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Ansichten
»Jack, Sie sehen schlimm aus«, bemerkte Sir Basil Charleston.
»Der nächste, der mir das unter die Nase reibt, wird umgelegt.«
»Hatten Sie einen unangenehmen Flug?«
»Nichts als Turbulenzen, ich habe kein Auge zugetan.« Die Schatten unter seinen Augen waren noch dunkler als gewöhnlich und sprachen Bände.
»Mal sehen, ob es Ihnen nach dem Mittagessen bessergeht.«
»Schöner Tag«, stellte Ryan fest, als sie die Westminster Bridge Road entlang auf das Parlamentsgebäude zugingen. Der Himmel war blau und wolkenlos, wie es im englischen Frühwinter nur selten vorkommt. Von der Themse wehte eine frische Brise, aber das störte Ryan nicht. Er trug einen dicken Mantel, hatte einen Schal um den Hals, und der eisige Wind machte ihn wach. »Ärger im Büro, Bas?«
»Stellen Sie sich vor, wir haben eine Wanze gefunden, zwei Geschosse unter meinem Zimmer. Jetzt wird das ganze Haus auf den Kopf gestellt.«
»Tja, das Leben ist überall hart. Verdächtigen Sie den KGB?«
»Wir können noch nicht sicher sein«, sagte Charleston, als sie über die Brücke gingen. »Bei uns begann die Außenfassade abzubröckeln wie bei Scotland Yard vor ein paar Jahren, und bei der Reparatur fanden die Arbeiter ein verdächtiges Kabel. Wir folgten ihm... Offenbar haben unsere russischen Freunde ihre Aktivitäten nicht zurückgeschraubt, und es gibt ja auch noch andere Dienste. Kommt so etwas auch in Ihrem Laden vor?«
»Nein, unser Gebäude liegt isolierter als Century House.« Jack bezog sich auf die Tatsache, daß der britische Geheimdienst in einem sehr dichtbesiedelten Viertel untergebracht ist – ganz in der Nähe stand zum Beispiel ein großes Haus mit Eigentumswohnungen –, in dem selbst Wanzen mit schwacher Sendeleistung Daten übertragen konnten. Bei der CIA-Zentrale, die frei auf einem riesigen, bewaldeten Grundstück stand, war das weniger wahrscheinlich. Darüber hinaus waren in die neueren Gebäude umfassende Schutzeinrichtungen gegen interne Funksignale eingebaut worden. »Sie hätten unserem Beispiel folgen und Ihr Gebäude abschirmen sollen.«
»Das kostet ein Vermögen, und das haben wir im Augenblick nicht.«
»Der Zirkus nimmt kein Ende, obwohl wir den kalten Krieg gewonnen haben.«
»Wie hieß dieser alte Grieche, der zur Strafe in der Unterwelt einen Felsblock einen steilen Berg hinaufwälzen mußte – und jedesmal, wenn er ihn fast bis zur Spitze gebracht hatte, rollte das verdammte Ding wieder runter?«
»Sisyphos ...? Oder vielleicht Tantalos? Meine Zeit in Oxford liegt lange zurück, Sir John. Auf jeden Fall haben Sie recht. Man erklimmt einen Berg und sieht auf dem Gipfel schon den nächsten.« Sie gingen weiter am Ufer entlang und auf ihr Restaurant zu. Treffen wie dieses hatten ihr Zeremoniell. Zum Geschäft kam man erst nach höflicher Konversation und einem bedeutungsschweren Schweigen. Charleston und Ryan machten einen Bogen um fotografierende amerikanische Touristen.
»Bas, wir haben ein Problem.«
»So? Was gibt’s?« sagte Charleston, ohne sich umzudrchen. Hinter ihnen gingen drei Leibwächter, vor ihnen zwei.
Auch Jack wandte den Kopf nicht. »Wir haben einen Agenten im Kreml, der öfters mit Narmonow spricht. Er befürchtet einen Putsch von Militär und KGB. Er glaubt, die Sowjets könnten das Abrüstungsabkommen brechen und berichtet, aus einem Arsenal in Deutschland seien unter Umständen taktische Atomwaffen verschwunden.«
»Tatsächlich? Das sind ja herrliche Neuigkeiten. Wie gut ist Ihre Quelle?«
»Sic ist höchst zuverlässig.«
»Also mir ist das neu, Dr. Ryan.«
»Wie gut ist Ihr Agent?« fragte Ryan.
