7
Die Stadt Gottes
Die Kameras waren an Ort und Stelle. Auf dem Luftwaffenstützpunkt Andrews waren die modernsten Satelliten-Übertragungswagen in Transportmaschinen Galaxy C-5B geladen und zu Roms Flughafen »Leonardo da Vinci« geflogen worden. Der Aufwand wurde weniger für die feierliche Vertragsunterzeichnung, sollte diese überhaupt stattfinden, betrieben, sondern mehr dazu, das üppige Ambiente entsprechend einzufangen. Die TV-Produzenten fanden, daß die gerade erst in Produktion gegangenen volldigitalisierten und hochauflösenden Anlagen die wunderbaren Kunstwerke an den Wänden des Vatikans besser wiedergeben konnten. Italienische Schreiner und Elektroniker aus New York und Atlanta hatten rund um die Uhr Kabinen gebaut und ausgestattet, in denen Nachrichtensendungen, darunter auch die News des Frühstücksfernsehens der drei großen amerikanischen TV-Netze, produziert werden sollten. Neben der massiven Präsenz von CNN, BBC, NHK kämpften Vertreter fast aller anderen Fernsehanstalten der Welt um Raum auf dem weiten Platz vor der 1503 von Bramante begonnenen und von Raffael, Michelangelo und Bernini vollendeten Kirche. Ein kurzer, aber heftiger Sturm hatte Gischt vom Springbrunnen in die Kabine der Deutschen Welle geblasen und Geräte im Wert von hunderttausend Mark kurzgeschlossen. Nachdem die Teams alle Stellung bezogen hatten, war es für den Einwand der Vatikanbeamten, es bliebe ja kein Platz mehr für die Menschen, die Zeuge der Zeremonie – für deren Zustandekommen man betete – werden wollten, schon viel zu spät. Jemand entsann sich, daß im Rom der Antike an dieser Stelle der Circus Maximus gestanden hatte, und man war sich allgemein einig, daß dies jetzt der größte Medienzirkus der letzten Jahre war.
Die Leute vom Fernsehen genossen ihren Aufenthalt in Rom. Die Crews der Frühsendungen Today Show und Good Morning America brauchten ausnahmsweise einmal nicht vor dem Zeitungsboten aufzustehen, sondern gingen erst um die Mittagszeit auf Sendung und hatten anschließend Zeit für einen nachmittäglichen Einkaufsbummel. Das Abendessen nahm man in einem der vielen erstklassigen Restaurants ein. Rechercheure machten sich in Nachschlagewerken über antike Bauten wie das Kolosseum schlau, welches, wie ein aufmerksamer Leser feststellte, in Wirklichkeit den Namen Flavisches Amphitheater getragen hatte, und die Kommentatoren malten ebenso blumig wie blutrünstig das römische Gegenstück zum amerikanischen Football aus: Kämpfe auf Leben und Tod, Mann gegen Mann, Mann gegen Raubtier, Raubtier gegen Christen und diverse andere Kombinationen. Der symbolische Mittelpunkt aber war das Forum, die Ruinen des alten Zentrums, wo Cicero und Scipio ihre Reden gehalten und sich mit Anhängern und Gegnern getroffen hatten. Wieder einmal spielte das Ewige Rom, die Mutter eines gewaltigen Imperiums, eine Rolle auf der Weltbühne. In seiner Mitte lag der Vatikan, ein winziges Territorium zwar, aber dennoch ein souveräner Staat. »Wie viele Divisionen hat der Papst?« zitierte ein TV-Koordinator Stalin und führte damit über zu einem weitschweifigen Diskurs über die historische Bedeutung der Kirche, die den Marxismus-Leninismus so erfolgreich überdauert hatte, daß die Sowjetunion nun diplomatische Beziehungen zum Vatikan aufnehmen wollte und ihre Abendnachrichten aus einer Kabine auf dem Petersplatz sendete.
Zusätzliche Aufmerksamkeit wurde auch den Repräsentanten der beiden anderen Religionen bei den Verhandlungen zuteil. Bei ihrem Empfang hatte der Papst ein Ereignis aus der Frühzeit des Islam erwähnt: Eine Abordnung katholischer Bischöfe war nach Arabien gereist, um Mohammeds Absichten zu erkunden. Nach einer ersten, freundlichen Begegnung fragte der älteste Bischof, wo er mit seinen Begleitern die Messe zelebrieren könnte. Daraufhin bot Mohammed sofort die Moschee, in der sie gerade standen, an; immerhin sei sie ein Gotteshaus, merkte der Prophet an. Der Heilige Vater machte den jüdischen Gästen ein ähnliches Angebot. In beiden Fällen bekamen die konservativen Kleriker ein unbehagliches Gefühl, das der Heilige Vater aber mit seiner in drei Sprachen gehaltenen Rede hinwegfegte.
»Im Namen des Einen Gottes, den wir unter verschiedenen Namen kennen, der aber doch der Gott aller Menschen ist, öffnen wir unsere Stadt allen, die guten Willens sind. Es gibt so viele Dinge, die uns gemeinsam sind. Wir glauben an einen Gott der Liebe und der Gnade. Wir glauben an die unsterbliche Seele des Menschen. Nichts ist größer als der Glaube, der sich in Barmherzigkeit und Brüderlichkeit offenbart. Brüder aus fernen Landen, wir begrüßen euch und schließen in unser Gebet den Wunsch ein, daß euer Glaube euch den Weg zur Gerechtigkeit und zum Frieden Gottes weisen möge.«
»Donnerwetter«, merkte der Koordinator des Frühstücksfernsehens an. »Langsam habe ich das Gefühl, daß bei diesem Zirkus tatsächlich etwas herauskommt.«
Natürlich endete die Berichterstattung nicht mit der offiziellen Ansprache. Im Interesse der Fairneß, Ausgewogenheit, Streitkultur, Interpretation der Zeitgeschichte und Plazierung von Werbespots erschienen vor den Kameras unter anderen der Führer einer jüdischen paramilitärischen Gruppe, der lautstark die Vertreibung der Juden aus Spanien durch Ferdinand und Isabella, die Schwarzen Hundertschaften des Zaren und den Holocaust ins Gedächtnis rief, den er angesichts der Wiedervereinigung Deutschlands besonders betonte. Er kam zu der Schlußfolgerung, daß die Juden Narren seien, wenn sie sich auf etwas anderes als die Waffen in ihren starken Händen verließen. In Ghom wetterte Irans religiöser Führer Ajatollah Daryaei, schon immer ein Feind Amerikas, gegen alle Ungläubigen und verdammte sie zur Hölle, aber da die Simultanübersetzung fürs amerikanische Fernsehpublikum fast unverständlich war, sendete man die bombastische Tirade gekürzt. Die meiste Sendezeit bekam ein selbsternannter »charismatischer Christ« aus dem Süden der USA. Nachdem er den Katholizismus als Werk des Antichristen angeprangert hatte, wiederholte er seine Behauptung, der Herr höre die Gebete der Juden und heidnischen Moslems, die er noch zusätzlich beleidigend »Mohammedaner« nannte, überhaupt nicht.
Mit ihrer Botschaft kamen diese Demagogen jedoch nicht an. Die Zuschauer riefen erbost bei den Anstalten an und wollten wissen, warum man diesen Leuten überhaupt Gelegenheit gab, ihre Bigotterien zu verbreiten. Die TV-Chefs freute das natürlich, denn erfahrungsgemäß schalteten diese Leute das Programm wieder ein, um sich weiter schockieren zu lassen. Bei dem amerikanischen Eiferer gingen sofort die Spenden zurück. B’nai B’rith distanzierte sich hastig von dem wildgewordenen Rabbi. Das Oberhaupt der Islamischen Liga, ein Geistlicher von hohem Rang, beschuldigte den radikalen Imam der Ketzerei und zitierte ausführlich den Propheten. Fernsehkommentatoren sorgten mit Gegenpositionen für eine Ausgewogenheit, die einige Zuschauer besänftigte und andere aufbrachte.
Schon nach einem Tag, schrieb ein Kolumnist, hätten die zu Tausenden angereisten Korrespondenten der runden Piazza San Pietro den Namen »Peace-Bowl« gegeben. Aufmerksame Beobachter führten diese kindische Anspielung auf die Super-Bowl, das Spiel um die Meisterschaft im amerikanischen Football, auf den Streß zurück, unter dem Reporter stehen, wenn sie berichten müssen und nichts zu berichten haben. Die Konferenz war hermetisch abgesichert. Teilnehmer reisten mit Militärmaschinen an und landeten auf Militärflugplätzen. Man hielt die Reporter und die mit Teleobjektiven bewaffneten Kameraleute so weit wie möglich vom Geschehen fern und ließ die Konferenzteilnehmer vorwiegend bei Nacht anreisen. Die Schweizergarde in ihren Renaissance-Kostümen ließ keine Maus durch, und wenn sich zur Abwechslung einmal etwas Wichtiges ereignete – der Verteidigungsminister der Schweiz betrat den Vatikan durch einen Nebeneingang –, merkte niemand etwas.
Die Ergebnisse von Meinungsumfragen in zahlreichen Ländern zeigten, daß die Welt Frieden wollte und nach dem Ausgleich mit dem Osten besonders euphorisch den Durchbruch erwartete. Zwar warnten Kommentatoren, es habe in der jüngeren Geschichte keine heiklere politische Frage gegeben, aber auf der ganzen Welt beteten die Menschen in mehr als hundert Sprachen und in mehr als einer Million Kirchen für die Beilegung dieses letzten und gefährlichsten Streites auf dem Planeten. Es sprach für die Fernsehanstalten, daß sie auch darüber berichteten.
