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Viper und Schwert
PRÄSIDENT NARMONOW:
DIES IST EINE WARNUNG AN SIE ODER IHREN NACHFOLGER. WIR HABEN GERADE ERFAHREN, DASS EIN SOWJETISCHES UNTERSEEBOOT IN DIESEM AUGENBLICK EIN AMERIKANISCHES RAKETEN-U-BOOT ANGREIFT. EIN ANGRIFF AUF UNSERE STRATEGISCHEN AKTIVA WIRD NICHT GEDULDET UND ALS VORSPIEL ZU EINEM SCHLAG GEGEN DIE VEREINIGTEN STAATEN AUSGELEGT.
WEITERHIN MUSS ICH IHNEN MITTEILEN, DASS UNSERE STRATEGISCHEN KRÄFTE IN HÖCHSTER ALARMBEREITSCHAFT SIND. WIR SIND ENTSCHLOSSEN, UNS ZU VERTEIDIGEN.
WENN SIE ES MIT IHREN UNSCHULDSBETEUERUNGEN ERNST MEINEN, MUSS ICH SIE DRINGEND BITTEN, ALLE AGGRESSIVEN AKTIONEN EINZUSTELLEN, SOLANGE NOCH ZEIT IST.
»›Nachfolger‹? Teufel noch mal, was soll das heißen?« Narmonow wandte sich kurz ab und schaute dann Golowko an. »Was tut sich da? Ist Fowler krank? Oder wahnsinnig geworden? Was geht hier vor? Was ist das für eine Geschichte mit diesen U-Booten?« Er riß den Mund auf wie ein Fisch am Haken und schnappte nach Luft.
»Uns liegen Meldungen über ein havariertes amerikanisches strategisches Boot im Ostpazifik vor. Wir sandten eines unserer Boote zwecks Aufklärung aus, aber es hatte keine Genchmigung zum Angriff«, erklärte der Verteidigungsminister.
»Gibt es Umstände, unter denen unsere Männer trotzdem so handeln könnten?«
»Nein. Ohne Genehmigung aus Moskau dürfen sie nur im Zuge der Selbstverteidigung handeln.« Der Verteidigungsminister wandte sich ab, weil er dem Blick seines Präsidenten nicht standhalten konnte. Eigentlich wollte er nicht weitersprechen, hatte aber keine andere Wahl. »Ich halte die Lage nun für nicht mehr kontrollierbar.«
»Mr. President«, sagte ein Offizier der Army, öffnete eine Aktentasche, »Football« genannt, und entnahm ihr einen Ringhefter. Die erste Unterteilung hatte einen roten Rand. Auf dem Karton stand:
SIOP
OPTION GROSSANGRIFF
**SKYFALL**
»Und was bedeutet SNAPCOUNT?« fragte Goodley.
»Die höchste aller Alarmstufen, Ben. Die Pistole ist gespannt und gerichtet, und man spürt den Druckpunkt.«
»Wie konnten wir es so weit –«
»Unwichtig, Ben. Ganz gleich, wie wir an diesen Punkt geraten sind – die Situation ist da.« Ryan stand auf und ging im Raum umher. »So, Leute, jetzt müssen wir ganz schnell denken.«
Der Offizier vom Dienst begann. »Wir müssen Fowler klarmachen –«
»Fowler ist nichts klar«, fuhr Goodley schroff dazwischen. »Er versteht nichts, weil er nicht zuhört.«
»Bunker und Talbot scheiden aus – sie sind tot«, sagte Ryan.
»Der Vizepräsident im NEACP?«
»Sehr gut, Ben ... haben wir dafür einen Knopf... ja!« Ryan schaltete die Verbindung ein.
»NEACP.«
»Hier CIA, DDCI Ryan. Ich muß den Vizepräsidenten sprechen.«
»Moment bitte, Sir.« Der Moment war nur kurz.
»Roger Durling. Hallo, Ryan.«
»Hallo, Mr. Vice President. Wir haben hicr ein Problem«, erklärte Jack.
»Was ist schiefgegangen? Über den heißen Draht bekamen wir hier den Verkehr mit. Der Ton war etwas gespannt, aber bis vor 20 Minuten vernünftig. Was ist passiert?«
»Sir, der Präsident ist überzeugt, daß in der Sowjetunion ein Putsch stattgefunden hat.«
»Was? Wessen Schuld ist das?«
»Meine, Sir«, gestand Ryan. »Ich war der Blödmann, der ihm die Informationen lieferte. Lassen wir das bitte beiseite. Der Präsident hört nicht auf mich.«
Jack vernahm zu seinem Erstaunen ein kurzes, bitteres Lachen. »Ja, auf mich hört er auch nicht sehr oft.«
»Sir, wir müssen an ihn herankommen. Es gibt Hinweise darauf, daß die Explosion ein Terroranschlag war.«
»Worauf basiert diese Theorie?« Jack informierte ihn kurz. »Das ist dünn«, meinte Durling.
»Mag sein, Sir, aber das ist alles, was wir haben, und es ist verdammt noch mal besser als alles andere, was wir haben.«
»Gut, Moment. Bitte geben Sie mir Ihre Einschätzung der Lage.«
»Sir, meiner Auffassung nach irrt der Präsident; wir haben es in der Tat mit Andrej Iljitsch Narmonow zu tun. In Moskau geht bald die Sonne auf. Präsident Narmonow wird unter Schlafmangel leiden und hat bestimmt ebensoviel Angst wie wir. Auf die letzte Nachricht hin muß er sich fragen, ob Präsident Fowler noch bei Sinnen ist. Eine ungute Kombination also. Es liegen Meldungen über isolierte Zusammenstöße zwischen amerikanischen und sowjetischen Streitkräften vor. Weiß der Himmel, was wirklich passiert ist, aber beide Seiten fassen das als Aggression auf. Im Grunde haben wir es schlicht mit einem Chaos zu tun – vorgeschobene Einheiten prallen aufeinander, schießen aber nur, weil beide Seiten in so hoher Alarmbereitschaft stehen. Der reinste Induktionseffekt.«
»Gut, damit bin ich soweit einverstanden. Fahren Sie fort.«
»Jemand muß nachgeben, und zwar sehr bald. Sir, Sie müssen mit dem Präsidenten reden. Mittlerweile nimmt er noch nicht einmal mehr meine Anrufe an. Talbot und Bunker sind tot; es gibt niemanden mehr, auf den er hört.«
»Und Arnie van Damm?«
»Verdammt!« rief Ryan. Arnie hatte er ganz vergessen. »Wo ist er?«
»Das weiß ich nicht, aber der Secret Service kann das ganz schnell feststellen. Und Liz?«
»Die geniale Idee, daß Narmonow nicht am anderen Ende sitzt, stammt von ihr.«
»Biest«, merkte Durling an. Er hatte sich sehr angestrengt und viel politisches Kapital vergeudet, um Charlie Alden diesen Posten zu verschaffen. »Gut, ich will versuchen, ihn zu erreichen. Bleiben Sie an der Leitung.«
»Der Vizepräsident auf Leitung 6, Sir.«
Fowler drückte auf den entsprechenden Knopf. »Fassen Sie sich kurz, Roger.«
»Bob, Sie müssen die Lage wieder in den Griff bekommen.«
»Was glauben Sie, was ich hier die ganze Zeit treibe!«
Durling, der in einem Ledersessel mit hoher Rückenlehne saß, schloß die Augen. Der Ton der Antwort sprach Bände. »Bob, Sie haben alles nur noch schlimmer gemacht. Distanzieren Sie sich einmal für einen Moment von der Sache. Holen Sie tief Luft, gehen Sie durch den Raum – denken Sie nach! Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß die Russen die Explosion ausgelöst haben. Ich sprach gerade mit der CIA und erfuhr –«
»Von Ryan etwa?«
»Ja, er hat mir den Erkenntnisstand geschildert und –«
»Ryan hat mich angelogen.«
»Unsinn, Bob.« Durling bemühte sich, gelassen und sachlich zu bleiben, und schlug seinen Landarztton an. »Der Mann ist doch ein Profi.«
»Roger, ich weiß, daß Sie es gut meinen, aber für Psychoanalyse habe ich jetzt keine Zeit. Es ist gut möglich, daß jeden Augenblick ein Atomschlag gegen uns geführt wird. Ihr Glück, daß Sie ihn wahrscheinlich überleben werden. Alles Gute, Roger. Halt – da geht etwas über den heißen Draht ein.«
PRÄSIDENT FOWLER:
MIT IHNEN IN VERBINDUNG STEHE ICH, ANDREJ ILJITSCH NARMONOW.
