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Susan Ward hatte ein flaues Gefühl im Magen. Vielleicht waren es die Nerven. Vielleicht war es die Hitze. Vielleicht lag es an der von Zigarettenrauch verpesteten Luft in der Kneipe.

»Willst du noch einen Drink?«, fragte Quentin Parker. Parker war seit Menschengedenken Polizeireporter beim Herald. Susan wusste nicht, ob er schon als Alkoholiker angefangen hatte oder ob es mit dem Job zu tun hatte. Parker trank Wild Turkey. Ohne Eis. Die Bedienung hatte ihm einen eingeschenkt, ehe sie auch nur saßen.

Susan schüttelte eine Zigarette aus der Packung auf dem Tisch. »Ich rauche nur«, sagte sie und ließ den Blick durch die Kneipe schweifen. Parker hatte sie vorgeschlagen. Sie lag in der Innenstadt und war vom Zeitungsgebäude aus leicht zu erreichen. Susan hatte noch nie von ihr gehört, aber Parker schien jeden in dem Laden zu kennen. Er kannte eine Menge Leute in einer Menge Bars.

Die Kneipe war klein, deshalb konnte Susan die Tür im Auge behalten und nach dem Mann Ausschau halten, den sie treffen sollten. Parker hatte es eingefädelt. Susan arbeitete eigentlich mit dem Feature-Redakteur zusammen, aber bei dieser Geschichte ging es um ein Verbrechen, und das bedeutete Parker. Sie hatte sich zwei Monate lang um dieses Treffen bemüht. Parker hatte es dann mit einem einzigen Telefongespräch arrangiert. Aber so war die ganze Geschichte gelaufen. Sie war dabei, im Alleingang die Karriere eines angesehenen Politikers zu zerstören. Die meisten Leute beim Herald hatten den Kerl gewählt. Susan selbst hatte ihn gewählt. Sie würde ihre Stimme jetzt zurücknehmen, wenn sie könnte.

»Ich hätte auch allein kommen können«, sagte Susan.

»Er kennt dich nicht«, sagte Parker. »Und ich helfe gern.« Er machte natürlich nur Spaß. Großmut war kein Wort, das einem in den Sinn kam, wenn man an Quentin Parker dachte. Streitsüchtig? Ja. Sexist? Ja. Verdammt guter Schreiber? Ja. Trinker? Unbedingt.

Fast alle Leute hielten ihn für ein Arschloch.

Aber aus irgendeinem Grund hatte Parker seit ihrem ersten Tag bei der Zeitung vor zwei Jahren auf Susan aufgepasst. Sie wusste nicht, wieso. Vielleicht hatte ihm ihr vorlautes Mundwerk gefallen. Oder ihre unangemessene Kleidung. Oder ihre Haarfarbe damals, welche es auch gewesen sein mochte. Es spielte keine Rolle. Sie hätte sich für ihn erschießen lassen, und sie war sich ziemlich sicher, falls ihn kein Drink oder eine heiße Spur ablenkte, würde er dasselbe für sie tun.

Susan schaute sich erneut in der Kneipe um. Parker hatte sie gut ausgewählt. Die Gefahr, dass jemand sie sehen würde, war sehr gering. Die Einrichtung war vage seemännisch: ein Steuerrad von einem alten Boot an der Wand, ein über die Theke genagelter Anker. Der Barkeeper sah aus wie hundertzehn und die Bedienung nicht viel jünger. Zu essen gab es nur Popcorn. Die Kneipe stank danach. Aber es war kühl und dunkel, im Gegensatz zu draußen. Susan zupfte an ihrem schwarzen Tanktop. Es trug die kursive Aufschrift I smell bullshit und klebte an ihrem Körper vor Hitze.

Die Tür ging auf, und ein Rechteck aus blendendem Licht erhellte die rauchgeschwängerte, stickige Luft der Bar schlagartig. Hübsche Wirbel aus krebserregendem Dunst hingen träge im Raum. Susans Magen zog sich zusammen. Ein Mann mittleren Alters, der einen Anzug trug und an einem BlackBerry herumfummelte, kam herein. Er war übergewichtig, wenn auch nicht annähernd so fett wie Parker, und er hatte eine eckige Brille auf, die zu modisch für ihn wirkte. Susan sah Parker an.

»Versteck deine Wertsachen«, sagte Parker und nahm sich eine Handvoll Popcorn aus der Schüssel vor ihnen.

»Bist du dir sicher, dass er das ist?«, fragte sie und zupfte abermals an ihrem Tanktop.

Parker stieß ein lautes, kurzes Lachen aus, das wie ein Pfeifen klang. Er schob sich Popcorn in den Mund und kaute. »Wenn du dreißig Jahre Polizeireporter bist«, sagte er mit vollem Mund, »lernst du eine Menge Anwälte kennen.«

Er winkte dem Mann zu. »Hier.«

Der Anwalt sah aus der Nähe betrachtet zehn Jahre älter aus. »Parker«, sagte er und nickte. Dann sah er Susan an. Auf seinen Brillenbügeln stand in großen Buchstaben Prada. »Ist sie das?«, fragte er.

»Unsere Brenda Starr«, sagte Parker, immer noch kauend. Er grinste, die kleinen Zähne schimmerten gelb im schwachen Licht der Kneipe. »Die Kleine erfreut mein Herz, so wie sie Ihrem Knaben zugesetzt hat.«

»Mein ›Knabe‹«, sagte der Anwalt, »ist ein amtierender Senator der Vereinigten Staaten.«

Parker nahm sich noch eine Handvoll Popcorn. »Nicht mehr lange«, sagte er mit breitem Lächeln.