»Recht ordentlich.«
»Und er hat nichts Vergleichbares gemeldet?«
»Ein paar Gerüchte natürlich. Will sagen, Narmonow hat viel am Hals. Denken Sie nur an diese scheußlichen Geschichten im Baltikum, in Georgien und Aserbaidschan. Man denkt – wie sagt ihr Yankees? – an ›einen einarmigen Tapezierer‹! Er mußte sich zwar mit dem Sicherheitsapparat arrangieren, aber ein Coup d’Etat?« Charleston schüttelte den Kopf. »Das sagt unser Kaffeesatz nicht.«
»Aber unser Agent warnt uns vor einem Staatsstreich. Was halten Sie von der Geschichte mit den Kernwaffen?«
»An solche Informationen kommt unser Agent, der auf der zivilen Seite arbeitet, leider nicht heran.« Und weiter wollte Charleston, wie Ryan wußte, nicht gehen. »Wie ernst nehmen Sie die Sache?«
»Gezwungenermaßen sehr ernst. Dieser Agent hat uns im Laufe der Jahre vorzügliches Material geliefert.«
»Einer von Mrs. Foleys Rekruten?« fragte Charleston und lachte in sich hinein. »Großartige Frau. Wie ich höre, hat sie kürzlich noch ein Kind bekommen.«
»Stimmt, die kleine Emily Sarah sieht ihrer Mutter sehr ähnlich.« Jack glaubte, der ersten Frage recht geschickt ausgewichen zu sein. »Mary Pat kommt gleich nach Neujahr zurück ins Büro.«
»Richtig, Sie haben ja eine eigene Kindertagesstätte.«
»Ja, das war eine unserer klügsten Investitionen. Ich wollte, ich wäre auf die Idee gekommen.«
»Ihr Amerikaner!« Sir Basil lachte. »Nun zu den verschwundenen Kernwaffen. Das muß man in der Tat sehr ernst nehmen. Eine unheilige Allianz zwischen der Armee und dem KGB, taktische Gefechtsköpfe als Trumpfkarte. Recht beängstigend, muß ich sagen, aber wir haben noch keinen Pieps gehört. So etwas sollte doch schwer geheimzuhalten sein. Will sagen, Erpressung ist nicht sehr wirksam, wenn das Opfer nicht weiß, daß es erpreßt wird.«
»Einem Gerücht zufolge hat der KGB auch eine Operation in Deutschland laufen, bei der es um Kernwaffen geht.«
»Ja, das haben wir auch gehört«, meinte Charleston, als sie die Uferbefestigung hinunter zur Tattersall Castle gingen, einem alten Raddampfer, in dem sich nun ein Restaurant befand.
»Und?«
»Und wir haben selbst eine Operation gestartet. Offenbar trieb Erich Honekker ein eigenes kleines Manhattan-Projekt voran, aus dem aber zum Glück nichts wurde. Der Iwan war ziemlich aufgebracht, als er davon erfuhr. Kurz vor der Wiedervereinigung gab die DDR ihren ehemaligen sozialistischen Brüdern eine beträchtliche Menge Plutonium zurück. Ich spekuliere, daß sich der KGB um diesen Komplex kümmert.«
»Warum haben Sie uns nicht darüber informiert?« Himmel noch mal, Bas, dachte Ryan, ihr vergeßt aber auch nichts!
»Weil wir nichts Konkretes hatten, Jack.« Charleston nickte dem Oberkellner zu, der ihnen einen Tisch im Achterschiff zuwies. Die Leibwächter setzten sich zwischen ihre Schutzbefohlenen und den Rest der mampfenden Menschheit. »Unsere deutschen Freunde waren sehr entgegenkommend. Das Projekt ist eingestellt, sagen sie, ein für allemal. Leute aus unserer technischen Abteilung, die sich die Anlagen ansahen, bestätigen alle Aussagen unserer deutschen Kollegen.«
»Wann war das?«
»Vor einigen Monaten. Waren Sie hier schon einmal essen?« fragte Charleston, als der Kellner kam.