DIE SOWJETUNION HAT KEINE AGGRESSIVEN HANDLUNGEN GEGEN DIE VEREINIGTEN STAATEN UNTERNOMMEN. WIR WOLLEN IHREM LAND KEINEN SCHADEN ZUFÜGEN, SONDERN IN RUHE GELASSEN WERDEN UND IN FRIEDEN LEBEN.
OBWOHL ICH KEINE MASSNAHMEN JEGLICHER ART GEGEN AMERIKANISCHE TRUPPEN ODER BÜRGER ANGEORDNET HABE, ßE-DROHEN SIE UNS. WENN SIE ANGREIFEN, MÜSSEN WIR ZURÜCK-SCHLAGEN, UND DAS WIRD MILLIONEN MENSCHENLEBEN KOSTEN. ALLES NUR WEGEN EINES DUMMEN ZUFALLS?
DIE WAHL LIEGT BEI IHNEN. ICH KANN SIE AN IRRATIONALEN HANDLUNGEN NICHT HINDERN UND HOFFE, DASS SIE DIE SELBSTBEHERRSCHUNG ZURÜCKGEWINNEN WERDEN. WIR MÜSSEN BEIDE VERNÜNFTIG BLEIBEN. ES STEHEN ZU VIELE LEBEN AUF DEM SPIEL.
»Wenigstens gehen noch Nachrichten ein«, merkte Goodley an.
»Schon, aber diese macht alles nur noch schlimmer und wird Fowler in Rage versetzen«, meinte Ryan. »Das ist der Auslöser. Einem irrationalen Menschen darf man nicht sagen, daß er den Kopf verloren hat...«
»Ryan, hier Durling.« Jack sprang ans Telefon.
»Ja, Mr. Vice President?«
»Er hörte nicht auf mich und reagierte sehr negativ auf die letzte Kommunikation aus Moskau.«
»Sir, können Sie eine Verbindung mit SAC herstellen?«
»Nein, leider nicht. Ich bin über eine Konferenzschaltung mit NORAD und Camp David verbunden. Ein Teil des Problems ist, daß der Präsident sich verwundbar fühlt und, nun ja, Angst hat ...««
»Das geht uns doch allen so, oder?«
Es entstand ein kurzes Schweigen, und Ryan fragte sich, ob Durling ein schlechtes Gewissen hatte, weil er sich an einem relativ sicheren Platz befand.
In Rocky Flats gab man die Proben der Rückstände in ein Gammastrahl-Spektrometer. Der Prozeß war durch eine kleine Fehlfunktion verzögert worden. Das Bedienungspersonal stand hinter einem Schutzschild, trug bleibeschichtete Gummihandschuhe und holte die Proben mit 90 Zentimeter langen Zangen aus dem Bleieimer, trat zurück und wartete, daß die Techniker das Gerät einschalteten.
»So, mal sehen – das ist in der Tat heiß.«
Das Spektrometer zeigte seine Meßergebnisse auf einer Kathodenstrahlröhre und über einen Drucker an und maß die Energie der von der Gammastrahlung im Instrument erzeugten Photo-Elektronen. Der exakte Energiezustand dieser Elektronen identifizierte das Element und die Isotope der Strahlenquelle, und die Werte erschienen in Form von Linien oder Spitzen auf dem graphischen Display. Die relative Intensität der verschiedenen Energielinien, dargestellt durch die Höhe der Spitzen, bestimmte die Proportionen. Zu einer exakteren Messung mußte man die Probe zwecks Reaktivierung in einen kleinen Reaktor geben, aber dieses System war vorerst gut genug.
Der Techniker schaltete auf den Beta-Kanal um. »Schauen Sie sich diese Tritiumlinie an! Wie hoch soll die Sprengleistung gewesen sein?«
»Unter 15 KT.«
»Da war eine Unmenge Tritium drin, Doc – sehen Sie sich das an!« Der Techniker, der kurz vor der Magisterprüfung stand, schrieb etwas auf seinen Block und schaltete zurück auf den Gamma-Kanal. »So ... Plutonium, da haben wir 239 und 240; Neptunium, Americium, Gadolinium, Curium, Promethium, Uran 235 und 238... Jungs, das war ein hochkomplexes Biest.«
»Eine Verpuffung«, sagte ein Mann vom NEST, als er die Werte sah. »Wir haben es mit den Überresten einer Verpuffung zu tun. Das war keine Terroristenwaffe. Diese Menge Tritium ... Verflucht, das sollte ein Zweiphaser sein, das ist viel zuviel für eine verstärkte Fissionswaffe – Himmel noch mal, das war eine H-Bombe!«
Der Techniker nahm eine Feineinstellung vor und schaute auf den Schirm. »Sehen wir uns mal das 239/240-Verhältnis an.«
»Holen Sie das Buch!«
In einem Regal gegenüber vom Spektrometer stand ein 7,5 Zentimeter dicker roter Plastikhefter.
»Savannah River«, meinte der Techniker. »Dort hatte man immer Probleme mit dem Gadolinium ... Hanford benutzt einen anderen Prozeß ... aber dabei kommt immer zuviel Promethium heraus.«
»Sind Sie verrückt geworden?«
»Trauen Sie mir«, erwiderte der Magisterkandidat. »Meine Prüfungsarbeit befaßt sich mit Kontaminationsproblemen in Plutoniumfabriken. Hier sind die Werte!« Er las sie vor.
Ein Mann vom NEST schlug erst das Register und dann eine Seite auf. »Sehr nahe dran. Sagen Sie das Gadolinium noch einmal an.«
»0,058 mal 10-7 plus oder minus 0,002.«
»Mein Gott!« Der Mann drehte das Buch herum.
»Savannah River... ausgeschlossen.«
»1968, ein gutes Jahr. Verflucht, das ist unser eigenes Plutonium!«
Der höchste NEST-Mann blinzelte. »Gut, ich rufe in Washington an.«
»Geht nicht«, meinte der Techniker, der gerade noch exaktere Werte ermittelte. »Die Fernleitungen sind alle unterbrochen.«
»Wo ist Larry?«
»Der arbeitet im Aurora Presbyterian mit den FBI-Leuten zusammen. Die Nummer steht auf der Haftnotiz überm Telefon in der Ecke. Ich glaube, es funktioniert noch. Soviel ich weiß, kann Larry über das FBI Washington erreichen.«
»Murray.«
»Hoskins – ich habe gerade Nachricht von Rocky Flats bekommen. Dan, das klingt irre: Das NEST-Team sagt, die Bombe habe amerikanisches Plutonium enthalten. Ich bat um Bestätigung und bekam sie auch. Das Plutonium stammte aus der Anlage Savannah River des Verteidigungsministeriums und wurde im Februar 1968 im Reaktor K hergestellt. Die Experten können das genau belegen und sogar sagen, in welchem Teil des Reaktors das Plutonium erzeugt wurde. Kommt mir spanisch vor, aber die Fachleute sagen es.«
»Walt, wer wird mir das glauben?«
»Dan, das meinte der Physiker auch.«
»Ich muß mit ihm sprechen.«
»Sie wissen ja, daß die Telefonleitungen unterbrochen sind. Aber ich kann ihn in ein paar Minuten hier haben.«
»Holen Sie ihn, und zwar schnellstens.«
»Ja, Dan?«
»Jack, das NEST-Team hat unserem Büro in Denver gerade mitgeteilt, daß das Material in der Bombe aus Amerika stammte.«
»Wie bitte?«
»Schon gut, Jack, das haben wir alle gesagt. NEST nahm Fallout-Proben, analysierte sie und kam zu dem Schluß, das Uran – nein, Plutonium – sei 1968 in Savannah River hergestellt worden. Der Leiter des Teams ist zu unserer Außenstelle in Denver unterwegs. Die Fernleitungen sind unterbrochen, aber ich kann ihn über unser System durchstellen, und dann können Sie ihn persönlich sprechen.«
Ryan schaute den Mann von W&T an. »Was halten Sie davon?«
»In Savannah River kamen 450 Kilo spaltbares Material abhanden.«
»Also eine Terroristenwaffe«, sagte Ryan bestimmt.