Berufsdiplomaten, darunter abgebrühte Zyniker, die seit ihrer Kindheit kein Gotteshaus mehr von innen gesehen hatten, bekamen den Druck dieser Erwartungshaltung zu spüren. Vereinzelte Berichte aus der Verwaltung des Vatikans sprachen von nächtlichen Spaziergängen im Schiff des Petersdoms, von Beratungen auf Balkonen unter sternklarem Himmel und von langen Gesprächen einiger Teilnehmer mit dem Heiligen Vater, konnten aber keine Details nennen. Die hochbezahlten TV-Koordinatoren starrten einander in peinlichem Schweigen an. Journalisten stahlen jede nur verfügbare Idee, damit sie überhaupt etwas zu schreiben hatten. Seit der Marathonrunde von Camp David – damals hatten Jimmy Carter, Menachem Begin und Anwar As Sadat um den Frieden gerungen – war nicht mehr über so schwerwiegende Verhandlungen so wenig verlautbart worden.
Und die Welt hielt den Atem an.
Der alte Mann trug einen roten, weiß abgesetzten Fes und war einer der wenigen, die noch an dieser traditionellen Tracht festhielten. Das Leben der Drusen ist schwer, und diesem Mann war seine Religion, an der er nun seit sechsundsechzig Jahren festgehalten hatte, der einzige Trost.
Die Drusen sind Mitglieder einer Sekte, die Elemente des Islam, des Christentums und des Judaismus verbindet und im 11. Jahrhundert von Al Hakim bi-Amri-llah, damals Kalif von Ägypten, der sich für die Inkarnation Gottes hielt, in ihre gegenwärtige Form gebracht wurde. Sie leben vorwiegend im Libanon, in Syrien und in Israel und haben dort jeweils eine prekäre Außenseiterstellung. Im Gegensatz zu muslimischen israelischen Staatsbürgern ist ihnen der Dienst in den Streitkräften des Judenstaates nicht verwehrt, eine Tatsache, die nicht unbedingt das Vertrauen der syrischen Regierung in ihre drusische Minorität fördert. Obwohl einige Drusen in der syrischen Armee in führende Positionen aufgestiegen waren, vergaß man doch nicht, daß ein solcher Offizier, ein Oberst und Regimentskommandeur, nach dem Jom-Kippur-Krieg hingerichtet worden war, weil er sich von einer strategisch wichtigen Straßenkreuzung hatte verdrängen lassen. Obwohl er sich nach militärischen Begriffen tapfer geschlagen und die Überreste seiner Einheit geordnet zurückgezogen hatte, kostete der Verlust der Kreuzung die Syrer zwei Panzerbrigaden und den Oberst in der Folge das Leben – weil er Pech gehabt hatte und wohl auch weil er ein Druse war.
Dem alten Bauern waren die Einzelheiten dieser Geschichte unbekannt, aber er wußte auch so genug. Die syrischen Moslems hatten damals einen Drusen getötet, und seither noch viele andere. In der Folge traute er keinem Angehörigen der syrischen Regierung oder Armee, was aber nicht bedeutete, daß er irgendwelche Sympathien für den Staat Israel empfand. 1975 hatte ein schweres israelisches 175-Millimeter-Geschütz seine Umgebung beschossen in dem Versuch, ein syrisches Munitionslager auszuschalten. Dabei hatte ein Splitter seine Frau, mit der er seit vierzig Jahren verheiratet gewesen war, tödlich verwundet und seinem Übermaß an Trauer noch die Einsamkeit hinzugefügt. Was Israel als historische Konstante sah, war für diesen einfachen Bauern ein unmittelbarer und tödlicher Lebensumstand. Es war sein Schicksal, zwischen zwei Armeen zu leben, für die seine Existenz nur ein störender Faktor war. Der Druse hatte nie viel vom Leben erwartet. Er besaß ein kleines Stück Land, das er bestellte, ein paar Ziegen und Schafe, ein schlichtes Haus aus Steinen, die er selbst von seinen felsigen Feldern geschleppt hatte, und wollte nur eines: in Frieden leben. Das durfte doch nicht zuviel verlangt sein, hatte er sich einmal gesagt, aber er war in sechsundsechzig bewegten Jahren immer wieder enttäuscht worden. Er hatte seinen Gott um Gnade angefleht und um ein paar kleine Bequemlichkeiten – auf Reichtum hatte er nie gehofft –, um seiner Frau und ihm das Los ein wenig zu erleichtern. Aber immer vergebens. Von den fünf Kindern, die ihm seine Frau geboren hatte, waren vier in der Kindheit gestorben, und der einzige überlebende Sohn war 1973 von der syrischen Armee eingezogen worden – gerade rechtzeitig, um am Krieg teilzunehmen. Immerhin hatte sein Sohn mehr Glück gehabt als der Rest der Familie: Als eine israelische Granate seinen Schützenpanzer BTR-60 traf, wurde er hinausgeschleudert und verlor nur ein Auge und eine Hand. Nun war er zwar halbblind und verkrüppelt, hatte aber geheiratet, Enkel gezeugt und genoß als Kaufmann und Geldverleiher bescheidenen Erfolg. Angesichts seines Schicksals kein großer Segen, aber für den alten Bauern war es die einzige Freude, die er im Leben gehabt hatte.
Der Druse baute Gemüse an und ließ seine Schafe und Ziegen auf einem steinigen Feld nahe der syrisch-libanesischen Grenze weiden. Standhaft konnte man ihn nicht nennen, und auch kaum beharrlich; selbst sein Wille zum Überleben war schwach. Für den alten Bauern war das Leben nur eine Gewohnheit, die er nicht ablegen konnte, eine endlose Folge von Tagen, derer er immer überdrüssiger wurde. Wenn im Frühjahr die Lämmer geboren wurden, wünschte er sich insgeheim, er möge den Tag ihrer Schlachtung nicht mehr erleben – andererseits aber störte ihn die Vorstellung, daß diese dummen und sanftmütigen Tiere ihn überleben könnten.
Wieder brach ein Tag an. Der Bauer besaß keinen Wecker und brauchte ihn auch nicht. Wenn der Himmel hell wurde, begannen die Glocken seiner Schafe und Ziegen zu bimmeln. Er schlug die Augen auf und spürte sofort die Schmerzen in seinen Gliedern. Er reckte sich und stand langsam auf. Nach wenigen Minuten war er gewaschen und hatte sich die grauen Stoppeln vom Gesicht geschabt, dann frühstückte er hartes Brot und starken, süßen Kaffee, und der Arbeitstag begann. Um seinen Gemüsegarten kümmerte sich der Bauer früh am Morgen noch vor der Hitze des Tages. Er hatte einen recht großen Garten, weil er den Überschuß auf dem Markt verkaufte und sich so die wenigen Dinge finanzierte, die ihm als Luxus galten. Selbst das war ein Kampf. Die Arbeit quälte seine arthritischen Gelenke, und es war eine Plage, seine Tiere von den zarten Trieben fernzuhalten. Andererseits konnte er die Schafe und Ziegen verkaufen, und den Erlös, den er dafür bekam, brauchte er bitter nötig, um nicht hungern zu müssen. In Wirklichkeit aber schaffte er sich im Schweiße seines Angesichts ein annehmbares Auskommen und hatte, weil er allein lebte, mehr als genug zu essen. Die Einsamkeit hatte ihn geizig gemacht; selbst seine Gartengeräte waren alt. Die Sonne stand noch tief, als er bedächtig auf sein Feld stapfte, um das Unkraut zu jäten, das täglich aufs neue zwischen den Reihen hochschoß. Ach, wenn man doch bloß eine Ziege dressieren könnte, wünschte er sich insgeheim wie sein Vater und sein Großvater vor ihm. Wäre es nicht herrlich, wenn eine Ziege nur das Unkraut fräße und das Gemüse unversehrt ließe? Aber Ziegen waren strohdumm und bewiesen Intelligenz nur, wenn es darum ging, Unheil zu stiften. Wie immer begann er in derselben Ecke des Gartens, hob die breite, schwere Tschappa, hackte sie in den Boden und riß das Unkraut heraus. Angesichts seines Alters und seiner Gebrechlichkeit arbeitete er sich mit einem erstaunlichen Tempo durch die Reihen vor.
Klack.
Was war das? Der Bauer richtete sich auf und wischte sich den Schweiß ab. Die Hälfte der Morgenarbeit war getan, und er freute sich langsam auf die Ruhepause, die mit dem Versorgen der Schafe einherging. Hm, ein Stein war das nicht. Er schob mit der Breithacke die Erde zur Seite... ach so, dieses Ding.
Man findet den Prozeß oft erstaunlich. Schon seit den Anfängen der Landwirtschaft reißen die Bauern auf der ganzen Welt Witze über Felder, auf denen Steine wachsen. Überall bestätigen Feldsteinmauern am Weg diesen nur an der Oberfläche mysteriösen Prozeß. Schuld ist Wasser, das als Regen fällt, im Boden versickert, im Winter gefriert, sich dabei ausdehnt, und zwar nach oben. Steine im Boden werden so nach oben gedrückt und tauchen auf dem Feld auf. Besonders intensiv ist dieser Vorgang auf den vulkanischen Golanhöhen, wo es im Winter zu Frost kommen kann.
Dieses Objekt war jedoch kein Stein.
Es war aus Metall und sandfarben, wie er feststellte, als er es freigelegt hatte. Ja, dieser Tag, der Tag, an dem sein Sohn verwundet worden war ...
Was fange ich mit dem dummen Ding bloß an? fragte sich der Bauer, der wohl wußte, daß er eine Bombe vor sich hatte. Wie sie an diese Stelle gelangt war, war ihm allerdings ein Rätsel. Er hatte weder israelische noch syrische Flugzeuge Bomben in der Nähe seines Hauses abwerfen gesehen, aber das war nebensächlich. Tatsache war, daß dieser große Metallbrocken nun da lag und zwei Reihen Karotten unterbrach. Angst hatte der Bauer nicht. Da das Ding nicht explodiert war, sondern sich nur in den Boden gebohrt hatte, mußte es kaputt sein. Den kleinen Trichter hatte er am Tag nach dem Einschlag mit Erde gefüllt und damals von den Verletzungen seines Sohnes noch nichts gewußt,.