»Hier noch nicht, aber auf einigen anderen Fähren.« Basil bestellte ein großes Bitter. Jack entschied sich für ein helles Bier. Nachdem sich der Kellner zurückgezogen hatte, merkte Ryan an: »Die KGB-Operation ist aber noch im Gang.«
»Interessant. Kann sein, daß es sich um denselben Fall handelt und daß sie nur etwas später Interesse zeigten als wir.«
»Für einen Fall, bei dem es um Kernwaffen geht?« Ryan schüttelte den Kopf. »Bas, unsere russischen Freunde sind nicht auf den Kopf gefallen und schenken nuklearen Themen mehr Aufmerksamkeit als wir. Das ist ein Zug, den ich bewundere.«
»Tja, nachdem sich China die Bombe verschafft hatte, lernten sie ihre Lektion.« Charleston legte die Speisekarte hin und winkte dem Kellner. »Sie halten die Angelegenheit also für ernst?«
»Allerdings.«
»Auf Ihr Urteil kann man sich normalerweise verlassen, Jack. Vielen Dank«, sagte Charleston dann zu dem Kellner, der gerade die Getränke servierte. Nachdem sie bestellt hatten, fragte Sir Basil: »Sie meinen also, wir sollten mal stochern?«
»Das wäre keine schlechte Idee.«
»Gut. Und was können Sie mir sonst noch verraten?«
»Das ist leider alles, Bas.«
»Ihre Quelle muß sehr gut sein.« Sir Basil nippte an seinem Bier. »Aber ich glaube, Sie haben Vorbehalte.«
»Stimmt, Basil... aber wann haben wir die nicht?«
»Liegen Daten vor, die dagegen sprechen?«
»Nichts, nur daß wir nicht in der Lage waren, die Meldung zu bestätigen. Deshalb bin ich hier. Angesichts des Materials, das Sie uns geschickt haben, muß auch Ihr Mann etwas taugen. Vielleicht kann er diese Meldung am ehesten bestätigen.«
»Und wenn wir seine Aussage nicht verifizieren können?«
»Dann müssen wir sie trotzdem als gültig betrachten.« Diese Aussicht gefiel Ryan überhaupt nicht.
»Und Ihre Vorbehalte?«
»Sind wahrscheinlich nicht relevant, und zwar aus zwei Gründen. Erstens bin ich selbst nicht ganz sicher, ob ich die Sache glauben soll oder nicht, und zweitens ist meine Meinung nicht überall maßgebend.«
»Ah, und hat man Ihnen deshalb die Anerkennung Ihrer Arbeit an dem Abkommen verweigert?«
Ryan, der in den vergangenen sechsunddreißig Stunden kaum geschlafen hatte, grinste müde. »Davon lasse ich mich nicht überraschen, und ich frage auch nicht, wo Sie das ausgegraben haben.«
»Aber?«
»Wenn es nur wenigstens jemand an die Presse gäbe!« meinte Ryan und lachte trocken.
»Gezielte Indiskretionen gibt es bei uns nicht. Ich habe nur eine Person informiert.«
»Den Premierminister?«
»Nein, Seine Königliche Hoheit. Sie sind doch heute abend bei ihm zum Dinner eingeladen, nicht wahr? Ich schätzte, er wollte eingeweiht werden.«
Das gab Jack zu denken. Es war nicht zu erwarten, daß der Prinz von Wales etwas weitertrug, Ryan selbst hätte es ihm nie sagen können, aber ... »Danke, das war nett von Ihnen.«
»Tja, auf Anerkennung sind wir alle scharf. Sie und ich würden das natürlich abstreiten. Irgendwie unfair, aber so geht es eben. In diesem Fall habe ich gegen meine eigenen Prinzipien verstoßen, und wenn Sie mich nach dem Grund fragen: Ihre Leistung war fabelhaft, Jack. Wenn es auf der Welt gerecht zuginge, würde Ihre Majestät Ihnen den Verdienstorden verleihen.«
»Sagen Sie ihr bloß nichts, Basil, sonst tut sie das noch auf eigene Faust.«
»Gewiß, und dann wäre unser kleines Geheimnis heraus.« Das Essen wurde serviert, und sie mußten das Gespräch wieder unterbrechen.
»Es war nicht nur mein Verdienst. Alden hat viel getan, und Talbot, Bunker Scott Adler und viele andere auch.«
»Sie sind so bescheiden wie immer, Dr. Ryan.«
»Meinen Sie damit etwa ›dumm‹, Bas?« Ryan bekam nur ein Lächeln zur Antwort. Auf so etwas verstehen sich die Briten gut.
Fromm hätte es nie geglaubt. Sie hatten fünf Edelstahlmodelle mit den Massen und in der Form des Plutoniums hergestellt. Ghosn hatte alle erforderlichen Sprengstoffplatten angefertigt. Alle fünf Testexplosionen mit den Stahlmodellen waren erfolgreich verlaufen. Ghosn war ein sehr begabter junger Mann. Natürlich war er exakten Plänen gefolgt, die Fromm mit Hilfe eines leistungsfähigen Computers erstellt hatte, aber es war doch ungewöhnlich, daß alles auf Anhieb klappte.