»Klingt langsam plausibel«, stimmte der Mann von W&T zu.
»Verflucht, und ausgerechnet jetzt hört man oben nicht mehr auf mich!« Zum Glück gab es noch Durling.
»Kaum zu glauben«, sagte der Vizepräsident.
»Das sind exakte Daten, geprüft vom NEST-Team in Rocky Flats, wissenschaftlich ermittelte Werte. Es mag verrückt klingen, ist aber eine objektive Tatsache.« Hoffentlich! dachte Ryan, und Durling spürte das. »Sir, das war eindeutig keine russische Waffe – das ist der entscheidende Punkt. Wir sind sicher, daß sie nicht aus der Sowjetunion stammte. Bitte, teilen Sie das dem Präsidenten sofort mit.«
»Wird gemacht.« Durling nickte dem Sergeant, der mit der Kommunikation betraut war, zu.
»Ja, Roger«, sagte der Präsident.
»Sir, wir haben gerade eine wichtige Information erhalten.«
»Was gibt’s jetzt?« fragte der Präsident und klang todmüde.
»Sie kam über die CIA, stammt aber vom FBI. Das NEST-Team hat festgestellt, daß das Bombenmaterial nicht sowjetischen Ursprungs ist, sondern aus den USA stammt.«
»Schwachsinn!« rief Borstein. »Uns fehlen keine Kernwaffen. Wir passen sehr gut auf diese Dinger auf!«
»Roger, das haben Sie von Ryan erfahren, nicht wahr?«
»Richtig, Bob.«
Durling hörte einen langen Seufzer. »Danke.«
Die Hand des Vizepräsidenten zitterte, als er den Hörer des anderen Telefons abhob. »Er hat es mir nicht abgenommen.«
»Er muß es glauben, Sir, es ist die Wahrheit!«
»Ich weiß nun auch nicht mehr weiter. Sie hatten recht, Jack, cr hört auf niemanden mehr.«
»Neue Nachricht über den heißen Draht, Sir.«
PRÄSIDENT NARMONOW, las Jack,
SIE BEZEICHNEN MICH ALS IRRATIONAL. WIR HABEN ZWEIHUN-DERTTAUSEND TOTE, EINEN ANGRIFF AUF UNSERE TRUPPEN IN BERLIN, ANGRIFFE AUF UNSERE MARINE IM MITTELMEER UND DEM PAZIFIK ...
»Verdammt, gleich drückt er auf den Knopf. Wir verfügen über die Informationen, um diesem Wahnsinn ein Ende setzen zu können, aber –«
»Mir fällt nichts mehr ein«, sagte Durling. »Dieser heiße Draht macht alles nur noch schlimmer, und –«
»Und das scheint der Kern des Problems zu sein.« Ryan schaute auf. »Ben, verstehen Sie sich aufs Fahren im Schnee?«
»Schon, aber –«
»Los!« Ryan hastete aus dem Zimmer. Sie fuhren mit dem Aufzug ins Erdgeschoß, wo Ryan in den Sicherheitsraum rannte. »Autoschlüssel!«
»Hier, Sir!« Ein verängstigter junger Mann warf sie ihm zu. Die CIA-Sicherheit stellte ihre Fahrzeuge am Rand des VIP-Parkplatzes ab. Der blaue GMC, ein großer Geländewagen, war nicht abgeschlossen.
»Wohin?« fragte Goodley, als er links einstieg.
»Pentagon, Osteingang, und so schnell wie möglich.«
»Was war das?« Der Torpedo hatte etwas umkreist, ohne zu detonieren, und nun war ihm der Treibstoff ausgegangen.
»Nicht genug Masse, um den Magnetzünder auszulösen, zu klein für einen Direkttreffer ... muß ein Köder gewesen sein«, sagte Dubinin. »Wo ist die erste abgefangene Meldung?« Ein Matrose reichte sie ihm. »›Schraubenschaden nach Kollision‹. Verflucht, wir haben ein lautes Antriebssystem verfolgt und keine beschädigte Schraube!« Der Kapitän hieb so heftig auf den Kartentisch, daß seine Hand zu bluten begann. »Nordkurs, Aktivsonar an!«
»Zentrale, hier Sonar. Niederfrequenz-Aktivsonar in eins-neun-null.«
»Torpedos klarmachen!«
»Sir, mit dem Außenborder könnten wir zwei oder drei Knoten schneller fahren«, riet Claggett.
»Zu laut!« bellte Ricks zurück.
»Sir, wir sind im Bereich des Oberflächenlärms. Hier oben machen die hohen Frequenzen des Außenborders keinen großen Unterschied. Der Russe setzt niederfrequentes Aktivsonar ein, mit dem er uns orten wird, ob wir nun leise sind oder nicht. Wir sollten nun Distanz schaffen, Sir, denn wenn er uns zu nahe kommt, kann die Orion nicht zu unserem Schutz eingreifen.«
»Wir müssen ihn ausschalten.«
»Keine gute Entscheidung, Sir. Wir sind auf SNAPCOUNT, das heißt, das Abfeuern der Raketen hat Vorrang. Wenn wir jetzt einen Torpedo ins Wasser bringen, verraten wir nur unsere Position. Captain, wir müssen Distanz schaffen und uns außerhalb der Reichweite seines Aktivsonars halten. Da können wir keinen Schuß riskieren.«
»Nein! WO, Zielkoordinaten einstellen!«
»Aye, Sir.«
»Kommunikation: Von der Orion Unterstützung anfordern!«
»So, das wäre der letzte, Herr Oberst.«
»Das ging ja flott«, erwiderte der Regimentskommandeur.
»Die Jungs sind gut in Übung«, meinte ein Major, der neben ihm stand und zuschaute, wie in Alejsk der zehnte und letzte Gefechtskopf aus der SS-18 gehoben wurde. »Vorsicht, Feldwebel.«
Schuld war das Eis. Vor wenigen Minuten war Schnee in die Raketenkapsel geweht und von den Stiefeln zertreten worden. Dabei war er geschmolzen, doch die Minustemperaturen hatten ihn bald zu einer unsichtbaren, papierdünnen Eisschicht erstarren lassen. Der Feldwebel wollte gerade von dem klappbaren Laufsteg treten, als er ausrutschte und dabei einen schweren Schraubenschlüssel fallen ließ. Das Werkzeug prallte gegen das Geländer und wirbelte durch die Luft. Der Feldwebel griff danach, erreichte es aber nicht mehr und sah es abstürzen.
»LOS, WEG!« schrie der Oberst. Das brauchte er dem Feldwebel nicht zweimal zu sagen. Der Gefreite auf dem Kran schwenkte den Gefechtskopf in Sicherheit und sprang dann vom Fahrzeug. Alle wußten, daß sie sich in Windrichtung zu entfernen hatten.
Der Schraubenschlüssel hatte den Boden des Silos fast erreicht, traf nun aber eine Stützvorrichtung, wurde seitlich abgelenkt und riß an zwei Stellen die Außenhaut der ersten Stufe auf. Da die Hülle der Rakete gleichzeitig auch die Tankwandung war, wurden Treibstoff und Oxidator freigesetzt. Die beiden Chemikalien bildeten kleine Wolken – es waren jeweils nur wenige Gramm ausgetreten –, aber die Verbindungen waren hypergolisch, das heißt, sie zündeten spontan, wenn sie miteinander in Kontakt kamen. Das geschah zwei Minuten nachdem der Schraubenschlüssel gefallen war.
Die Explosion war so stark, daß der Oberst noch in 200 Meter Entfernung vom Silo zu Boden geschleudert wurde. Er rollte sich instinktiv hinter einen dicken Kiefernstamm, als die Druckwelle über ihn hinwegfegte. Als er einen Augenblick später den Kopf hob, sah er eine Feuersäule vom Silo aufsteigen. Wie durch ein Wunder waren alle seine Männer davongekommen. Und mit dem seltsamen Humor, der Menschen überkommt, die gerade dem Tod ein Schnippchen geschlagen haben, dachte er: Eine Rakete weniger, wegen der uns die Amerikaner in den Ohren liegen können.
