32

Abschluß

»Kann ich mithelfen?« fragte Russell.

»Nett von dir, Marvin«, erwiderte Ghosn. »Aber das erledige ich lieber allein und ungestört.«

»Kann ich verstehen. Ruf mich, wenn du etwas brauchst.«

Ibrahim zog seine dicksten Sachen an und ging hinaus. Es schneite heftig. Gelegentlich fiel auch im Libanon Schnee, aber so etwas wie hier hatte Ghosn noch nie erlebt. Der Sturm hatte vor einer knappen Stunde begonnen, und jetzt lagen schon mehr als drei Zentimeter Schnee. Er spürte den schneidenden Nordwind bis in die Knochen, als er die 60 Meter zur Scheune zurücklegte. Den Verkehr auf der nahen Autobahn konnte er zwar hören, die Scheinwerfer der Fahrzeuge aber nicht sehen. Er betrat die Scheune durch eine Seitentür und bedauerte schon, daß das Gebäude unbeheizt war. Laß dich von solchen Widrigkeiten nicht beeinflussen, ermahnte er sich.

Der Pappkarton, der die Bombe vor neugierigen Blicken schützte, war nicht befestigt und ließ sich leicht abheben. Nun kam ein mit Knöpfen, Schaltern und Skalen besetzter Metallkasten zum Vorschein, der aussah wie ein Videobandgerät, wie es von Fernsehanstalten benutzt wird. Der Vorschlag war von Günther Bock gekommen, und das Gehäuse des Geräts hatten sie der Nachrichtenabteilung des syrischen Fernsehens abgekauft. Die Klappen in dem Gehäuse erfüllten fast perfekt Ghosns Zwecke, und drinnen war sogar noch genug Platz für die Vakuumpumpe, falls sie gebraucht wurde. Das war nicht der Fall, wie Ghosn gleich feststellte. Ein Instrument an der Bombenhülle zeigte an, daß keine Luft eingedrungen war. Das war für den jungen Ingenieur, der gegenüber dem verstorbenen Fromm behauptet hatte, so gut schweißen zu können, aber doch ein Anlaß, Befriedigung zu empfinden. Nun prüfte er die drei neuen Nickel-Kadmium-Batterien: Sein Testgerät zeigte volle Ladung an. Neben den Batterien war der Zeitzünder eingebaut. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß die Zündklemmen nicht belegt waren, schaute er auf seine Armbanduhr, die er schon auf Ortszeit gestellt hatte, und verglich. Der Digitalanzeiger des Zünders wich um drei Sekunden ab, aber das war für Ghosns Zwecke genau genug. Drei Gläser, die man in das Gehäuse gelegt hatte, waren noch intakt. Die Sendung war auf dem Transport also vorsichtig behandelt worden.

»Du bist bereit, mein Freund«, sagte Ghosn leise, schloß die Klappe, überprüfte, ob der Verschluß eingerastet war, und stülpte dann den Pappkarton wieder über die Waffe. Dann hauchte er sich in die kalten Hände und ging zurück zum Haus.

»Wie wird sich das Wetter auf unsere Pläne auswirken?« fragte Kati.

»Diesem Sturm soll ein zweiter folgen. Am besten fahren wir morgen abend ab, kurz bevor er losbricht. Die zweite Front ist schmal und soll nur um die drei Zentimeter Schnee bringen, heißt es. Wenn wir die Ruhe dazwischen ausnutzen, müßten die Straßen frei sein. Dann gehen wir in unser Motel und warten den genauen Zeitpunkt ab. Richtig?« fragte Russell.

»Stimmt. Wann wird der Transporter fertig?«

»Sobald ich die Heizkörper aufgestellt habe, fange ich mit dem Lackieren an. Das dauert nur zwei Stunden, denn die Schablonen sind alle fertig.«

»Wie lange dauert es, bis die Farbe trocken ist?« fragte Ghosn.

»Höchstens drei Stunden. Es soll doch ordentlich aussehen, oder?«

»Sicher, Marvin. Das geht in Ordnung.«

Russell, der den Frühstückstisch abräumte, lachte auf einmal. »Was wohl die Leute denken, die den Film gedreht haben?«

Er drehte sich um und sah die verdutzten Gesichter seiner Gäste. »Hat Günther euch denn nicht davon erzählt?« Nun schauten die beiden Araber verständnislos drein. »Der Film lief mal im Fernsehen und heißt Schwarzer Sonntag. Ein Typ hatte die Idee, das ganze Superbowl mit allen Zuschauern von einem Luftschiff aus zu zerstören.«

»Das ist wohl ein Witz«, bemerkte Kati.