Warum bleibt das Ding nicht in seinem Loch, wo es hingehört? fragte er sich. Aber in seinem Leben war ja nichts recht gegangen. Nein, alles, was ihm Schaden zufügen konnte, hatte ihn gefunden. Warum hat Gott mich so grausam behandelt? fragte sich der Druse. Habe ich denn nicht regelmäßig gebetet und alle die strengen Vorschriften eingehalten? Habe ich denn je viel verlangt? Für wessen Sünden muß ich denn büßen?
Nun denn. Sinnlos, solche Fragen so spät im Leben zu stellen. Er jätete weiter, stellte sich einmal sogar auf die freiliegende Spitze der Bombe, arbeitete sich langsam vor. In ein, zwei Tagen wollte sein Sohn ihn mit den Enkelkindern besuchen, die einzige uneingeschränkte Freude in seinem Leben. Er nahm sich vor, seinen Sohn um Rat zu fragen. Sein Sohn war Soldat gewesen und kannte sich mit solchen Sachen aus.
Es war so eine Woche, die jeder Regierungsbeamte haßt. Es ereignete sich etwas Wichtiges in einer anderen Zeitzone. Der Unterschied betrug sechs Stunden, und Jack fand sehr verwunderlich, daß er unter den Auswirkungen der Zeitverschiebung litt, ohne überhaupt gereist zu sein.
»Nun, wie sicht’s drüben aus?« fragte Clark vom Fahrersitz.
»Erstaunlich positiv.« Jack blätterte die Dokumente durch. »Die Saudis und Israelis waren sich gestern doch tatsächlich über etwas einig und baten um ein und dieselbe Änderung.« Jack lachte in sich hinein. Das mußte ein Zufall gewesen sein; hätten die Delegationen das gewußt, würden sie ihre Positionen bestimmt geändert haben.
»Das muß jemandem aber fürchterlich peinlich gewesen sein!« Clark, der ähnlichen Gedankengängen folgte wie sein Chef, lachte laut. Es war noch dunkel, und der einzige Vorteil dieser frühen Stunde waren leere Straßen. »Die Saudis waren Ihnen sympathisch, stimmt’s?«
»Waren Sie schon einmal dort?«
»Abgesehen vom Golfkrieg? Klar, oft. Ich infiltrierte von dort aus 1979 und 1980 den Iran, hatte viel mit Saudis zu tun und lernte Arabisch.«
»Wie gefiel es Ihnen dort?«
»Gut. Ich freundete mich mit einem Major an, im Grunde ein Spion wie ich, der nicht viel praktische Erfahrung hatte, sich aber gut in der Theorie auskannte. Er wußte, daß er noch viel zu lernen hatte, und hörte auf mich. Zwei-oder dreimal lud er mich zu sich nach Hause ein. Er hat zwei nette Kinder; ein Sohn ist inzwischen Jetpilot. Sonderbar nur, wie sie ihre Frauen behandeln. Meine Sandy würde sich das nie bieten lassen.« Clark hielt inne, wechselte die Spur und überholte einen Laster. »Professionell gesehen sind die Saudis sehr kooperativ. Wie auch immer, was ich sah, gefiel mir. Gut, sie sind anders als wir, aber was macht das schon? Es leben ja nicht nur Amerikaner auf der Welt.«
»Und die Israelis?« fragte Jack und klappte den Dokumentenkasten zu.
»Mit denen habe ich ein paarmal zusammengearbeitet, vorwiegend im Libanon. Die Leute vom Mossad sind arrogant und großspurig, aber jene, denen ich begegnete, hatten auch Grund dazu. Problematisch ist ihre Festungsmentalität, wenn auch verständlich.« Clark wandte den Kopf. »Und das ist der Haken, nicht wahr?«
»Wie meinen Sie das?«
»Es wird nicht leicht sein, sie von dieser Haltung abzubringen.«
»Allerdings. Wenn sie doch nur aufwachen und erkennen würden, daß die Welt sich verändert hat«, grollte Ryan.
»Doc, Sie müssen verstehen, daß diese Leute alle wie Frontsoldaten denken. Was erwarten Sie denn? In ganz Israel ist für die Gegenseite das Feuer frei. Die Israelis haben dieselbe Mentalität wie wir Frontschweine in Vietnam. Für sie gibt es nur zwei Kategorien: ihre eigenen Leute – und alle anderen.« John Clark schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, wie oft ich auf der Farm versucht habe, das den Jungs einzutrichtern? Die Grundlage des Überlebenstrainings. Die Israelis können gar nicht anders denken. Die Nazis ermordeten Millionen von Juden, und wir rührten keinen Finger – nun, vielleicht konnten wir damals auch nichts tun. Andererseits frage ich mich, ob wir es nicht doch geschafft hätten, Hitler auszuschalten, wenn wir es nur ernsthaft versucht hätten. Wie auch immer, ich finde ebenso wie Sie, daß die Israelis ihre Scheuklappen ablegen müssen. Vergessen Sie aber nicht, daß wir da sehr viel von ihnen verlangen.«
»Vielleicht hätte ich Sie mit zu Avi nehmen sollen«, merkte Jack an und gähnte.
»Zu General Ben Jakob? Soll ein knallharter, bierernster Typ sein. Seine Leute respektieren ihn, und das bedeutet allerhand. Schade, daß ich nicht dabei war, Chef, aber ich hatte meine zwei Wochen Angelurlaub nötig.« Selbst Frontschweine bekamen manchmal frei.
»Andeutung verstanden, Mr. Clark.«
»Hören Sie, ich muß heute nachmittag runter nach Quantico, um mich an der Pistole zu requalifizieren. Und Sie sehen, mit Verlaub gesagt, so aus, als könnten Sie ein bißchen Entspannung vertragen. Warum kommen Sie nicht mit? Ich besorge Ihnen eine hübsche kleine Beretta zum Spielen.«
»Keine Zeit, John.«
»Aye aye, Sir. Sie verschaffen sich keine Bewegung, Sie trinken viel zuviel, und Sie sehen miserabel aus, Dr. Ryan. Das ist meine fachmännische Diagnose.«
So ähnlich hat sich Cathy gestern abend auch ausgedrückt, dachte Ryan, aber Clark hat ja keine Ahnung, wie schlimm es wirklich um mich steht. Jack starrte aus dem Fenster auf die erleuchteten Häuser, in denen die Regierungsbeamten gerade erst aufwachten.
»Sie haben recht. Ich muß etwas unternehmen, aber heute fehlt mir einfach die Zeit.«
»Sollen wir morgen in der Mittagspause ein bißchen joggen?«
»Da muß ich leider zu einem Essen mit den Direktoratschefs«, wich Jack aus.
Clark schwieg und konzentrierte sich aufs Fahren. Wann blickt der arme Teufel endlich durch? fragte er sich. Trotz seiner Intelligenz ließ er sich von seinem Job kaputtmachen.
Der Präsident schlug die Augen auf und blickte auf eine wuschlige blonde Mähne, die seine Brust bedeckte, und einen zarten Frauenarm, der sich um ihn schlang. Man konnte auf unangenehmere Art aufwachen. Er fragte sich, warum er so lange gewartet hatte. Sie war schon seit Jahren für ihn zu haben gewesen, diese hübsche, geschmeidige Vierzigerin, und er hatte als Mann seine Bedürfnisse. Seine Frau Marian hatte jahrelang gelitten und einen verzweifelten Kampf gegen die Multiple Sklerose geführt, an dessen Ende für die einst lebhafte, charmante, intelligente und temperamentvolle Person der Tod stand. Sie war das Licht in Fowlers Leben gewesen und hatte das, was als seine Persönlichkeit galt, eigentlich selbst erschaffen, die mit ihrem Tod langsam abstarb. Tm Grunde ein Verteidigungsmechanismus, das wußte er. Endlose Monate lang hatte er stark sein, ihr die stoische Energie liefern müssen, ohne die sie so viel früher gestorben wäre, aber dabei war aus Bob Fowler ein Automat geworden. Charakterstärke, Kraft und Mut eines Mannes sind nicht unbegrenzt, und mit Marians Leben war auch seine Menschlichkeit verebbt. Vielleicht sogar noch mehr, gestand sich Fowler.
Das Perverse daran war, daß diese Erfahrung einen besseren Politiker aus ihm gemacht hatte. In seinen besten Jahren als Gouverneur und im Präsidentschaftswahlkampf hatte er sich zur Überraschung der selbsternannten Experten, Kommentatoren und Ferndiagnostiker als der ruhige, leidenschaftslose, von Vernunft geleitete Mann dargestellt, den die Wähler sehen wollten. Geholfen hatte ihm auch die Tatsache, daß der Wahlkampf seines Vorgängers aus unerklärlichen Gründen plump geführt worden war, obwohl Fowler glaubte, daß ihm der Sieg so oder so sicher gewesen war.
Seit seinem Erfolg vor knapp zwei Jahren war er seit Grover Cleveland der erste Präsident ohne Frau. Die Leitartikler nannten ihn den Technokraten im Weißen Haus, den Mann ohne Persönlichkeit, und daß er Jura studiert und als Rechtsanwalt gearbeitet hatte, schien bei den Medien niemanden zu scheren. Sobald man ihm ein Etikett verpaßt hatte, das die allgemeine Zustimmung fand, erhob man es zur Wahrheit, ob es nun zutraf oder nicht: Fowler, der Mann aus Eis.
