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Archie hielt Sara fest an sich gedrückt, als sie das Büro verließen. Henry war hinter ihnen, er hatte Ben in den Armen. Acht Angehörige des Sondereinsatzkommandos flankierten sie, vier auf jeder Seite. Sie hatten die Waffen gezogen, den Finger am Abzug, die Knie gebeugt. Archie wusste, dass Gretchen längst fort war, aber niemand wollte das geringste Risiko eingehen. Sie waren bereit zu schießen. Archie hörte Kinderstimmen aus einem Klassenzimmer kommen, sie sangen There was an old Lady who swallowed a cat. Irgendein Lehrer versuchte, die Kinder zu beschäftigen. Archie drückte Saras Kopf an seine Schulter. Ihre nasse Hose fühlte sich kalt an seinem Arm an. She swallowed the cat to catch the bird  Dann hörte er Sara, die mit geschlossenen Augen an seiner Schulter lag. Sie sang ebenfalls. She swallowed the spider to catch the fly. Die Eingangstüren gingen auf, und sie traten ins Licht hinaus.

Einsatzfahrzeuge umringten das Schulgelände. Streifenwagen, Sankas, Feuerwehrautos. Dahinter die Fahrzeuge der Nachrichtensender. Über ihnen zwei Hubschrauber. Man hatte den hinteren Teil der Schule evakuiert, und Kinder standen in Gruppen vor dem Gebäude. Weitere Eltern trafen ein. Die meisten würden jetzt gerade von dem Belagerungszustand hören, ihre Arbeit liegen lassen und zur Schule rasen, die schlimmsten Befürchtungen im Herzen. Sie würden ihre Kinder bei ihrer Ankunft wohlbehalten vorfinden, sie in die Arme schließen und nach Hause tragen, sie würden weinen vor Erleichterung, und dann würde das Leben weitergehen wie vorher.

Archie beneidete sie.

Jeff Heil, ein Detective aus Archies Truppe, tauchte neben ihm auf und geleitete sie zur Straße. Heil war blond. Sein Partner, Mike Flanagan, war dunkelhaarig. Beide waren mittelgroß, hatten ein kräftiges Kinn und reine Haut. Archie nannte sie die ›Hardy Boys‹.

Heil sagte nichts. Er führte Archie nur durch eine leichte Berührung am Ellenbogen und hielt in einer Weise Schritt mit ihm, dass die beiden fast aneinanderklebten. Archie begriff, dass Heil ihn mit seinem Körper vor den Kameras abschirmte.

Archie hörte den Bürgermeister, bevor er ihn sah. Buddy brüllte einige Polizisten an, sie sollten die Presse weiter zurückdrängen. Seine gelbe Krawatte schlug gegen das Anzughemd, als er auf Archie zustürmte.

»Alles okay?«, fragte er.

»Ich will Debbie sehen«, sagte Archie.

»Sie ist im Wagen«, sagte Buddy. Er führte sie über den Rasen zu einer schwarzen Limousine mit städtischem Kennzeichen. Sondereinsatzkräfte begleiteten sie. Archie konnte Medienleute von fern seinen Namen rufen hören. Er drückte Sara enger an sich und blickte zu Henry und Ben zurück. Ben war blass im Gesicht, aber er hielt den Kopf erhoben und beobachtete das Getriebe um sie herum. Sara sang immer noch. But I dunno why she swallowed that fly. Perhaps she'll die.

Ein hoch gewachsener Japaner öffnete die hintere Tür der Limousine. Archie kannte ihn als einen der Personenschützer des Bürgermeisters.

Debbie sprang aus dem Wagen, die Hände vor dem Mund. Als sie ihre Familie sah, brach sie in Tränen aus, ließ die Arme sinken und öffnete sie weit. Sara warf sich aus Archies Armen in die ihrer Mutter.

Debbie sank auf die Knie und schlang die Arme um Sara. Henry löste die dünnen, sommersprossigen Arme Bens von seinem Hals und setzte den Jungen ab. Debbie streckte einen Arm nach ihm aus, und er stürzte mit in ihre Umarmung.

Debbie sah zu Archie hinauf. Ihre Augen waren rot, ihr Gesicht blass. »Hast du sie erwischt?«, fragte sie.

»Es tut mir leid«, sagte Archie. Debbie schloss kurz die Augen und lud die Kinder dann zu sich auf den Rücksitz. Archie wandte sich an Heil. »Sorgen Sie dafür, dass alle meine Telefonleitungen angezapft werden«, sagte er.

Heil sah Henry an.

»Das habe ich sofort veranlasst, als wir erfuhren, dass sie entkommen ist«, sagte Henry.

Natürlich.

»Gut«, sagte Archie. Er kletterte auf den Rücksitz. Sara saß auf Debbies Schoß, Ben in der Mitte. Ben hatte Saras Hand genommen und hielt sie zwischen seinen beiden. Sara starrte durch die dunklen Scheiben auf die Fernsehkameras in der Ferne.

»Wir müssen los«, sagte Heil und stieg vorn auf den Beifahrersitz.

Henry beugte sich durch die offene Tür zu Archie. »Wen würde Gretchen ins Visier nehmen?«, fragte er.

Archie dachte darüber nach, versuchte sich emotional von der Frage zu distanzieren. »Debbie«, sagte er. »Die Kinder. Jeden, der mir etwas bedeutet.« Er sah an Henry vorbei auf die Polizeifahrzeuge, die Kinder, die Schule. Es gab nicht mehr allzu viele Menschen, die er an seinem Leben teilhaben ließ. Aber Gretchen würde intuitiv wissen, welche es waren. Er hatte es ihr leichter gemacht, indem er einen von ihnen zu ihr mitgenommen hatte. Er hielt in der Menge nach Susan Ausschau, nach ihrem türkisfarbenen Haarschopf. Aber er sah sie nicht.

»Wo ist sie?«, fragte er Henry.

»Wer?«

»Susan. Sucht sie. Vergewissert euch, dass es ihr gut geht.«

Saras dünne Stimme erklang im Wageninnern. No, I dunno why she swallowed that fly. Sie sah zu ihrer Mutter empor und lächelte, mit einem Grübchen in der Wange. »Du findest Gretchen hübsch, oder?«, fragte sie.

Debbie warf Archie einen vernichtenden Blick zu und stützte dann den Kopf in die Hände, als hätte sie Kopfweh. »Sara«, sagte sie ruhig. »Sei still.«