»Nein. Im Film war unten am Luftschiff so ein Menschenvernichtungsding montiert, aber die Israelis kamen dahinter, und die CIA verhinderte die Aktion im letzten Augenblick – ihr wißt schon, wie. Im Western kommt immer die Kavallerie gerade noch rechtzeitig, um die Indianer abzuschlachten.«

»Die Absicht im Film war, alle Zuschauer im Stadion zu töten?« fragte Ghosn ganz leise.

»Ja, so ungefähr.« Russell tat das Geschirr in die Spülmaschine. »Viel heftiger als das, was wir vorhaben.« Er drehte sich um. »Keine Sorge, wenn die Fernsehübertragung ausfällt, gibt es im ganzen Land einen Aufstand. Und da das Stadion überdacht ist, kann der Trick mit dem Luftschiff nicht funktionieren. Für so was bräuchte man eine Atombombe.«

»Keine üble Idee«, meinte Ghosn kichernd, um Marvins Reaktion zu testen.

»Scheißidee. Echt, das könnte einen Atomkrieg auslösen – Mann, wer lebt denn in den Dakotas zwischen den Raketensilos? Mein Volk! Nee, bei so was passe ich.« Russell schüttete Spülmittel in die Maschine und stellte sie an. »Was ist in eurem Dingsda eigentlich genau drin?«

»Ein sehr kompakter und brisanter Sprengstoff. Das Stadion wird natürlich auch Schaden nehmen.«

»Dacht’ ich mir schon. Na, das Fernsehen läßt sich leicht ausknipsen, die Geräte sind ja empfindlich. Aber die Aktion wird einen unglaublichen Effekt haben.«

»Das glaube ich auch, Marvin, aber eigentlich würde ich gern hören, was Sie von der Sache halten«, sagte Kati.

»Einen wirklich destruktiven Terroranschlag hat es bei uns noch nie gegeben. Dieser Knall wird eine Menge verändern. Keiner kann sich mehr sicher fühlen. Da gibt es dann überall Straßensperren und Sicherheitskontrollen. Das macht die Leute sauer und zwingt sie zum Nachdenken. Vielleicht erkennen sie dann, wo die wirklichen Probleme liegen. Und darum geht es uns doch, oder?«

»Korrekt, Marvin«, erwiderte Kati.

»Kann ich dir beim Lackieren helfen?« fragte Ghosn, der verhindern wollte, daß der Indianer zu neugierig wurde.

»Gerne.«

»Du mußt aber versprechen, die Heizung anzuschalten«, meinte der Ingenieur lächelnd.

»Kannst dich drauf verlassen, sonst trocknet die Farbe nicht richtig. Hier ist es dir wohl zu kalt.«

»Dein Volk muß sehr abgehärtet sein.«

Russell zog seine Jacke an und griff nach den Handschuhen. »Klar. Hier ist unsere Heimat.«

 

»Glauben Sie denn wirklich, daß wir ihn finden?« fragte der Starpom.

»Ich denke, wir haben eine gute Chance«, versetzte Dubinin und beugte sich über den Kartentisch. »Er wird irgendwo in diesem Gebiet sein – weit vor den Küstengewässern; dort gibt es zu viele Trawler mit Netzen – und nördlich von diesem.«

»Großartig, Käpt’n, da brauchen wir ja nur zwei Millionen Quadratkilometer abzusuchen.«

»Und können nur ein Drittel dieser Fläche abdecken. Ich sagte ›eine gute Chance‹, nicht ›mit Sicherheit‹. In drei oder vier Jahren ist der Roboter fertig, an dem unsere Konstrukteure arbeiten, und dann können wir unsere Sonarempfänger in die Tiefe schicken.« Dubinin bezog sich auf die nächste Stufe der U-Boot-Technologie, ein kleines, unbemanntes und vom Mutterboot über Glasfaserkabel gesteuertes Unterseeboot. Es sollte sowohl Sensoren als auch Waffen an Bord haben und tief genug tauchen können, um die Sonarbedingungen zwischen 1000 und 2000 Metern, die nach Meinung der Theoretiker besonders günstig waren, zu erkunden. Das würde eine radikale Veränderung im Spiel bedeuten.

»Zeigen die Sensoren Turbulenzen an?«

»Nein, Käpt’n«, antwortete ein Leutnant.