Die erste Phase der Plutoniumbearbeitung war nun beendet. Das Metall sah sehr attraktiv aus und erinnerte an ein geschmiedetes, gefrästes und poliertes Autoersatzteil. Ein guter Anfang. Der Roboterarm der Fräsmaschine nahm das Werkstück aus der Spindel und legte es in einen argongefüllten Kasten, den er dann verschloß und vor eine Tür schob. Fromm nahm das Behältnis heraus und trug es an eine luftgelagerte Drehbank, wo der Prozeß sich in umgekehrter Reihenfolge wiederholte. Vakuumpumpen begannen zu laufen, und während oben in der Umkleidung die Luft abgesaugt wurde, strömte unten Argon ein. Als die gewünschte Atmosphäre erzeugt war, öffnete der Roboterarm dieser Maschine den Kasten, hob das Plutonium heraus und setzte es mit vorprogrammierten Bewegungen präzise in eine neue Spindel ein. Unter Fromms Aufsicht wurde ein Elektromotor eingeschaltet, der die Spindel langsam auf fünfzehntausend Umdrehungen pro Minute brachte.
»Es hat den Anschein, als – halt!« Fromm fluchte; er hatte geglaubt, alles richtig gemacht zu haben. Nachdem die Spindel ausgelaufen war, nahm er eine Feineinstellung vor. Fromm prüfte die Anordnung gründlich auf Unwuchten, stellte den Motor wieder an und fuhr die Spindel auf fünfundzwanzigtausend Umdrehungen hoch. Es gab keine Vibrationen.
»Den ersten Bearbeitungsgang haben Sie sehr gut erledigt«, sagte Fromm über die Schulter.
»Wie hoch ist der Materialverlust?« fragte Ghosn.
»18,527 Gramm.« Fromm schaltete die Maschine ab und richtete sich auf. »Ich kann unsere Arbeiter nicht genug loben. Warten wir mit dem Glattschleifen bis morgen. Blinde Hast ist unklug. Wir sind alle müde, und es ist Zeit fürs Abendessen.«
»Wie Sie meinen, Herr Fromm.«
»Sagen Sie ruhig Manfred zu mir«, erwiderte der Deutsche zu Ghosns Überraschung. »Ibrahim, ich muß mit Ihnen reden.«
»Im Freien?« Ghosn ging mit dem Deutschen zur Tür.
»Wir dürfen diese Männer nicht töten. Dazu sind sie viel zu wertvoll. Was, wenn sich eine solche Gelegenheit noch einmal bietet?«
»Aber Sie waren doch einverstanden!«
»Ich hätte nie erwartet, daß alles so glattgeht. Bei der Aufstellung meines Zeitplans ging ich von der Annahme aus, daß wir beide – oder, ehrlich gesagt, nur ich – jeden Schritt zu überwachen hätten. Sie, Ibrahim, haben mich mit Ihrem Geschick überrascht. Wir haben jetzt ein exzellentes Team, und das muß zusammenbleiben!«
Und wo kriegen wir die nächsten zehn Kilo Plutonium her? fragte sich Ghosn, sagte aber statt dessen: »Da haben Sie wohl recht. Ich werde das mit dem Kommandanten besprechen. Sie dürfen aber nicht vergessen...«
»Wie wichtig die Sicherheit ist, ich weiß. Wir können in dieser Phase nichts riskieren. Ich wollte Sie nur der Gerechtigkeit halber und als Fachmann bitten, die Entscheidung noch einmal zu überdenken. Verstehen Sie mich?«
»Gewiß, Manfred, da bin ich mit Ihnen einig.« Der Deutsche zeigt auf einmal menschliche Züge, dachte Ghosn. Zu spät, schade. »Und ich finde ebenfalls, daß wir uns vor der abschließenden Phase eine gute Mahlzeit gönnen sollten. Heute gibt es Lamm, und wir haben sogar deutsches Bier besorgt. Bitburger, hoffentlich schmeckt Ihnen das.«
»Ein gutes Gebräu. Schade, Ibrahim, daß Ihre Religion Ihnen das verbietet.«
»Zu diesem besonderen Anlaß«, meinte Ghosn, »will ich mir ein Bit genehmigen und hoffe, daß Allah mir vergibt.« Warum nicht das Vertrauen des Ungläubigen gewinnen? setzte er in Gedanken hinzu.
»Jack, Sie sind offensichtlich überarbeitet.«
»Das liegt an dem weiten Weg zur Arbeit, Sir. Ich verbringe jeden Tag zwei oder drei Stunden im Auto.«
»Warum ziehen Sie nicht in ein näher gelegenes Haus um?« schlug Seine Königliche Hoheit vor.
