30
Ostraum
Clark fuhr zur üblichen Zeit vor und mußte, was ganz ungewöhnlich war, warten. Nach zwei Minuten, als er schon anklopfen wollte, ging die Haustür auf. Heraus trat Dr. Ryan (männlich), blieb stehen, drehte sich um und gab Dr. Ryan (weiblich) einen Kuß. Sie sah ihm nach und bedachte, als er ihr den Rücken kehrte, Clark mit einem strahlenden Lächeln.
Na also? dachte Clark. Habe ich meinen Beruf etwa verfehlt? Jack sah auch annehmbar aus, und Clark gab gleich seinen Kommentar dazu ab.
»Stimmt, ich bin früh ins Bett geschickt worden«, meinte Jack lachend und warf die Zeitung auf den Vordersitz. »Sogar das Trinken hab’ ich vergessen.«
»Wenn Sie noch zwei Tage so weitermachen, sehen Sie wieder menschlich aus.«
»Da haben Sie vielleicht recht.« Er steckte sich aber trotzdem eine Zigarette an, was Clark ärgerte. Dann erkannte er, wie klug Caroline Ryan war. Eins nach dem anderen ... Patente Frau, dachte er.
»Alles bereit für den Testflug um zehn.«
»Gut. Es freut mich, Ihnen mal wieder eine vernünftige Arbeit geben zu können. Beim Personenschutz müssen Sie sich ja zu Tode langweilen«, meinte Ryan und klappte den Dokumentenkoffer auf.
»Auch diese Arbeit hat ihre Höhepunkte«, erwiderte Clark und bog in die Falcon’s Nest Road ein. Da über Nacht nicht viel eingegangen war, steckte Ryans Kopf bald hinter der Washington Post.
Drei Stunden später erreichten Clark und Chavez den Luftstützpunkt Andrews. Zwei VC-20B standen schon startklar bereit. Die Piloten und das Bodenpersonal des 89. »präsidentialen« Lufttransportgeschwaders hatten ein strenges Wartungsprogramm. Die beiden Maschinen hoben im Zeitabstand von wenigen Minuten ab und flogen nach Osten, damit sich zwei neue Kopiloten mit den Flugsicherheitsprozeduren, die sie bereits in- und auswendig kannten, vertraut machen konnten.
Hinten in der Maschine spielte ein Techniker der Air Force mit den hochmodernen Kommunikationsgeräten. Dieser Mann, ein Sergeant, warf hin und wieder einem Zivilisten, der in einen Blumentopf oder ein grünes Stäbchen zu sprechen schien, Seitenblicke zu. Sehr merkwürdig, dachte der Sergeant, das ist bestimmt ein Geheimprojekt. Und da hatte er ganz recht.
Zwei Stunden später setzten die beiden Gulfstreams wieder in Andrews auf und rollten an den VIP-Terminal. Clark sammelte seine Geräte ein und stieß zu einem anderen Zivilisten, der an Bord der zweiten Maschine gewesen war. Schon auf dem Weg zu ihrem Wagen waren die beiden ins Gespräch vertieft.
»Einen Teil Ihres Spruchs konnte ich verstehen – laut und deutlich, meine ich«, meldete Chavez. »Ungefähr ein knappes Drittel.«
»Na, mal sehen, was die Technofreaks damit anfangen können.« 35 Minuten später waren sie wieder in Langley und fuhren von dort aus weiter nach Washington hinein, um ein verspätetes Mittagessen einzunehmen.
Am Vorabend hatte Bob Holtzman den Anruf über seinen nicht eingetragenen Privatanschluß erhalten. Die kurze, knappe Botschaft weckte sein Interesse. Um zwei am Nachmittag betrat er Esteban’s, ein kleines mexikanisches Restaurant in Georgetown. Die meisten Leute, die hier zum Mittagessen herkamen, waren schon wieder bei der Arbeit, so daß das Lokal nun nur noch zu einem Drittel besetzt war, vorwiegend von Studenten der Uni Georgetown. Ein Mann an einem Tisch in der hinteren Ecke des Restaurants winkte ihm zu.
»Tag«, sagte Holtzman und setzte sich.
»Bob Holtzman?«
»Der bin ich«, erwiderte der Reporter. »Und Sie?«
»Zwei nette Menschen«, sagte der Ältere. »Darf ich Sie zum Essen einladen?«
»Einverstanden.« Der Jüngere stand auf, begann die Musikbox mit 25-Cent-Stücken zu füttern und ließ mexikanischen Pop laufen. Holtzman wurde sofort klar, daß er sein kleines Tonband umsonst mitgebracht hatte.
»Warum wollten Sie mich sprechen?«
»Sie haben eine Reihe von Artikeln über die CIA verfaßt«, begann der Ältere. »Ihre Artikel zielten auf den Stellvertretenden Direktor, Dr. John Ryan.«
»Das habe ich nie geschrieben«, versetzte Holtzman.
»Ihre Quelle hat Sie belogen. Das Ganze ist eine abgekartete Sache.«
»Wer sagt das?«
»Wie steht es eigentlich mit Ihrer Berufsethik?«
»Wie meinen Sie das?« fragte Holtzman.
»Wenn ich Ihnen jetzt ganz inoffiziell und im Vertrauen etwas verrate – werden Sie es dann drucken?«
»Das hängt von der Natur der Information ab. Was ist eigentlich Ihre genaue Absicht?«
»Mr. Holtzman, ich beabsichtige, Ihnen zu beweisen, daß man Sie angelogen hat, aber der Beweis darf nie an die Öffentlichkeit kommen, weil es Menschenleben gefährden könnte. Ich möchte Ihnen auch beweisen, daß jemand Sie für seine eigenen Zwecke mißbraucht hat.«
»Sie wissen, daß ich meine Quellen nicht verraten kann. Das wäre ein Verstoß gegen die Berufsethik.«
»Ein ethischer Journalist«, sagte der Mann gerade so laut, daß er über die Musik zu verstehen war. »Das gefällt mir. Schützen Sie auch Quellen, die Sie belügen?«
»Nein, das tun wir nicht.«
»Gut, dann will ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, aber nur unter der Bedingung, daß Sie sie nie publik machen. Können Sie mir das versprechen?«
»Und wenn ich feststelle, daß Sie mich irregeführt haben?«
»Dann können Sie es meinetwegen in Druck geben. Einverstanden?« Clark bekam ein Nicken zur Antwort. »Vergessen Sie eines nicht: Ich werde sehr ungehalten, wenn Sie doch etwas darüber schreiben. Und noch etwas: Sie dürfen meinen Hinweis auch nicht als Ansatzpunkt für eigene Recherchen benutzen.«
»Sie verlangen ja allerhand.«
»Die Entscheidung liegt bei Ihnen, Mr. Holtzman. Sie stehen in dem Ruf, ein ehrlicher und gewitzter Journalist zu sein. Es gibt Dinge, über die man einfach nicht berichten kann – halt, das geht zu weit. Sagen wir, es gibt Dinge, die sehr lange geheim bleiben müssen, jahrelang. Ich will auf folgendes hinaus: Sie sind ausgenutzt worden. Man hat Sie beschwatzt, Lügen zu melden, um jemandem Schaden zuzufügen. Ich bin nun kein Reporter, aber wenn ich einer wäre, würde mich das ärgern. Erstens, weil es unfair ist, und zweitens, weil ich mich nicht gerne für dumm verkaufen lasse.«
»Sie haben mich durchschaut. Gut, ich bin mit Ihren Bedingungen einverstanden.«
»Recht so.« Clark erzählte seine Geschichte.