»Ich frage mich, ob diese Dinger den Aufwand wert sind«, murrte der Erste Offizier.

»Beim letzten Mal funktionierten sie.«

»Gewiß, aber damals war die Oberfläche ruhig. Wie oft herrscht nicht im Nordpazifik und im Winter schwerer Seegang?«

»Das Gerät könnte uns trotzdem etwas verraten. Wir müssen jeden Trick anwenden. Warum sind Sie so pessimistisch?«

»Selbst Ramius gelang es nur einmal, ein Ohio zu verfolgen, und das war auf einer Probefahrt, als es Probleme mit einer schadhaften Welle hatte. Und selbst unter diesen Bedingungen konnte er den Kontakt nur für siebzig Minuten halten.«

»Dieses Ohio haben wir aber schon einmal erwischt.«

»Auch wieder richtig, Käpt’n.« Der Starpom tippte mit einem Bleistift auf die Seekarte.

Dubinin dachte an die Einsatzbesprechung, bei der man ihn über seinen Gegner informiert hatte – alte Gewohnheiten hielten sich hartnäckig. Captain Harrison Sharpe Ricks, Absolvent der Marineakademie, zum zweiten Mal Kommandant eines strategischen Bootes, dem Vernehmen nach ein genialer Ingenieur und Techniker, der bei der Navy in hohem Ansehen stand. Der Mann wird seinen Fehler wohl kaum wiederholen, sagte sich Dubinin.

 

»Exakt 27 Meilen«, meldete Ensign Shaw.

»Der Kerl legt keine Manöver ä la ›irrer Iwan‹ hin«, erkannte Claggett zum ersten Mal.

»Er rechnet doch bestimmt nicht damit, selbst gejagt zu werden, oder?« fragte Ricks.

»Vermutlich nicht, aber sein Schleppsonar ist nicht so gut, wie er glaubt.« Das Akula fuhr bei seiner Suche ein Leitermuster. Die Holme der imaginären Leiter waren etwa 45 000 Meter lang und liefen von Südwesten nach Nordosten. Hatte das Akula das Ende einer solchen Strecke erreicht, wandte es sich nach Südosten, fuhr eine kürzere »Sprosse« und dann den nächsten Holm. Hierdurch ergab sich eine geschätzte Distanz von dreizehn Meilen zu seinem Schleppsonar. Zumindest war das die Einschätzung, die Claggett bei der Aufklärung gehört hatte.

»So, wir halten jetzt sicherheitshalber eine Distanz von 27 Meilen«, erklärte Ricks nach kurzem Nachdenken. »Dieses Boot ist sehr viel leiser, als ich erwartet hatte.«

»Stimmt, man hat die Reaktorgeräusche stark reduziert. Wenn dieser Bursche nur Schleichfahrt macht, anstatt zu suchen...« Claggett war froh, daß sein Kommandant wieder wie ein vorsichtiger Ingenieur sprach. Eine besondere Überraschung war das für ihn allerdings nicht. Wenn es drauf ankam, brach Ricks’ alte Natur wieder durch, und das war dem IA, der nicht viel von Jagdszenen mit einem strategischen Boot, das eine Milliarde wert war, hielt, ganz recht.

»Bis auf 40, minimal 35 könnten wir schon herangehen.«

»Meinen Sie? Um welchen Faktor erhöht sich die Leistung seines Schleppsonars bei verringerter Fahrt?«

»Gutes Argument. Es wird mehr leisten, aber die Leute von der Aufklärung sagten, es ließe sich in der Konstruktion mit unserem vergleichen... viel mehr wird er also nicht hören. Wie auch immer – bekommen wir nicht ein ziemlich gutes Profil von diesem Burschen?« fragte Ricks rhetorisch. Er war sicher, wieder eine Eins plus geschafft zu haben.

 

»Und was halten Sie davon, Mary Pat?« fragte Ryan, der die Übersetzung des Dokuments in der Hand hielt. Mrs. Foley hatte das russische Original.

»Jack, ich habe ihn angeworben und traue ihm.«

Ryan schaute auf die Armbanduhr; es war fast Zeit. Sir Basil Charleston war immer pünktlich. Zur vollen Stunde ging das Geheimtelefon.