Der Sensor des DSPS-Satelliten war bereits auf die russischen Raketenanlagen gerichtet. Die Encrgiesignatur war unverkennbar. Das Signal ging an eine Bodenstation bei Alice Springs in Australien und von dort aus an einen Kommunikationssatelliten der US-Luftwaffe, der es nach Nordamerika sandte. Das Ganze nahm eine gute halbe Sekunde in Anspruch.
»Achtung! Möglicher Raketenstart von Alejsk!«
In diesem Augenblick änderte sich für Major General Joe Borstein jäh die ganze Welt. Als er sich auf das Echtzeitdisplay konzentrierte, war sein erster Gedanke: Jetzt ist es passiert, trotz aller Veränderungen, allen Fortschritts, aller Verträge. Irgendwie war es geschehen, und nun konnte er nur noch dasitzen und abwarten, bis die SS-18, die seinen Namen trug, auf dem Berg Cheyenne landete. Dies war anders als Bombenangriffe auf Brücken in Indochina oder Drohgebärden gegen sowjetische Jäger im deutschen Luftraum – dies war das Ende des Lebens.
Borsteins Stimme war rauh wie Sandpapicr. »Ich sehe nur einen Abschuß ... wo ist der Vogel?«
»Kein Vogel, kein Vogel, kein Vogel«, verkündete eine Frau im Rang eines Captains. »Energiesignatur zu groß, sieht eher nach einer Explosion aus. Keine Rakete. Kein Start, ich wiederhole: kein Start.«
Borstein sah, daß seine Hände zitterten. Das hatten sie weder damals, als er abgeschossen worden war, gctan noch nach der Bruchlandung auf Edwards und ebensowenig, als er seine Maschine durch Hagelstürme gesteuert hatte. Er schaute in die Runde und sah in den Gcsichtcrn seiner Leute die Angst, die er gerade in der Magengrube gespürt hatte. Bis zu diesem Punkt war ihm das Ganze wie eine Szene aus einem furchterregenden Film vorgekommen, aber nun hatte die Realität zugeschlagen. Er nahm den Hörer für die Verbindung mit dem SAC ab und untcrbrach durch Knopfdruck die Leitung »Gold« nach Camp David.
»Pete, haben Sie das mitbekommen?«
»Allerdings, Joe.«
»Wir sollten dafür sorgen, daß sich die Lage wieder beruhigt. Der Präsident verliert den Kopf.«
Der CINC-SAC antwortete erst nach einer kurzen Pause. »Das wäre mir beinahe auch so gegangen, aber ich habe mich wieder zusammengerissen.«
»Verstanden, Pete.«
»Was, zum Teufel, war das?«
Borstein schaltete »Gold« wieder ein. »Mr. President, das war unserer Auffassung nach eine Explosion auf dem Raketenfeld Alcjsk. Für einen Augenblick bekamen wir es mit der Angst zu tun, aber es stieg keine Rakete auf. Ich wiederhole, Mr. President: Keine Rakete in der Luft. Eindeutig ein blinder Alarm.«
»Und was hatte das zu bedeuten?«
»Sir, das kann ich nicht sagen. Vielleicht gab es bei der Wartung der Raketen einen Unfall. Das käme nicht zum ersten Mal vor – wir hatten ebenfalls Probleme mit der Titan-II.«
»General Borstein hat recht«, bestätigte der CINC-SAC nüchtern. »Aus diesem Grund schafften wir die Titan-II ab. Mr. President?«
»Ja, General?«
»Ich schlage vor, daß wir die Lage etwas abkühlen, Sir.«
»Und wie, wenn ich fragen darf?« wollte Fowler wissen. »Was, wenn dieser Vorfall etwas mit ihrer Alarmbereitschaft zu tun hatte?«
Die Fahrt über den George Washington Parkway verlief ohne Zwischenfälle. Goodley war mit Vierradantrieb kontinuierlich 60 gefahren und hatte kein einziges Mal die Kontrolle über das Fahrzeug verloren. Liegengebliebene Autos umsegelte er wie ein Rennfahrer. Nun hatte er den Osteingang des Pentagons erreicht. Der zivile Wächter hatte Verstärkung von einem Soldaten bekommen, dessen Gewehr M-16 zweifellos geladen war.
»CIA!« sagte Goodley.
»Moment.« Ryan händigte seinen Dienstausweis aus. »Stecken Sie das in den Schlitz. Es sollte funktionieren.«
Goodley tat wie geheißen. Ryans Karte hatte den richtigen Magnetcode für diese Sicherheitseinrichtung. Das Tor öffnete sich, die Straßenbarriere versank im Asphalt, und der Weg war frei. Der Soldat nickte. Wenn die Karte funktionierte, mußte alles in Ordnung sein.
»Ganz nach oben, erste Tür.«
»Soll ich parken?«
»Ach was, lassen Sie die Mühle einfach stehen. Sie kommen mit mir.«
Auch im Gebäude selbst waren die Sicherheitsmaßnahmen verschärft worden. Als er durch den Metalldetektor gehen wollte, löste Kleingeld in seiner Tasche den Alarm aus. Er warf die Münzen wütend auf den Boden. »Zum
NMCC?«
»Bitte folgen Sie mir, Sir.«
Den Eingang zu der Befehlszentrale versperrte eine kugelsichere Scheibe, hinter der eine schwarze, mit einem Revolver bewaffnete Sergeantin stand.
»CIA, ich muß rein.« Ryan hielt seine Karte auf das schwarze Sensorfeld, und wieder klappte es.
»Wer sind Sie, Sir?« fragte ein Maat.
»Der DDCI. Bitte führen Sie mich zu dem Mann, der hier den Befehl hat.«
»Bitte folgen Sie mir, Sir. Ich bringe Sie zu Captain Rosselli.«
»Captain? Kein Flaggoffizier?«
»General Wilkes ist verschollen, Sir, wir wissen nicht, wo er steckt.« Der Maat ging durch eine Tür.
Ryan sah einen Captain der Navy, einen Lieutenant Colonel der Army, ein riesiges Lagedisplay und zahlreiche Telefone. »Sind Sie Rosselli?«
»Der bin ich. Und wer sind Sie?«
»Jack Ryan, DDCI.«
»Sie kommen an einen schlechten Platz«, bemerkte Colonel Barnes.
»Gibt es was Neues?«
»Wir hatten gerade was, das nach einem Raketenstart in Rußland aussah –«
»Mein Gott!«
»Es stieg aber nichts auf. Offenbar eine Explosion im Silo. ßringen Sie Informationen mit?«
»Ich brauche eine Verbindung mit der FBI-Befehlszentrale und muß mit Ihnen beiden reden.«
»Nicht zu glauben«, sagte Rosselli zwei Minuten später, nachdem der DDCI ihn informiert hatte.
»Warten Sie ab«, meinte Ryan und hob den Hörer ab. »Dan, hier Jack.«
»Jack, wo stecken Sie? Ich habe gerade versucht, Sie in Langley zu erreichen.«
»Im Pentagon. Was wissen Sie über die Bombe?«
»Bleiben Sie dran, ich stelle Sie zu Dr. Larry Parsons durch. Er leitet das NEST-Team.«
»Hier Ryan, stellvertretender Direktor der CIA. Was können Sie mir sagen?«
»Die Bombe wurde mit amerikanischem Plutonium gebaut. Das steht eindeutig fest. Die Proben wurden viermal geprüft. Ursprung: Savannah River, Februar 1968, Reaktor K.«
»Sind Sie auch ganz sicher?« fragte Jack und hoffte auf eine positive Antwort.