Nach zehn Minuten fragte Holtzman: »Und was war das für ein Einsatz? Wo kam der Mann ums Leben?«
»Tut mir leid, aber das kann ich Ihnen nicht sagen. Und versuchen Sie bloß nicht, es auf eigene Faust herauszubekommen. Die Antwort wissen keine zehn Leute«, log Clark geschickt. »Und selbst wenn Sie ihre Namen erfahren sollten, werden sie alle schweigen. Niemand redet freiwillig über illegale Aktivitäten.«
»Und diese Mrs. Zimmer?«
»Diesen Aspekt können Sie selbst nachprüfen – ihre Adresse, ihr Geschäft, das Geburtsdatum des Kindes, den Namen der Gynäkologin und der Anwesenden.«
Holtzman schaute sich seine Notizen an. »Da steckt ein Knüller dahinter, stimmt’s?«
Clark starrte ihn nur an. »Ich brauche nur einen Namen.«
»Und was unternehmen Sie dann?«
»Nichts, was Sie etwas angeht.«
»Was wird Ryan tun, wenn er den Namen erfährt?«
»Er weiß noch nicht einmal, daß wir hier sind.«
»Das glaube ich nie im Leben.«
»Das ist die Wahrheit, Mr. Holtzman.«
Bob Holtzman, schon lange Reporter, war von Experten angelogen und zum Ziel sehr organisierter und wohlgeplanter Lügen, zum Instrument politischer Hetzkampagnen gemacht worden. Dieser Aspekt seines Berufs gefiel ihm überhaupt nicht. Seine Verachtung für Politiker rührte vor allem von ihrer Bereitschaft her, gegen alle Spielregeln und Gesetze zu verstoßen. Wenn ein Politiker die unverschämtesten Lügen erzählte, sein Wort brach, Geldspenden entgegennahm und sich dem Spender dann sofort erkenntlich zeigte, sagte man nur: So geht das eben in der Politik. In Holtzman steckte noch immer der Idealist, als der er an der Columbia-Universität Journalistik studiert hatte. Zwar hatte das Leben einen Zyniker aus ihm gemacht, aber er gehörte zu den wenigen Menschen in Washington, die ihre Ideale nicht vergessen hatten und manchmal um sie trauerten.
»Was kommt für mich heraus, wenn ich diese Story verifizieren kann?«
»Vielleicht nicht mehr als Genugtuung. Ich bezweifle, daß es mehr wird, aber falls ich etwas für Sie tun kann, melde ich mich.«
»Nur Genugtuung?« fragte Holtzman.
»Wäre es nicht schön, es einem Ellenbogenmenschen mal heimzuzahlen?« fragte Clark leichthin.
Darüber ging der Reporter hinweg. »Was ist Ihre Funktion bei der CIA?«
Clark lächelte. »Darüber darf ich nicht reden.«
»Man hört, daß einmal ein sehr hoher sowjetischer Beamter zu uns überlief, direkt auf dem Rollfeld des Moskauer Flughafens.«
»Von dieser Geschichte habe ich auch gehört. Wehe, wenn Sie die bringen...«
»Tja, das würde unsere Beziehungen zur Sowjetunion schädigen«, bemerkte Holtzman.
»Seit wann wissen Sie das?«
»Ich erfuhr es kurz vor der letzten Wahl. Der Präsident bat mich um Diskretion.«
»Fowler?«
»Nein, sein Vorgänger.«
»Und Sie haben wirklich geschwiegen.« Clark war beeindruckt.
»Der Mann hatte eine Frau und eine Tochter. Kamen die wirklich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, wie es in der Presseerklärung hieß?«
»Wollen Sie die Story jemals veröffentlichen?«
»Das geht erst in vielen Jahren, aber irgendwann möchte ich ein Buch schreiben ...«
»Sie kamen auch heil heraus«, sagte Clark. »Und ich bin der Mann, der sie außer Landes schaffte.«
»An Zufälle glaube ich nicht.«
»Die Frau heißt Maria, die Tochter Katrin.«
Holtzman reagierte nicht, aber er wußte, daß nur eine Handvoll Leute bei der CIA diese Details kannten. Er hatte eine Fangfrage gestellt und die richtige Antwort bekommen.
»In fünf Jahren möchte ich die Einzelheiten dieser Flucht erfahren.«
Nun schwieg Clark einen Augenblick lang. Wenn der Reporter bereit war, fünf gerade sein zu lassen, mußte auch Clark mitspielen. »Einverstanden.«
»Aber John!« rief Chavez.
»Ich muß mich dem Mann erkenntlich zeigen.«
»Wie viele Leute im Dienst kennen die Einzelheiten?«
»Dieser Operation? Nicht viele. Über alle Details sind vielleicht zwanzig informiert, und von denen sind nur noch fünf bei uns.«
»Wer denn?«
»Ich würde zuviel verraten, wenn ich Ihnen das sagte.«
»Eine Kommandoeinheit der Air Force«, spekulierte Holtzman. »Oder vielleicht der Army, Task Force 180. Die wilden Kerle, die in der Nacht vor der Offensive in den Irak eindrangen.«
»Spekulieren Sie, soviel Sie wollen, aber von mir erfahren Sie nichts. Später, wenn ich mein Versprechen einlöse, will ich aber wissen, woher Sie von dieser Operation erfahren haben.«
»Manche Leute reden einfach gern«, sagte Holtzman schlicht.
»Wie wahr. Sind wir uns nun einig, Sir?«
»Wenn ich Ihre Angaben verifizieren kann, wenn feststeht, daß ich belogen wurde, werde ich meine Quelle identifizieren. Sie dürfen das aber nie an die Presse geben.«
Hier geht es ja zu wie bei diplomatischen Verhandlungen, dachte Clark. »Gut. Ich rufe Sie in zwei Tagen an. Sie sind übrigens der erste Reporter, mit dem ich gesprochen habe.«
»Na, und was ist Ihr Eindruck?« fragte Holtzman und grinste.
»Ich bleibe lieber unter Spionen.« John machte eine Pause. »Sie hätten es im Nachrichtendienst aber auch zu etwas gebracht.«
»Was Wunder? Nachrichten sind mein Geschäft.«
»Wie schwer ist das Ding eigentlich?« fragte Russell.
