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Tänzer

Ryan wußte, daß es zu spät war, als der Verkehrslärm ihn weckte und das Tageslicht durch die Fenster fiel. Ein Blick auf die Armbanduhr: 8.15 Uhr. Fast wäre er in Panik geraten, aber das hätte auch nichts geändert. Er stand auf und ging in den Wohnraum, wo seine Frau bereits ihren Kaffee trank.

»Mußt du denn heute nicht zur Arbeit?«

»Eigentlich hatte ich heute früh eine Operation, aber Bernie ist für mich eingesprungen. Vielleicht ziehst du dir mal was an.«

»Und wie komme ich zur Arbeit?«

»John wird um neun hier sein.«

»Na gut.« Ryan ging hinaus, um zu duschen und sich zu rasieren. Auf dem Weg schaute er in den Kleiderschrank und stellte fest, daß Anzug, Hemd und Krawatte für ihn bereithingen. Cathy hatte also sorgfältig geplant. Er mußte lächeln. Als eine Meisterin der Verschwörung hatte er seine Frau noch nicht gesehen. Um 8.45 Uhr war er gewaschen und rasiert.

»Weißt du, daß ich um elf einen Termin im Weißen Haus habe?«

»Nein. Grüße die biestige Elliot von mir.« Cathy lächelte.

»Du magst sie also auch nicht?« fragte er.

»Sie hat kaum etwas Liebenswertes an sich. Als Dozentin war sie miserabel, und sie ist längst nicht so helle, wie sie glaubt. Das große Ego steht ihr im Weg.«

»Ist mir auch schon aufgefallen. Sie hat etwas gegen mich.«

»Diesen Eindruck gewann ich auch. Wir hatten gestern einen kleinen Zusammenstoß, bei dem sie den kürzeren zog«, bemerkte Cathy.

»Und worum ging es?«

»Ach, nur eine Frauengeschichte.« Cathy machte eine Pause. »Jack... ?«

»Ja, Schatz?«

»Ich finde, es ist Zeit, daß du dort aufhörst.«

Ryan starrte auf den Frühstücksteller. »Da hast du vielleicht recht. Zwei Projekte muß ich noch zu Ende bringen... aber dann...«

»Wie lange noch?«

»Höchstens zwei Monate. Ich kann den Kram nicht so einfach hinschmeißen, Schatz. Ich bin vom Präsidenten ernannt und vom Senat bestätigt, vergiß das nicht. Da kann man nicht von heute auf morgen aussteigen. Das wäre wie Fahnenflucht. An gewisse Regeln muß man sich halten.«

Cathy nickte. Im entscheidenden Punkt hatte sie ja schon gewonnen. »Gut, ich verstehe, Jack. Zwei Monate sind kein Problem. Was willst du anschließend tun?«

»Einen Forschungsauftrag übernehmen, am Zentrum für Strategische und Internationale Studien, bei der Heritage Foundation. Das habe ich in England mit Sir Basil besprochen. Auf meiner Ebene ist man nie ganz weg vom Fenster. Hmm, ich könnte mich sogar wieder an ein Buch machen...«

»Zuerst machen wir aber einen schönen langen Urlaub, sobald die Kinder Ferien haben.«

»Bist du dann nicht...?«

»Nein, da bin ich noch nicht zu schwanger.«

»Glaubst du denn wirklich, daß es letzte Nacht passiert ist?«

Sie zog die Augenbrauen hoch und machte ein freches Gesicht. »Der Zeitpunkt stimmte, und außerdem hattest du ja zwei Chancen. Stört dich das? Fühlst du dich ausgenutzt?«

Ryan grinste. »Ich bin schon auf unangenehmere Weise ausgenutzt worden.«

»Sehen wir uns heute abend?«

»Weißt du eigentlich, wie toll ich dieses Nachthemd finde?«

»Mein Hochzeitshemd? Es ist ein bißchen zu keusch, hatte aber den gewünschten Effekt. Schade, daß wir nicht mehr Zeit haben.«

Jack beschloß, sich zu verziehen, solange er noch die Gelegenheit dazu hatte. »Ja, Schatz, aber wir haben beide zu tun.«

»Wie schaaade«, schmollte Cathy.

»Soll ich dem Präsidenten etwa sagen, ich käme zu spät, weil ich gegenüber im Hotel mit meiner Frau bumsen mußte?« Jack ging auf Cathy zu und küßte sie. »Danke, Schatz.«

»Es war mir ein Vergnügen, Jack.«

Ryan trat aus dem Hotel, sah Clark mit dem Wagen in der Einfahrt warten und stieg sofort ein.

»Guten Morgen, Doc.«

»Morgen, John. Sie haben sich nur einen Schnitzer geleistet.«

»So?«

»Woher weiß Cathy Ihren Namen?«

»Das brauchen Sie nicht zu wissen«, versetzte Clark und reichte ihm den Dokumentenkoffer. »Manchmal penne ich mich auch mal gerne aus.«

»Sie haben bestimmt irgend etwas Illegales getan.«

»Kann sein.« Clark fuhr los. »Wann bekommen wir grünes Licht für die Operation in Mexiko?«

»Deswegen habe ich den Termin im Weißen Haus.«

»Um elf?«

»ja.«

Ryan stellte zu seiner Befriedigung fest, daß die CIA auch ohne seine Anwesenheit funktionierte. Im sechsten Stock arbeiteten alle, und selbst Marcus war an seinem Platz.

»Sind Sie reisefertig?« fragte Jack den Direktor.

»Ja, heute abend geht es los. Unsere Station in Japan hat einen Treff mit Lyalin arrangiert.«

»Marcus, sein Deckname ist MUSASHI, und seine Meldungen laufen unter NIITAKA. Es ist eine schlechte Angewohnheit, seinen tatsächlichen Namen zu benutzen, selbst hier.«

»Jaja, Jack. Tragen Sie dem Präsidenten heute das Projekt in Mexiko vor?«

»Ja, richtig.«

»Der Plan gefällt mir.«

»Er stammt von Clark und Chavez. Darf ich einen Vorschlag machen?« fragte Jack.