»Ryan.«

»Hier Bas.«

»Was gibt’s?«

»Wir haben unseren Mann die Geschichte, von der wir sprachen, überprüfen lassen. Es ist nichts dran.«

»Läßt sich nicht einmal sagen, daß unser Eindruck falsch war?«

»Richtig, Jack. Ich muß gestehen, daß ich das etwas seltsam finde, aber es ist plausibel, wenn nicht wahrscheinlich, daß unser Mann nichts weiß.«

»Vielen Dank für die Mühe, alter Freund. Wir stehen in Ihrer Schuld.«

»Bedaure, daß wir nicht weiterhelfen konnten.« Es wurde aufgelegt.

Die schlechteste Nachricht, dachte Ryan und starrte kurz an die Decke.

»Die Briten sind nicht in der Lage, SPINNAKERs Behauptungen zu bestätigen oder zu entwerten«, verkündete Jack. »Was bleibt uns da?«

»Bleiben uns denn wirklich nur Meinung und Spekulation?« fragte Ben Goodley.

»Ben, wenn wir Wahrsager wären, verdienten wir ein Vermögen an der Börse«, versetzte Ryan schroff.

»Das haben Sie doch getan«, erinnerte Goodley.

»Ich hatte Glück mit ein paar heißen Papieren, das war alles«, tat Ryan den Einwand ab. »Mary Pat, was meinen Sie?«

Mrs. Foley, die einen Säugling zu versorgen hatte, sah erschöpft aus. »Ich muß für meinen Agenten eintreten, Jack. Er ist unsere beste politische Quelle und spricht unter vier Augen mit Narmonow. Das macht ihn so wertvoll, und aus diesem Grund ließen sich seine Informationen schon immer nicht so leicht bestätigen – aber falsch waren sie doch nie, oder?«

»Was mir angst macht, ist, daß er anfängt, mich zu überzeugen.«

»Warum ist das beängstigend, Dr. Ryan?«

Jack steckte sich eine Zigarette an. »Weil ich Narmonow kenne. Damals, in dieser kalten Nacht bei Moskau, hätte er mich einfach verschwinden lassen können. Wir gelangten zu einer Übereinkunft, besiegelten sie mit Handschlag, und das war’s dann. So etwas tut nur ein selbstsicherer Mann. Wenn er sein Selbstvertrauen verloren hat, kann seine Regierung ganz rasch und plötzlich zusammenbrechen. Können Sie sich etwas Beängstigenderes denken?« fragte Ryan und schaute in die Runde.

»Wohl kaum«, stimmte der Chef der Rußlandabteilung im Direktorat Intelligence zu. »Wir werden SPINNAKER wohl glauben müssen.«

»Finde ich auch«, erklärte Mary Pat.

»Ben?« fragte Jack. »Sie haben ihm von Anfang an geglaubt. Was er sagt, bestätigt Theorien, die Sie schon in Harvard vertraten.«

Dr. Benjamin Goodley ließ sich nur ungern auf diese Weise in die Enge treiben. Im Laufe der Monate bei der CIA hatte er eine harte, aber wichtige Lektion gelernt: Sich in einem akademischen Umfeld eine Meinung zu bilden, beim Mittagessen in der Mensa Optionen zu wägen war eine Sache, die Beratungen hier aber eine andere. Auf der Basis von Meinungen, die man hier aussprach, wurde Außenpolitik gemacht. Und nun erkannte er, was es bedeutete, ein Gefangener des Systems zu sein.

»Ich sage das nur ungern, aber ich habe meine Meinung geändert. Es mag hier eine Dynamik geben, die wir noch nicht untersucht haben.«

»Und die wäre?« fragte der Chef der Rußlandabteilung.

»Sehen wir das einmal abstrakt. Wenn Narmonow stürzt, wer tritt dann an seine Stelle?«

»Einer der Kandidaten ist Kadischow. Seine Chancen stehen eins zu drei, würde ich sagen«, antwortete Mary Pat.

»Besteht da nicht ein Interessenkonflikt?« gab Goodley zu bedenken.