»700 Kilo.« Ghosn rechnete im Kopf. »Das sind drei Viertel einer amerikanischen Tonne.«
»Kein Problem«, meinte Russell, »mein Laster schafft das. Aber wie laden wir den Klotz um?«
Ghosn wurde blaß. »Darüber habe ich gar nicht nachgedacht.«
»Wie wurde die Kiste denn aufgeladen?«
»Sie steht auf einer Plattform aus Holz.«
»Einer Palette? Wurde sie mit einem Gabelstapler aufgeladen?«
»Ja, richtig«, erwiderte Ghosn.
»Dann hast du Glück gehabt. Komm, ich will dir was zeigen.« Russell führte Ibrahim hinaus in die Kälte. Kurz darauf konnte sich der Araber in der Scheune von einer zementierten Laderampe und einem rostigen, gasgetriebenen Gabelstapler überzeugen. Ungünstig war nur, daß die unbefestigte Zufahrt mit Schnee und hartgefrorenem Schlamm bedeckt war. »Wie empfindlich ist die Bombe?«
»Bomben können sehr empfindlich sein, Marvin.«
Darüber mußte Russell herzhaft lachen. »Ja, kann ich mir denken.«
In Syrien war es zehn Stunden früher. Dr. Wladimir Moisejewitsch Kaminskij hatte, wie es seine Angewohnheit war, zeitig mit der Arbeit begonnen. Der Professor und Lungenspezialist aus Moskau war nach Syrien geschickt worden, um dort sein Fach zu lehren. Wer sich mit Lungenkrankheiten befaßte, hatte wenig Grund zum Optimismus. Bei den meisten Fällen, mit denen er es in der Sowjetunion und auch hier in Syrien zu tun hatte, handelte es sich um Lungenkrebs, ein ebenso vermeidbares wie tödliches Leiden.
Der erste Patient war von einem syrischen praktischen Arzt, den er sehr schätzte, an ihn überwiesen worden. Der Kollege hatte in Frankreich studiert und schickte nur interessante Fälle an ihn weiter.
Kaminskij betrat das Untersuchungszimmer und fand einen fit aussehenden Mann Anfang Dreißig vor. Erst auf den zweiten Blick sah er das graue, verhärmte Gesicht. Krebs, war seine erste Vermutung, aber Kaminskij war ein vorsichtiger Mann. Immerhin konnte es auch eine ansteckende Krankheit wie TB sein. Die Untersuchung nahm mehr Zeit in Anspruch als erwartet, weil mehrere Röntgenaufnahmen gemacht und zusätzliche Tests durchgeführt werden mußten. Noch ehe die Befunde vorlagen, wurde er in die sowjetische Botschaft gerufen.
Clark brachte alle Geduld auf und ließ fast drei Tage verstreichen, weil er mit der Möglichkeit rechnete, daß Holtzman nicht so schnell vorankam. Um halb neun am Abend ging John aus dem Haus und fuhr zu einer Tankstelle. Er bat den Tankwart, den Benzintank zu füllen – selbst tat er das nur ungern -, ging zum Münztelefon und wählte Holtzmans Privatnummer.
Als der Reporter sich meldete, nannte Clark seinen Namen nicht, sondern fragte nur: »Hatten Sie Gelegenheit, die Fakten zu überprüfen?«
»Ja, die meisten konnte ich bestätigen. Sieht so aus, als hätten Sie recht gehabt. Wirklich ärgerlich, wenn man belogen wird, nicht wahr?«
»Wer war es?«
»Ich sage Liz zu ihr. Der Präsident nennt sie Elizabeth. Wollen Sie noch einen Bonus haben?« fügte Holtzman hinzu.
»Sicher.«
»Nehmen Sie das zum Beweis für meinen guten Willen. Sie hat ein Verhältnis mit Fowler. Darüber hat niemand berichtet, weil wir fanden, daß so etwas die Öffentlichkeit nichts angeht.«
»Anständig von Ihnen«, lobte Clark. »Vielen Dank. Ich stehe in Ihrer Schuld.«
»Vergessen Sie nicht: in fünf Jahren...«
»Ich melde mich dann.« Clark legte auf. Hab’ ich’s doch gewußt, dachte er und warf eine zweite Münze ein. Er hatte Glück; es meldete sich sofort eine Frau.
»Dr. Caroline Ryan?«
»Ja, wer spricht da?«
»Die Person, deren Namen Sie wissen wollen, heißt Elizabeth Elliot und ist die Sicherheitsberaterin des Präsidenten.« Den Rest der Information unterschlug er, denn sie tat nichts zur Sache.
»Sind Sie auch ganz sicher?«
»Absolut.«
»Recht herzlichen Dank.« Es wurde aufgelegt.
Cathy hatte Jack wieder früh ins Bett geschickt. Endlich nimmt er Vernunft an, dachte sie. Na, ist ja auch kein Wunder; schließlich hat er mich geheiratet.
Der Zeitpunkt hätte günstiger sein können. Vor ein paar Tagen hatte sie sich vorgenommen, nicht zu dem Empfang zu gehen und Arbeitsüberlastung vorzutäuschen, aber nun ...
So dachte sie grimmig: Wie fange ich das an...?
»Morgen, Bernie«, sagte Cathy, die sich gerade Hände und Unterarme wusch.
»Morgen, Cathy. Wie geht’s?«
»Viel besser, Bernie.«
»Wirklich?« Dr. Katz drehte das Wasser auf.
»Ja, wirklich.«
»Das hört man gerne«, bemerkte Katz zweifelnd.
Cathy war fertig und stellte mit dem Ellbogen den Wasserhahn ab. »Bernie, wie sich herausstellte, war das eine arge Überreaktion von mir.«
»Und der Mann von der Regierung?«
»Hat dir etwas Falsches erzählt. Ich erkläre dir das ein andermal. Könntest du mir einen Gefallen tun?«
»Klar, worum geht es?«
»Ich habe am Mittwoch eine Hornhautimplantation. Könntest du die übernehmen?«
»Was ist bei dir los?«
»Ich muß mit Jack zu einem Staatsempfang für den finnischen Ministerpräsidenten. Der Eingriff ist simpel, mit Komplikationen ist nicht zu rechnen. Ich schicke dir am Nachmittag die Akte rüber. Jenkins führt die eigentliche Operation aus. Ich wollte ihm nur auf die Finger sehen.« Jenkins war ein vielversprechender junger Anstaltsarzt.
»Gut, mache ich.«
»Tausend Dank. Ich revanchiere mich«, sagte Cathy auf dem Weg zur Tür.