»Nur zu.«

»Setzen wir sie wieder bei Operationen ein.«

»Wenn die beiden diese Sache deichseln, wird der Präsident nichts dagegen haben und ich auch nicht.«

»Na gut.« Erstaunlich einfach, dachte Jack. Warum wohl?

 

Dr. Kaminskij sah sich die Röntgenaufnahmen an und fluchte: Er hatte am Vortag etwas übersehen. Diese Art von Vergiftung war zwar unwahrscheinlich, aber...

Ausgeschlossen. Doch nicht hier! Oder? Er mußte weitere Tests durchführen, aber erst verbrachte er eine Stunde damit, seinen syrischen Kollegen zu suchen. Der Patient wurde in ein anderes Krankenhaus verlegt. Selbst wenn Dr. Kaminskij sich irrte, gehörte dieser Mann auf die Isolierstation.

 

Russell stieg auf den Gabelstapler und brauchte ein paar Minuten, um sich mit der Bedienung vertraut zu machen. Dabei überlegte er, was der Vorbesitzer wohl mit dem Gerät angefangen hatte. Er prüfte die Propanflaschen: noch genug Gas, also kein Problem. Dann ging er zurück ins Haus.

Die Leute hier in Colorado waren freundlich. Die Lokalzeitung hatte am Ende der Einfahrt schon einen Kasten aufgestellt. Russell trank nun seinen Morgenkaffee und las die Denver Post.

»Auwei«, sagte er leise.

»Was ist, Marvin?«

»So was gab es noch nie. Die Fans der Vikings rollen im Konvoi an, insgesamt über tausend Autos und Busse. Verdammt«, bemerkte er, »da sind die Straßen zu.« Er blätterte um und schaute sich die Wettervorhersage an.

»Was meinst du?« fragte Ghosn.

»Wenn sie nach Denver wollen, müssen sie über die Autobahn 76. Da gibt’s bestimmt Staus. Wir wollen um zwölf am Stadion sein, vielleicht ein bißchen später... und gerade um die Zeit soll der Konvoi dort eintreffen.«

»Konvoi? Was soll das heißen? Ein Konvoi zur Verteidigung gegen was?« fragte Kati.

»Ach was, kein Konvoi wie im Krieg, sondern eine Fahrzeugkolonne«, erklärte Russell. »Für die Fans aus Minnesota steht viel auf dem Spiel... Wißt ihr was? Wir nehmen uns ein Motelzimmer, am besten in der Nähe des Flughafens. Wann geht unser Flug?« Er hielt inne. »Verdammt, da hab’ich was nicht bedacht!«

»Was meinst du?« fragte Ghosn wieder.

»Ich rede vom Wetter«, erwiderte Russell. »Es ist Januar, und wir sind in Colorado. Was machen wir, wenn wieder ein Schneesturm kommt?« Er überflog die Seite. »Auwei...«

»Wegen der Straßenverhältnisse?«

»Genau. Bestellen wir gleich in einem Motel am Flughafen die Zimmer, am besten für drei Nächte, damit wir nicht auffallen. Wir fahren dann am Abend vorher hin und... verdammt, hoffentlich ist noch was frei.« Russell ging ans Telefon und blätterte in den Gelben Seiten. Beim vierten Versuch erreichte er ein kleines Privatmotel, das noch zwei Doppelzimmer frei hatte. Er mußte die Reservierung mit seiner Kreditkarte garantieren, die er bisher noch nicht hatte benutzen müssen. Die Nummer gab er nur widerwillig durch, denn sie bedeutete ein Stück Papier mehr und damit eine Spur mehr.

 

»Guten Morgen, Liz.« Ryan betrat das Büro und setzte sich. »Wie geht es Ihnen heute?«

Die Sicherheitsberaterin ließ sich gar nicht gerne triezen. Sie hatte der Frau dieses Widerlings eine kleine Schlacht geliefert – vor Reportern! – und in aller Öffentlichkeit Prügel bezogen. Ganz gleich, ob Ryan etwas damit zu tun gehabt hatte oder nicht, er mußte sich gestern abend kaputtgelacht haben. Schlimmer noch war, daß die Bemerkungen dieser dürren kleinen Hexe auch auf Bob Fowler gezielt hatten. Jedenfalls war der Präsident dieser Auffassung gewesen, als sie ihm von dem Vorfall berichtet hatte.

»Sind Sie bereit für Ihren Vortrag?«

»Aber gewiß.«

»Gut, dann kommen Sie mit.« Diese Sache überließ sie Bob.

Helen D’Agustino sah die beiden das Oval Office betreten. Natürlich wußte sie Bescheid. Ein Agent des Secret Service hatte den Wortwechsel mitgehört, und die bissige Art, mit der Dr. Elliot heruntergeputzt worden war, hatte Anlaß zu diskretem Gelächter gegeben.

»Guten Morgen, Mr. President«, hörte sie Ryan sagen, als die Tür geschlossen wurde.

»Morgen, Ryan. Schießen Sie los.«

»Sir, unser Plan ist im Grunde genommen recht simpel. In Mexiko bringen wir auf dem Flughafen zwei als Wartungspersonal der Luftlinie getarnte CIA-Agenten unter. Die erledigen normale Reinigungsarbeiten, leeren Aschenbecher aus und putzen die Toiletten. Am Ende ihrer Schicht stellen sie Blumenarrangements in die obere Kabine. Zwischen den Blüten versteckt sind Mikrofone wie dieses.« Ryan nahm ein spitzes grünes Plastikteil aus der Tasche und reichte es Fowler. »Was sie aufnehmen, wird von einem in einer Flasche versteckten Sender-Empfänger aufgefangen. Dieses Gerät wiederum überträgt das Signal über EHF – das steht für ›extrem hohe Frequenz‹ – aus dem Flugzeug zu Sendern auf unseren Maschinen, die einen Parallelkurs fliegen. Ein zusätzlicher Empfänger mit Tonbandgerät wird in der 747 installiert – erstens als flankierende Maßnahme und zweitens als Tarnung für die Operation. Sollte man das Gerät finden, wird man einen Lauschangriff der japanischen Journalisten an Bord auf den Ministerpräsidenten vermuten. Damit rechnen wir jedoch nicht. Auf dem Dulles Airport werden Leute von uns die Geräte wieder von Bord holen. Die Aufzeichnungen beider Einrichtungen werden elektronisch verarbeitet. Mit einer Transkription der Aufnahmen können Sie wenige Stunden nach Landung der Maschine rechnen.«

»Nicht übel. Und wie stehen die Erfolgschancen?« fragte Arnold van Damm, der Stabschef, der bei diesem Gespräch, bei dem es mehr um Politik als um Staatskunst ging, natürlich anwesend sein mußte. Ein Mißerfolg konnte sehr ernste politische Auswirkungen haben.