»Absolut. Klingt verrückt, aber es war unser Material.«
»Was wissen Sie noch?«
»Von Murray höre ich, daß Sie Probleme bei der Einschätzung der Sprengleistung hatten. Ich war persönlich an der Explosionsstelle und kann Ihnen mitteilen, daß es eine kleine Detonation von weniger als 15 KT war – eins fünf. Es gibt sogar Überlebende – nicht viele zwar, aber ich habe sie selbst gesehen. Ich weiß nun nicht, wer die ursprüngliche Fehleinschätzung verbrochen hat, aber ich war vor Ort und kann Ihnen sagen, daß die Detonation vergleichsweise schwach war. Außerdem sieht es so aus, als sei die Bombe nur verpufft. Mit dieser Frage befassen wir uns nun näher, aber entscheidend ist, daß das spaltbare Material eindeutig aus den USA stammte. Das steht hundertprozentig fest.«
Rosselli beugte sich vor, um nachzusehen, daß auch tatsächlich über die gesicherte Leitung zur FBI-Zentrale gesprochen wurde. »Augenblick. Ich bin Captain Jim Rosselli, US-Navy, und habe meinen Magister in Kernphysik gemacht. Bitte geben Sie mir die Proportion 239/240 durch.«
»Moment ... 239 war 98,93; 240 war 0,045. Wollen Sie auch die Spurenelemente?«
»Danke, das genügt.« Rosselli schaute auf und sagte leise: »Entweder sagt er die Wahrheit, oder er ist ein ganz raffinierter Lügner.«
»Captain, ich bin froh über Ihre Zustimmung. Nun habe ich eine Bitte.«
»Ja?«
»Ich muß an den heißen Draht.«
»Das kann ich nicht zulassen.«
»Captain, haben Sie die Nachrichten gesehen, die hin- und hergingen?«
»Nein, dazu hatten Rocky und ich keine Zeit. Im Augenblick finden drei separate Gefechte statt, und –«
»Sehen wir uns mal an, was über den heißen Draht lief.«
In diesem Raum war Ryan noch nie gewesen, was ihm nun seltsam vorkam. Die Ausdrucke der Nachrichten wurden in einem Blockhaltcr aufbewahrt. Anwesend waren sechs Leute, die allesamt aschgrau aussahen.
»Himmel noch mal, Ernie!« sagte Rosselli.
»Ging in letzter Zeit etwas ein?« fragte Ryan.
»Nein, auf die Nachricht des Präsidenten vor 20 Minuten kam bisher keine Antwort.«
»Es lief alles so gut, als ich zuletzt hier war – guter Gott!« rief Rosselli aus, als er das letzte Blatt sah.
»Der Präsident hat die Nerven verloren«, sagte Ryan. »Er weigert sich, von mir Informationen anzunehmen, und er hört auch nicht auf Vizepräsident Durling. Nun habe ich eine einfache Lösung. Ich kenne Präsident Narmonow persönlich. Angesichts dessen, was wir gerade vom FBI erfahren haben, Captain, könnte ich vielleicht etwas Positives bewirken. Wenn nicht –«
»Sir, das ist ausgeschlossen«, erwiderte Rosselli.
»Und warum?« fragte Jack. Sein Herz schlug heftig, aber er hielt seine Atemfrequenz mit Gewalt normal. Er mußte jetzt unbedingt die Fassung wahren.
»Sir, der Sinn der Sache ist, daß die Leitung zwei Personen verbindet, die –«
»Von denen einer – inzwischen vielleicht auch schon der andere – nicht mehr ganz bei Sinnen ist. Captain, Sie sehen, wo wir angelangt sind. Zwingen kann ich Sie nicht, aber ich bitte Sie, nachzudenken. Benutzen Sie Ihren Verstand, wie Sie es vor einem Augenblick getan haben«, sagte Ryan ruhig.
»Sir, das bringt uns ins Gefängnis«, gab der für den Draht nach Moskau zuständige Kommunikationstechniker zu bedenken.
»Überflüssig, wenn man tot ist«, meinte Jack. »Im Augenblick sind wir bei SNAPCOUNT. Sie müssen doch wissen, wie ernst das ist. Captain Rosselli, Sie sind hier der höchste Offizier. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.«
»Gut, aber ich will alles, was Sie schreiben, sehen, bevor es gesendet wird.«
»Soll mir recht sein. Darf ich selbst tippen?«
»Ja. Sie geben Ihre Nachricht ein. Anschließend wird sie in einen anderen Computer geladen und verschlüsselt.«
Ein Sergeant der Marines machte seinen Platz frei. Ryan setzte sich, ignorierte die Verbotsschilder an der Wand und steckte sich eine Zigarette an.
ANDREJ ILJITSCH, tippte Ryan langsam, SORGEN SIE IMMER NOCH SELBST FÜR DAS KAMINFEUER IN DER DATSCHE?
»In Ordnung?«
Rosselli nickte dem Unteroffizier neben Ryan zu. »Senden.«
»Was soll das?« fragte der Verteidigungsminister. Vier Männer beugten sich über das Terminal. Ein Major der sowjetischen Armee übersetzte.
»Da stimmt was nicht«, meinte ein Kommunikationsoffizier. »Das ist doch -«
»Antworten Sie: ›Wissen Sie noch, wer Ihnen das Knie verbunden hat?‹«
»Wie bitte?«
»Senden!« befahl Narmonow.
Sie warteten zwei Minuten lang.
IHR LEIBWÄCHTER ANATOLIJ VERSORGTE MICH, ABER MEINE HOSE WAR RUINIERT.
»Das ist Ryan!«
»Gehen wir lieber auf Nummer Sicher«, riet Golowko.
Der Übersetzer schaute auf seinen Schirm. »Hier steht: ›Und unserem Freund geht es gut?‹«
Ryan schrieb: ER WURDE MIT ALLEN EHREN IN CAMP DAVID BEGRABEN.
»Was soll das bedeuten?« fragte Rosselli.
»Darüber sind auf der ganzen Welt nur 20 Personen informiert. Er will sich nur vergewissern, daß ich es auch bestimmt bin.« Jacks Finger schwebten über der Tastatur.
»Kommt mir ziemlich blödsinnig vor.«
»Schön, meinetwegen ist es Blödsinn, aber kann es etwas schaden?« fragte Ryan.
»Senden.«
»Verdammt, was soll das?« brüllte Fowler. »Wer fuhrwerkt da -«
»Sir, Befehl vom Präsidenten. Wir sollen Sie –«
»Einfach ignorieren«, versetzte Jack kalt.
»Verdammt, das kann ich nicht!«
»Captain, der Präsident hat die Beherrschung, die Übersicht verloren. Wenn Sie ihm erlauben, mich mundtot zu machen, muß Ihre Familie sterben und meine auch. Es wird Millionen Tote geben. Nun gehen Sie noch einmal diese Nachricht durch und sagen Sie mir, daß ich mich irre!«
»Aus Moskau«, sagte der Übersetzer. »›Ryan, was ist bei Ihnen los?‹«
PRÄSIDENT NARMONOW:
GEGEN UNS IST EIN TERRORANSCHLAG GEFÜHRT WORDEN. ES HERRSCHTE GROSSE VERWIRRUNG, ABER NUN HABEN WIR EINDEUTIGE HINWEISE AUF DEN URSPRUNG DER WAFFE.
WIR SIND SICHER, DASS ES KEINE SOWJETISCHE WAFFE WAR. ICH WIEDERHOLE: WIR SIND SICHER, DASS ES KEINE SOWJETISCHE WAFFE WAR.
WIR VERSUCHEN NUN, DIE TERRORISTEN FESTZUNEHMEN, UND DAS KÖNNTE UNS IN DEN NÄCHSTEN MINUTEN GELINGEN.
»Senden Sie zurück: ›Warum beschuldigte Ihr Präsident uns dieser Tat?‹«
Wieder eine Pause von zwei Minuten.
PRÄSIDENT NARMONOW:
HIER HERRSCHTE GROSSE KONFUSION. UNS LAGEN GEHEIM-DIENSTMELDUNGEN ÜBER POLITISCHE INSTABILITÄT IN DER SOWJETUNION VOR. DIESE INFORMATIONEN ERWIESEN SICH ALS FALSCH, STIFTETEN ABER GROSSE VERWIRRUNG. DARÜBER HINAUS FACHTEN DIE ANDEREN ZWISCHENFÄLLE AUF BEIDEN SEITEN DIE LEIDENSCHAFTEN AN.
»Wohl wahr.«
»Pete, Sie schicken auf der Stelle Leute ins Pentagon und lassen diesen Mann verhaften!«
Obwohl Helen D’Agustino ihm einen wütenden Blick zuwarf, konnte Connor nicht nein sagen. Er rief die Zentrale des Secret Service an und gab den Befehl weiter.
