie kleiden und ernähren, uns um ihren Guillermino kümmern würden und sie sich um unseren Marianito, und dass alle glücklich und zufrieden sein würden? Ist denn – so frage ich – etwas Böses dabei, wenn zwei Menschen, eine verzweifelte, verletzte junge Frau und ein vom Leben erschöpfter Mann, der gearbeitet hat wie ein Tier, gemeinsam ihr Glück finden, ohne schließlich jemanden zu kränken, denn warum sollte das für den niederträchtigen Ehemann eine Kränkung sein – eine solche wäre ja sogar eine gute Tat; aber ist diese Kröte denn überhaupt an irgendetwas interessiert außer dem eigenen Kramladen mit den goldenen Ringen? – oder für meine liebe, verständnisvolle Pepa, die sehr wohl begreift, dass das Bumsen nach fast vierzig Jahren nichts Normales mehr ist, sondern der reinste Inzest? Wer kann denn darin bei gesundem Menschenverstand – von alten, ausgehungerten Pfaffen mit verwelkten Pimmeln zu schweigen, bei denen stimmt ja nichts mehr – das Wirken des Teufels und nicht Gottes Fügung sehen?

Und wie wunderbar kümmert sie sich um meinen Marianito! Wenn sie mit ihm zu uns kommt – wie lange kann man schließlich in diesem schimmeligen, bedrückenden Haus hocken –, sind wir vier wie eine neue Familie, wie die ersten Menschen nach der Sintflut, die die verwüstete Erde von neuem bevölkern: Einen Knirps hat sie an der Hand, der zweite hängt an ihrem Rockzipfel, ich male, sie bereitet mir eigenhändig Leckerbissen zu, Pepa sitzt in ihrem Zimmer und lässt uns in Ruhe. Kann man sich ein glücklicheres Alter vorstellen als den Anfang eines neuen Lebens?

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman
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