Eine knappe Stunde später erreichte die Carmen Vita die Hampton-Reede, ging auf Backbordkurs und glitt an den Marinedocks vorbei nach Süden. Kapitän und Lotse standen an Backbord auf der Brückennock und sahen zu, wie Hunderte von Frauen und Kindern dem auslaufenden Flugzeugträger Theodore Roosevelt nachwinkten. Zwei Kreuzer, zwei Zerstörer und eine Fregatte hatten den Hafen schon verlassen; sie stellten, wie der Lotse erklärte, den schützenden Ring um den Träger dar. Der indische Kapitän grunzte und konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit. Eine halbe Stunde später näherte sich das Containerschiff der Pier am Ende des Terminal Boulevard. Drei Schlepper bugsierten die Carmen Vita sanft längsseits. Kaum hatte das Schiff festgemacht, da begannen die mächtigen Kräne schon die Ladung zu löschen.
»Roggen, Colorado?« fragte der Fernfahrer, schlug seinen Straßenatlas auf und fuhr mit dem Finger an der Autobahn 76 entlang, bis er den Ort gefunden hatte. »Ah, hier liegt das.«
»Wie lange dauert das?« fragte Russell.
»Die Fahrzeit? Hm, das sind 1800 Meilen. Zwei Tage, mit einem bißchen Glück auch nur vierzig Stunden. Das wird aber nicht billig.«
»Was verlangen Sie?« fragte Russell und fügte auf die Antwort des Truckers hinzu: »Kann ich bar bezahlen?«
»Aber klar. Dafür lasse ich Ihnen zehn Prozent nach«, sagte der Fernfahrer. Von Bartransaktionen erfuhr das Finanzamt nie etwas.
»Die Hälfte im voraus.« Russell blätterte die Scheine hin. »Den Rest bei Ablieferung, und wenn Sie es in weniger als vierzig Stunden schaffen, gibt es einen saftigen Bonus.«
»Klingt gut. Was wird aus der Kiste?«
»Die bringen Sie gleich hierher zurück. In einem Monat trifft die nächste Ladung ein«, log Russell. »Vielleicht können wir ins Geschäft kommen.«
»Da wäre ich interessiert.«
Russell kehrte zu seinen Freunden zurück und beobachtete dann aus einem gemütlich warmen Gebäude und bei einer Tasse Kaffee, wie die Container an Land gehievt wurden.
Die Theodore Roosevelt verließ in Rekordzeit den Hafen und lief nun schon knapp 20 Knoten. Über ihr kreisten bereits die ersten Flugzeuge – F-14 Tomcat, die vom Stützpunkt Oceana der Marineflieger aufgestiegen waren. Sobald der Träger auf offener See war, drehte er in den Nordwind, und die Landungen begannen. Die erste anfliegende Maschine trug die mit »00« beginnende Nummer des Geschwaderkommandeurs Captain Robby Jackson. Seine Tomcat geriet über dem Heck in eine Bö und blieb deshalb – ärgerlich, dachte Jackson – an Fangleine 2 hängen. Der nächste Jäger, gesteuert von Commander Rafael Sanchez, legte eine perfekte Landung an Seil 3 hin. Beide Maschinen rollten aus dem Weg. Jackson kletterte aus dem Flugzeug und spurtete sofort auf seinen Platz auf der »Geiergalerie« hoch oben auf der Insel des Trägers, um sich die Ankunft seiner restlichen Maschinen anzusehen. Ein Einsatz begann folgendermaßen: Der Kommandeur und die ihm unterstehenden Offiziere beobachteten ihre Männer beim Aufsetzen. Jede Landung wurde auf Videoband aufgenommen und später durchgesprochen. Fängt ja gut an, dachte Jackson und griff nach seinem ersten Becher Bordkaffee. Seine übliche la-Landung hatte er verpatzt.
»Na, Skipper, wie halten sich meine Jungs?« fragte Sanchez und nahm seinen Platz hinter Jackson ein.
»Nicht übel, Bud. Wie ich sehe, haben auch Sie wieder eine Musterlandung hingelegt.«
»Kleinigkeit, Captain. Man achtet beim Anflug auf den Wind. Ich sah die Bö, die Sie erwischte. Hätte Sie warnen sollen.«
»Hochmut kommt vor dem Fall, Commander«, merkte Robby an. Sanchez hatte siebzehn Ia-Landungen hintereinander hingelegt. Na, vielleicht kann er den Wind tatsächlich sehen, dachte Jackson. Siebzig ereignislose Minuten später ging die TR wieder auf Ostkurs und begann die Fahrt zur Straße von Gibraltar.
Der Trucker stellte sicher, daß die große Kiste gut auf der Ladefläche festgezurrt war, und kletterte dann ins Führerhaus seiner Kenworth-Zugmaschine. Er ließ den Dieselmotor an und winkte Russell zu, der den Gruß erwiderte.
»Sollen wir ihm nicht doch lieber hinterherfahren?« fragte Ghosn.
»Das merkt er bestimmt, und dann stellt er dumme Fragen«, versetzte Marvin. »Und was sollen wir tun, wenn etwas schiefgeht? Den Krater auffüllen, den das Ding in die Autobahn reißt? Dem Schiff bist du ja auch nicht gefolgt.«
»Stimmt.« Ghosn warf Kati einen Blick zu und hob die Schultern. Dann gingen sie zu ihrem Wagen und fuhren nach Charlotte, von wo aus sie direkt nach Denver fliegen wollten.
Jack war wie üblich früher fertig, aber Cathy ließ sich Zeit. Nur selten sah sie im Spiegel, daß ihr Haar so wie bei richtigen Frauen aussah und nicht wie bei einer Chirurgin, die ständig Plastikhauben trug und der das Chaos auf ihrem Kopf gleichgültig war. Zwei Stunden hatte sie für ihre Frisur gebraucht, aber diesen Preis war sie zu zahlen bereit gewesen. Ehe sie nach unten ging, holte Cathy zwei Koffer aus dem begehbaren Kleiderschrank und stellte sie mitten ins Schlafzimmer.
»Hilfst du mir mal?« fragte sie ihren Mann.
»Natürlich, Schatz.« Jack ergriff das goldene Halsband, legte es ihr um und ließ den Verschluß einschnappen. Er hatte ihr das Stück einmal zu Weihnachten geschenkt, kurz vor der Geburt des kleinen Jack, und es waren angenehme Erinnerungen damit verbunden. Er trat zurück. »Dreh dich mal um.«
Cathy tat wie geheißen. Ihr Abendkleid war aus königsblauer Seide, die schimmerte und das Licht reflektierte. Von Damenmode verstand Jack Ryan zwar nicht viel – da interpretierte er lieber die Absichten der Russen –, aber was im Augenblick en vogue war, gefiel ihm. Der kräftige Farbton des Kleides und der Goldschmuck betonten das Rosa ihrer hellen Haut und ihr honigblondes Haar. »Toll siehst du aus«, sagte er. »Bist du jetzt fertig?«
»Ja, Jack.« Sie lächelte ihm zu. »Laß schon mal den Wagen warmlaufen.«
Cathy sah ihm nach, bis er in der Tür zur Garage verschwunden war, und sprach dann kurz mit der Babysitterin. Sie zog ihren Pelzmantel an – Chirurgen haben gemeinhin wenig Verständnis für die Ansichten von Tierschützern – und ging dann zu Jack, der in der Garage im Auto wartete, und sie fuhren los.