»Er fragt: ›Was schlagen Sie vor?‹«
ICH BITTE SIE, UNS ZU VERTRAUEN UND UNS EINE CHANCE ZU GEBEN, AUCH IHNEN ZU VERTRAUEN. WIR MÜSSEN BEIDE VON DIESEM ABGRUND ZURÜCKWEICHEN. ICH SCHLAGE VOR, DASS WIR DIE ALARMBEREITSCHAFT DER STRATEGISCHEN KRÄFTE REDUZIEREN UND ALLEN TRUPPEN BEFEHLEN, ENTWEDER IN IHREN DERZEITIGEN STELLUNGEN ZU BLEIBEN ODER SICH VON AMERIKANISCHEN ODER SOWJETISCHEN EINHEITEN IN IHRER NÄHE ABZUSETZEN. NACH MÖGLICHKEIT SOLL DAS FEUER SOFORT EINGESTELLT WERDEN.
»Recht so?« fragte Ryan.
»Senden.«
»Kann das ein Trick sein?« fragte der Verteidigungsminister. »Kann das kein Trick sein?«
»Golowko?«
»Ich glaube, daß es Ryan ist und daß er es ehrlich meint – aber kann er seinen Präsidenten überzeugen?«
Narmonow entfernte sich einen Moment und dachte an die Geschichte, an Nikolaus II. »Und wenn wir unsere Alarmbereitschaft reduzieren ... ?«
»Dann können sie einen Schlag führen und unsere Fähigkeit zu einem Gegenschlag um die Hälfte verringern!«
»Genügt die Hälfte denn nicht?« fragte Narmonow, der einen Ausweg sah und nur hoffte, daß er real war. »Können wir die USA denn nicht auch mit der Hälfte vernichten?«
»Nun ...« Der Verteidigungsminister nickte. »Sicher, wir haben genug, um die Amerikaner zweimal zu zerstören. ›Overkill‹ sagen sie dazu.«
RYAN:
ICH HABE GERADE BEFOHLEN, DIE ALARMBEREITSCHAFT DER SOWJETISCHEN STRATEGISCHEN KRÄFTE ZU REDUZIEREN. WIR BLEIBEN IN ERHÖHTER VERTEIDIGUNGSBEREITSCHAFT, GEHEN ABER AUF EINE NIEDRIGERE STUFE, DIE JEDOCH IMMER NOCH HÖHER IST ALS ZU FRIEDENSZEITEN. WENN SIE ÄHNLICHE MASSNAHMEN ERGREIFEN, SCHLAGE ICH VOR, DASS BEIDE SEITEN IM LAUF DER NÄCHSTEN FÜNF STUNDEN IHRE ALARMBEREITSCHAFT ZUG UM ZUG REDUZIEREN.
Jacks Kopf sank auf das Tastenfeld und ließ Buchstaben auf dem Bildschirm erscheinen. »Könnte ich bitte ein Glas Wasser haben? Meine Kehle ist ein bißchen trocken.«
»Mr. President?« fragte Fremont.
»Ja, General?«
»Was empfehlen Sie?«
»Sir, um ganz sicherzugehen, sollten wir abwarten, bis eindeutige Hinweise auf eine Entspannung vorliegen, und dann selbst die Alarmbereitschaft reduzieren. Für den Anfang schlage ich vor, SNAPCOUNT zu widerrufen. Das würde unsere Schlagkraft kaum verringern.«
»General Borstein?«
»Einverstanden, Sir«, kam es von NORAD.
»General Fremont: Sie haben meine Erlaubnis.«
»Ich danke Ihnen, Mr. President. Wir handeln sofort.« General Peter Fremont von der US-Air Force, Oberbefehlshaber des strategischen Luftkommandos, wandte sich an seinen stellvertretenden Stabschef (Operationen): »Halten Sie den Alarm aufrecht und die Vögel startbereit, aber am Boden. Sichern wir die Raketen.«
»Kontakt in drei-fünf-zwei... Distanz 7600 Meter.« Auf diese Peilung hatten sie mehrere Minuten lang gewartet.
»Zielkoordinaten einstellen. Kein Lenkdraht, Aktivierung nach 4000 Metern.« Dubinin hob den Kopf. Er wußte nicht, warum das Flugzeug über ihm keinen weiteren Angriff geführt hatte.
»Eingestellt!« rief der Waffenoffizier einen Augenblick später.
»Feuer!««
»Käpt’n, ELF-Spruch«, meldete der Kommunikationsoffizier über die Bordsprechanlage.
»Das ist der Spruch, der das Ende der Welt verkündet«, seufzte der Kapitän. »Na, wenigstens haben wir gefeuert.« Die Vorstellung, daß ihre Aktion Menschenleben gerettet hatte, wäre angenehm gewesen, aber er machte sich keine Illusionen. Ihr Resultat war lediglich, daß die Sowjets nun mehr Amerikaner töten konnten. Kernwaffen sind ein Teufelswerk, dachte Dubinin.
»Tiefer gehen?«
Dubinin schüttelte den Kopf. »Nein. Die Turbulenz an der Oberfläche scheint ihnen mehr Probleme zu bereiten, als ich erwartete. Vermutlich sind wir hier sicherer. Neuer Kurs null-neun-null. Peilen einstellen. Auf zehn Knoten gehen.«
Wieder die Bordsprechanlage. »Wir haben den Spruch – Fünf-Buchstaben-Gruppe: ›Alle Feindseligkeiten einstellen!‹«
Die mexikanische Polizei erwies sich als sehr hilfsbereit, und Clarks und Chavez’ gutes Spanisch hatte auch nicht geschadet. Vier Beamte der Bundespolizei in Zivil warteten zusammen mit den CIA-Agenten in der Ankunftshalle; vier Polizisten in Uniform und mit Maschinenpistolen hatten sich unauffällig in der Nähe postiert.
»Wir haben nicht genug Leute, um das richtig durchzuziehen«, meinte der höchste der Federales besorgt.
»Dann schnappen wir sie am besten gleich am Flugzeug.«
»Muy bueno, Señor. Glauben Sie, daß sie bewaffnet sind?«
»Das würde ich bezweifeln. Zu riskant.«
»Hatten die beiden etwas mit der Sache in Denver zu tun?«
Clark drehte sich um und niekte. »Ja, das glauben wir.«
»Ich bin schon gespannt, wie solche Menschen aussehen.« Der Leutnant meinte natürlich ihre Augen. Die Bilder hatte er gesehen.
Die DC-10 hielt am Flugsteig an, und ihre drei Triebwerke wurde abgestellt. Die Fluggastbrücke legte an der vorderen Tür an.
»Sie fliegen erster Klasse«, bemerkte John überflüssigerweise.
»Si. Die Fluggesellschaft meldete 15 Passagiere in der ersten Klasse und wurde angewiesen, den Rest zurückzuhalten. Sie werden sehen, Señor Clark, daß wir uns auf unser Handwerk verstehen.«
»Das bezweifle ich nicht. Falls ich einen anderen Eindruck erweckt haben sollte, bedaure ich das, Teniente.«
»Sie sind von der CIA, nicht wahr?«
»Das darf ich nicht beantworten.«
»Also ja. Was werden Sie mit den Männern anfangen?«
»Mit ihnen reden«, erwiderte Clark schlicht.
Die Tür zur Fluggastbrücke wurde geöffnet. Zwei Beamte der Bundespolizei stellten sich links und rechts davon auf, mit offenen Jacketts. Clark hoffte nur, daß es nicht zu einer Schießerei kommen würde. Die Fluggäste kamen heraus und wurden wie üblich von Angehörigen, die in der Wartehalle standen, mit Rufen begrüßt.
»Na also«, sagte Clark leise. Der Leutnant zog sich die Krawatte zurecht; das war das Signal für seine Männer an der Tür. Günstig, die beiden erschienen als letzte Erster-Klasse-Passagiere. Kati sah blaß und krank aus. Vielleicht war der Flug unangenehm gewesen, dachte Clark, und stieg über die Absperrung. Chavez folgte seinem Beispiel und rief und lächelte einen Passagier an, der verblüfft zurückstarrte.
»Ernesto!« rief John und eilte auf ihn zu.
»Sie müssen mich verwechseln –«
Clark ging dicht an dem Mann aus Miami vorbei.
Ghosn, noch benommen von dem Flug und entspannt, weil sie entkommen waren, reagierte zu langsam. Als er sich in Bewegung setzen wollte, wurde er von hinten angesprungen und zu Boden gerissen. Ein zweiter Polizist setzte ihm eine Pistole an den Kopf, und er bekam Handschellen angelegt, ehe man ihn wieder auf die Beine stellte.