»Sir, bei einer solchen Operation gibt es keine Garantien. Es ist wahrscheinlich, daß wir zu hören bekommen, was gesagt wird, aber es kann natürlich sein, daß das Thema überhaupt nicht berührt wird. Alle Geräte sind gründlich getestet; das System funktioniert. Der Agent, der die Aktion leitet, ist sehr erfahren und hat schon andere heikle Sachen erledigt.«

»Zum Beispiel?« fragte van Damm.

»Zum Beispiel holte er vor ein paar Jahren Gerasimows Frau und Tochter heraus.« Ryan erklärte die Umstände näher.

»Ist die Operation das Risiko wert?« fragte Fowler.

Ryan war ziemlich überrascht. »Sir, diese Entscheidung liegt bei Ihnen.«

»Ich wollte Ihre Meinung hören.«

»Ja, Mr. President, sie ist es wert. Wir konnten NIITAKA Hinweise auf ein beträchtliches Ausmaß an Arroganz der Japaner entnehmen. Ein solcher Schock könnte sie bewegen, sich in Zukunft an die Regeln zu halten.«

»Sie billigen also unsere Japanpolitik?« fragte van Damm überrascht.

»Meine persönliche Meinung ist unerheblich, aber die Antwort auf Ihre Frage ist: ›Ja.‹«

Der Stabschef konnte ein Erstaunen nicht verbergen. »Die frühere Administration war viel konzilianter – warum haben Sie uns nie etwas gesagt?«

»Weil ich nicht gefragt wurde. Als Nachrichtendienstler mache ich keine Regierungspolitik, sondern führe nur aus, was Sie mir befehlen – solange es legal ist.«

»Sind Sie von der Legalität dieser Operation überzeugt?« fragte Fowler mit einem kaum unterdrückten Lächeln.

»Mr. President, ich bin kein Jurist wie Sie und kenne die betreffenden Gesetze nicht. Daher muß ich davon ausgehen, daß Sie mir als ehemaliger Staatsanwalt keine illegalen Befehle geben.«

»Das war der beste Spitzentanz, den ich erlebt habe, seit das Kirow-Ballett im Kennedy-Center aufgetreten ist«, warf van Damm lachend ein.

»Ryan, Sie kennen sich aus. Gut, Sie haben meine Genehmigung«, meinte Fowler. »Was tun wir, wenn wir wie erwartet etwas auffangen?«

»Das müssen wir mit dem Außenministerium besprechen«, warf Liz Elliot ein.

»Das kann gefährlich werden«, wandte Ryan ein. »Die Japaner haben viele ehemalige Mitglieder der Außenhandelsdelegation angeheuert. Es steht zu erwarten, daß sie auch Informanten im Ministerium sitzen haben.«

»Wirtschaftsspionage?« fragte Fowler.

»Sicher, warum nicht. NIITAKA gab uns bisher zwar keine klaren Hinweise, aber wenn ich ein Bürokrat wäre, der die Regierung verlassen und sich für eine halbe Million im Jahr bei den Japanern als Berater verdingen will, würde ich doch versuchen, mich als wertvolle Quelle zu präsentieren. Meinen guten Willen würde ich so beweisen, wie es sowjetische Beamte und Agenten uns gegenüber auch tun: Ich würde erst einmal was Saftiges vorab liefern. Das ist zwar illegal, aber wir haben keine Leute, die sich mit diesem Komplex auseinandersetzen. Aus diesem Grund ist die Weitergabe von Informationen aus dieser Operation sehr gefährlich. Sicherlich wollen Sie den Rat Minister Talbots und einiger anderer einholen, aber ich würde mit der Weiterverbreitung sehr vorsichtig sein. Vergessen Sie auch nicht, daß Sie unsere Methode der Datensammlung gefährden, wenn Sie den japanischen Ministerpräsidenten mit Aussagen konfrontieren, von denen er weiß, daß er sie nur an einem Ort gemacht haben kann.« Der Präsident zog eine Braue hoch.

»Wir erwecken also den Eindruck, die undichte Stelle sei in Mexiko?« fragte van Damm.

»Das ist das naheliegende Strategem«, stimmte Ryan zu.

»Und wenn ich ihn direkt mit seinen Erklärungen konfrontierte?«

»Sie haben alle Asse, Mr. President, dagegen kommt man kaum an. Und wenn das jemals herauskommt, geht der Kongreß an die Decke. Das ist eines meiner Probleme; ich bin gezwungen, die Operation mit Trent und Fellows zu besprechen. Fellows wird mitspielen, aber Trent hat aus politischen Gründen eine Abneigung gegen die Japaner.«

»Ich könnte Ihnen befehlen, ihn nicht zu informieren...«

»Sir, gegen dieses Gesetz darf ich unter keinen Umständen verstoßen.«

»Vielleicht bin ich gezwungen, Ihnen diesen Befehl zu geben«, bemerkte Fowler.

Wieder war Ryan überrascht. Er kannte die Konsequenzen einer solchen Anweisung ebensogut wie der Präsident. Vielleicht ein guter Vorwand, aus dem Regierungsdienst auszuscheiden.