Clark mußte lachen. Ryan hatte noch immer keine Ahnung, wie man sich einer Observation entzog. Er wartete, bis die Rücklichter kleiner wurden und dann um die Ecke verschwanden. Dann stellte er seinen Wagen in die Einfahrt der Ryans.
»Sind Sie Mr. Clark?« fragte die Babysitterin.
»Ja, der bin ich.«
»Die Sachen stehen im Schlafzimmer.« Das Mädchen wies zur Treppe.
»Danke.« Eine Minute später kam Clark wieder ins Erdgeschoß. Typisch Frau, dachte er, sie hat natürlich viel zuviel eingepackt. Selbst Caroline Ryan war nicht perfekt. »Schönen Abend noch.«
»Gleichfalls.« Die Babysitterin saß schon gebannt vor dem Fernseher.
Die Fahrt von Annapolis in Maryland ins Zentrum von Washington dauerte eine Stunde. Ryan vermißte seinen Dienstwagen, aber Cathy hatte darauf bestanden, daß sie selbst fuhren. Sie bogen von der Pennsylvania Avenue in die Osteinfahrt des Weißen Hauses; Polizisten in Uniform wiesen ihnen einen Parkplatz zu. Ihr Kombi nahm sich zwischen den Cadillacs und Lincolns recht bescheiden aus, aber das störte Jack nicht. Die Ryans gingen die kleine Steigung zum Osteingang hoch, wo Leute vom Secret Service ihre Einladungen mit der Gästeliste verglichen und ihre Namen abhakten. Jacks Wagenschlüssel lösten den Metalldetektor aus. Er quittierte das mit einem verlegenen Lächeln.
Ganz gleich, wie oft man schon dort war, ein Besuch im Weißen Haus hat immer etwas Magisches, besonders abends. Gleich neben dem kleinen Kino gaben sie ihre Mäntel ab, erhielten Marken und gingen dann weiter. An einer strategisch günstig gelegenen Ecke hatten sich wie üblich die Klatschbasen versammelt, Frauen über sechzig, die für die Gesellschaftsspalten berichteten und Jack mit ihrem maskenhaften Lächeln an die Hexen in Macbeth erinnerten. Offiziere aller Waffengattungen – Ryan nannte sie insgeheim »Oberkellner« - hatten sich in Ausgehuniform in Reihen aufgestellt und übernahmen den Eskortendienst. Wie immer sahen die Marines mit ihren roten Schärpen am tollsten aus, und ein unverschämt attraktiv wirkender Captain geleitete sie die Treppe hinauf. Jack quittierte den bewundernden Blick, den seine Frau zugeworfen bekam, mit einem Lächeln.
Am oberen Ende der Treppe empfing sie ein weiblicher Leutnant der Army und führte sie in den Ostraum. Dort wurden ihre Namen ausgerufen – als ob jemand hinhörte -, und ein Diener in Livree kam sofort mit einem silbernen Getränketablett auf sie zu.
»Du mußt fahren, Jack«, flüsterte Cathy. Jack nahm sich Mineralwasser mit Zitrone. Cathy bekam ein Glas Champagner.
Der Ostraum des Weißen Hauses hat die Größe einer kleinen Turnhalle. Die Stucksäulen an den elfenbeinfarbenen Wänden sind mit Blattgold verziert. In einer Ecke spielte ein Streichquartett, und Ryan fand den Sergeant der Army am Flügel recht begabt. Die Hälfte der Gäste, die Männer im Smoking, die Frauen im Abendkleid, war bereits erschienen. Es mag Leute geben, die sich bei solchen Anlässen ganz unbefangen fühlen, dachte Ryan, aber ich gehöre nicht zu ihnen. Zusammen mit Cathy begann er seine Runde und stieß bald auf Verteidigungsminister Bunker und seine Frau Charlotte.
»Hallo, Jack.«
»Guten Abend, Dennis. Kennen Sie meine Frau?«
»Caroline«, sagte Cathy und streckte die Hand aus.
»Na, was halten Sie vom Spiel?«
Jack lachte. »Sir, ich weiß, wie heftig Sie sich deswegen mit Brcnt Talbot gestritten haben. Ich stamme aus Baltimore. Jemand hat unsere Mannschaft geklaut.«
»Kein schwerer Verlust, oder? Dies ist unser Jahr.«
»Das sagen die Vikings auch.«
»Die setzten sich nur mit Mühe gegen New York durch.«
»Wenn ich mich recht entsinne, war Ihr Spiel gegen die Raiders auch eine Zitterpartie.«
»Die hatten bloß Glück«, grummelte Bunker. »In der zweiten Hälfte haben wir sie niedergemacht.«
Caroline Ryan und Charlotte Bunker warfen sich vielsagende Blicke zu: Football! Cathy drehte sich um und erblickte ihre Feindin. Mrs. Bunker entfernte sich und ließ die kleinen Buben mit ihrem Footballgespräch allein.
Cathy holte tief Luft. Sie fragte sich zwar, ob dies der rechte Ort und Zeitpunkt war, konnte aber nicht anders. Sie ließ Jack, der in die entgegengesetzte Richtung schaute, stehen und marschierte schnurstracks los.
Dr. Elizabeth Elliots Kleid war mit Cathys fast identisch. Es gab zwar kleine Unterschiede beim Schnitt und den Falten, aber ansonsten sahen sich die beiden teuren Stücke so ähnlich, als kämen sie aus demselben Geschäft. Dr. Elliots Hals zierte eine dreifache Perlenkette. Sie unterhielt sich mit einem Paar. Als sie die herannahende Gestalt sah, wandte sie den Kopf.
»Guten Abend, Dr. Elliot. Erinnern Sie sich noch an mich?« fragte Cathy und lächelte freundlich.
»Nein. Woher sollte ich Sie kennen?«
»Caroline Ryan. Sagt Ihnen das etwas?«
»Natürlich. Verzeihung«, erwiderte Liz und fragte, da sie nichts weiter wußte: »Kennen Sie Bob und Libby Holtzman?«
»Ich lese Ihre Artikel«, sagte Cathy und ergriff Holtzmans Hand.
»Das hört man immer gerne.« Holtzman spürte die zarte Berührung ihrer Hand und bekam ein schlechtes Gewissen. War das die Frau, deren Ehe er angegriffen hatte? »Das ist meine Frau Libby.«
»Sie sind auch bei der Presse«, merkte Cathy an. Libby Holtzman war größer als sie und trug ein Kleid, das ihren üppigen Busen betonte. Eine Brust von ihr wiegt mehr als meine beiden, dachte sie und verkniff sich ein Seufzen. Solche Brüste benutzten Männer zu gerne als Kopfkissen.