»Da soll doch ...«, meinte Chavez. »Der Typ mit den Büchern! Wir sind uns schon mal begegnet, Freundchen.«
»Kati«, sagte John zum anderen. Sie waren bereits abgetastet worden. Keiner hatte eine Waffe dabei. »Sie wollte ich schon seit Jahren kennenlernen.«
Clark nahm ihnen die Tickets ab. Ihr Gepäck würde die Polizei abholen. Die Federales führten die beiden rasch ab. Die anderen Passagiere der Touristenklasse würden von dem Zwischenfall erst später von Freunden und Verwandten erfahren.
»Sehr elegant«, sagte John zu dem Leutnant.
»Wie ich sagte, verstehen wir unser Geschäft.«
»Könnten Sie die Botschaft anrufen und ausrichten lassen, daß wir die beiden lebend festgenommen haben?«
»Selbstverständlich.«
Die acht Männer warteten in einem kleinen Raum, bis das Gepäck abgeholt war. Es konnte Beweisstücke enthalten, und zu eilig hatte man es nicht. Der Leutnant von der mexikanischen Bundespolizei sah sich die Gesichter der beiden genau an, entdeckte aber nichts, was ihm nicht schon an hundert anderen Männern aufgefallen war, und reagierte leicht enttäuscht. Die Koffer wurden durchsucht, aber außer einigen rezeptpflichtigen Medikamenten, welche, wie sich bei einer Prüfung herausstellte, keine narkotische Wirkung hatten, fand man nichts Ungewöhnliches. Für den Transport zur Gulfstream borgte die Polizei einen Kleinbus.
»Hoffentlich hatten Sie einen angenehmen Aufenthalt in Mexiko«, sagte der Leutnant zum Abschied.
»Was geht hier vor?« fragte die Pilotin, die Zivil trug, aber eine Majorin der Air Force war.
»Das würde ich am besten folgendermaßen erklären«, meinte Clark. »Sie fliegen die Maschine zurück nach Andrews. Mr. Chavez und ich werden hinten diese Herren vernehmen. Und sie werden nichts sehen, nichts hören und an das, was sich hinten abspielt, noch nicht einmal denken.«
»Was –«
»Major, Sie sollen sich über die ganze Sache keine Gedanken machen. Muß ich das nun noch einmal erklären?«
»Nein, Sir.«
»Gut, dann nichts wie weg hier.«
Pilotin und Kopilot gingen nach vorne. Die beiden Kommunikationstechniker setzten sich an ihre Konsolen und zogen einen Vorhang zu, der sie von der Hauptkabine trennte.
Clark drehte sich um und sah, daß seine Gäste Blicke tauschten. Das war ungünstig. Er nahm Kati die Krawatte ab und verband ihm die Augen damit. Chavez machte mit Ghosn das gleiche. Dann wurden die beiden geknebelt, und Clark holte vorne Ohropax. Zuletzt brachten sie die beiden so weit voneinander entfernt unter, wie es die Größe der Kabine erlaubte. John wartete, bis die Maschine abgehoben hatte, und fing dann an. Er haßte Folterungen, aber er brauchte sofort Informationen, und deshalb war er zu allem bereit.
»Torpedo im Wasser!«
»Verdammt, direkt achtern!« Ricks drehte sich um. »Neuer Kurs zwosieben-null. IA, feuern Sie zurück!«
»Aye! Schnappschuß«, rief Claggett. »Eins-acht-null, aktiviert nach 3000, Anfangssuchtiefe 200.«
»Klar!«
»Feuer!«
»Rohr drei: Torpedo frei, Sir.« Das war eine Standardtaktik. Der auf Gegenkurs abgefeuerte Torpedo sollte den Feind zumindest zwingen, die Lenkdrähte seiner Waffe zu kappen. Ricks war bereits im Sonarraum. »Das Abschußgeräusch haben wir nicht gehört, Sir, und den Fisch wegen des Oberflächenlärms auch erst recht spät aufgefaßt.«
»Gehen wir tiefer?« fragte Ricks Claggett.
»Dieser Oberflächenlärm mag unser bester Freund sein.«
»Na gut, Dutch ... Sie hatten ja auch vorhin recht. Ich hätte den Außenborder einsetzen sollen.«
»ELF-Spruch, Sir – SNAPCOUNT widerrufen.«
»Widerrufen?« fragte Ricks ungläubig.
»Jawohl, Sir, widerrufen.«
»Wie tröstlich«, meinte Claggett.
»Und was jetzt?« fragte sich der taktische Offizier in der Orion, der dem Spruch in seiner Hand keinen Sinn entnehmen konnte.
»Sir, wir haben den Kerl endlich geortet.«
»Bleiben Sie auf Kurs.«
»Aber Sir, er hat auf die Maine geschossen!«
»Weiß ich, aber ich darf ihn nicht angreifen.«
»Was für ein Unsinn, Sir.«
»Allerdings«, stimmte der taktische Offizier zu.
»Fahrt?«
»Sechs Knoten, Sir. Der Maschinenraum sagt, die Wellenlager klängen sehr rauh.«
»Wenn wir schneller fahren ...« Ricks runzelte die Stirn.
Claggett nickte. »... fliegt alles auseinander. Zeit für Gegenmaßnahmen, finde ich.«
»Gut, tun Sie das.«
»Fünfzollraum, einen Fächer abschießen.« Claggett drehte sich wieder um. »Für eine nützliche Wendung ist unsere Fahrt zu gering.«
»Unsere Chancen stehen fifty-fifty, schätze ich.«
»Es hätte schlimmer kommen können. Ich frage mich, warum man SNAPCOUNT rückgängig gemacht hat«, meinte der Erste Offizier und starrte aufs Sonardisplay.
»Die Kriegsgefahr ist wohl vorüber, IA... Besonders gut habe ich das wohl nicht gemacht.«
»Verdammt, Skipper, wer ist schon auf so was gefaßt?«
Ricks drehte sich um. »Danke, IA.«
»Der Torpedo ist nun aktiv und in Peil- und Lauschmodus. Richtung einssechs-null.«
»Torpedo, amerikanischer Mark 48, in drei-vier-fünf, wurde gerade aktiv!«
»AK voraus, Kurs beibehalten«, befahl Dubinin.
»Gegenmaßnahmen?« fragte der Starpom.
Der Kapitän schüttelte den Kopf. »Nein, wir sind am Rande seines Ortungsbereichs; das würde den Fisch nur auf uns aufmerksam machen. Die Bedingungen an der Oberfläche sind nützlich. Auf Gefechte in schwerem Wetter ist niemand eingerichtet«, erklärte Dubinin. »Da kommen die Instrumente nicht mit.«
»Käpt’n, ein Satellitensignal an alle Einheiten: ›Kampfhandlungen einstellen und Feindkräften ausweichen. Operationen nur zur Selbstverteidigung gestattet. ‹«
»Ich komme vors Kriegsgericht«, merkte Valentin Borissowitsch Dubinin leise an.
»Sie haben nichts falsch gemacht. Alle Ihre Maßnahmen waren korrekt, und –«
»Danke. Ich hoffe, daß Sie das auch im Zeugenstand sagen.«
»Achtung, neue Peilung – Torpedo hat abgedreht und läuft nun von uns weg nach Westen«, sagte Leutnant Rykow. »Zuerst muß eine Rechtswendung einprogrammiert gewesen sein.«
»Zum Glück schlug er keinen Haken nach links. Ich glaube, wir haben es überstanden. So, und jetzt muß nur noch unser Torpedo sein Ziel verfehlen. . .«
»Sir, der Fisch kommt näher und hat uns wahrscheinlich aufgefaßt – peilt nun kontinuierlich, Sir.«
»Weniger als 2000 Meter«, sagte Ricks.
»So ist es«, stimmte Claggett zu.
»Versuchen Sie es weiter mit Gegenmaßnahmen – bleiben Sie dran!« Die taktische Situation verschlechterte sich. Maine fuhr für wirkungsvolle Ausweichmanöver zu langsam. Durch die Gegenmaßnahmen wurden im Wasser Gasblasen produziert, die den russischen Torpedo vielleicht zum Abdrehen bewegen konnten; das war ihre einzige Hoffnung. Andererseits aber konnte der Fisch den Blasenvorhang durchdringen und die Maine dann wieder mit seinem Sonar orten. Es war aber möglich, daß eine ununterbrochen ausgestoßene Reihe falscher Ziele seinen Suchkopf überlud. Das war nun ihre beste Chance. »Bleiben wir nahe an der Oberfläche«, meinte Ricks. Claggett schaute ihn an und nickte zustimmend.