Ach, wenn Marian mich so sehen könnte, dachte er. Sie hatte gewußt, daß er nicht aus Eis gemacht war. Es gab Menschen, die sich an den alten Bob Fowler erinnerten, den temperamentvollen Anwalt vor Gericht, den Bürgerrechtskämpfer, die Geißel des organisierten Verbrechens, den Mann, der in Cleveland aufgeräumt hatte. Dieser Effekt war wie alle politischen Erfolge nicht von Dauer. Er dachte an die Geburt seiner Kinder, seinen Vaterstolz, an die Liebe, die er zu seiner Familie empfunden hatte, an intime Stunden in Restaurants bei Kerzenschein. Er erinnerte sich an ein Footballspiel an der High School, das Marian mehr begeistert hatte als ihn. Ihre dreißigjährige Ehe hatte begonnen, als beide noch studierten. Zum Ende hin war sie von der Krankheit überschattet worden, die Marian mit Ende Dreißig befallen, sich zehn Jahre später drastisch verschlimmert und dann nach einer langen Leidenszeit zum Tode geführt hatte. Am Ende war er so erschöpft gewesen, daß er nicht einmal mehr weinen konnte. Und dann kamen die Jahre der Einsamkeit.
Nun, diese Zeit war vielleicht vorbei.
Ein Glück, daß es den Secret Service gibt, dachte Fowler. Im Gouverneurspalast in Columbus wäre die Sache rasch herausgekommen. Hier war das anders. Vor der Tür standen zwei bewaffnete Agenten, und im Korridor hielt sich ein Offizier der Army mit der Ledertasche auf, die die Geheimcodes für einen Nuklearschlag enthielt. Die flapsige Bezeichnung »der Fußball« mißfiel dem Präsidenten, aber es gab Dinge, die selbst er nicht ändern konnte. Auf jeden Fall aber konnte seine Sicherheitsberaterin sein Bett mit ihm teilen, und der Stab im Weißen Haus wahrte das Geheimnis. Fowler hielt das für bemerkenswert.
Nun schaute er auf seine Geliebte hinab. Elizabeth sah unbestreitbar attraktiv aus. Ihre Haut war blaß, weil sie wegen ihrer Arbeitsgewohnheiten nicht in die Sonne kam, aber er bevorzugte hellhäutige Frauen. Da die Bettdecke nach den Bewegungen der vergangenen Nacht schief lag, konnte er ihren Rücken sehen; wie glatt und weich ihre Haut war! Er spürte ihren ruhigen Atem an seiner Brust und den Druck ihres linken Armes, der ihn umschlang. Er fuhr ihr sanft über den Rücken und wurde mit einem wohligen Brummen und einer festeren Umarmung belohnt.
Es wurde diskret angeklopft. Der Präsident zog die Decke hoch und räusperte sich. Nach einer Anstandspause ging die Tür auf, ein Agent trug ein Tablett mit Kaffee und Computerausdrucken herein und zog sich wieder zurück. Fowler wußte, daß er sich auf einen gewöhnlichen Agenten nicht uneingeschränkt verlassen konnte, aber der Secret Service war in der Tat die amerikanische Version der Prätorianergarde. Der Agent ließ sich nichts anmerken und nickte dem »Boß«, wie seine Kollegen ihn nannten, nur zu. Man diente ihm mit fast sklavischer Hingabe. Die Agenten waren zwar gebildete Männer und Frauen, hatten aber ein schlichtes Weltbild; auch für solche Leute war Platz, wie Fowler fand. Es mußte Menschen geben, auch hochqualifizierte, die die Befehle ihrer Vorgesetzten ausführten. Die bewaffneten Beamten hatten geschworen, ihn zu beschützen, wenn nötig sogar mit dem eigenen Leib – »die Kugel fangen« nannte man das Deckmanöver –, und Fowler fand verblüffend, daß so intelligente Menschen sich so selbstlos für eine so hirnlose Sache ausbilden lassen konnten. Immerhin aber war das Ganze zu seinen Gunsten, und er konnte auch auf ihre Diskretion bauen. So gutes Hauspersonal ist schwer zu bekommen, witzelten die Lästerzungen. Wohl wahr: Man mußte schon Präsident sein, um sich solche Dienstboten leisten zu können.
Fowler griff nach der Kanne und goß sich einen Kaffee ein, den er schwarz trank. Nach dem ersten Schluck drückte er auf die TV-Fernbedienung und stellte CNN an, das gerade über die Verhandlungen in Rom, wo es zwei Uhr nachmittags war, berichtete.
»Hmm.« Elizabeth bewegte den Kopf, und ihr Haar strich über seine Haut. Fowler fuhr mit dem Finger an ihrem Rückgrat entlang und erntete eine letzte Umarmung, ehe sie die Augen aufschlug. Dann aber hob sie den Kopf mit einem heftigen Ruck.
»Bob!«
»Ja, was ist?«
»Es war jemand im Zimmer!« Sie wies auf das Tablett, das Fowler bestimmt nicht selbst geholt hatte.
»Kaffee?«
»BOB!«
»Ich bitte dich, Elizabeth, die Leute vor der Tür wissen, daß du hier bist. Was haben wir schon zu verbergen, und vor wem? Hier im Zimmer sind sogar wahrscheinlich Mikrofone installiert.« Diese Vermutung hatte er noch nie ausgesprochen. Sicher konnte er nicht sein und hatte es auch tunlichst vermieden, sich zu erkundigen, fand die Vorstellung aber logisch. Der Secret Service mit seiner institutionalisierten Paranoia traute nur dem Präsidenten und niemandem sonst, also auch nicht Elizabeth. Sollte sie beispielsweise versuchen, ihn umzubringen, konnte man das hören und die Agenten vor der Tür mit ihren Waffen ins Schlafzimmer stürmen lassen, um HAWK vor seiner Geliebten zu retten. Es waren also vermutlich Mikrofone eingebaut. Kameras auch? Nein, wahrscheinlich nicht, aber abgehört wurde bestimmt. Daß Fowler diese Vorstellung irgendwie erregend fand, hätten die Leitartikler dem Mann aus Eis nie abgenommen.
»Himmel noch mal!« Liz Elliot hatte diese Möglichkeit noch nie erwogen. Als sie sich aufsetzte, baumelten ihre Brüste verlockend vor Fowlers Augen, aber der war ein Typ, der morgens nur die Arbeit im Sinn hatte.
»Ich bin der Präsident, Elizabeth«, betonte Fowler, als sie sich von ihm löste. Auch sie dachte nun an Kameras und zog rasch die Bettdecke hoch. Fowler mußte über ihre Schamhaftigkeit lächeln. »Kaffee?« fragte er noch einmal.
Elizabeth Elliot hätte beinahe gekichert. Da lag sie splitternackt im Bett des Präsidenten, und vor der Tür standen bewaffnete Wächter. Aber Bob hatte jemanden hereingelassen! Unglaublich! Hatte er sie wenigstens zugedeckt? Sie beschloß, ihn lieber nicht danach zu fragen, weil sie seinen Sarkasmus fürchtete. Andererseits: Hatte sie jemals einen so guten Liebhaber wie ihn gehabt? Beim ersten Mal – für ihn mußte es seit Jahren das erste Mal gewesen sein – war er so geduldig, so ... respektvoll gewesen. So leicht anzuleiten. Elliot lächelte verstohlen. Es war so einfach, ihm zu zeigen, was sie wollte, wann und auf welche Weise, denn er schien es zu genießen, einer Frau Lustgefühle zu bereiten. Vielleicht wollte er nur dafür sorgen, daß man ihn nicht vergaß. Immerhin war er Politiker, und die sind immer scharf auf ein paar Zeilen in den Geschichtsbüchern. Die hatte er sich schon verdient, so oder so. Kein Präsident fiel der Vergessenheit anheim, selbst Grant und Harding nicht, und angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen ... Selbst als Liebhaber wollte er in Erinnerung bleiben und ging daher auf seine Partnerin ein, sofern die klug genug war, ihn ihre Wünsche wissen zu lassen.
»Stell das mal lauter«, sagte Liz. Fowler gehorchte zu ihrer Befriedigung sofort. Selbst hier wollte er ihr gefallen. Warum hatte er dann einen Dienstboten mit dem Kaffee ins Zimmer gelassen? Wie war dieser Mann zu verstehen? Er las bereits die Telekopien aus Rom durch.
»Du, Elizabeth, die Sache klappt. Hoffentlich sind deine Koffer gepackt.«
»So?«
»Die Saudis und die Israelis haben sich laut Brent gestern abend über den wichtigsten Punkt geeinigt – erstaunlich. Er verhandelte separat mit den beiden Seiten, und beide machten den gleichen Vorschlag ... und um das geheimzuhalten, pendelte er hin und her, angeblich, um Akzeptanz zu suchen ... und brachte die Sache dann bei einer letzten Runde unter Dach und Fach! Ha!« Fowler hieb auf seine Hand, die die Seite hielt. »Brent hat uns wirklich weitergebracht. Und dieser Ryan auch. Er ist zwar ein widerwärtiger Snob, aber seine Idee ...«
»Bob, ich bitte dich! Die war doch nicht auf seinem Mist gewachsen. Ryan hat nur wiederholt, was andere schon seit Jahren sagen. Arnie war der Vorschlag neu, aber Arnies Interessen reichen über das Weiße Haus nicht hinaus. Wenn du sagst, das sei Ryans Verdienst, könntest du genausogut behaupten, er habe dir einen schönen Sonnenuntergang inszeniert.«
»Mag sein«, räumte der Präsident ein. Er war zwar der Ansicht, daß Ryans Konzept eine wichtigere Rolle gespielt hatte, wollte Elizabeth aber nicht vergrätzen. »Aber in Saudi-Arabien hat er saubere Arbeit geleistet.«
»Ryan wäre noch viel effektiver, wenn er lernte, den Mund zu halten. Gut, er hat den Saudis erfolgreich den Vortrag gehalten. Soll das ein historischer Augenblick der amerikanischen Außenpolitik gewesen sein? Vorträge zu halten gehört zu seinem Job. Richtig aufs Gleis gebracht haben Brent und Dennis die Sache, nicht Ryan.«
»Hm, da hast du wohl recht. Brent und Dennis holten die endgültige Zustimmung zu der Konferenz ein ... noch drei oder vier Tage, schreibt Brent.« Der Präsident reichte ihr das Fax. Es war Zeit, daß er aufstand und sich an seinen Schreibtisch machte, aber vorher ließ er eine Hand über eine Kurve unter der Decke gleiten, nur um ihr zu verstehen zu geben, daß ...