»Nun, vielleicht wird das nicht nötig sein«, fuhr Fowler fort. »Ich bin es leid, diese Leute mit Samthandschuhen anzufassen. Sie haben ein Abkommen unterschrieben und sind verpflichtet, es einzuhalten, sonst bekommen sie es mit mir zu tun. Es ist ein Skandal, daß der Präsident eines Landes auf so niedrige Weise bestochen und beeinflußt werden kann. Gott, wie ich Korruption hasse!«

»Weiter so, Boß!« warf van Damm ein. »Das hören die Wähler gern!«

»Diese Frechheit!« fuhr Fowler später fort. Ryan konnte nicht beurteilen, ob sein Zorn echt oder gespielt war. »Mir erzählt er, er käme nur vorbei, um ein paar Details zu regeln, mich besser kennenzulernen, aber in Wirklichkeit will er uns sitzenlassen. Na warte, bei dem Kerl werde ich die Bandagen ablegen.« Die Rede endete. »Ryan, ich habe Sie gestern überhaupt nicht gesehen.«

»Ich mußte früher gehen, weil meine Frau Kopfschmerzen hatte. Tut mir leid, Sir.«

»Geht es ihr wieder besser?«

»Ja, Sir.«

»Gut, lassen Sie Ihre Leute los.«

Ryan erhob sich. »Wird gemacht, Mr. President.«

Van Damm folgte ihm hinaus und begleitete ihn zum Westeingang. »Gut gemacht, Jack.«

»Herrje, bin ich denn auf einmal beliebt?« fragte Jack ironisch. Die Besprechung war viel zu glatt verlaufen.

»Ich weiß nicht, was gestern abend vorgefallen ist, aber Liz ist stocksauer auf Ihre Frau.«

»Sie unterhielten sich, aber ich weiß nicht, worüber.«

»Jack, soll ich Ihnen reinen Wein einschenken?«

Wie günstig, wie symbolisch, daß man ihm so freundlich die Tür wies. Ryan wußte, was los war. »Wann, Arnie?«

»Ich würde ja lieber sagen, es seien dienstliche Gründe, aber die Sache ist persönlich. Tut mir leid, Jack, aber das kommt manchmal vor. Der Präsident will Sie wegloben.«

»Wie nett von ihm«, versetzte Jack nüchtern.

»Ich habe versucht, ihn umzustimmen, Jack. Ich mag Sie. Aber es geht einfach nicht anders.«

»Keine Angst, ich nehme still meinen Hut. Aber...«

»Ich weiß. Keine Schüsse aus dem Hinterhalt kurz vor Ihrem Rücktritt oder nachher. Man wird Sie hin und wieder konsultieren und Ihnen vielleicht Sonderaufträge im Ausland geben. Sie werden ehrenhaft entlassen, Jack. Sie haben mein Ehrenwort und das des Präsidenten. Er ist ein knallharter Politiker, aber einer der ehrlichsten Männer, die ich kenne. Leider denkt er anders als Sie - und er ist der Präsident.«

Jack hätte anmerken können, daß ein Zeichen intellektueller Ehrlichkeit die Bereitschaft sei, sich auch Gegenmeinungen anzuhören. Statt dessen sagte er: »Keine Sorge, ich gehe friedlich. Ich war lange genug in diesem Job. Es ist Zeit, ein bißchen auszuspannen, das Leben zu genießen, mit den Kindern zu spielen.«

»Vernünftig, Jack.« Van Damm tätschelte ihm den Arm. »Erledigen Sie die Sache in Mexiko, und dann wird der Chef Sie mit einer Lobesrede verabschieden. Wir lassen sie sogar von Callie Weston verfassen.«

»Schon fast eine Überdosis Streicheleinheiten, Arnie.« Ryan gab ihm die Hand und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen. Van Damm wäre überrascht gewesen, wenn er sein Lächeln gesehen hätte.

 

»Muß das denn unbedingt so laufen?«

»Elizabeth, wir hatten unsere ideologischen Differenzen, aber er diente dem Land gut und treu. Ich bin in vielen Punkten nicht mit ihm einig, aber er hat mich nie angelogen und war immer bemüht, mich gut zu beraten«, erwiderte Fowler und betrachtete dabei das Plastikstäbchen mit dem Mikrofon. Funktioniert es etwa in diesem Augenblick? fragte er sich plötzlich.

»Ich habe dir doch erzählt, was gestern abend vorgefallen ist.«

»Ich bitte dich, dein Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Ryan geht. Leute seines Ranges wirft man nicht einfach hinaus; man gibt ihnen einen ehrenhaften Abschied. Alles andere wäre engstirnig und politisch unklug. ich bin mit dir einig, daß er ein Dinosaurier ist, aber selbst die bekommen im Museum einen Ehrenplatz.«

»Aber...«

»Und damit ist das Thema erledigt. Gut, du hattest gestern einen Wortwechsel mit seiner Frau. Das finde ich bedauerlich, aber wer bestraft schon einen Mann für die Worte seiner Frau?«

»Bob, ich habe ein Recht auf deine Unterstützung!«

Das gefiel Fowler nun nicht, aber er antwortete ruhig: »Die hast du auch, Elizabeth. Aber dies ist weder die Zeit noch der Ort für eine solche Diskussion.«

 

Marcus Cabot traf kurz nach dem Mittagessen auf dem Luftstützpunkt Andrews ein, um den Flug nach Korea anzutreten. Die Einrichtungen waren luxuriöser, als es den Anschein hatte. Die Maschine, eine viermotorige C-141 B Starlifter der Air Force, hatte einen seltsam schlangenförmigen Rumpf, und ihr Laderaum enthielt eine wohnwagenähnliche Einheit mit Küche, Wohnraum und Schlafzimmer. Diese war gut isoliert, denn in der C-141 ist es laut – besonders im rückwärtigen Teil des Laderaums. Cabot ging durch die Tür zum Flugdeck, um die Besatzung zu begrüßen. Der Pilot war ein blonder, 30jähriger Captain. An Bord waren zwei komplette Crews für diesen langen Flug. Der ersten Zwischenlandung zum Auftanken auf dem Luftstützpunkt Travis in Kalifornien sollten drei Lufttankmanöver über dem Pazifik folgen. Da der Flug höchst langweilig zu werden drohte, nahm Cabot sich vor, ihn nach Möglichkeit zu verschlafen. Er fragte sich, ob der Regierungsdienst die Unannehmlichkeiten eigentlich wert war, und Ryans baldiger Abgang, über den ihn van Damm informiert hatte, machte die Aussichten alles andere als rosig. Der Direktor der CIA schnallte sich an und sah sich die seine Mission betreffenden Unterlagen an. Ein Unteroffizier der Air Force bot ihm ein Glas Wein an, und er trank den ersten Schluck, als die Maschine anrollte.

