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Sara lag in Archies Armbeuge auf ihrem Bett, inmitten einer Menagerie von Stofftieren. Henry hatte sie aus dem Haus mitgebracht, und sie füllten jeden freien Raum, ein Meer aus Kunstpelz, Pfoten und Schweifen. Archie fühlte sich leicht und entspannt von den Pillen, es fehlte nicht viel, und er wäre neben Sara eingedöst.
»Lies es noch mal«, sagte sie.
Er hatte soeben aus ›Ich und du, der Bär heißt Pu‹ vorgelesen.
»Es ist Schlafenszeit«, sagte Archie.
Ben lag im anderen Bett und las in einem Buch über Lemony Snicket.
Archie küsste Sara auf den Kopf. Ihr Haar hatte dieselbe Farbschattierung wie das ihrer Mutter. Er liebte ihren Geruch und hielt sein Gesicht einen Moment lang an ihren Kopf gepresst. Er konnte sich nicht erinnern, wann sich Ben das letzte Mal einen Gutenachtkuss von ihm hatte geben lassen.
»Ich liebe dich«, sagte er. Es gab Momente wie diesen, in denen er vollkommen und wunderbar glücklich war. Und er wusste noch immer nicht, ob es echt war. Oder ob es an dem Vicodin lag.
Er stellte die Füße auf den Boden und suchte nach seinen Schuhen.
Saras kleine Hand griff nach seinem Arm. »Bleib bei mir«, sagte sie. »Bis ich einschlafe.«
»Natürlich«, sagte Archie, froh, den Augenblick ausdehnen zu können. Er ließ sich ins Bett zurückfallen, kreuzte die mit Socken bekleideten Füße und legte den Arm wieder um seine Tochter. Die Plastiknase eines unter ihm begrabenen Stofftiers drückte ihm in den Rücken.
Saras Blick ließ nicht von ihm ab, während ihre Augenlider schwerer und schwerer wurden, bis sie schließlich aufgab und ein letzter schmaler Streifen Weiß hinter ihnen verschwand.
Archie wartete noch ein paar Minuten, dann löste er sich von ihr und zog seine Schuhe an.
Ben legte sein Buch auf den Nachttisch und drehte sich zur Seite, mit dem Rücken zu Archie. »Gute Nacht, Dad«, sagte er zur Wand.
»Gute Nacht«, sagte Archie.
Er hatte erwartet, Henry und Debbie im Hauptraum der Suite vorzufinden, wo er sie zurückgelassen hatte, aber sie waren nicht da.
»Ich bin hier«, rief Debbie aus dem Schlafzimmer.
Sie erschien im Eingang, in den weißen Bademantel des Arlington gekleidet, den sie jetzt immer trug. Archie hätte gewettet, dass der Bademantel den Weg in ihren Koffer finden würde, falls sie je wieder nach Hause zogen.
»Wann ist Henry gegangen?«, fragte er, während er ins Schlafzimmer schlenderte und sich aufs Bett setzte.
Debbie ging ins Badezimmer und begann, sich die Zähne zu putzen. »Vor einer Viertelstunde«, sagte sie mit der Zahnbürste im Mund. Sie schöpfte mit der Hand Wasser und spülte den Mund aus. »Ich soll dich von ihm grüßen.«
Er betrachtete ihr Spiegelbild. Sie war wunderschön. Sara würde genauso schön sein, wenn sie groß war. Das braune Haar, die Sommersprossen, die wachen Augen. Debbie spülte ihre Zahnbürste aus und trocknete sich den Mund mit einem weißen Handtuch ab. Dann bemerkte sie, dass er sie beobachtete, und drehte sich um.
»Was ist?«, fragte sie.
»Nichts.«
»Ich bin froh, dass es dir gut geht«, sagte sie leise.
Archie zuckte die Achseln. »War wohl nur der Stress«, sagte er.
»Du hast mir einen Schrecken eingejagt.«
»Tut mir leid«, sagte er. Alles, fügte er in Gedanken an.
Sie schenkte ihm ein sorgenvolles, schiefes Lächeln. Debbie würde ihn überleben. Es würde schwer für sie werden. Aber sie würde es schon schaffen. Die Kinder auch. Auf lange Sicht waren sie wahrscheinlich besser dran ohne ihn.
»Warum siehst du mich so an?«, fragte Debbie.
Er streckte ihr die Arme entgegen. »Komm her«, sagte er. Vielleicht lag es nicht an den Pillen. Vielleicht war er wirklich glücklich.