»Peregrine Cliff aufgeben?« Ryan schüttelte den Kopf. »Und wie soll Cathy dann in ihr Krankenhaus kommen? Ich muß auch an die Kinder denken und den Schulwechsel. Nein, das ist keine Lösung.«
»Sie erinnern sich gewiß, daß Sie sich bei unserer ersten Begegnung recht deutlich zu meiner körperlichen und geistigen Verfassung äußerten. Ich bezweifle, daß ich damals so schlecht aussah wie Sie jetzt.« Der Prinz hatte offenbar von mehr als nur Sir Basil Charlestons Seite Informationen erhalten, denn zur Mahlzeit wurde kein Alkohol serviert.
»Bei der Arbeit geht es im Augenblick heiß her.«
»Wie sagte Truman? ›Raus aus der Küche, wer die Hitze nicht verträgt.‹«
»Richtig, Sir, aber es wird sich schon wieder abkühlen. Derzeit ist eben allerhand los. Ging Ihnen das auf Ihrem Schiff nicht ähnlich?«
»Das war erstens eine viel gesündere Arbeit, und zweitens war mein Weg zum Arbeitsplatz viel kürzer. Genauer gesagt: knapp fünf Meter«, fügte der Prinz lachend hinzu.
Ryan lachte recht müde mit. »Das muß angenehm sein. Für mich ist das der Weg ins Vorzimmer.«
»Wie geht’s der Familie?«
Lügen war sinnlos. »Könnte besser sein. Ich habe zuwenig Zeit für sie.«
»Jack, Sie haben Sorgen. Das sieht man Ihnen an.«
»Viel zuviel Streß. Ich trinke mehr, als mir guttut, und verschaffe mir nicht genug Bewegung. Der Job ist im Moment unangenehm, aber das bessert sich bestimmt wieder. Ich weiß Ihre Anteilnahme zu schätzen, Sir, aber ich komme schon wieder auf den Damm.« Jack war fast davon überzeugt, daß das stimmte. Fast.
»Wenn Sie meinen ...«
»Das ist übrigens das beste Dinner, das ich seit langem genossen habe. Und wann darf man Sie wieder auf unserer Seite des großen Teichs begrüßen?« Ryan war dankbar für die Gelegenheit zu einem Themawechsel.
»Im Frühjahr. Ein Züchter in Wyoming hat Pferde für mich, Polo-Ponys.«
»Ein Wahnsinnssport ist das – wie Lacrosse auf Gäulen.«
»Nun, das gibt mir eine Chance, die Landschaft zu genießen. Wyoming ist herrlich. Ich will mir auch den Yellowstone-Park ansehen.«
»Da war ich noch nie«, sagte Jack.
»Wollen Sie uns dann vielleicht begleiten? Ich könnte Ihnen sogar Reitunterricht geben.«
»Warum nicht?« sagte Jack und versuchte, sich vorzustellen, welche Figur er hoch zu Roß wohl machte. Ob er überhaupt eine Woche Urlaub nehmen könnte? »Gut, solange Sie nicht mit diesen Holzhämmern nach mir hauen.«
»›Schläger‹ heißt das beim Polo, Jack. Keine Angst, Sie brauchen nicht mitzuspielen. Sie ruinierten höchstens ein armes Pferd. Ich hoffe doch, daß Sie die Zeit finden?«
»Versuchen kann ich es ja. Mit einem bißchen Glück hat sich die Welt bis dahin etwas beruhigt.«
»Das hat sie bereits getan, und das ist zu einem Gutteil Ihrer Arbeit zuzuschreiben.«
»Sir, ich glaube, daß Sir Basil meine Rolle etwas übertrieben hat. Ich war nur ein Rädchen im Getriebe.«
»Man kann die Bescheidenheit auch zu weit treiben. Ich fand enttäuschend, daß Ihr Wirken keine offizielle Anerkennung fand«, merkte der Prinz an.
»Tja, so geht es nun mal im Leben.« Jack war über seine eigene Reaktion verblüfft; zum ersten Mal war es ihm nicht gelungen, seine Gefühle ganz zu verbergen.