 

John Clark und Domingo Chavez bestiegen später an diesem Nachmittag ihr Flugzeug nach Mexiko. Gut, daß wir etwas früher eintreffen, dachte der Ältere, da können wir uns einrichten und akklimatisieren. Mexico City war eine hochgelegene Metropole mit verschmutzter, sauerstoffarmer Luft. Ihre Ausrüstung war sorgfältig weggepackt, und sie rechneten nicht mit Problemen am Zoll. Waffen hatten sie natürlich nicht dabei, weil diese Mission sie nicht erforderte.

 

Genau 38 Stunden und 40 Minuten, nachdem der Lastzug den Frachtterminal in Norfolk verlassen hatte, fuhr er von der Autobahn ab. Bisher war die Fahrt reibungslos verlaufen, aber nun mußte der Fernfahrer alle seine Künste aufbringen, um den Auflieger an die Laderampe vor der Scheune zu bugsieren. Die Sonne hatte den Boden aufgetaut und in eine fünfzehn Zentimeter tiefe Schlammwüste verwandelt, die ihn fast an der Vollendung des Manövers gehindert hätte. Beim dritten Versuch schaffte er es. Der Mann sprang aus seiner Zugmaschine und ging nach hinten zur Laderampe.

»Wie macht man den Kasten auf?« fragte Russell.

»Das zeige ich Ihnen gleich.« Der Fahrer kratzte sich den Matsch von den Schuhen und öffnete den Verschluß. »Soll ich Ihnen beim Abladen helfen?«

»Nein, das erledige ich selbst. Im Haus steht Kaffee bereit.«

»Danke, Sir, ich könnte eine Tasse vertragen.«

»Na, das war ja einfach«, sagte Russell zu Kati, als der Mann sich entfernte. Marvin öffnete den Behälter und sah einen großen Pappkarton, der die Aufschrift »SONY« trug. Pfeile zeigten an, wo oben war, und ein aufgedrucktes Champagnerglas wies auch Analphabeten auf die Zerbrechlichkeit des Inhalts hin. Das Ganze stand auf einer Holzpalette. Marvin löste die Verankerung, ließ den Gabelstapler an, und eine Minute später stand die Bombe in der Scheune. Russell stellte den Gabelstapler ab und legte eine Plane über den Karton. Als der Fernfahrer zurückkam, war der Frachtbehälter schon wieder zu.

»Sie haben sich Ihren Bonus verdient«, sagte Marvin und gab ihm sein Geld.

Der Fahrer blätterte die Scheine durch. Bevor er die Kiste zurück nach Norfolk brachte, wollte er sich aber erst einmal in der nächsten Fernfahrerrast acht Stunden aufs Ohr legen. »Angenehm, mit Ihnen zu arbeiten, Sir. Sagten Sie, Sie hätten in einem Monat wieder einen Auftrag für mich?«

»Richtig.«

»Gut. Und hier steht, wo ich zu erreichen bin.« Der Trucker gab Marvin seine Karte.

»Fahren Sie sofort zurück?«

»Erst schlafe ich mich mal aus. Im Radio habe ich gehört, daß morgen abend ein Schneesturm kommt; ein großer, hieß es.«

»Typisch für diese Jahreszeit.«

»Stimmt. Schönen Tag noch, Sir.«

»Fahren Sie vorsichtig«, mahnte Russell und schüttelte dem Mann noch einmal die Hand.

»Es war ein Fehler, ihn gehen zu lassen«, sagte Ghosn auf arabisch zum Kommandanten.

»Glaube ich nicht. Schließlich hat er ja nur Marvin zu Gesicht bekommen.«

»Stimmt.«

»Ist die Bombe in Ordnung?« fragte Kati.

»Die Verpackung ist nicht beschädigt. Morgen sehe ich genauer nach. Ich würde sagen, daß wir fast soweit sind.«

»Ja.«

 

»Was willst du zuerst hören: die guten Nachrichten oder die schlechten?« fragte Jack.

»Die guten«, erwiderte Cathy.

»Ich soll von meinem Posten zurücktreten.«

»Und die schlechten?«

»Tja, ganz weg vom Fenster ist man ja nie. Ich soll hin und wieder als Berater zurückkehren.«

»Willst du das?«

»Diese Arbeit geht einem in Fleisch und Blut über. Könntest du denn deine Klinik aufgeben und eine ganz normale Praxis eröffnen und Brillen verschreiben?«

»Wie oft sollst du konsultiert werden?«

»Zweimal im Jahr wahrscheinlich, wenn es um Spezialgebiete geht, auf denen ich mich auskenne. Aber nicht auf regelmäßiger Basis.«

»Das ist annehmbar. Du hast recht, ich möchte weiter junge Ärzte ausbilden. Wann steigst du aus?«

»Zwei Dinge habe ich noch zu erledigen, und dann muß ein Nachfolger gefunden werden...« Ryan dachte an die Foleys. Aber wer war besser qualifiziert  – Pat oder ihr Mann?

 

»Zentrale, hier Sonar.«

»Aye, Zentrale«, erwiderte der Navigator.