»Mary Pat, was meinen Sie?«

»Na und? Hat er uns denn jemals belogen?«

Goodley beschloß, sein Argument weiter zu verfolgen, und tat so, als wäre das eine akademische Diskussion. »Mrs. Foley, ich bekam den Auftrag, SPINNAKERs Meldungen auf die Möglichkeit hin zu überprüfen, daß er sich irrt. Ich sah mir alles Material, zu dem ich Zugang hatte, genau an. Mir fiel nur eine Veränderung seines Tons im Lauf der vergangenen zwei Monate auf. Er bedient sich der Sprache auf subtil andere Weise und klingt nun, was gewisse Themen betrifft, eindeutiger, weniger spekulativ. Nun, das mag zum Inhalt seiner Meldungen passen... aber es könnte auch seine eigene Bedeutung haben.«

»Basiert Ihre Analyse auf der Art und Weise, wie er seine I-Punkte malt?« Der Rußlandexperte schnaubte verächtlich. »junger Mann, mit solchen Spielereien geben wir uns hier nicht ab.«

»Ich werde das dem Präsidenten vortragen und ihm sagen müssen, daß wir SPINNAKER Glauben schenken. Aber ich möchte Andrews und Kantrowitz ins Haus holen und um Gegengutachten bitten – Einwände?« Niemand meldete sich. »Gut, ich danke Ihnen. Ben, würden Sie bitte noch einen Augenblick hierbleiben? Und Sie, Mary Pat, genehmigen sich ein langes Wochenende. Das ist eine dienstliche Anweisung.«

»Die Kleine hat Bauchschmerzen und läßt mich nachts kaum zur Ruhe kommen«, erklärte Mrs. Foley.

»Dann lassen Sie Ed doch mal Nachtdienst schieben«, schlug Jack vor.

»Ed hat keine Milch. Vergessen Sie nicht, ich stille.«

»Mary Pat, ist Ihnen schon mal der Gedanke gekommen, daß Stillen das Resultat einer Verschwörung fauler Männer ist?« fragte Jack und grinste.

Ihr böser Blick täuschte über ihre eigentlich gute Stimmung hinweg. »Klar, jede Nacht so um zwei. Bis Montag dann.«

Goodley setzte sich wieder, nachdem die beiden anderen gegangen waren. »Okay, jetzt können Sie mich zur Sau machen.«

Ryan winkte ab. »Wieso denn?«

»Weil ich eine blöde Theorie zur Sprache gebracht habe.«

»Unsinn, Sie haben Ihre Zweifel nur als erster ausgesprochen. Das war gute Arbeit.«

»Ich habe nicht die Bohne gefunden«, grollte der Harvard-Akademiker.

»Gewiß, aber Sie haben an allen richtigen Stellen gesucht.«

»Wie stehen die Chancen, SPINNAKERs Meldungen aus anderen Quellen zu bestätigen – vorausgesetzt, er hat recht?« fragte Goodley.

»Fünfzig Prozent, bestenfalls sechzig. Mary Pat hat recht. Dieser Mann liefert uns Informationen, die wir nicht immer auch anderswo bekommen. Aber auch Ihr Standpunkt ist korrekt: Wenn er recht hat, kann er selbst von der Situation profitieren. Ich muß mit diesem Fall noch vor dem Wochenende ins Weiße Haus. Dann rufe ich Jake Andrews und Eric Kantrowitz an, lasse sie anfliegen und das Material betrachten. Haben Sie am Wochenende etwas Besonderes vor?«

»Nein.«

»Na, dann haben Sie ab sofort Pläne. Gehen Sie alle Ihre Notizen durch und verfassen Sie ein gutes Positionspapier.« Ryan klopfte auf den Tisch. »Montag früh will ich es auf dem Schreibtisch haben.«

»Warum?«

»Weil Sie unvoreingenommen sind, Ben. Wenn Sie etwas untersuchen, schauen Sie genau hin.«

»Aber mit meinen Schlußfolgerungen sind Sie nie einverstanden!« wandte Goodley ein.

»Gewiß, ich gehe nicht oft mit Ihnen konform, aber die Daten, mit denen Sie Ihre Analysen untermauern, sind immer erstklassig. Niemand kann immer recht haben. Und niemand liegt immer falsch. Wichtig ist der Prozeß selbst, die intellektuelle Disziplin, und da stehen Sie ziemlich gut da, Dr. Goodley. Hoffentlich gefällt es Ihnen in Washington. Ich habe nämlich vor, Ihnen eine feste Anstellung anzubieten. Wir stellen eine neue Gruppe in der DI auf, deren Aufgabe es ist, Gegenpositionen zu beziehen, eine B-Mannschaft sozusagen, die dem DDI direkt unterstellt ist. Sie sollen der zweite Mann der Rußlandsektion werden. Trauen Sie sich das zu? Überlegen Sie sich das gut, Ben«, fügte Jack hastig hinzu. »Sie müssen mit viel Druck vom A-Team, langer Arbeitszeit, mittelmäßiger Bezahlung rechnen und werden abends nur selten mit dem befriedigenden Gefühl heimgehen, etwas bewirkt zu haben. Aber Sie bekommen viel interessantes Material zu sehen, und hin und wieder wird man auch einmal auf Sie hören. Wie auch immer, das Positionspapier, um das ich Sie gebeten habe, stellt Ihre Aufnahmeprüfung dar – vorausgesetzt, Sie sind interessiert. Zu welchem Ergebnis Sie kommen, ist mir egal, aber ich will etwas sehen, das im Kontrast zu allen anderen Analysen steht. Nun, haben Sie Lust?«