»Laß das!« Liz kicherte neckisch. Er hörte natürlich sofort auf. Um die Zurückweisung zu versüßen, hielt sie ihm die Lippen hin und bekam prompt einen Kuß mit Mundgeruch.
»Was läuft hier?« fragte ein Lkw-Fahrer den Lademeister des Sägewerks. Vier gewaltige Anhänger standen hintereinander in einiger Entfernung von den für die Verschiffung nach Japan gefällten Stämmen. »Die Dinger standen beim letzten Mal schon da.«
»Soll nach Japan«, versetzte der Frachtmeister und sah sich die Frachtpapiere an.
»Da geht doch hier alles hin.«
»Das ist eine Sonderlieferung. Die Japaner wollen die Stämme so gelagert haben und haben eigens die Anhänger gemietet. Wie ich höre, soll das Holz zu Balken für eine Kirche oder einen Tempel verarbeitet werden. Schauen Sie mal genau hin – die Stämme sind zusammengekettet, damit sie schön beieinander bleiben. Hat was mit Tradition zu tun. Wird eine Sauarbeit, diese Bündel so aufs Schiff zu laden.«
»Extra Anhänger, nur damit das Holz seinen eigenen Platz hat? Und zusammengekettet? Ehrlich, die haben mehr Geld als Verstand.«
»Was schert uns das?« fragte der Frachtmeister, der es langsam satt hatte, jedem Fahrer, der in sein Büro kam, die gleiche Auskunft zu geben.
Da standen die Anhänger nun herum. Zweck der Übung war, sagte sich der Frachtmeister, die Stämme etwas trocknen zu lassen. Der Urheber dieser Idee hatte aber falsch kalkuliert. Es war in diesem regenreichen Gebiet der feuchteste Sommer seit Menschengedenken, und das Holz, das schon beim Schlagen feucht gewesen war, saugte sich mit Wasser nur so voll, ganz besonders an den Stümpfen der Äste, die im Wald abgesägt worden waren. Vermutlich wogen die Stämme nun mehr als in frisch geschlagenem Zustand. Vielleicht hätte man sie mit Planen abdecken sollen, dachte der Frachtmeister, aber das hätte die Feuchtigkeit nur eingeschlossen. Außerdem lautete die Anweisung, sie auf den Anhängern liegen zu lassen. Es regnete nun. Der Hof verwandelte sich in einen Sumpf, der von jedem Laster und Schlepper weiter aufgewühlt wurde. Nun, die Japaner hatten wohl ihre eigenen Vorstellungen, wie das Holz zu trocknen und zu verarbeiten war. Ihre Anweisungen schlossen jede vernünftige Lagerung hier aus. Selbst beim Seetransport auf der M/S George McReady sollten die Bäume als Deckfracht gehen. Und da liegen sie bestimmt auch im Weg herum, dachte der Frachtmeister. Sollten sie noch mehr Feuchtigkeit aufnehmen, würden sie versinken, wenn sie ins Wasser fielen.
Der Bauer wußte, daß seinen Enkeln sein rückständiges Leben unangenehm war. Sie sperrten sich gegen seine Umarmungen und Küsse und murrten wahrscheinlich vor jedem Besuch, aber das störte ihn nicht. Den Kindern heutzutage fehlte der Respekt vor dem Alter; vielleicht war das der Preis, den man für die besseren Chancen, die sie genossen, zahlen mußte. Sein Leben hatte sich kaum von dem seiner Vorfahren unterschieden, aber seinem Sohn ging es trotz seiner Verwundung besser als ihm, und seinen Kindern winkte noch größerer Wohlstand. Die Jungen waren stolz auf ihren Vater. Wenn ihre Schulkameraden abfällige Bemerkungen über ihre drusische Religion machten, konnten die Jungs erwidern, ihr Vater sei im Kampf gegen die verhaßten Israelis verwundet worden und habe sogar ein paar Zionisten getötet. Und die syrische Regierung erwies ihren Kriegsversehrten einige Dankbarkeit. Der Sohn des Bauern besaß eine kleine Firma und wurde von der sonst schikanösen Bürokratie in Ruhe gelassen. Er hatte, was in der Region ungewöhnlich war, erst spät geheiratet. Seine Frau war hübsch genug und respektvoll – sie war freundlich zu dem alten Bauern, vermutlich aus Dankbarkeit, weil er nie Interesse gezeigt hatte, in ihren kleinen Haushalt zu ziehen. Der Bauer war sehr stolz auf seine Enkel, kräftige, gesunde Jungs, dickköpfig und aufsässig dazu, wie es sich eben für Buben gehört. Auch der Sohn des Bauern war stolz und hatte es zu etwas gebracht. Nach dem Mittagessen ging er mit seinem Vater ins Freie, betrachtete sich den Garten, den er einmal gejätet hatte, und bekam Schuldgefühle, weil sich sein Vater hier immer noch Tag für Tag abrackerte. Doch hatte er seinen Vater nicht zu sich nehmen wollen? Alle Angebote waren abgelehnt worden. Der alte Mann mochte nicht viel besitzen, aber seinen Stolz ließ er sich nicht nehmen.
»Der Garten sieht dieses Jahr gut aus.«
»Ja, es hat ordentlich geregnet«, stimmte der Bauer zu. »Es gibt heuer auch viele Lämmer. Kein schlechtes Jahr. Wie sieht es bei dir aus?«
»Mein bestes Jahr bisher. Vater, ich wollte, du müßtest dich nicht so schinden.«
»Ach was!« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich kenne doch nichts anderes. Und hier gehöre ich hin.«
Was hat der Mann doch für einen Mut, dachte der Sohn. Der Alte gab in der Tat nicht auf. Er hatte seinem Sohn nicht viel geben können, ihm aber seinen stoischen Mut vererbt. Als er auf dem Golan zwanzig Meter von den rauchenden Trümmern seines Schützenpanzers entfernt gelegen hatte, ein Auge zerstört und eine Hand so zerfetzt, daß sie später abgenommen werden mußte, hätte der Sohn einfach aufgeben und sterben können. Aber er dachte an seinen Vater, für den es kein Aufgeben gab, stand auf, nahm sein Gewehr und lief sechs Kilometer weit zum Verwundeten-Sammelpunkt seines Bataillons, wo er erst Meldung erstattete, ehe er sich versorgen ließ. Dafür bekam er eine Auszeichnung und von seinem Bataillonskommandeur Geld für den Start ins Zivilleben. Der Offizier gab der örtlichen Verwaltung auch zu verstehen, daß sein Mann mit Respekt zu behandeln sei. Von seinem Obersten hatte der Sohn Geld bekommen, von seinem Vater aber die Courage. Nun bedauerte er, daß der Alte sich nicht ein wenig unter die Arme greifen ließ.
»Mein Sohn, ich brauche deinen Rat.«
Das war neu. »Gerne, Vater.«
»Komm, ich will dir etwas zeigen.« Er ging voran in den Garten zu den Karottenbeeten, schob mit der Fußspitze Erde beiseite ...
»Halt!« schrie der Sohn, packte seinen Vater beim Arm und zog ihn zurück. »Um Himmels willen, seit wann liegt das da?«
»Seit dem Tag, an dem du verwundet wurdest«, gab der Bauer zurück.
Der Sohn faßte an seine Augenklappe und erinnerte sich einen schrecklichen Augenblick lang an den grausigen Tag. Er hatte einen grellen Blitz gesehen, war durch die Luft geflogen und hatte die Todesschreie seiner verbrennenden Kameraden hören müssen. Das hatten die Israelis getan. Eine israelische Kanone hatte seine Mutter getötet. Und nun – dies?
Was war das? Er befahl seinem Vater, sich nicht vom Fleck zu rühren, und ging so vorsichtig, als durchquere er ein Minenfeld, an das Objekt heran. Er war bei den Pionieren gewesen; seine Einheit hatte zwar einen Kampfauftrag bei der Infanterie erhalten, im Grunde aber die Funktion der Minenleger gehabt. Das große Objekt sah aus wie eine israelische Tausend-Kilo-Bombe; ihre Herkunft erkannte er an der Farbe. Nun drehte er sich zu seinem Vater um.
»Und das liegt schon seit damals da?«
»Ja. Das Ding warf einen Krater auf, den ich zuschüttete. Der Frost muß es nach oben gebracht haben. Ist es gefährlich? Muß doch ein Blindgänger sein.«
»Vater, diese Bomben bleiben gefährlich, sehr sogar. Wenn diese hier losgeht, sprengt sie dich und dein ganzes Haus in die Luft!«
Der Bauer machte eine verächtliche Geste. »Warum ist das dumme Ding dann nicht gleich explodiert?«
»Unsinn! Höre jetzt auf mich: Halte dich von diesem Teufelsding fern!«
»Und was wird aus meinem Garten?« fragte der Bauer schlicht.
»Ich werde dafür sorgen, daß die Bombe geräumt wird. Erst dann kannst du wieder gärtnern.« Der Sohn dachte nach. Räumen war ein Problem, und kein geringes. Die syrische Armee hatte nur wenige Bombenexperten und detonierte Blindgänger am liebsten an Ort und Stelle; generell eine sehr vernünftige Methode, in diesem speziellen Fall aber nicht, denn sein Vater würde die Zerstörung seines Hauses nicht lange überleben. Seine Frau würde ihn nur ungern bei sich aufnehmen, und er selbst konnte seinem Vater als Einhändiger wohl kaum beim Wiederaufbau helfen. Die Bombe mußte also entfernt werden, aber von wem?
»Du mußt mir versprechen, den Garten nicht zu betreten«, verkündete der Sohn streng.