»Sir, möglicher Kontakt in Richtung zwei-neun-fünf. Ein sehr schwaches Signal, das aber immer wieder auftaucht.«

»Bin gleich da.« Es waren nur fünf Schritte zum Sonarraum. »Lassen Sie mal sehen.«

»Hier, Sir.« Der Sonarmann wies auf eine Linie auf dem Display. Sie sah verwaschen aus und bestand in Wirklichkeit aus einzelnen gelben Punkten in einem bestimmten Frequenzbereich. Als das Bild weiterlief, erschienen am unteren Ende des Displays erneut Punkte, die eine vage, undeutliche Linie zu bilden schienen. Die einzige Veränderung war eine leichte seitliche Verschiebung der Linie. »Ich kann noch nicht sagen, was das ist.«

»Dann sagen Sie mir, was es nicht ist.«

»Kein Oberflächenkontakt, Sir, und wahrscheinlich auch kein Hintergrundgeräusch.« Der Maat markierte die Linie mit Fettstift bis zum oberen Rand des Displays. »An diesem Punkt begann ich einen Kontakt zu vermuten.«

»Was haben wir sonst noch?«

»Sierra-15 dort drüben ist ein Handelsschiff auf Südostkurs und weit von uns entfernt. Das wäre der dritte KZ-Kontakt seit der letzten Wachablösung, Mr. Pitney. Der Seegang dürfte so stark sein, daß sich die Fischtrawler nicht so weit hinauswagen.«

Lieutenant Pitney klopfte auf den Schirm. »Designieren Sie das Sierra- 16. Ich lasse es eintragen. Wie ist das Wasser?«

»In der Tiefe heute schön still, Sir. Die Oberfläche ist aber ziemlich laut. Da ist es schwer, diesen Kontakt zu halten.«

»Behalten Sie ihn im Auge.«

»Aye, aye.« Der Sonarmann konzentrierte sich wieder auf sein Display.

Lieutenant Jeff Pitney kehrte in die Zentrale zurück, ging ans Bordtelefon und drückte auf den Knopf, der die Verbindung mit der Kabine des Captains herstellt. »Hier Navigator, Captain. Wir haben einen möglichen Sonarkontakt in zwei-neun-fünf, sehr schwach. Vielleicht ist unser Freund wieder da, Sir... Jawohl, Sir.« Pitney hängte ein und schaltete die Bordsprechanlage an. »Feuerleittrupp auf Station.«

Eine Minute später erschien Captain Ricks in Overall und Turnschuhen. Zuerst prüfte er Kurs, Fahrt und Tiefe. Dann ging er in den Sonarraum.

»Lassen Sie mal sehen.«

»Das Signal ist gerade wieder verschwunden, Sir«, sagte der Sonarmann verlegen und wischte mit einem Stück Toilettenpapier – über jedem Display hing eine Rolle – die alte Markierung weg. »Ah, das hier könnte etwas sein.« Er zog eine neue Linie.

»Hoffentlich haben Sie mich nicht umsonst aus dem Schlaf geholt«, grollte Ricks. Lieutenant Pitney sah, wie zwei andere Sonarmänner vielsagende Blicke tauschten.

»Ah, es kommt zurück, Sir. Wenn das ein Akula ist, sollten wir in diesem Frequenzbereich Pumpengeräusche auffangen...«

»Die Aufklärung sagt, das Boot sei gerade generalüberholt worden. Der Iwan hat gelernt, es leiser zu machen«, merkte Ricks an.

»Denkbar ... driftet langsam nach Norden ab, Richtung nun zwei-neunsieben.« Beide Männer wußten, daß dieser Wert um plus/minus zehn Grad abweichen konnte. Peilungen über große Entfernungen fielen trotz der astronomisch teuren Ausrüstung der Maine recht vage aus.

»Wer ist sonst noch in der Gegend?« fragte Pitney.

»Omaha soll sich irgendwo südlich von Kodiak befinden. Sie kann es aber nicht sein; falsche Richtung. Ist das auch bestimmt kein Oberflächenkontakt?«

»Ausgeschlossen, Captain. Einen Diesel oder eine Turbine könnte ich identifizieren, ebenso das Stampfen eines Rumpfes in grober See. Es muß also ein Unterwasserkontakt sein, Captain.«

»Pitney, sind wir auf Kurs zwei-acht-eins?«

»Jawohl, Sir.«

»Gehen Sie auf zwei-sechs-fünf. Schaffen wir uns eine bessere Grundlinie für die Zielbewegungsanalyse. Versuchen wir, die Distanz zu bestimmen, ehe wir herangehen.«

Herangehen? dachte Pitney. Seit wann verfolgen strategische Boote derart aggressive Taktiken? Den Befehl gab er natürlich trotzdem weiter.

»Wo liegt die Schicht?«

»In fünfzig Meter, Sir. Dem Oberflächenlärm nach zu urteilen, geht die See da oben gut sieben Meter hoch«, fügte der Sonarmann hinzu.

»Er bleibt also tief, um ruhige Fahrt zu haben.«

»Verdammt, ich hab’ ihn wieder verloren... warten wir ab, bis unser Schwanz wieder ausgerichtet ist.«

Ricks steckte den Kopf aus dem Sonarraum und sagte ein einziges Wort: »Kaffee.« Die Möglichkeit, daß auch die Sonarleute gerne eine Tasse getrunken hätten, kam ihm nicht in den Sinn.

Nach fünf Minuten erschienen die Punkte erneut an der richtigen Stelle.

»Ah, ich glaube, da ist er wieder«, meldete der Sonarmann, »Richtung sieht aus wie drei-null-zwei.«

Ricks ging hinaus an den Kartentisch. Ensign Shaw stellte zusammen mit einem Steuermannsmaat die Berechnungen an. »Er muß über 55 Meilen entfernt sein. Der Drift der Peilung nach gehe ich von Nordkurs und einer Fahrt von weniger als zehn Knoten aus. Die Distanz muß also mehr als hundert T betragen.« Rasche, saubere Arbeit.

Ricks nickte knapp und ging zurück in den Sonarraum.

»Werte werden fester; inzwischen tut sich auf der 50-Hertz-Linie etwas. Kommt mir langsam vor wie Mr. Akula.«

»Die Bedingungen müssen günstig sein.«

»Jawohl, Captain, und sie verbessern sich sogar noch ein wenig. Das wird sich aber ändern, wenn die Turbulenzen unsere Tiefe erreichen, Sir.«

Ricks ging zurück in die Zentrale. »Mr. Shaw?«

»Geschätzte Distanz nun eins-eins-fünf T, Kurs Nordost, Fahrt fünf Knoten, vielleicht ein, zwei mehr, Sir. Sollte seine Geschwindigkeit höher sein, ist die Entfernung sehr groß.«

»Gut, gehen wir behutsam auf null-acht-null.«

»Aye aye, Sir. Steuermann: Ruder an fünf rechts, neuer Kurs null-acht-null.«

»Ruder an fünf rechts, aye, Sir. Ruder ist an fünf rechts, neuer Kurs null-acht-null.«

Ganz langsam, um das Schleppsonar nicht zu weit aus der Kiellinie zu bringen, ging Maine auf Gegenkurs. Drei Minuten später war sie auf dem neuen Kurs und tat etwas, das bislang kein amerikanisches Raketen-U-Boot getan hatte. Kurz darauf erschien Lieutenant Commander Claggett in der Zentrale.