Goodley rutschte auf seinem Sessel herum und gab erst nach einigem Zögern eine Antwort. Was er nun sagen mußte, konnte seine Karriere torpedieren. Aber es ging nicht, daß er es einfach verschwieg. Er atmete aus und sagte: »Ich muß Ihnen erst etwas gestehen.«

»Gut, schießen Sie los.«

»Als Dr. Elliot mich hierherschickte...«

»Sollten Sie mich kritisieren, ich weiß.« Ryan war sehr amüsiert. »Aber ich habe Sie geschickt umgedreht, nicht wahr?«

»Jack, das war nicht alles... sie wollte, daß ich Sie durchleuchtete, nach Belastungsmaterial suchte, das sie gegen Sie einsetzen kann.«

Ryans Miene wurde eiskalt. »Und?«

Goodley wurde rot, redete aber rasch weiter. »Ich tat auch wie geheißen. Ich fand in Ihrer Akte Unterlagen über die Ermittlungen der Börsenaufsicht und gab Informationen über Ihre finanziellen Transaktionen weiter – im Fall Zimmer zum Beispiel.« Er hielt inne. »Dafür schäme ich mich jetzt sehr.«

»Und haben Sie hier etwas gelernt?«

»Über Sie? Ja, daß Sie ein guter Chef sind. Marcus ist stinkfaul, Elizabeth Elliot ein zimperliches, gehässiges Biest, das zu gerne andere manipuliert. Mich hat sie auf Sie angesetzt wie einen Spürhund. Dabei habe ich in der Tat etwas gelernt: So etwas tue ich niemals wieder. Sir, so wie jetzt habe ich mich noch nie bei jemandem entschuldigt. Aber ich fand, daß Sie Bescheid wissen müssen. Sie haben ein Recht darauf.«

Ryan schaute dem jungen Mann lange in die Augen, wartete, daß er seinem Blick auswich, fragte sich, was in ihm steckte. »Schon gut, Ben. Liefern Sie mir ein anständiges Positionspapier.«

»Ich gebe mein Bestes, Sir.«

»Das haben Sie bereits getan, Dr. Goodley.«

 

»Nun?« fragte Präsident Fowler.

»Mr. President, SPINNAKER meldet, daß definitiv eine Anzahl taktischer Kernwaffen aus sowjetischen Arsenalen verschwunden ist und daß der KGB verzweifelt danach sucht.«

»Wo?«

»In ganz Europa und in der Sowjetunion selbst. Narmonow glaubt, daß der KGB loyal zu ihm steht, zumindest die meisten Agenten, aber unser Mann hat da seine Zweifel. Das sowjetische Militär unterstütze ihn nicht mehr, und ein Putsch sei durchaus möglich, aber Narmonow ergreife keine entschiedenen Maßnahmen. Es sei tatsächlich denkbar, daß er erpreßt wird. Wenn diese Meldung stimmt, besteht die Möglichkeit einer jähen Machtverschiebung mit unabsehbaren Konsequenzen.«

»Und was halten Sie davon?« fragte Dennis Bunker nüchtern.

»Dem Konsens in Langley zufolge ist diese Information vielleicht verläßlich. Wir haben eine gründliche Prüfung aller relevanten Daten begonnen, können uns vorerst aber noch nicht festlegen. Die beiden ersten externen Experten lehren an den Universitäten Princeton und Berkeley. Ich lasse sie Montag früh zu uns in die Behörde kommen und die Daten ansehen.«

»Bis wann haben Sie eine feste Einschätzung fertig?« fragte Minister Talbot.

»Hängt ganz davon ab, wie fest sie sein soll. Bis Ende nächster Woche liegt ein vorläufiges Gutachten vor. Festlegen können wir uns erst später. Ich habe versucht, die Information von unseren britischen Kollegen bestätigen zu lassen, aber ihre Nachforschungen blieben ergebnislos.«

»Wo könnten diese Atomwaffen auftauchen?« fragte Liz Elliot.