»Sie haben vor einem Jahr eine Kusine von mir operiert«, meinte Libby Holtzman. »Ihre Mutter sagt, Sie seien die beste Chirurgin der Welt.«
»Das hören alle Ärzte gerne.« Cathy fand Mrs. Holtzman trotz ihrer physischen Attribute sympathisch.
»Daß Sie Chirurgin sind, weiß ich«, sagte Liz Elliot so lässig, als redete sie mit einem Hundezüchter. »Aber woher kennen wir uns?«
»Von der Uni Bennington. In meinem ersten Semester hörte ich Ihre Einführung in die Politikwissenschaft.«
»Ach, wirklich? Erstaunlich, daß Sie sich noch daran erinnern.« Sie gab deutlich zu verstehen, daß sie Cathy vergessen hatte.
»Ja. Na, Sie wissen ja, wie das ist. Am Anfang ist das Medizinstudium sehr hart, da muß man sich auf das Wesentliche konzentrieren. Die unwichtigen Kurse macht man mit links und bekommt trotzdem Einser.«
Elliots Miene blieb unverändert. »Ich gab nie leichtfertig gute Noten.«
»Aber doch. Man brauchte im Examen bloß Ihre Vorlesungen wiederzukäuen.« Cathy lächelte noch breiter.
Bob Holtzman war versucht, sich in Sicherheit zu bringen, blieb aber standhaft. Seine Frau hatte die Signale früher erkannt als er und machte große Augen. Hier war gerade ein erbitterter Krieg ausgebrochen.
»Was ist eigentlich aus Dr. Brooks geworden?«
»Wer ist das?« fragte Liz.
Cathy wandte sich an die Holtzmans. »Tja, Anfang der Siebziger ging es hoch her. Dr. Elliot hatte gerade ihren Magister gemacht, und ihre Fakultät war ... nun, ziemlich radikal. Sie wissen ja, was damals ›in‹ war.« Sie drehte sich wieder zu Liz um. »An Dr. Brooks und Dr. Hemmings erinnern Sie sich doch bestimmt. Haben Sie nicht mit ihnen zusammengewohnt?«
»Nein.« Liz rang um Beherrschung. Diese Szene mußte bald ein Ende finden. Aber sie konnte jetzt nicht einfach weglaufen.
»Sie wohnten zusammen in einem Haus nicht weit vom Campus. ›Marx Brothers‹ nannten wir die Gruppe, oder ›Dreierbob‹«, erklärte Cathy kichernd. »Brooks hatte nie Socken an – oben in Vermont, wohlgcmcrkt, er muß sich gräßliche Erkältungen geholt haben -, und Hemmings wusch sich nie die Haare. Ein wilder Verein. Nun, Dr. Brooks ging nach Berkeley, und Sie folgten ihm, um Ihren Doktor zu machen. Na, es machte Ihnen wohl Spaß, unter ihm zu arbeiten. Sagen Sie, wie ist es inzwischen in Bennington?«
»So angenehm wie immer.«
»Ich finde nie die Zeit, zu dem Alumnae-Treffen zu fahren«, sagte Cathy.
»lch war auch seit einem Jahr nicht mehr dort«, erwiderte Liz.
»Ich frage mich immer noch, was aus Dr. Brooks geworden ist.«
»Soviel ich weiß, lehrt er an der Uni Vassar.«
»Ah, Sie halten Kontakt mit ihm? Der versucht bestimmt immer noch, jede Frau, die er kriegen kann, ins Bett zu lotsen. Radical chic, sagte Tom Wolfe. Wie oft treffen Sie sich mit ihm?«
»Ich habe ihn seit zwei Jahren nicht mehr gesehen.«
»Wir haben nie verstanden, was Sie an den beiden attraktiv fanden«, bemerkte Cathy.
»Jetzt mal langsam, Caroline, wir waren damals alle keine Jungfrauen.«
Cathy trank einen Schluck Champagner. »Stimmt, das waren andere Zeiten, und wir haben alles mögliche dumme Zeug getrieben. Aber ich hatte Glück: Jack machte eine anständige Frau aus mir.«
Autsch, das hat gesessen! dachte Libby Holtzman.
»Wir hatten nicht alle die Zeit, eine Familie zu gründen.«
»Ich weiß nicht, wie Sie es ohne Familie aushalten. Ich fände die Einsamkeit unerträglich.«
»Nun, ich habe wenigstens keinen Kummer mit einem untreuen Mann«, versetzte Liz eisig. Sie hatte nun ihre Waffe gefunden, ohne zu wissen, daß sie keine Wirkung mehr hatte.
Cathy wirkte erheitert. »ja, darunter müssen manche Frauen leiden. Zum Glück habe ich dieses Problem nicht.«
»Wie kann man da jemals sicher sein?«
»Nur eine Närrin zweifelt an ihrem Mann, wenn sie ihn richtig kennt und weiß, wozu er fähig ist und wozu nicht.«
»Sie fühlen sich ganz sicher?« fragte Liz.
»Selbstverständlich.«
»Man sagt, daß es die Ehefrau immer als letzte erfährt.«
Cathy legte den Kopf schief. »Ist das eine theoretische Diskussion, oder wollen Sie mir etwas ins Gesicht sagen, was Sie sonst hinter meinem Rücken verbreiten?«
Holtzman kam sich vor wie bei einem Schaukampf.
»Habe ich Ihnen diesen Eindruck vermittelt? Tut mir leid, Carolinc...«
»Schon gut, Liz.«
»Verzeihung, aber die Anrede ist...«
»Und ich bin Professorin, Medizinerin am Johns-Hopkins-Hospital.«
»Ich dachte, Sie seien nur außerordentliche Professorin.«
Dr. Caroline Ryan nickte. »Richtig. Die Virginia-Universität bot mir einen Lehrstuhl an, aber da hätte ich umziehen und den Kindern einen Schulwechsel zumuten müssen, ganz zu schweigen von den Problemen, die sich mit Jacks Karriere ergeben hätten. Also lehnte ich ab.«
»Tja, da sind Sie wohl ziemlich gebunden.«
»Ich habe viel Verantwortung und einen Beruf, den ich liebe. Bei Johns Hopkins wird Pionierarbeit geleistet. So ein Umzug nach Washington muß viel einfacher gewesen sein, wo Sie doch nirgendwo jemand hielt. Außerdem – was tut sich in der Politikwissenschaft schon groß?«
»Ich bin mit meinem Leben recht zufrieden.«
»Bestimmt«, erwiderte Cathy, die den schwachen Punkt erkannte und auszunutzen wußte. »Man sieht einem Menschen immer an, wenn er sich in seinem Beruf wohl fühlt.«
»Und Sie, Professor?«
»Es könnte mir kaum bessergehen. Wir unterscheiden uns nur in einem Punkt«, sagte Caroline Ryan.