»Es wirkt nicht, Sir ... Sir, ich habe den Fisch verloren, er liegt jetzt in unserem Kielwasser.«
»Auftauchen!« befahl Ricks. »Anblasen!«
»Hoffen Sie auf eine Selbstzerstörung an der Oberfläche?«
»Ja. Und jetzt bin ich mit meinem Latein am Ende.«
»Nach links, parallel zu den Seen?«
»Gut, übernehmen Sie das.«
Claggett ging in die Zentrale. »Periskop ausfahren!« Er schaute rasch in die Runde und prüfte den Kurs des Bootes. »Neuer Kurs null-fünf-fünf!«
USS Maine tauchte zum letzten Mal in zehn Meter hohe Seen und eine fast totale Finsternis auf. Ihr runder Rumpf rollte in den Brechern, und sie drehte nur langsam ab. Die Gegenmaßnahmen waren ein Fehler gewesen. Der Torpedo peilte zwar, war aber vorwiegend auf das Verfolgen von Kielwasser eingerichtet. Sein Suchkopf sprach auf Blasen an, und die Gegenmaßnahmen legten eine perfekte Spur, die plötzlich endete. Als die Maine auftauchte, verließ er den Blasenstrom. Wieder kamen technische Faktoren ins Spiel. Da die Turbulenz das Kielwasser-Suchprogramm verwirrte, begann der Torpedo knapp unter der Oberfläche kreisend zu suchen. Auf der dritten Runde fand er unter den verwirrenden Umrissen über sich ein ungewöhnlich hartes Echo. Nun hielt er darauf zu und aktivierte seinen Magnetzünder. Die russische Waffe war nicht so hochentwickelt wie der amerikanische Mark 50, konnte über 20 Meter Tiefe nicht hinaus und wurde daher nicht an die Oberfläche gelockt. Sie erzeugte nun ein Magnetfeld, das sich ausbreitete wie ein unsichtbares Spinnennetz, und als eine metallische Masse dieses Netz störte –
Der 1000-Kilo-Sprengkopf detonierte nur fünfzehn Meter vom bereits beschädigten Heck der Maine entfernt. Das 20 000-Tonnen-Boot wurde wie von einem Rammstoß erschüttert.
Sofort gab es Alarm: »Wassereinbruch im Maschinenraum!«
Ricks griff nach dem Hörer. »Wie ernst ist es?«
»Schaffen Sie die Leute von Bord, Sir!«
»Das Boot verlassen! Rettungsgerät ausgeben! Funkspruch absetzen: ›Sind beschädigt und sinken‹. Position durchgeben!«
»Captain Rosselli! Blitzmeldung!«
Ryan schaute auf. Er hatte sein Glas Wasser getrunken und danach etwas Kaltes, das mit Kohlensäure versetzt war. Mit dieser Meldung konnte der Marineoffizier allein fertigwerden.
»Sind Sie Mr. Ryan?« fragte ein Mann, der einen Anzug trug. Hinter ihm standen zwei weitere.
»Dr. Ryan, ja.«
»Secret Service, Sir. Der Präsident hat uns befohlen, Sie festzunehmen.«
Darüber mußte Jack lachen. »Weswegen?«
Der Agent wurde sofort verlegen. »Das hat er uns nicht gesagt, Sir.«
»Ich bin nun kein Polizist, aber mein Vater war einer. Das Gesetz schreibt vor, daß Sie mich nicht ohne Grund und Haftbefehl festnehmen können. Vergessen Sie die Verfassung nicht... ›Bewahren, beschützen, verteidigen.<«
Nun steckte der Agent in der Zwickmühle. Einerseits hatte er den Befehl von einem Mann, dem er gehorchen mußte, andererseits war er zu gewissenhaft, um gegen das Gesetz zu verstoßen. »Sir, der Präsident sagte...«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich bleibe einfach hier sitzen, und Sie können über dieses Telefon beim Präsidenten rückfragen. Keine Angst, ich fliehe nicht.« Jack steckte sich eine Zigarette an und hob den Hörer eines anderen Telefons.
»Hallo?«
»Hallo, Schatz.«
»Jack? Was ist los?«
»Keine Angst. Die Lage war ein bißchen gespannt, aber nun haben wir sie wieder im Griff. Cathy, ich sitze hier nun noch eine Weile fest, aber es ist alles wieder in Ordnung, ehrlich.«
»Ganz bestimmt?«
»Sorge dich um dein Baby und um sonst nichts. Das ist ein Befehl.«
»Meine Periode ist um einen Tag überfällig, aber –«
»Gut.« Jack lehnte sich zurück, schloß die Augen und lächelte glücklich. »Du wünschst dir ein Mädchen, stimmt’s?«
»Ja.«
»Gut, dann will ich das auch. So, Schatz, ich hab’ jetzt zu tun, aber du kannst dich wirklich beruhigen. Muß jetzt Schluß machen. Bis bald.« Er legte wieder auf. »Gut, daß ich daran gedacht habe.«
»Sir, der Präsident möchte Sie sprechen.«
Der Agent hielt Ryan den Hörer hin. Wie kommen Sie auf die Idee, daß ich mit ihm reden will? hätte Jack beinahe gefragt, aber das wäre unprofessionell gewesen. Er nahm den Hörer. »Hier Ryan, Sir.«
»Sagen Sie, was Sie wissen«, sagte Fowler knapp.
»Mr. President, geben Sie mir 15 Minuten, dann kann ich Sie umfassender informieren. Dan Murray vom FBI weiß ebensoviel wie ich, und ich muß Kontakt mit zwei Agenten aufnehmen. Recht so, Sir?«
»Na gut.«
»Danke, Mr. President.« Ryan reichte den Hörer zurück und rief den Lageraum der CIA an. »Hier Ryan. Hatte Clark Erfolg?«
»Sir, das ist eine offene Leitung.«
»Ist mir gleichgültig. Beantworten Sie die Frage.«
»Ja, Sir, sie sind auf dem Rückflug. Wir haben eine Funkverbindung zu der Maschine. Sie ist von der Air Force, Sir.«
»Wer ist am besten für die Analyse der Bombe qualifiziert?«
»Moment, Sir.« Der Offizier vom Dienst erkundigte sich bei Ted Ayres von W&T. »Dr. Lowell von Lawrence-Livermore, meint Ted.«
»Er soll sich in Bewegung setzen. Der nächste Luftstützpunkt ist wahrscheinlich Travis. Besorgen Sie ihm eine Maschine.« Ryan legte auf und wandte sich an den für den heißen Draht zuständigen Offizier.
»In Mexico City ist gerade eine VC-20 gestartet und nun auf dem Weg nach Andrews. Ich habe zwei Agenten und zwei – andere Personen an Bord. Bitte lassen Sie eine Funkverbindung mit der Maschine herstellen.«
»Von hier aus geht das leider nicht, Sir, aber wenn Sie in den Konferenzsaal auf der anderen Seite gehen ...«
Ryan stand auf. »Kommen Sie mit?« fragte er die Agenten vom Secret Service.
Bitterer konnte es nicht kommen, dachte Kati, erkannte aber einen Augenblick später, daß das nicht stimmte. Er war nun schon seit einem Jahr auf den Tod gefaßt gewesen. Seinen Verfolgern hätte er entkommen können, aber vor dem Tod gab’s kein Entrinnen.
»So, dann reden wir mal.«
»Ich verstehe Sie nicht«, erwiderte Kati auf arabisch.
»Ihre Aussprache bereitet mir Schwierigkeiten«, erwiderte Clark und kam sich sehr schlau vor. »Ich habe die Sprache nämlich von einem Saudi gelernt. Bitte sprechen Sie langsamer.«
Seine Muttersprache aus dem Mund des Ungläubigen brachte Kati nur kurz aus dem Konzept. Er beschloß, in Englisch zu antworten und seine Klugheit unter Beweis zu stellen. »Von mir erfahren Sie nichts.«
»O doch.«
Kati wußte, daß er so lange wie möglich Widerstand leisten mußte. Das war die Sache wert.