»Die Sowjetunion ist ein großes Land«, erwiderte Ryan.

»Die Welt ist auch nicht gerade klein«, versetzte Bunker. »Womit ist schlimmstenfalls zu rechnen?«

»Mit dieser Analyse haben wir noch nicht begonnen«, antwortete Jack. »Wenn es um verschwundene Kernwaffen geht, kann das Szenarium sehr finster aussehen.«

»Besteht Anlaß zu der Vermutung, daß wir direkt bedroht sind?« fragte Fowler.

»Nein, Mr. President. Das sowjetische Militär ist rational und wird einen solchen Wahnsinn nicht erwägen.«

»Daß Sie so viel Vertrauen in die Mentalität von Männern in Uniform haben, finde ich rührend«, merkte Liz Elliot an. »Glauben Sie wirklich, daß die russischen Militärs intelligenter sind als unsere?«

»Wenn es sein muß, erfüllen unsere Streitkräfte ihren Auftrag«, fuhr Bunker scharf dazwischen. »Ich wollte, Sie brächten mehr Respekt für sie auf.«

»Diskutieren wir das ein andermal«, dämpfte Fowler. »Was könnte den Russen eine solche Drohung eintragen?«

»Nichts, Mr. President«, erwiderte Ryan.

»Der Meinung bin ich auch«, sagte Brent Talbot.

»Ich fühle mich erst wohler, wenn diese SS-18 verschrottet sind«, ließ sich Dennis Bunker vernehmen. »Aber Dr. Ryan hat recht.«

»Ich möchte auch zu diesem Thema eine Analyse sehen«, erklärte Liz Elliot. »Und zwar so bald wie möglich.«

»Die bekommen Sie auch«, versprach Jack.

»Wie steht es mit der Operation in Mexiko?« fragte Fowler.

»Mr. President, unsere Aktiva sind an Ort und Stelle.«

»Worum geht es hier?« fragte der Außenminister.

»Brent, ich glaube, es ist an der Zeit, daß Sie über die Sache informiert werden. Ryan, weihen Sie ihn ein.«

Jack gab einen Überblick über die Hintergrundinformationen und das operative Konzept. Das nahm einige Minuten in Anspruch.

»Ich kann einfach nicht glauben, daß die so etwas fertigbringen«, sagte Talbot. »Das wäre skandalös.«

»Kommen Sie aus diesem Grund nicht zum Spiel?« fragte Bunker und lächelte. »Brent, ich traue ihnen das durchaus zu. Ryan, wie bald können Sie die Transkriptionen liefern?«

»Der Lauschangriff endet mit der Landung der japanischen Maschine in Washington. Anschließend müssen die Bänder bearbeitet werden... sagen wir, so um 22.00 Uhr herum.«

»Dann können Sie sich das Spiel ja doch noch ansehen, Bob«, meinte Bunker. Ryan erlebte zum ersten Mal, daß jemand den Präsidenten so anredete.

Fowler schüttelte den Kopf. »Ich setze mich lieber in Camp David vor den Fernseher. Bei dem Treffen mit dem japanischen Premier möchte ich ausgeruht sein. Außerdem könnte es am Sonntag in Denver einen Schneesturm geben. Der Rückflug wäre dann schwierig; hinzu kommt, daß mir der Secret Service gerade zwei Stunden lang klargemacht hat, wie ungünstig Footballspiele für mich sind – oder eher für die Agenten.«

»Das wird eine spannende Begegnung«, sagte Talbot.

»Wie stehen die Wetten?« fragte Fowler.

Himmel noch mal! dachte Ryan.

»Drei zu eins für die Vikings«, erwiderte Bunker. »Ich setze, was ich kann.«

»Wir fliegen gemeinsam rüber«, sagte Talbot. »Aber nur, wenn Dennis nicht am Knüppel sitzt.«

»Und lassen mich in den Hügeln von Maryland sitzen. Na, irgendwer muß sich ja um den Laden kümmern.« Fowler lächelte. »So, zurück zum Geschäft. Ryan, Sie sagten, dies stelle keine Bedrohung für uns dar?«

»Lassen Sie mich das relativieren, Sir. Zuerst muß ich unterstreichen, daß SPINNAKERs Meldung nach wie vor unbestätigt ist.«