»Und der wäre?«
»Ich weiß nicht, wohin meine Frau verschwunden ist«, sagte Bunker mittlerweile. »Ah, da steht Ihre bei Liz Elliot und den Holtzmans. Was haben die sich wohl zu erzählen?«
»Daheim, in der Nacht«, erklärte Cathy inzwischen liebenswürdig, »habe ich einen Mann im Bett. Und das Schönste ist, daß ich nie frische Batterien einsetzen muß.«
Jack drehte sich um und sah seine Frau mit Liz Elliot, die nun so blaß geworden war, daß ihre Perlenkette fast braun aussah. Seine Frau war kleiner als die Sicherheitsberaterin und wirkte neben Libby Holtzman wie eine Elfe. Was immer auch gerade vorgefallen sein mochte, Cathy wich nicht von der Stelle wie eine Bärenmutter, die ihre Beute im Blick hat, und schaute Liz Elliot unverwandt an. Er ging hinüber, um nachzusehen, was vorgefallen war.
»Ah, da bist du ja, Schatz.«
»Hallo, Jack«, sagte Cathy und ließ ihr Ziel nicht aus den Augen. »Kennst du Bob und Libby Holtzman?«
»Angenehm.« Jack gab den beiden die Hand und wurde mit rätselhaften Blicken bedacht. Libby Holtzman schien gleich platzen zu wollen, holte aber dann tief Luft und beherrschte sich.
»Sind Sie der Glückspilz, der diese Frau geheiratet hat?« fragte Libby. Diese Bemerkung bewog Liz, sich der Konfrontation zu entziehen.
»Man könnte eher sagen, daß sie mich ausgesucht hat«, sagte Jack in die allgemeine Konfusion hinein.
»Würden Sie mich bitte entschuldigen?« meinte Liz Elliot und räumte so würdevoll wie möglich das Schlachtfeld. Cathy nahm Jack am Arm und ging mit ihm in die Ecke, wo der Pianist saß.
»Himmel noch mal, was war das?« fragte Libby Holtzman ihren Mann, obwohl sie glaubte, den Anlaß des Streits zu kennen. Bei dem Versuch, sich das Lachen zu verkneifen, wäre sie beinahe erstickt.
»Alles meine Schuld, Liebling, weil ich gegen die Berufsethik verstoßen habe. Und weißt du was?«
»Du hast richtig gehandelt«, erklärte Libby. »Die Marx Brothers? Der ›Dreierbob‹? Liz Elliot an der vordersten Front der sexuellen Revolution? Ich krieg’ mich nicht ein!«
»Jack, ich hab’ fürchterliche Kopfschmerzen«, flüsterte Cathy ihrem Mann zu.
»Ist es denn so schlimm?«
Sie nickte. »Gehen wir, ehe es mir übel wird?«
»Cathy, von so einem Empfang kann man nicht einfach verschwinden .«
»Ach was. Bitte, laß uns gehen.«
»Worüber hast du mit Liz gesprochen?«
»Ich mag sie nicht besonders.«
»Da stehst du nicht allein. Na schön, gehen wir.« Jack wandte sich mit Cathy am Arm zur Tür. Der Captain an der Treppe war sehr verständnisvoll. Fünf Minuten später waren sie im Freien. Jack half seiner Frau ins Auto und fuhr dann hinaus auf die Pennsylvania Avenue.
»Geradeaus«, sagte Cathy.
»Aber...«
»Fahr bitte geradeaus weiter, Jack«, sagte sie in ihrem Chirurgenton, der keinen Widerspruch duldete. Ryan steuerte den Wagen am Lafayette-Park vorbei. »So, jetzt nach links.«
»Wo willst du hin?«
»Hier rechts abbiegen – und dann links in die Einfahrt.«
»Aber ...«
»Jack, ich bitte dich«, sagte sie leise.
Der Portier des Hay-Adams-Hotels half Caroline beim Aussteigen. Jack gab dem Parkwächter den Zündschlüssel und folgte seiner Frau in die Halle. Nachdem Cathy vom Empfangschef einen Schlüssel entgegengenommen hatte, marschierte sie fröhlich zum Aufzug. Jack folgte ihr brav, und oben gingen sie dann zur Tür einer Ecksuite.
»Cathy, was soll das?«
»Jack, wir haben uns zu viel um die Arbeit und die Kinder gekümmert und nicht genug um uns. So, heute sind wir mal an der Reihe.« Als sie ihm die Arme um den Hals schlang, blieb ihm nichts anderes übrig, als sie zu küssen. Dann gab sie ihm den Schlüssel. »So, jetzt schließt du besser auf, ehe wir die Leute schockieren.«
»Aber was wird aus...«
»Jack, sei bitte still.«
»Na gut, Schatz.« Ryan führte seine Frau ins Zimmer.
Cathy stellte zufrieden fest, daß ihre Anweisungen so genau befolgt worden waren, wie man es vom Personal dieses erstklassigen Hotels erwarten konnte. Auf dem Tisch stand ein leichtes Abendessen, daneben eine eisgekühlte Flasche Moet et Chandon. Sie war sicher, daß auch alles andere seine Ordnung hatte, und legte ihren Pelz auf die Couch.
»Schenkst du schon mal ein? Ich bin gleich wieder zurück. Und mach es dir bequem«, fügte sie auf dem Weg ins Schlafzimmer hinzu.
»Zu Befehl«, sagte Jack zu sich selbst. Er wußte nicht, was hier vorging oder was Cathy plante, aber die kleine Überraschung störte ihn nicht. Nachdem er seine Smokingjacke auf Cathys Nerz abgelegt hatte, löste er die Folie vom Hals der Champagnerflasche, öffnete den Draht und drückte behutsam den Korken heraus. Dann goß er zwei Gläser ein und stellte die Flasche zurück in den silbernen Kühler. Er trat ans Fenster und schaute hinüber zum Weißen Haus. Jack hörte sie zwar nicht zurück ins Zimmer kommen, aber spürte ihre Gegenwart. Als er sich umdrehte, stand sie in der Tür.
Sie trug es erst zum zweiten Mal, das bodenlange Nachthemd aus weißer Seide. Zum ersten Mal hatte sie es in der Hochzeitsnacht angehabt. Cathy ging auf bloßen Füßen über den Teppich auf ihren Mann zu.
»Deine Kopfschmerzen sind wohl weggegangen.«
»Mein Durst aber nicht.« Sie lächelte ihn an.
»Wird gleich geregelt.« Jack nahm ein Glas und hielt es an ihre Lippen. Sie trank nur einen Schluck und hielt es dann an seinen Mund.
»Hast du Hunger?«
»Nein.«
Sie lehnte sich an ihn und ergriff seine Hände. »Jack, ich liebe dich. Komm.«
Jack drehte sich um, faßte sie an der Taille und folgte ihr. Das Bett war, wie er sah, schon aufgeschlagen, und der Schein der Flutlichter des Weißen Hauses fiel durch die Fenster.
