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Der Biber war einen Meter lang und stand ausgestopft auf den Hinterbeinen, den Schwanz breit und flach auf den Teppichboden gedrückt, den Kopf gedreht, als hätte er aus dem Augenwinkel gerade eine Gefahr erspäht. Er war seit etwa hundert Jahren tot, und sein Fell verlor Haare, aber der Funke Angst in seinen schwarzen Glasaugen ließ ihn beinahe lebendig aussehen. Archie konnte mit ihm fühlen.

Der Biber stand neben dem Pult des Oberkellners im Arlington Club Restaurant. Der Oberkellner tat Archie leid, denn das Restaurant war nur für Mitglieder und ihre Gäste, und Archie hatte nie mehr als sieben Personen gleichzeitig in ihm gesehen. Der Oberkellner verbrachte seine Zeit hauptsächlich damit, in dem ledergebundenen Reservierungsbuch zu blättern, und wenn er das nicht tat, klaubte er die winzigen Federn auf, die dem ausgestopften Fasan auf dem Kaminsims ausfielen und auf den Teppich segelten.

Debbie sah zu dem Hirschkopf hinauf, der über der Tür zum Speisesaal hing. »Ich finde es unheimlich hier«, sagte sie. Nur ein weiterer Tisch war mit Gästen besetzt, und das Klappern ihres Bestecks trug weiter als ihre Stimmen.

»Es wird nicht mehr lange dauern«, sagte Henry. »Noch ein paar Tage.«

Debbie sah Archie an, als erwartete sie eine Art Bestätigung, ein Nicken, irgendetwas. Sie hatten nicht über die vorangegangene Nacht gesprochen. Was sollte er auch sagen? Tut mir leid?

Archie blickte auf seinen Teller.

Nach dem Besuch bei Rosenberg hatte er den halben Tag in den Büros der Soko verbracht, um bei der Koordination der Großfahndung mitzuhelfen, und den Rest des Tages im Arlington, wo er versucht hatte, für seine Kinder einen normalen Eindruck zu machen. Claire war jetzt oben bei ihnen, damit Archie und Debbie ein wenig Zeit für sich hatten. Aber selbst das ging nicht ohne Henry.

Das Essen war in Ordnung. Archie aß noch einen Bissen Lachs mit Korianderpesto und wich weiter Debbies Blick aus. Lachs war so ziemlich alles, was es gab. Lachstörtchen. Lachssalat. Lachsfilet. Lachssteak. Es war Copper-River-Saison, und Scharen von Anglern strömten hinauf zur Mündung des dreihundert Meilen langen, wilden Copper Rivers in Alaska, um den Fisch zu fangen, der zum Laichen stromaufwärts wanderte. Zu diesem Zeitpunkt strotzten die Fische vor Fett. Je später auf ihrer Reise man sie fing, desto ramponierter und geschmackloser wurden sie.

Archies Magen rumorte und zog sich in Krämpfen zusammen. Er hatte den Tablettenkonsum schon einmal eingeschränkt und wusste, wie der Entzug begann. Er legte seine silberne Gabel und die weiße Stoffserviette beiseite, schob den Stuhl zurück und stand auf. »Ich gehe zur Toilette«, sagte er.

Henry stand ebenfalls auf, in der Absicht, ihn zu begleiten.

Sie waren zu sehr um ihn besorgt und kümmerten sich nicht genügend darum, Gretchen zu fangen. Wenn es nach Archie gegangen wäre, hätte er die Armee zu Hilfe gerufen. Aber es ging nicht nach Archie.

Er seufzte. »Willst du mir beim Scheißen zusehen?«, fragte er.

Henry schaute sich in dem leeren Restaurant um. Die Tür zur Toilette war am anderen Ende des Raums zu sehen. Er zuckte die Achseln und setzte sich wieder.

»Danke«, sagte Archie.

Die Männertoilette hatte Kabinen mit abschließbaren Türen. Klasse. Als er fertig war, wusch er sich die Hände. Die Flüssigseife roch nach Flieder. Aber vielleicht bildete er es sich nur ein. Er war völlig erschöpft durch den Schlafmangel. Seine Augen sahen im Spiegel des Waschraums gelb aus. Er trocknete sich die Hände an einem richtigen Handtuch ab und warf es in einen Basteimer unter dem Marmortisch.

Der Junge wartete vor der Tür auf ihn. Er war kein richtiger Junge mehr, er sah aus wie zwanzig. Archie bemerkte das Loch in seiner Lippe, wo er ein Piercing trug, wenn er nicht arbeitete. Sein weißes Hilfskellnerjackett war gestärkt, und Archie fing einen Hauch frischen Zigarettenrauchs auf.

Der Junge sprach aus dem Mundwinkel, als würde er ein Geheimnis verraten. »Ihre Freundin sucht Sie«, sagte er. »Sie sagte, ich soll warten, bis Sie allein sind, um es Ihnen zu sagen.«

Der Junge hatte ein neues Piercing oben im Ohr, im Knorpel. Es war nur ein kleiner Silberstift, kaum zu sehen unter dem Haar und so winzig, dass er der Restaurantleitung wahrscheinlich nicht aufgefallen war. Archie hätte es ebenfalls nicht bemerkt, wenn nicht eine dünne Blutspur an der äußeren Falte seines linken Ohrs hinuntergelaufen wäre.

Solche Piercings brauchten lange, bis sie heilten.

»Wo ist sie?«, fragte Archie.

»In ihrem Wagen, in der Gasse.« Der Junge gestikulierte in Richtung einer Schwingtür aus Stahl, als wäre es nichts, als würde er den Weg zum Einkaufszentrum erklären. »Da hinten raus. Durch die Küche.«

Archie erkannte nun an dem verschwörerischen Funkeln im Auge des Jungen, dass er Gretchen für seine Geliebte hielt.

»Du blutest«, sagte Archie.

Der Junge runzelte die Stirn, langte sich ans linke Ohr und zuckte zusammen. Er ließ die Hand sinken und betrachtete das Blut an seinen Fingerspitzen. »Igitt«, sagte er.

»Hast du heute Nacht noch irgendwelche Pläne?«, fragte Archie und dachte an die stundenlange Vernehmung durch Henry, die dem Jungen bevorstand.

»Nein«, sagte der Junge.

Archie ging in Richtung der Tür, die zur Küche führte, fort von Henry, fort von Debbie, fort von allem. »Gut.«