»So hatte ich mir das vorgestellt. Richtig, Jack, im Leben geht es nicht immer gerecht zu. Warum satteln Sie nicht um?«
Jack grinste. »Ich bitte Sie, so schlecht sehe ich nun auch wieder nicht aus. Die CIA braucht mich.«
Nun wurde Seine Hoheit ganz ernst. »Jack, sind wir Freunde?«
Ryan setzte sich kerzengerade auf. »Sehr viele habe ich nicht, aber Sie zähle ich dazu.«
»Vertrauen Sie meinem Urteil?«
»Jawohl, Sir.«
»Steigen Sie aus. Kündigen Sie. Zurückkehren können Sie immer. Ein Mann mit Ihren Talenten verschwindet nie ganz von der Bühne, das wissen Sie. Jack, man sieht Ihnen an, daß Sie zu lange in der Tretmühle waren. Sie haben Glück; ich hingegen kann nicht zurücktreten. So viel Freiheit wie Sie habe ich nicht. Nutzen Sie das.«
»Klingt plausibel. Aber Sie würden an meiner Stelle ja auch nicht aufgeben, und sogar aus dem gleichen Grund. Ich werfe nicht so schnell das Handtuch, und Sie genausowenig.«
»Stolz kann destruktiv sein«, gab der Prinz zu bedenken.
Jack beugte sich vor. »Es geht nicht um meinen Stolz, sondern um Fakten. Ich werde zu meinem Bedauern wirklich gebraucht. Und leider weiß man das noch nicht einmal.«
»Ist der neue Direktor denn so schlecht?«
»Marcus ist ein anständiger Mann, aber faul. Seine Stellung genießt er mehr als seine Pflichten. Dieses Problem ist wohl kaum auf die amerikanische Regierung beschränkt. Wir wissen beide, daß die Pflicht zuerst kommt. Gut, Sie sind qua Geburt zu Ihrem Posten verdonnert und können nicht fort, aber ich sitze ebenso fest, weil ich für meine Funktion der am besten qualifizierte Mann bin.«
»Hört man denn auf Sie?« fragte der Prinz scharf.
Jack zuckte die Achseln. »Nicht immer. Gewiß, auch ich irre mich manchmal, aber es muß doch einen geben, der das Richtige tut oder es wenigstens versucht. Und dieser eine bin ich. Und deshalb kann ich nicht aussteigen. Das wissen Sie so gut wie ich.«
»Auch wenn Sie sich dabei schaden?«
»Korrekt.«
»Ihr Pflichtbewußtsein ist bewundernswert, Sir John.«
»Ich hatte zwei gute Lehrer. Und Sie sind ja auch nicht geflohen, als Terroristen es auf Sie abgesehen hatten. Das hätten Sie ruhig tun können...«
»Nein. Wäre ich geflohen...«
»Hätten die Terroristen gewonnen«, ergänzte Jack. »Mein Problem ist ähnlich, nicht wahr? Das Aushalten habe ich auch an Ihrem Beispiel gelernt. Überrascht Sie das?«
»Ja«, gestand der Prinz.
»Sie laufen nicht davon. Und ich auch nicht.«
»Sie sind so beredt wie immer.«
»Na bitte. Ich kann’s noch.« Jack war sehr mit sich zufrieden.
»Ich bestehe darauf, daß Sie Ihre Familie mit nach Wyoming bringen.«
»Übergehen Sie mich doch einfach und reden Sie mit Cathy.«
Seine Hoheit lachte. »Vielleicht tu’ ich das sogar! Fliegen Sie morgen?«
»Jawohl, Sir. Vorher muß ich noch bei Hamley’s Spielsachen einkaufen.«
»Gönnen Sie sich Ruhe, Jack. Nächstes Jahr führen wir diese Diskussion bestimmt wieder.«
In Washington war es fünf Stunden früher. Liz Elliot starrte über ihren Schreibtisch hinweg Bob Holtzman an, der regelmäßig über das Weiße Haus für die Presse berichtete. Ebenso wie die nichtpolitischen Beamten hier hatte er die Regierungen kommen und gehen gesehen und alle überdauert. Seine lange Erfahrung im Haus hatte einen widersprüchlichen Effekt. Einerseits war er von den interessantesten Nachrichten, die erst nach Jahren und zu spät für eine gute Story an die Öffentlichkeit kamen und dann von Historikern verarbeitet wurden, abgeschnitten; andererseits aber hatte er ein so gutes Gespür für Nuancen und Andeutungen, daß er für einen hohen Posten in jedem Geheimdienst qualifiziert gewesen wäre. Aber seine Zeitung zahlte wesentlich besser als jede Regierungsbehörde, und außerdem hatte er ein paar Bestseller über das Leben an der Spitze der Administration verfaßt.
»Dies ist also nur inoffiziell?« fragte er.
»Ja«, erwiderte die Sicherheitsberaterin.