»Wie lange wird er diesen Kurs wohl halten?« fragte er Ricks.

»Was würden Sie an seiner Stelle tun?«

»Ich würde ganz gemütlich ein Leitermuster fahren«, antwortete Dutch, »und nach Süden driften statt nach Norden – also umgekehrt, wie wir es in der Barentssee halten. Das Intervall zwischen den Peilungen hängt von der Leistung seines Schleppsonars ab. Das ist eine feste Information, die wir gewinnen können. Von diesem Wert hängt unsere Taktik bei der Verfolgung ab, nicht wahr?«

»Näher als auf 20 Meilen kann ich unter keinen Umständen herangehen. Also gehen wir auf knapp dreißig, bis wir ein besseres Gespür für ihn haben, und tasten uns dann je nach den Umständen weiter heran. Solange dieses Akula in der Gegend ist, sollte eines unserer Boote präsent sein.«

»Einverstanden.« Claggctt nickte und machte eine kurze Pause, ehe er fortfuhr. »Warum, zum Teufel«, sagte der IA sehr leise, »hat OP-02 das gebilligt?«

»Es ist inzwischen sicherer auf der Welt.«

»Wohl wahr, Sir.«

»Sind Sie etwa neidisch, weil strategische Boote die Aufgabe eines Jagdbootes erledigen können?«

»Sir, ich bin der Ansicht, daß OP-02 entweder nicht alle Tassen im Schrank hat – oder versucht, irgendwo mit unserer Flexibilität Eindruck zu schinden.«

»Gefällt Ihnen diese Taktik denn nicht?«

»Nein, Captain. Ich weiß, daß wir die Aufgabe bewältigen können, finde aber, daß wir die Finger davon lassen sollten.«

»War das das Thema Ihres Gesprächs mit Mancuso?«

Claggett schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Gewiß, er fragte mich, und ich sagte, wir könnten die Rolle übernehmen. Es steht mir noch nicht zu, an solchen Entscheidungen Kritik zu üben.«

Worüber hast du dann mit ihm geredet? hätte Ricks am liebsten gefragt.

 

Oleg Kirilowitsch Kadischow war sehr enttäuscht von den Amerikanern. Er war von ihnen rekrutriert worden, um Interna aus der sowjetischen Legierung zu liefern, und das hatte er seit Jahren präzise getan. Er hatte die grundlegenden Veränderungen in seinem Land vorausgesehen, und zwar früh, weil er Andrej Il’itsch Narmonows Stärken und Schwächen kannte. Der Präsident seines Landes war ein hochbegabter Politiker, der über den Mut eines Löwen und das taktische Geschick eines Mungos verfügte. Nur einen Plan hatte er nicht. Narmonow hatte keine Ahnung, wohin er sein Land führte, und das war seine Schwäche. Er hatte die alte politische Ordnung zerschlagen und die Auflösung des Warschauer Pakts mit der Bemerkung ausgelöst, die Sowjetunion werde die Entscheidungen souveräner Staaten respektieren. Letzteres wuchs aus der Erkenntnis, daß der Bestand des marxistischen Systems einzig durch sowjetische Gewaltandrohung gesichert worden war. Die osteuropäischen Kommunisten, sich der Liebe und Achtung ihrer Völker sicher, hatten törichterweise mitgespielt; eine der kolossalsten und noch immer nicht ganz verstandenen Fehlleistungen der Geschichte. Vollendet wurde die Ironie durch die Tatsache, daß Narmonow in bezug auf sein eigenes Land blind gegenüber diesem Mechanismus war. Hinzu kam noch eine weitere katastrophale Variable.

Das sowjetische Volk – schon immer ein Begriff, der keinerlei Bedeutung hatte – wurde nur mit Gewalt zusammengehalten. Die Gewehre der Roten Armee sorgten dafür, daß die Moldawier, Letten und Tadschiken der Moskauer Linie folgten. Die kommunistische Führung liebten sie noch weniger als ihre Urgroßväter die Zaren. Narmonow schaffte die führende Rolle der Partei ab und verlor damit die Kontrolle über sein Volk. Leider hatte er der alten Ordnung aber keine neuen Werte entgegenzusetzen. In einer Nation, die seit über achtzig Jahren immer nach Plan gewirtschaftet hatte, gab es plötzlich keinen Plan mehr. Das führte notwendigerweise dazu, daß es, als Aufruhr die Ordnung ablöste, kein Handlungsmuster, keine Linie, kein Ziel gab. Narmonows glänzende politische Manöver waren letzten Endes sinnlos. Das hatte Kadischow klar erkannt. Warum aber sahen das die Amerikaner nicht, die alles auf das Überleben ihres Mannes in Moskau setzten?

Bei dem Gedanken schnaubte der 46jährige Abgeordnete verächtlich. Er war schließlich ihr Mann. Er hatte die Amerikaner seit Jahren gewarnt, und sie hatten ihm auch zugehört, nur um dann mit Hilfe seiner Meldungen einen Mann zu stützen, der zwar viel Geschick, aber keine Vision hatte – und was war ein Führer ohne Vision?