»Wie du meinst«, erwiderte der Bauer, der nicht daran dachte, die Befehle seines Sohnes zu befolgen. »Wann läßt du das Ding abholen?«
»Das kann ich noch nicht sagen. Ich muß mich erst einmal ein paar Tage lang umhören.«
Der Bauer nickte und überlegte, den Rat seines Sohnes doch zu befolgen und sich wenigstens von dem Blindgänger fernzuhalten. Daß die Bombe nicht mehr funktionierte, stand für ihn fest. Er kannte sein Schicksal. Wenn er durch die Bombe hätte getötet werden sollen, wäre das längst passiert. Welches Unglück war ihm je erspart geblieben?
Am nächsten Tag bekamen die Journalisten endlich etwas zu beißen. Am hellen Tag traf Dimitrios Stavarkos, der Patriarch von Konstantinopel, mit dem Auto ein – Hubschrauber benutzte er grundsätzlich nicht.
»Eine Nonne mit Bart?« fragte ein Kameramann am eingeschalteten Mikrofon, als er die Gestalt mit dem Zoom heranholte. Die Schweizergarde stand Spalier, und Bischof O’Toole geleitete den Gast in den Vatikan.
»Muß ein griechisch-orthodoxer Bischof sein«, merkte ein Koordinator sofort an. »Was tut der hier?«
»Was wissen wir über die griechisch-orthodoxe Kirche?« fragte sein Produzent.
»Sie hat mit dem Papst nichts zu tun und gestattet den Priestern zu heiraten. Einen von ihnen steckten die Israelis ins Gefängnis, weil er den Arabern Waffen beschaffte«, kommentierte ein anderer über die Leitung.
»Die Griechen vertragen sich also mit den Arabern, aber nicht mit dem Papst? Wie stehen sie sich mit den Israelis?«
»Keine Ahnung«, gestand der Produzent. »Da sollten wir uns mal schlaumachen.«
»Jetzt sind also vier Konfessionen beteiligt.«
»Spielt der Vatikan mit, oder stellt er nur den neutralen Verhandlungsort?« fragte der Koordinator, der wie die meisten seiner Kollegen am überzeugendsten wirkte, wenn er seinen Text vom Teleprompter ablas.
»Hat es denn hier jemals so etwas gegeben? Wer einen neutralen Ort braucht, der geht nach Genf«, bemerkte der Kameramann, der eine Vorliebe für Genf hatte.
»Was tut sich?« Eine Rechercheurin betrat die Kabine und wurde vom Produzenten informiert.
»Wo steckt diese Expertin?« grollte der Koordinator.
»Könnten Sie das Band zurückspulen?« fragte die Rechercheurin. Die Studiotechniker begannen damit, und sie ließ auf Standbild schalten.
»Dimitrios Stavarkos, Patriarch von Konstantinopel, das Sie unter seinem modernen Namen Istanbul kennen, Rick. Er ist das Oberhaupt aller orthodoxen Kirchen, also eine Art Papst. Die orthodoxen Kirchen in Griechenland, Rußland und Bulgarien haben zwar ihre eigenen Oberhäupter, unterstehen aber dem Patriarchen.«
»Stimmt es, daß orthodoxe Priester heiraten dürfen?«
»Ja, die Priesterehe existiert, aber vom Bischof an aufwärts gilt das Zölibat.«
»Das ist die Härte«, kommentierte Rick.
»Stavarkos führte im letzten Jahr den Kampf mit den Katholiken um die Weihnachtsmesse in Bethlehem und gewann, wenn ich mich recht entsinne. Das haben ihm einige katholische Bischöfe nicht verziehen. Was will er in Rom?«
»Das sollen Sie uns sagen, Angie!« versetzte der Koordinator giftig.
»Immer mit der Ruhe, Rick.« Angie Miriles hatte wenig Lust auf die Allüren dieser seichten TV-Primadonna. Sie schlürfte zwei Minuten lang ihren Kaffee und verkündete dann: »Ich glaube, ich weiß, was hier gespielt wird.«
»Wären Sie so gut, uns einzuweihen?«
»Willkommen!« Kardinal D’Antonio küßte Stavarkos auf beide Wangen, obwohl er sich vor dessen Bart ekelte. Der Kardinal geleitete den Patriarchen in den Konferenzsaal, wo sechzehn Personen an einem Tisch saßen. Stavarkos nahm den leeren Platz am Ende ein.
»Wir sind dankbar, daß Sie uns Gesellschaft leisten«, sagte Minister Talbot.
»Eine solche Einladung schlägt man nicht aus«, erwiderte der Patriarch.
»Haben Sie den Vertragsentwurf gesehen?« Das Dokument war per Kurier zugestellt worden.
»Er ist sehr ehrgeizig«, räumte Stavarkos vorsichtig ein.
»Sind Sie mit Ihrer Rolle in dem Abkommen einverstanden?«
Das ging dem Patriarchen viel zu schnell. Andererseits – »Ja«, antwortete er schlicht. »Ich verlange absolute Verfügungsgewalt über alle christlichen Reliquienschreine im Heiligen Land. Wird diese konzediert, trete ich dem Abkommen mit Freuden bei.«
D’Antonio rang um Fassung, atmete durch und flehte hastig um Gottes Intervention. Später wußte er nicht zu sagen, ob sie ihm zuteil wurde oder nicht.
»Für solche Pauschalforderungen sind die Verltandlungen wohl zu weit fortgeschritten.« Man wandte die Köpfe. Der Einwand kam von Dmitrij Popow, dem Ersten Stellvertretenden Außenminister der Sowjetunion. »Zudem ist der Versuch der einseitigen Vorteilsnahme angesichts der großen Konzessionen, die hier von allen gemacht wurden, rücksichtslos. Wollen Sie nur auf dieser Basis einer Übereinkunft im Weg stehen?«
Derart direkte Zurechtweisungen war Stavarkos nicht gewohnt.
»Die Frage der christlichen Heiligtümer hat keine direkte Auswirkung auf das Abkommen«, bemerkte Minister Talbot. »Wir finden Ihre nur bedingte Bereitschaft zur Teilnahme enttäuschend.«
»Mag sein, daß ich den Vertragsentwurf mißverstanden habe«, wandte Stavarkos ein und gab sich selbst Flankenschutz. »Wären Sie so gut, meinen Status näher zu erläutern?«
»Ausgeschlossen«, schnaubte der Koordinator.
»Wieso?« erwiderte Angela Miriles. »Welche Möglichkeit klingt vernünftiger?«
»Das ist mir mehr als eine Nummer zu groß.«
»Stimmt, es ist allerhand«, räumte Miriles ein. »Aber was liegt näher?«
»Das glaube ich erst, wenn ich es sehe.«
»Dazu mag es nicht kommen. Stavarkos hat keine großen Sympathien für die römisch-katholische Kirche. Der Streit, den er letzte Weihnachten vom Zaun brach, war häßlich.«
»Warum haben wir dann nicht darüber berichtet?«
»Weil wir endlose Reportagen über das schlechte Weihnachtsgeschäft brachten«, versetzte sie und hätte am liebsten hinzugefügt: Du Arsch.
»Eine separate Kommission?« fragte Stavarkos unwillig.
»Der Metropolit möchte seinen eigenen Vertreter entsenden«, erklärte Popow. Der Stellvertretende Außenminister glaubte zwar nach wie vor an Marx und nicht an Gott, mußte aber als Russe sicherstellen, daß die russischorthodoxe Kirche an dem Abkommen beteiligt wurde – ganz gleich, wie unwichtig dieser Punkt sein mochte. »Ich finde diese Angelegenheit höchst merkwürdig. Verzögern wir den Vertragsabschluß wegen der Frage, welche christliche Kirche nun am einflußreichsten ist? Wir sind hier zusammengekommen, um einen Krisenherd zu entschärfen, einen potentiellen Krieg zwischen Juden und Moslems zu verhindern. Warum stehen die Christen im Weg?« Popow schaute bei dieser Frage an die Decke – eine Spur zu theatralisch, wie D’Antonio fand.
»Dieses Randthema lassen wir am besten von einem separaten Komitee der christlichen Geistlichkeit behandeln«, schlug Kardinal D’Antonio schließlich vor. »Ich verspreche, daß wir die interkonfessionellen Streitigkeiten beilegen werden.«
Das höre ich nicht zum ersten Mal, dachte Stavarkos – aber warum bin ich eigentlich so kleinlich? Ich mache mich ja vor den Katholiken und Russen zum Narren! Ein weiterer Faktor war, daß er in Istanbul, seinem Konstantinopel, von den Türken nur geduldet wurde und daß diese Konferenz einen immensen Prestigegewinn für seine Kirche und sein Amt bedeutete.
»Bitte vergeben Sie mir. Bedauerliche Vorfälle haben mein Urteil getrübt. Jawohl, ich unterstütze das Abkommen und hoffe, daß meine Glaubensbrüder Wort halten.«
Brent Talbot lehnte sich zurück und wisperte ein Dankgebet. Das tat er zwar gewöhnlich nicht, aber in dieser Umgebung ...
»Und damit wäre das Abkommen perfekt.« Talbot schaute in die Runde, und die Konferenzteilnehmer nickten nacheinander, manche begeistert, manche resigniert. Aber niemand erhob Einspruch. Man stimmte überein.
»Mr. Adler, wann können die Dokumente zur Paraphierung vorgelegt werden?« fragte D’Antonio.