Holtzman nickte und begann, sich Notizen zu machen. Die Regeln standen nun fest. Direktzitate waren ausgeschlossen. Elizabeth Elliot war als »hoher Regierungsvertreter« oder im Plural als »Quellen« zu bezeichnen, aus denen etwas »verlautete«. Er sah von seinem Notizblock auf – bei dieser Art Interview durften auch keine Tonbandgeräte benutzt werden – und wartete. Liz Elliot genoß es, ihn auf die Folter zu spannen. Holtzman hielt sie für eine intelligente, wenn auch etwas elitäre Frau – solche Menschen waren im Weißen Haus nicht selten -, die dem Präsidenten eindeutig am nächsten stand, wenn er die Zeichen richtig deutete. Aber das ging die Öffentlichkeit nichts an. Die besondere Beziehung zwischen dem Präsidenten und seiner Sicherheitsberaterin war inzwischen kein Geheimnis mehr. Das Personal im Weißen Haus verhielt sich noch diskreter als sonst, was er merkwürdig fand, denn Fowler war nicht gerade ein liebenswerter Mensch. Nun, vielleicht hatten sie Mitgefühl, weil er so einsam gewesen war. Die Begleitumstände des Todes seiner Frau waren allgemein bekannt und hatten ihm bei der Wahl wohl einige Prozentpunkte an Sympathiestimmen eingebracht. Vielleicht glaubten die Beamten auch, eine stabile Liebesbeziehung könne ihn bessern. Es war aber auch gut möglich, daß sie schlicht wie Fachleute handelten – was sie von den aus politischen Gründen Ernannten unterschied, wie Holtzman fand; denen war nichts heilig. Fowler und Elliot waren vermutlich nur sehr diskret. Wie auch immer, die im Weißen Haus akkreditierten Journalisten hatten in der Bar zur »Vertraulichen Quelle« den Fall durchdiskutiert und waren zu dem Schluß gekommen, daß Fowlers Liebesleben die Öffentlichkeit nicht zu interessieren brauchte, solange es seine Amtsführung nicht in Mitleidenschaft zog. Immerhin war seine Außenpolitik recht erfolgreich. Die Euphorie nach dem Vatikanabkommen und seinen erstaunlich positiven Resultaten hatte sich nie ganz gelegt. Einen Präsidenten, der seine Arbeit so gut tat, durfte man nicht miesmachen.
»Es besteht die Möglichkeit, daß wir Probleme mit den Russen bekommen«, begann Elliot.
»So?« Zur Abwechslung war Holtzman einmal überrascht.
»Wir haben Grund zu der Annahme, daß Narmonow beträchtliche Schwierigkeiten mit den Spitzen seines Militärs hat. Das könnte sich auf die Einhaltung des Abrüstungsvertrags auswirken.«
»Und auf welche Weise?«
»Wir haben Grund zu der Annahme, daß die Sowjets sich gegen die Verschrottung eines Teils ihrer SS-18 sperren werden. Mit der Zerstörung dieser Raketen sind sie bereits im Rückstand.«
Zweimal »Grund zu der Annahme«, überlegte Holtzman. Eine hochsensitive Quelle also, vermutlich ein Spion und keine abgefangene Nachricht. »Es heißt, daß ihnen ihre Entsorgungsanlage Probleme macht. Unsere Inspektoren, die dort waren, scheinen das zu glauben.«
»Vielleicht war die Fabrik mit – wie sagt man? Kreativer Inkompetenz? – geplant worden.«
»Was meint die CIA?« fragte Holtzman und kritzelte, so schnell er konnte.
»Man gab uns einen vorläufigen Bericht, aber noch keine brauchbare Analyse.«
»Und Ryan? Der hat doch ein gutes Gespür für die Sowjetunion.«
»Ryan hat uns enttäuscht«, meinte Liz. »Übrigens – darüber dürfen Sie weder schreiben noch seinen Namen erwähnen – läuft im Augenblick ein kleines Ermittlungsverfahren gegen ihn, das bedenkliche Dinge ans Tageslicht gebracht hat.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel glaube ich, daß wir verzerrte Daten bekommen. Zum Beispiel vermute ich, daß ein hoher Beamter der CIA ein Verhältnis mit einer im Ausland geborenen Person hat, die möglicherweise sogar ein Kind von ihm hat.«
»Ryan?«
Die Sicherheitsberaterin schüttelte den Kopf. »Das kann ich weder bestätigen noch dementieren. Denken Sie an die Regeln.«
»Mit Sicherheit«, versetzte Holtzman und verbarg seinen Ärger. Hielt sie ihn denn für einen Sensationsreporter?