Sie ging barfuß zu ihm, und er knotete den Gürtel des Bademantels auf. Dann schob er die Hand unter den Stoff und tastete zur Rundung ihrer Hüfte hinunter.
Sie sog die Luft scharf ein und biss sich auf die Lippen. »Ist lange her«, sagte sie. Archie küsste sie auf den Hals und atmete ihren Duft ein. »Was du nicht sagst.« Er streifte den Bademantel über ihre Schultern, er fiel hinter ihr zu Boden.
Er kannte ihren Körper. Ihre Brüste, von denen die linke eine Idee größer war als die rechte. Die Konstellation der Leberflecke auf ihrem blassen Bauch. Das kleine Kissen Schwangerschaftsspeck am Unterleib.
Er küsste sie auf den Mund, legte sich aufs Bett zurück und zog sie auf sich. Sie schmeckte nach Pfefferminz-Zahnpasta. Sie stöhnte und begann die Gürtelschnalle seiner Hose zu öffnen. Er hielt sie auf, indem er ihr Handgelenk fasste und die Hand zu seinem Mund führte, damit er ihre Finger küssen konnte. Er wollte mit ihr schlafen. Unbedingt. Er liebte sie wirklich. Aber sein Körper widersetzte sich. So war es seit Gretchen immer gewesen. Er wusste nicht, ob es an dem physischen Trauma lag, oder ob er von seinem Verlangen nach Gretchen einfach so vergiftet war, dass sein Körper sie nicht betrog, dass er für keine andere Frau mehr hart wurde.
Er würde mit seiner Frau schlafen. Ein letztes Mal würde er es tun. Selbst wenn er dafür ein bisschen schummeln musste. Deshalb beschloss er, Gretchen in seinen Kopf zu lassen, nur für eine kleine Weile. Er schloss die Augen. Und da war sie. Gott, sie war so schön, das blonde Haar und die milchweiße Haut, der offene Mund, der sich nach ihm verzehrte. Er schmeckte Debbies Ohrläppchen, und es war Gretchens Ohrläppchen. Er fuhr mit den Händen durch Debbies Haar, und es war Gretchens Haar. Er wurde augenblicklich hart. Er spürte, wie Gretchen seine Hose aufknöpfte, die Hand in seine Unterhose schob, ihn hielt. Es tat gut. Er fragte sich, warum er das nicht schon früher gemacht hatte. Sie bedeckte seinen Hals mit Schmetterlingsküssen, wie es Debbie früher getan hatte. Aber das war nicht das, was er wollte. Er hielt mit einer Hand ihren Kopf fest und schob seine Zunge in ihren Mund, und mit der andern zog er seine Hose herunter, drehte sie auf den Rücken und stieß in sie. Er war grob, und seine Gewalt ließ sie laut Atem holen. Das brachte ihn noch mehr auf Touren. Er stieß so hart und tief in sie, wie er konnte. Er konnte nicht anders. Er wollte sie härter ficken, als es irgendwer jemals getan hatte. Von all den Männern, die sie gehabt hatte. Von den Männern, die für sie getötet hatten. Die sie getötet hatte. Er wollte zu ihrer Mitte vorstoßen.
Von irgendwo weit entfernt hörte er seine Frau sagen: »Du tust mir weh.«
Und dann kam er. Sein ganzer Körper bebte, seine Rückenmuskeln zuckten in Krämpfen. Alle Wut, aller Stress und alle Trauer, die er unter Verschluss gehalten hatte, waren verzerrt in seinem Gesicht zu lesen. Er öffnete die Augen.
»Großer Gott, Archie«, sagte Debbie. Sie zitterte, ihre Augen waren vor Entsetzen geweitet.
Archie glitt aus ihr heraus, rollte von ihr herunter aufs Bett. In seinem Mund schmeckte er einen Hauch Pfefferminz. »Es tut mir leid«, sagte er, von sich selbst angewidert.
Debbie saß lange schweigend auf dem Bett. Sie hatte das Laken fest um sich gewickelt, ihre Knöchel waren weiß, wo sie es festhielt. »Du gehst zu deiner Therapeutin«, sagte sie schließlich. »Morgen.« Sie stand auf und lief ins Bad, das Laken nahm sie mit. Sie drehte den Wasserhahn auf und sah Archie im Spiegel an, so wie er ihr Spiegelbild betrachtete. »Oder ich schleife dich eigenhändig hin.«