Die Amerikaner, ebenso dumm und blind, hatten sich von der Gewalt in Georgien und im Baltikum überraschen lassen. Den aufkeimenden Bürgerkrieg in den südlichen Republiken ignorierten sie. Beim Rückzug aus Afghanistan waren eine halbe Million Waffen verschwunden; zwar überwiegend Gewehre, aber auch Panzer! Die sowjetische Armee hatte die Situation noch nicht einmal ansatzweise im Griff. Narmonow kämpfte Tag für Tag damit wie ein überforderter Jongleur, kam kaum nach, konzentrierte sich mal auf das eine, mal auf ein anderes Objekt und hielt seine Teller nur mit knapper Mühe in der Luft. Verstanden die Amerikaner denn nicht, daß es eines Tages Scherben geben mußte? Bei dem Gedanken an die Konsequenzen mußte jedem angst werden. Narmonow brauchte eine Vision, einen Plan. Er hatte jedoch weder das eine noch das andere.

Bei Kadischow aber sah das anders aus. Die Sowjetunion mußte aufgelöst werden. Die Republiken mit islamischer Bevölkerung mußten ziehen, die Balten, die Moldauische SSR. Er hatte auch vor, die westliche Ukraine zu entlassen – den Ostteil wollte er behalten. Er mußte die Armenier vor einem Massaker durch die Moslems schützen und sich zugleich den Zugang zu Aserbaidschans Öl sichern – so lange jedenfalls, bis er mit westlicher Hilfe die Ölfelder Sibiriens erschließen konnte.

Kadischow war mit Herz und Seele Russe. Rußland, das Herzstück der Union, mußte wie eine gute Mutter ihre Kinder ins Leben entlassen, wenn die Zeit gekommen war. Übrig blieb dann ein Land, das sich von der Ostsee zum Pazifik erstreckte, eine vorwiegend homogene Bevölkerung hatte und riesige, kaum erfaßte und erst recht nicht erschlossene Ressourcen. Es konnte und sollte ein großes, starkes Land sein, mächtig, reich an Kunst und Geschichte, führend in den Wissenschaften. Er wollte ein Rußland leiten, das eine echte Supermacht war, Partner und Freund der anderen europäischen Länder. Das war seine Vision. Es war seine Aufgabe, das Land ins Licht der Freiheit und des Wohlstands zu führen. Und er war bereit, notfalls dafür die Hälfte der Bevölkerung und 25 Prozent der Fläche aufzugeben.

Aber aus unerfindlichen Gründen halfen ihm die Amerikaner nicht. Ihnen mußte doch klar sein, daß Narmonows Kurs in eine Sackgasse, wenn nicht sogar an den Rand eines Abgrunds führte.

Wenn ihm die Amerikaner nicht helfen wollten, mußte er sie eben dazu zwingen. Die Mittel dazu hatte er. Allein aus diesem Grund hatte er sich von Mary Pat Foley anwerben lassen.

Es war noch früh am Morgen in Moskau, aber Kadischow hatte schon vor langer Zeit gelernt, mit einem Minimum an Schlaf auszukommen. Seine Berichte verfaßte er auf einer alten und schweren, aber leisen Schreibmaschine. Kadischow benutzte ein Baumwollfarbband, dem nicht anzusehen war, was er damit geschrieben hatte. Das Papier stammte aus der zentralen Versorgungsstelle für Bürobedarf, zu der mehrere hundert Leute Zugang hatten. Wie alle professionellen Glücksspieler war Kadischow ein vorsichtiger Mann. Sobald er fertig war, zog er sich Lederhandschuhe an, wischte etwaige Fingerabdrücke vom Papier, faltete den Bogen und steckte ihn in eine Manteltasche. In zwei Stunden sollte die Meldung weitergegeben werden und knapp zwanzig Stunden später in andere Hände gelangen.

 

Agent SPINNAKER hätte sich die Umstände ersparen können. Der KGB hatte Anweisung, die Volksdeputierten nicht zu belästigen. Die Garderobenfrau steckte das Papier ein und bald darauf einem Mann zu, dessen Name sie nicht kannte. Dieser Mann verließ das Gebäude und fuhr zu seinem Arbeitsplatz. Zwei Stunden später lag die Meldung in einem Behälter in der Tasche eines Kuriers, der zum Flughafen fuhr, um eine 747 nach New York zu besteigen.

 

»Wohin geht es diesmal, Dr. Kaminskij?« fragte der Fahrer.

»Kurven Sie einfach herum.«

»Wie bitte?«

»Ich muß mit Ihnen reden«, sagte der Arzt.

»Worüber?«

»ich weiß, daß Sie vom KGB sind.«

»Aber Dr. Kaminskij«, erwiderte der Fahrer lachend. »Ich bin nur Chauffeur bei der Botschaft.«

»Ihr Krankenblatt hat Dr. Feodor Ilitsch Gregoriew unterschrieben, ein KGB-Arzt. Wir haben zusammen studiert. Darf ich weitersprechen?«

»Haben Sie schon mit anderen geredet?«

»Nein, natürlich nicht.«

Der Fahrer seufzte. Da war wohl nichts zu machen. »Was möchten Sie besprechen?«

»Sind Sie vom Auslandsdirektorat?«

Der Chauffeur konnte der Frage nicht ausweichen. »Korrekt. Hoffentlich ist die Sache wichtig.«

»Sie könnte bedeutsam sein. Jemand aus Moskau muß kommen. Ich habe einen Patienten mit einer sehr ungewöhnlichen Lungenkrankheit.«

»Warum sollte mich das interessieren?«

»Weil ich ähnliche Symptome schon einmal gesehen habe – bei einem Arbeiter aus Belojarskij. Nach einem Betriebsunfall.«

»So? Und was ist in Belojarskij?«

»Eine Atomwaffenfabrik.«

Der Fahrer bremste ab. »Ist das Ihr Ernst?«

»Es könnte auch ein anderes Leiden sein, aber um das sicher feststellen zu können, muß ich ganz spezielle Tests ausführen. Wenn wir es mit einem Projekt der Syrer zu tun haben, können wir nicht mit deren Unterstützung rechnen. Deshalb brauche ich die Spezialgeräte aus Moskau.«

»Wie schnell?«

»Der Zustand des Patienten ist hoffnungslos. Er wird uns nicht entkommen.«

»Diese Anfrage muß ich über den Regierungsvertreter leiten, und der kommt erst am Sonntag wieder zurück.«

»Das würde reichen.«