»Er weiß offenbar, daß wir seine Ansichten nicht teilen, und versucht daher die Daten zu färben, um uns zu gefallen. Dies ist eine Zeit, in der wir gutes Material aus Langley brauchen, aber es kommt nicht.«
Holtzman nickte nachdenklich. Dieses Problem war in Langley nicht neu, aber Ryan tat so etwas doch sicherlich nicht? Er ließ die Sache fürs erste auf sich beruhen. »Und Narmonow?«
»Wenn unsere Informationen korrekt sind, wird er bald abgesetzt, entweder von der Rechten oder von der Linken. Es ist nicht ausgeschlossen, daß er die Nerven verloren hat.«
»Ist das wirklich wahr?«
»Ja, es hat den Anschein. Die Vorstellung, daß sein Sicherheitsapparat ihn erpressen könnte, beunruhigt uns sehr. Aber angesichts der Probleme in Langley.. .« Liz hob die Hände.
»Ausgerechnet jetzt, wo sich alles so positiv entwickelt. Haben Sie etwa auch Schwierigkeiten mit Cabot?«
»Er arbeitet sich gut ein, und wenn er mehr Unterstützung bekäme, wäre alles in Ordnung.«
»Sind Sie sehr besorgt?«
»Ja. Gerade jetzt, wo wir gute Gcheimdienstinformationen brauchen, bekommen wir sie nicht. Wie sollen wir auf Narmonows Lage reagieren, wenn wir keine vernünftigen Daten geliefert bekommen? Und was kriegen wir statt dessen?« fragte Liz mit gespielter Verzweiflung. »Unser Held wuselt herum und kümmert sich um Sachen, die die CIA nichts angehen – auf der einen Seite mischt er sich ein und stiftet Panik, auf der anderen versäumt er es, Cabot vernünftige Analysen zu einer anscheinend sehr wichtigen Entwicklung zu liefern. Na ja, er ist eben abgelenkt...«
Unser Held, dachte Holtzman. Interessante Wortwahl. Sie muß ihn abgrundtief hassen. Warum, wußte er aber nicht. Ryan hatte nie große politische Ambitionen gezeigt und war nach allem, was man hörte, ein anständiger Mann. Der Reporter konnte sich an einen Fauxpas erinnern, eine öffentliche Konfrontation mit Al Trent, welche, da war Holtzman sicher, inszeniert worden war. Was war damals wichtig genug gewesen, um einen solchen Eklat in Szene zu setzen? Ryan war zweimal mit dem höchsten Geheimdienstorden ausgezeichnet worden – die Gründe dafür hatte Holtzman nie in Erfahrung bringen können. Nur Gerüchte waren umgegangen, fünf verschiedene Versionen von vier verschiedenen Geschichten, die wahrscheinlich alle nicht stimmten. Ryan war bei der Presse nicht sonderlich beliebt, weil er nie etwas durchsickern ließ und die Geheimhaltung zu ernst nahm. Andererseits aber schmeichelte er sich auch nicht ein, und solche Leute respektierte Holtzman. Eines stand fest: Er hatte die Antipathie gegen Ryan in der Fowler-Administration schwer unterschätzt.
Ich werde manipuliert, dachte er, daran besteht kein Zweifel. Sehr geschickt natürlich. Die Information über die Russen war vermutlich korrekt. Und Klagen über die CIA, weil sie das Weiße Haus nicht vor wichtigen Entwicklungen warnte, waren ja ein alter Hut. Dieser Hinweis basierte wohl auch auf Wahrheit. Aber wo steckte dann die Lüge? Gab es überhaupt eine? Oder wollte man nur sensitive, aber korrekte Informationen an die Öffentlichkeit bringen ... auf die übliche Weise? In diesem Büro an der Nordwestecke des Westflügels des Weißen Hauses hatte er schon öfters wichtige Dinge erfahren.
Konnte Holtzman auf eine solche Story verzichten?
Ausgeschlossen, Bobby, sagte sich der Reporter.
Auf dem Rückflug glitt die Maschine seidenweich durch die Luft. Während Ryan sich ausschlief, sah sich ein Sergeant, der als Steward fungierte, derweil die Montageanleitungen einiger Spielsachen an, die Jack erstanden hatte.
»Na, Sergeant, was treiben Sie denn da?« fragte der Pilot, der, um sich die Füße zu vertreten, in die Kabine gekommen war.
»Major, unser Passagier hat Kram für seine Kinder gekauft. Hören Sie sich das mal an: ›Lasche 1 in Schlitz A schieben, Sechskantbolzen 21 Millimeter in Bohrung 4 einführen und mit Schraubenschlüssel festziehen ...‹«
»Da bastle ich lieber an kaputten Triebwerken rum.«
»Roger«, stimmte der Sergeant zu. »Der Mann kann sich auf was gefaßt machen.«