»In zwei Stunden, Eminenz.«
Talbot erhob sich. »Hoheit, Eminenzen, meine Herren, wir haben es geschafft.«
Seltsamerweise war ihnen kaum bewußt, was sie bewerkstelligt hatten. Die Verhandlungen hatten recht lange gedauert, und wie es bei zähem Feilschen oft der Fall ist, war das Procedere wichtiger geworden als das Ziel. Nun waren sie dahin gekommen, wo sie hingestrebt hatten, und so erstaunt, daß sie trotz ihrer ganzen Erfahrung im Formulieren und in außenpolitischen Verhandlungen alles wie durch einen Schleier wahrnahmen. Die Teilnehmer folgten Talbots Beispiel und erhoben sich, und die Bewegung, das Strecken der Beine, brachte sie wieder auf den Boden der Realität zurück. Einem nach dem anderen wurde klar, daß man tatsächlich am Ziel war. Das Unmögliche war geschafft. David Aschkenasi ging um den Tisch herum zu Prinz Ali, der für sein Land verhandelt hatte, und streckte die Hand aus. Aber das reichte nicht. Der Prinz nahm den Minister in die Arme wie einen Bruder.
»Bei Gott, zwischen uns wird Frieden herrschen, David.«
»Jawohl, und nach so langer Zeit, Ali«, erwiderte der ehemalige israelische Panzersoldat. 1956 hatte Aschkenasi am Suezkanal als Leutnant gekämpft, 1967 als Hauptmann, und 1973 war sein Reservebataillon den bedrängten Truppen auf dem Golan zur Hilfe gekommen. Beide Männer reagierten überrascht auf den spontanen Applaus der Runde. Der Israeli brach in Tränen aus, für die er sich unglaublich schämte.
»Sie brauchen sich nicht zu schämen, David. Sie sind für Ihren Mut bekannt«, sagte Ali liebenswürdig. »Es ist nur recht, daß ein Soldat den Frieden schließt.«
»So viele mußten sterben, all die prächtigen jungen Männer – auf beiden Seiten, Ali. Unsere Kinder.«
»Das hat jetzt ein Ende.«
»Dmitrij, Ihre Hilfe war außerordentlich«, sagte Talbot am anderen Ende des Tisches zu seinem russischen Kollegen.
»Erstaunlich, was wir zuwege bringen, wenn wir zusammenarbeiten.«
Nun kam Talbot ein Gedanke, den Aschkenasi bereits ausgesprochen hatte. »Zwei ganze Generationen vergeudet, Dmitrij. Alles verlorene Zeit.«
»Was geschehen ist, ist geschehen«, versetzte Popow. »Seien wir jetzt klug genug, nicht noch mehr zu verlieren.« Der Russe lächelte schief. »Einen solchen Anlaß sollte man mit Wodka begießen.«
Talbot nickte in Prinz Alis Richtung. »Wir trinken nicht alle Alkohol.«
»Wie ertragen die das Leben ohne Wodka?« Popow lachte leise.
»Eines der Rätsel des Lebens, Dmitrij. So, jetzt müssen wir wohl beide Telegramme abschicken.«
»In der Tat, mein Freund.«
Es fuchste die Korrespondenten in Rom, daß die Nachricht zuerst von einer Reporterin der Washington Post, die in der US-Hauptstadt saß, aufgeschnappt wurde. Die Dame hatte einen heißen Draht zu einer Sergeantin der Air Force, die in der Maschine des Präsidenten, einer fürs Militär modifizierten Boeing 747 mit der Bezeichnung VC-25A, die Elektronik wartete. Der Soldatin war von der Journalistin genau eingeschärft worden, was sie zu tun hatte. Daß der Präsident nach Rom wollte, war allgemein bekannt. Die Frage war nur, wann. Sowie die Sergeantin erfuhr, daß das Flugzeug startklar gemacht wurde, rief sie zu Hause an, angeblich um sich zu überzeugen, daß ihre gute Uniform aus der Reinigung zurück war. Leider verwählte sie sich, ohne es zu merken, denn die Reporterin hatte zufällig den gleichen flotten Spruch im Anrufbeantworter wie sie. Das war ihre Story für den Fall, daß sie erwischt wurde. Sie kam aber ungeschoren davon.
Eine Stunde später erwähnte die Frau von der Washington Post bei der täglichen Pressekonferenz im Weißen Haus eine »unbestätigte Meldung«, der zufolge der Präsident im Begriff sei, nach Rom zu fliegen. Was hatte das zu bedeuten? Waren die Verhandlungen ins Stocken geraten? Oder erfolgreich abgeschlossen worden? Den Pressesprecher traf die Frage unvorbereitet. Er hatte erst vor zehn Minuten erfahren, daß er nach Rom fliegen sollte, und war wie üblich zu totaler Verschwiegenheit vergattert worden. Zu seiner eigenen Überraschung ließ sich der Mann, der vorgehabt hatte, die Nachricht am Nachmittag durchsickern zu lassen, von der Frage aus dem Konzept bringen. Sein »kein Kommentar« klang wenig überzeugend, und die Korrespondenten im Weißen Haus rochen Lunte. Alle hatten zensierte Kopien von Fowlers Terminkalender und somit Kontaktpersonen für ihre Recherchen.
Schon waren die Referenten des Präsidenten am Telefon und sagten Termine und Auftritte ab. Selbst der Präsident kann wichtige Leute nicht ohne Warnung versetzen. Die Prominenz mochte verschwiegen sein, nicht aber alle ihre Assistenten und Sekretärinnen, und davon lebt die freie Presse: von Leuten, die nichts für sich behalten können. Innerhalb von einer Stunde war die Meldung von vier verschiedenen Quellen bestätigt worden. Präsident Fowler hatte für mehrere Tage alle Termine abgesagt. Er ging also auf Reisen, und bestimmt nicht nach Peoria, der sprichwörtlichen Provinzstadt im Mittleren Westen. Das war für alle TV-Anstalten Grund genug, hastig zusammengestükkelte Meldungen in die Pausen der Game-Shows einzublenden und dann sofort wieder Werbung zu bringen mit dem Erfolg, daß Millionen von Zuschauern den entscheidenden Satz verpaßten und statt dessen erfuhren, wie man hartnäckige Grasflecken aus Hosen entfernt.
Erst am späten Nachmittag dieses drückend schwülen Sommertages erfuhr das Medienkorps in Rom, daß nur drei Kamerateams – und kein einziger Korrespondent – Zugang zu dem Gebäude erhalten sollten, das von außen nun seit drei Wochen scharf beobachtet worden war. In großen Wohnwagen nahe der Sendekabinen ließen sich die Koordinatoren schminken, hasteten dann vor die Kameras, setzten die Ohrhörer ein und warteten auf das Signal ihrer Regisseure.
Das Bild, das auf den Monitoren in der Kabine und den Bildschirmen rund um die Welt gleichzeitig auftauchte, zeigte den Konferenzsaal mit dem langen Tisch. Am Kopfende saß der Papst, und vor ihm lag eine Mappe aus rotem Kalbsleder – kein Reporter sollte je von der momentanen Panik erfahren, die ausgebrochen war, als jemandem klarwurde, daß er nicht wußte, aus welcher Tierhaut die Mappe gemacht war, und sich beim Hersteller erkundigen mußte; zum Glück hatte niemand Einwände gegen Leder vom jungen Rind.
Man war übereingekommen, in Rom auf eine öffentliche Erklärung zu verzichten. Erste Verlautbarungen sollten in den Hauptstädten der beteiligten Länder gemacht werden; die wahrhaft blumigen Reden für die Unterzeichnungszeremonien wurden noch verfaßt. Ein Sprecher des Vatikans verteilte eine schriftliche Presseerklärung an alle TV-Korrespondenten. Es sei der Entwurf eines Vertrages zur Beendigung des Nahostkonflikts ausgehandelt worden, der nun von den Vertretern der beteiligten Nationen paraphiert werden könne. Das endgültige Vertragswerk würden die Regierungschefs und/oder ihre Außenminister in einigen Tagen unterzeichnen. Weder der Text des Vertrages noch seine Bedingungen seien zur Veröffentlichung freigegeben. Eine unangenehme Botschaft für die Korrespondenten, die erkannten, daß die Einzelheiten des Abkommens in den jeweiligen Hauptstädten an die Öffentlichkeit gebracht und somit von anderen Reportern gemeldet würden.
Die rote Mappe wurde weitergereicht. Laut Presseerklärung des Vatikans war die Reihenfolge der Paraphierung durch das Los bestimmt worden. Es stellte sich heraus, daß die Israelis den Anfang machten, gefolgt von den Vertretern der Sowjetunion, der Schweiz, der USA, Saudi-Arabiens und des Vatikans. Jeder benutzte einen Füllfederhalter, und der Priester, der die Mappe von Platz zu Platz trug, sicherte die Unterzeichnung mit einem Löscher. Die simple Zeremonie war rasch vorbei. Anschließend schüttelte man sich die Hand und spendete sich gegenseitig Applaus. Und das war es dann.
»Mein Gott«, sagte Ryan, der am Fenster saß und einen Blick auf den Vertragsentwurf warf, den er per Fax erhalten hatte. Er unterschied sich kaum von seinem ursprünglichen Konzept. Zwar hatten die Saudis wie auch die Israelis, Sowjets, Schweizer und die USA Veränderungen angebracht, aber das Ganze basierte auf seinem Einfall – mit der Einschränkung, daß er die Gedanken einer Vielzahl anderer geborgt hatte. Wahrhaft originelle Ideen sind selten. Ryan hatte lediglich Vorstellungen in ein System gebracht und seine Anregung im historisch richtigen Moment ausgesprochen. Dennoch war dies der stolzeste Augenblick in seinem Leben. Schade nur, daß ihm niemand gratulierte.
Im Weißen Haus saß die beste Redenschreiberin des Präsidenten bereits an der Rohfassung seiner Ansprache. Fowler würde bei der Zeremonie eine Vorrangstellung haben, weil er den Prozeß ausgelöst und die Konferenzteilnehmer mit seiner Rede vor der UN-Vollversammlung in Rom zusammengebracht hatte. Auch der Papst würde eine Rede halten – ach was, alle werden sprechen, überlegte die Redenschreiberin. Für sie war das ein Problem, weil jede Rede originell sein mußte und nicht gerade das enthalten sollte, was der Vorredner gesagt hatte. Sie erkannte, daß sie wahrscheinlich noch auf dem Flug über den Atlantik in der VC-25A eifrig auf ihren Laptop einhacken mußte, aber dafür wurde sie schließlich bezahlt, und Air Force One war auch mit einem Laserdrucker ausgerüstet.
