Javier spricht
Je länger ich malte, desto mehr sah ich meine Unzulänglichkeit. Die am wenigsten gelungenen Bilder übermalte ich ganz: Ich nahm von der dicken Farbe aus dem Eimer und trug – einmal, zweimal – mit breiten Streifen den Hintergrund auf, mit Weiß brachte ich das spätere Licht hervor, und so wuchsen die Formen, doppelt – von Licht zu Schatten und von Dunkelheit zu Halbschatten. Die Halbschatten sind am wahrhaftigsten und daher am schwierigsten zu malen – Licht und Dunkelheit sind leicht wiederzugeben, aber im Halbschatten birgt fast jeder Teil eines Bildes nahezu unbegrenzte Möglichkeiten.
Andere Szenen habe ich überarbeitet; ich schlug ein Stück Putz ab, trug neuen auf, grundierte und glättete. Es war nie genug, nie war es mir genug: dieses Gesicht abkratzen und aufs Neue beleuchten, schärfer noch; hier etwas mit den Kleidern machen, die sehen nicht gut aus; hier den Rand des Ärmels glätten, da noch eine Falte hinzufügen, ein Gebäude am Horizont; jemandem einen Buckel verpassen, wenn er das braucht. Es gibt in der Tat welche, die das brauchen. An manchen Wänden stand ich immer wieder, zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten, bald allein, bald mit einem Gast, den ich nach seiner Meinung fragte, in größeren und kleineren Abständen, manchmal Tag für Tag, ein andermal schaute ich das Gemälde zwei Wochen lang nicht an.
Ich spürte, dass ich lebte; sah ich doch, wie sich draußen das Wetter änderte, wie der Sommer verging und immer häufiger abends ein kühler Wind wehte; und ich hatte das Gefühl, ich sei ein Teil dieses Zyklus – ich sterbe, um geboren zu werden, dann wieder werde ich geboren, um zu sterben. Jetzt bin ich geboren, bin mit allen Poren meiner Haut geboren, bin durch die Nasenlöcher geboren und durch die Knopflöcher, durch die Finger, durch den Nabel. Eben jetzt hat mich der Wind von den Pyrenäen erreicht – so viele Jahre hat er gebraucht, um die Nachrichten aus Bordeaux zu bringen.