Susan zog an ihrer Zigarette und tastete nach dem kleinen digitalen Aufnahmegerät, das sie auf dem Schoß versteckt hatte, um sich zu vergewissern, dass es an war. Es surrte unter ihren Fingerkuppen, und sie fühlte sich sofort beruhigt. Hinter dem Anwalt kam ein junger Mann mit einer roten Baseballkappe in die Bar und setzte sich allein an einen Tisch.

Der Anwalt wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Der Herald wird die Geschichte also bringen?«

»Möchte Senator Lodge dazu Stellung nehmen?«, fragte Parker. Er hob die Hand und ließ ein paar Körner Popcorn in den offenen Mund fallen.

»Er streitet es ab«, sagte der Anwalt.

Susan lachte.

Der Anwalt schob seine Prada-Brille höher. »Sie können von Glück reden, dass er überhaupt Stellung nimmt«, sagte er, und sein Gesicht rötete sich.

In diesem Moment schwor sich Susan, dass sie John Lodge und die Arschlöcher, die ihn all die Jahre geschützt hatten, zu Fall bringen würde. Lodge wurde allgemein verehrt für das, was er für den Bundesstaat getan hatte. Aber nach Donnerstag würde man ihn als das sehen, was er war: ein Vergewaltiger, Manipulant, Erpresser und Betrüger. Sie drückte ihre Zigarette in dem schwarzen Plastikaschenbecher auf dem Tisch aus. »Er streitet es ab?«, sagte sie. »Er hat die Babysitterin seiner Kinder gefickt und enorme Anstrengungen unternommen, die Sache zu vertuschen, unter anderem, indem er sie gekauft hat.« Sie zog eine weitere Zigarette aus der Packung und zündete sie mit einem Plastikfeuerzeug an. Susan rauchte nur, wenn sie nervös war, aber das wusste der Anwalt nicht. »Ich habe zwei Monate lang an dieser Geschichte gearbeitet«, sagte sie. »Ich habe Molly Palmer auf Band. Ich habe Interviews mit damaligen Freundinnen von Molly, die ihre Version der Ereignisse stützen. Ich habe Bankauszüge, die belegen, dass Geld von Ihrer Anwaltskanzlei auf Mollys Konto geflossen ist.«

»Ms. Palmer war Praktikantin bei uns«, sagte er und spreizte die Hände zu einer Unschuldsgeste.

»Einen Sommer lang«, sagte Susan. Sie zog an der Zigarette, legte den Kopf zurück und blies den Rauch aus. Sie ließ sich Zeit, weil sie wusste, dass sie ihn hatte. »Ihre Kanzlei hat sie danach fünf Jahre lang weiterbezahlt.«

Die Mundwinkel des Anwalts zuckten. »Vielleicht gab es ein Versehen in der Verwaltung.«

Susan hätte ihm das höhnische Grinsen am liebsten mit dem Ellenbogen aus dem Gesicht gewischt. Wozu hatte er sich überhaupt die Mühe gemacht zu kommen? Dass Lodge alles bestritt, hätte er auch am Telefon sagen können. »Das ist so ein blödes Geschwätz«, sagte sie.

Der Anwalt stand auf und musterte Susan abschätzig. Wenn man so aussah wie sie, gewöhnte man sich daran, aber von diesem Typen machte es sie leicht wütend. »Wie alt sind Sie?«, fragte er Susan. »Fünfundzwanzig?« Er machte eine Handbewegung zu ihrem Kopf hin. »Glauben Sie, die Menschen in diesem Bundesstaat lassen zu, dass ein Mädchen mit blauen Haaren und irgendwelchen politischen Hintergedanken einen beliebten Senator zu Fall bringt, den sie fünfmal in dieses Amt gewählt haben?« Er schob sein Gesicht direkt vor ihres, so nahe, dass sie sein Aftershave riechen konnte. »Selbst wenn Sie die Geschichte veröffentlichen, wird sie folgenlos bleiben. Und Sie werden sie nicht veröffentlichen. Weil ich Sie verklagen werde, wenn der Herald auch nur daran denkt.« Er stieß den Zeigefinger in Richtung Parker. »Und Sie auch.« Dann schob er die Brille ein letztes Mal höher und trat einen Schritt vom Tisch zurück. »Der Senator bestreitet alle Vorwürfe«, sagte er. »Darüber hinaus hat er nichts zu sagen.« Er drehte sich um und machte sich auf den Weg zur Tür.

»Ich bin achtundzwanzig«, rief ihm Susan nach. »Und die Farbe heißt Atomic Türkis.«

Parker setzte sein Whiskey glas an den Mund. »Das lief doch gut«, sagte er.

»Ja, klar«, sagte Susan. »Die schlottern vor Angst.«

»Vertrau mir«, sagte Parker. Er nahm einen Zahnstocher aus einer Schale auf dem Tisch und bohrte nach einem Stück Popcorn, das ihm zwischen den Zähnen stecken geblieben war.

Susan hatte ihn nie mehr geliebt.

Er sah sie an und blinzelte. »Die machen sich ins Hemd vor Angst«, sagte er.

Susan hatte den Eindruck, als rötete sich sein Gesicht vor Stolz.

Aber vielleicht lag es einfach nur am Whiskey.