Im Oval Office sah der Präsident seinen hastig revidierten Terminkalender durch. Enttäuschung für eine Pfadfindergruppe, die Käsekönigin von Wisconsin und viele Geschäftsleute, deren Bedeutung in ihrem begrenzten Wirkungskreis verblaßte, sobald sie durch die Seitentür die Werkstatt des Präsidenten betraten. Die für seinen Terminkalender verantwortliche Sekretärin war schon am Telefon, hatte nur noch den allerwichtigsten Besuchern Termine für die paar freien Minuten in den nächsten sechsunddreißig Stunden gegeben. Das würden für den Präsidenten hektische anderthalb Tage werden, aber auch das gehörte zu seinem Job.
»Na?« Fowler hob den Kopf und erblickte Elizabeth Elliot, die ihn durch die Vorzimmertür angrinste.
Na, jetzt bist du endlich am Ziel, dachte sie. Du wirst für immer als der Präsident gelten, der die Nahostfrage ein für allemal gelöst hat. Vorausgesetzt – räumte Liz in einer seltenen Anwandlung von Objektivität ein –, daß auch alles klappt, was man bei einer solchen Kontroverse nicht einfach voraussetzen kann.
»Elizabeth, wir haben der ganzen Welt einen Dienst erwiesen.« Mit »wir« meinte er natürlich sich selbst, wie Elliot wohl wußte, aber das war recht und billig. Immerhin hatte Bob Fowler monatelang den Wahlkampf ertragen und dabei obendrein noch seine Amtsgeschäfte als Gouverneur geführt; er hatte zahllose Reden gehalten, Babys geküßt und den immer gleichen brutalen Fragen der Reporter standgehalten. Und in wie viele Ärsche hatte er kriechen müssen... Der Weg in dieses kleine Büro, das Zentrum der Exekutive, war ein Durchhaltetest, der die wenigen Männer, die ihn erfolgreich bestanden – schade, daß es immer noch nur Männer sind, dachte Liz –, seltsamerweise nicht mürbe machte. Der Lohn für die Mühe und endlose Rackerei waren die Lorbeeren, die der Amtsinhaber erntete. Die Leute gingen schlicht davon aus, daß der Präsident die Dinge lenkte und die Entscheidungen traf und daher für Erfolge und Mißerfolge persönlich verantwortlich war. Hierbei ging es vorwiegend um die Innenpolitik, also um Arbeitslosigkeit, Inflation und Konjunktur, und selten ging es um bedeutende, die Welt verändernde Ereignisse. Reagan, räumte Elliot ein, würde als der Mann in die Geschichte eingehen, der zufällig Präsident war, als die Russen den Marxismus verwarfen, und Bush als derjenige, der den politischen Profit einheimste. Nixon hatte die Tür nach China geöffnet, und Carter hatte das, was Fowler nun gelungen war, zum Greifen nahe gehabt. Der amerikanische Wähler mochte bei der Stimmabgabe nur die Sicherung seines Wohlstands im Auge haben, aber Geschichte machte, wer einen weiteren Horizont hatte. Was einem Mann ein paar Absätze in einem allgemeinen Geschichtswerk und ganze Bände gelehrter Studien eintrug, waren die grundlegenden Veränderungen der politischen Welt. Nichts anderes zählte. Die Historiker hielten jene Gestalten in Erinnerung, die politische Ereignisse beeinflußt hatten – also Bismarck, nicht Edison –, für die politische Faktoren als Triebkraft für den technischen Fortschritt dienten. Elizabeth Elliot hätte das durchaus auch umgekehrt sehen können. Doch die Geschichtsschreibung hatte ihre eigenen Regeln und Konventionen, die mit der Realitätnur wenig zu tun hatten, denn die Realität war so gewaltig, daß sie auch von Akademikern, die nach Jahren ein Ereignis zu verarbeiten suchten, nicht erfaßt werden konnte. Die Politiker hielten sich bereitwillig an diese Regeln, denn wenn sich etwas Denkwürdiges zutrug, gingen sie in die Geschichte ein, verewigt von den Historikern.
»Der Welt einen Dienst erwiesen?« wiederholte Elliot nach einer längeren Pause. »Klingt gut. Wilson nannte man den Präsidenten, der uns aus dem Krieg heraushielt. Dich wird man als den Mann in Erinnerung behalten, der allem Krieg ein Ende setzte.«
Fowler und Elliot wußten wohl, daß Wilson, kurz nachdem er aufgrund dieses Versprechens wiedergewählt worden war, Amerika in seinen ersten richtigen Krieg im Ausland geführt hatte, den letzten aller Kriege, wie ihn die Optimisten genannt hatten, lange vor dem Holocaust und dem nuklearen Alptraum. Diesmal aber waren beide sicher, daß es um mehr als um Optimismus ging und daß Wilsons Vision von einer friedlichen Welt endlich Form anzunehmen begann.
Der Mann war Druse, ein Ungläubiger also, aber dennoch geachtet. Er war im Krieg gegen die Zionisten verwundet und für seine Tapferkeit ausgezeichnet worden. Die unmenschlichen Waffen des Feindes hatten ihm die Mutter genommen. Und die Bewegung hatte seine Unterstützung. Kati hatte die Grundlagen nie vergessen und als junger Mann die Bücher des Vorsitzenden Mao gelesen. Daß Mao ein Ungläubiger der übelsten Sorte gewesen war, ein Atheist, der Gläubige verfolgte, tat nichts zur Sache. Der Revolutionär war ein Fisch, der im Meer der Massen schwamm. Die Massen hinter sich zu wissen war die Grundvoraussetzung für jeden Erfolg. Dieser Druse hatte gespendet, soviel er konnte, und einmal einem verwundeten Freiheitskämpfer in seinem Haus Zuflucht geboten. Das hatte man nicht vergessen. Kati erhob sich von seinem Schreibtisch und begrüßte den Mann mit einem warmen Händedruck und flüchtigen Küssen.
»Willkommen, mein Freund.«
»Ich bin dankbar, daß Sie mich empfangen, Kommandant.« Der Händler wirkte sehr nervös; Kati fragte sich, was er auf dem Herzen hatte.
»Bitte nehmen Sie Platz. Abdullah«, rief er laut, »hole Kaffee für unseren Gast.«
»Bitte machen Sie sich meinetwegen keine Umstände.«
»Unsinn, Sie sind unser Kamerad. Wie viele Jahre waren Sie uns schon ein treuer Freund?«
Der Händler hob die Schultern und freute sich insgeheim, denn was er investiert hatte, trug nun Zinsen. Das reine Überleben war in diesem Teil der Welt eine Kunstform und ein Glücksspiel.
»Ich wollte Ihren Rat suchen«, sagte er nach dem ersten Schluck Kaffee.
»Gerne.« Kati beugte sich vor. »Es ist mir eine Ehre, Ihnen zu helfen. Wo drückt der Schuh?«
»Es geht um meinen Vater.«
»Wie alt ist er nun?« fragte Kati. Auch der alte Bauer hatte seinen Männern gelegentlich etwas geschenkt, meist ein Lamm. Er war zwar ein einfacher Mann und ein Ungläubiger dazu, doch sie hatten die gleichen Feinde.
»Sechsundsechzig. Kennen Sie seinen Garten?«
»Ja, ich war vor einigen Jahren einmal dort, kurz nach dem Tod Ihrer Mutter.«
»In seinem Garten liegt eine israelische Bombe.«
»Eine Bombe? Sie meinen bestimmt eine Granate.«
»Nein, Kommandant, es ist wirklich eine Bombe. Sie ist einen halben Meter dick.«
»Ah, ich verstehe ... und wenn die Syrer das erfahren ...«
»Sprengen sie das Ding an Ort und Stelle. Mein Vaterhaus würde zerstört.« Der Besucher hob den linken Unterarm. »Ich kann ihm beim Wiederaufbau kaum helfen, und mein Vater ist zu alt, um es allein zu tun. Ich bin gekommen, um Sie zu fragen, wie man das Teufelsding wegschaffen könnte.«
»Sie sind an der richtigen Adresse. Wie lange liegt die Bombe schon dort?«
»Seit dem Tag, an dem ich meine Hand verlor, sagt mein Vater.« Wieder gestikulierte der Händler mit seinem verstümmelten Arm.
»Dann war Allah Ihrer Familie an diesem Tag wahrhaft gnädig.«
Schöne Gnade, dachte der Händler und nickte.
»Sie waren uns ein treuer Freund. Selbstverständlich können wir Ihnen helfen. Ich habe einen Mann, der sich auf das Entschärfen und Räumen israelischer Bomben versteht – und wenn er sie unschädlich gemacht hat, schlachtet er sie aus und baut Bomben für unsere Zwecke.« Kati hielt inne und hob warnend den Zeigefinger. »Das dürfen Sie niemals wiederholen.«
Der Besucher zuckte auf seinem Stuhl zusammen. »Meinetwegen, Kommandant, können Sie die Hunde alle töten, und wenn Sie es mit der Bombe tun, die die Israelis in den Garten meines Vaters geworfen haben, wünsche ich Ihnen allen Erfolg.«
»Nichts für ungut, mein Freund, ich wollte Sie nicht beleidigen. Aber ich mußte das sagen, das verstehen Sie bestimmt.« Katis Botschaft kam an.
»Ich werde Sie nie verraten«, erklärte der Händler fest.
»Das weiß ich.« Zeit, dem Meer der Massen die Treue zu halten. »Morgen schicke ich einen Mann zu Ihrem Vater. Inschallah«, fügte er hinzu, wenn Gott will.
»Ich stehe in Ihrer Schuld, Kommandant.« Er hoffte, sie nie begleichen zu müssen.