»Erinnerst du dich noch an das erste Mal und an die Hochzeitsnacht?«
Jack lachte leise. »Wie kann ich das vergessen?«
»Das soll jetzt wieder ein erstes Mal werden, Jack.« Sie machte seinen Kummerbund auf. Jack verstand. Als er nackt war, umarmte sie ihn, so fest sie konnte, und er spürte die kühle Seide auf seiner Haut. »Komm, leg dich hin.«
»Du warst noch nie so schön, Cathy.«
»Niemand darf dich mir wegnehmen.« Cathy glitt neben ihm aufs Bett. Er war nun bereit – und sie auch. Caroline hob das Nachthemd bis zur Taille und bestieg ihn. Seine Hände fanden ihre Brüste. Sie hielt sie dort fest, während sie sich auf und ab bewegte und wußte, daß er sich nicht lange würde zurückhalten können. Aber auch sie stand kurz vorm Höhepunkt.
Was hab’ ich doch für ein Glück, dachte Jack und versuchte, sich zu beherrschen, aber obwohl ihm das mißlang, wurde er mit einem Lächeln belohnt, das ihm fast das Herz brach.
»Nicht übel«, sagte Cathy eine Minute später und küßte seine Hände.
»Ich bin aus der Übung.«
»Die Nacht ist noch jung«, meinte sie und legte sich neben ihn. »Und ich hatte ja auch lange genug nichts abgekriegt. So, hast du jetzt Appetit?«
Ryan schaute sich im Zimmer um. »Hmmm ...«
»Moment.« Sie stand auf und kam mit einem Bademantel, der das Monogramm des Hotels trug, zurück. »Da, halte dich warm.«
Sie aßen schweigend. Es brauchte auch nichts gesagt zu werden. Während der folgenden Stunden fühlten sie sich wie frisch verliebte Teenager, die beginnen, die Liebe zu erkunden wie ein neues, wunderschönes Land, in dem jede Biegung des Weges neue Aussichten eröffnete. Nach dem Dessert schenkte er den Rest des Champagners ein.
»Ich muß mit dem Trinken aufhören«, sagte er und fügte in Gedanken hinzu: Aber nicht heute nacht.
Cathy leerte ihr Glas und stellte es auf den Tisch. »Ja, das würde dir guttun, aber ein Alkoholiker bist du nicht; das haben wir letzte Woche bewiesen. Du brauchtest nur Schlaf, und den bekamst du. So, und jetzt bin ich hungrig auf dich.«
»Mal sehen, ob ich noch was habe.«
Cathy stand auf und nahm ihn an der Hand. »Es ist bestimmt noch allerhand übrig.«
Diesmal ergriff Jack die Initiative. Im Schlafzimmer zog er ihr das Nachthemd über den Kopf und warf seinen Bademantel auf den Boden.
Der erste Kuß schien eine Ewigkeit zu dauern. Er hob sie aufs Bett, ließ sich neben ihr nieder und streichelte sie. Dann legte er sich behutsam auf sie, spürte ihre Wärme und ihr Verlangen. Diesmal war er beherrschter, hielt sich zurück, bis sie den Rücken wölbte und jener seltsam schmerzliche Ausdruck in ihr Gesicht trat, der jeden Mann erregt. Am Schluß schob er seine Arme unter ihren Rücken, hob sie vom Bett und drückte sie an seine Brust. Cathy hatte das zu gerne und liebte die Kraft ihres Mannes fast so sehr wie seine Güte. Und dann war es vorbei; er lag an ihrer Seite. Cathy zog ihn an sich, preßte sein Gesicht an ihre kleinen Brüste.
»Dir hat überhaupt nichts gefehlt«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Die Reaktion überraschte sie nicht. Sie hatte nur aus Dummheit vergessen, wie gut sie ihn kannte. Jack schluchzte, daß er am ganzen Körper zitterte. Cathy hielt ihn stumm umschlungen und spürte seine Tränen an ihren Brüsten. Was für ein phantastischer, starker Mann, dachte sie.
»Ich war ein miserabler Ehemann und Vater.«
Sie legte die Wange an seinen Kopf. »Wir waren beide in letzter Zeit nicht gerade rekordverdächtig, Jack, aber das ist jetzt vorbei, okay?«
»Ja.« Er küßte ihren Busen. »Wie hab’ ich dich nur gefunden?«
»Du hast mich gewonnen, Jack, in der großen Lotterie des Lebens. Meinst du nicht auch, daß Eheleute einander immer verdienen? In der Klinik bekomme ich so oft mit, wie Ehen zerbrechen. Vielleicht, weil sich die Partner keine Mühe mehr geben und vergessen, was sie bei der Trauung gelobt haben.« Was mir beinahe auch passiert wäre, dachte Cathy. »Habe ich nicht auch geschworen, dich zu lieben und zu ehren, in guten und bösen Tagen, wenn du gesund bist ebensosehr, wie wenn du krank bist? Jack, ich weiß, wie gut du sein kannst, und das ist mir mehr als gut genug. Ich war letzte Woche so eklig zu dir... es tut mir jetzt so leid. Aber das kommt nie wieder vor.«
Endlich hörte Jack auf zu weinen. »Wie lieb du bist.«
»Du auch, Jack.« Sie fuhr ihm mit dem Zeigefinger über den Rücken. »Und vielen Dank.«
»Wie bitte?« Er hob den Kopf, schaute ihr ins Gesicht und sah das sanfte Lächeln, das eine Frau nur für ihren Mann reserviert.
»Ich glaube, es hat geklappt. Vielleicht wird es diesmal ein Mädchen.«
»Das wäre schön.«
»Komm, schlaf jetzt.«
»Moment noch.« Er ging ins Bad und anschließend noch in den Wohnraum, bevor er zurückkam. Zehn Minuten später war er eingeschlafen. Cathy stand auf, um ihr Nachthemd wieder anzuziehen, und machte, als sie wieder aus dem Bad kam, den Weckauftrag, den Jack gerade bestellt hatte, rückgängig. Sie stellte sich ans Fenster und schaute hinüber auf den Amtssitz des Präsidenten. Nie war ihr die Welt schöner vorgekommen. Nun brauchte sie Jack nur noch dazu zu bewegen, nicht mehr für diese Leute zu arbeiten...
Der Sattelschlepper machte in Lexington, Kentucky, einen Tankstopp. Der Fahrer nahm sich zehn Minuten Zeit, um Kaffee zu trinken und Pfannkuchen zu essen – seiner Erfahrung nach hielt ein gutes Frühstück munter. Dann rollte er wieder los. Der Bonus von 1000 Dollar war verlockend, und wenn er ihn verdienen wollte, mußte er den Mississippi überqueren, ehe in St. Louis der Berufsverkehr begann.