»Sie sagten aber, daß die CIA ihr Glauben schenkt.«

»Dem Konsens zufolge ist die Quelle wahrscheinlich zuverlässig. Wir sind nun mit aller Kraft dabei, die Meldung zu verifizieren. Und das war der springende Punkt meines Vortrags.«

»Na schön«, meinte Fowler. »Wenn es nicht stimmt, brauchen wir uns also keine Sorgen zu machen.«

»Richtig, Mr. President.«

»Und wenn es wahr ist?«

»Dann reichen die Risiken von politischer Erpressung in der Sowjetunion bis, schlimmstenfalls, zum Bürgerkrieg mit Einsatz von Kernwaffen.«

»Sind ja herrliche Aussichten. Sind auch wir bedroht?«

»Direkt vermutlich nicht.«

Fowler lehnte sich zurück. »Das leuchtet mir ein. Aber ich möchte so bald wie möglich eine wirklich gute Einschätzung der Lage sehen.«

»Jawohl, Sir. Glauben Sie mir, Mr. President, wir prüfen alle Aspekte dieser Entwicklung.«

»Das war ein guter Vortrag, Dr. Ryan.«

Jack stand auf und wandte sich zum Gehen. Nun, da man ihn abgesägt hatte, war der Ton viel ziviler.

 

Die Märkte waren wie Pilze aus dem Boden geschossen, vorwiegend in Ostberlin. Sowjetische Soldaten, die nie ein freies Leben geführt hatten, fanden sich plötzlich in einer ungeteilten westlichen Stadt, die ihnen die Möglichkeit bot, einfach zu verschwinden. Verwunderlich war nur, daß so wenige desertierten, und ein Grund dafür waren die Straßenmärkte. Immer wieder waren die Soldaten über die Nachfrage an Memorabilien der Roten Armee erstaunt – Koppel, Pelzmützen (sogenannte Schapkas), Stiefel, komplette Uniformen, alles mögliche an Kleinkram –, und die dummen Kunden, meist Deutsche und Amerikaner, zahlten bar in harten Devisen, D-Mark, Sterling, Dollar, die in der Sowjetunion ein Vielfaches an Wert hatten. Bei anderen Transaktionen mit anspruchsvolleren Kunden war es um Objekte wie den Panzer T-80 gegangen. Dazu war das stillschweigende Einverständnis des Regimentskommandeurs erforderlich gewesen, der das Fahrzeug dann in seinen Akten als Brandschaden deklariert hatte. In einem Fall war für den Oberst ein Mercedes 560 SEL und so viel Kapital, daß er für den Rest seines Lebens ausgesorgt hatte, herausgekommen. Die westlichen Nachrichtendienste hatten sich inzwischen alles verschafft, was sie interessierte, und die Märkte den Amateuren und Touristen überlassen; sie vermuteten, daß die Sowjets die Schieberei duldeten, weil dadurch viele Devisen zu günstigen Kursen ins Land kamen. Kunden aus dem Westen zahlten grundsätzlich mehr als das Zehnfache der Produktionskosten. Manche Russen glaubten, daß diese Einführung in den Kapitalismus den Wehrpflichtigen nach ihrer Entlassung nützen würde.

Erwin Keitel ging auf einen solchen Soldaten, einen Hauptfeldwebel, zu. »Guten Tag«, sagte er auf deutsch.

»Nicht spreche Deutsch. Englisch?«

»Englisch okay, yes?«

»Da.« Der Russe nickte.

»Zehn Uniformen.« Keitel hob beide Hände, um die Zahl zu verdeutlichen.

»Zehn?«

»Zehn, alle groß, meine Größe«, sagte Keitel. Er hätte natürlich in perfektem Russisch verhandeln können, aber das hätte ihm nur Ärger eingetragen. »Uniform Oberst, alle Oberst, okay?«

»Colonel – Powodnik, yes? Regiment? Drei Sterne hier?« Der Mann tippte sich auf die Schulter.

Keitel nickte. »Panzeruniform, muß für Tank sein.«

»Warum?« fragte der Feldwebel vorwiegend aus Höflichkeit. Er war bei den Panzern und konnte so etwas ganz leicht beschaffen.

»Machen Film – Television?«

»Television?« Die Augen des Mannes leuchteten auf. »Auch Gürtel, Stiefel?«

»Ja.«

Der Mann schaute sich um und fragte dann leise: »Pistol?«

»Geht das?«

Der Feldwebel lächelte und nickte eifrig. »Für money.«

»Muß aber russisch sein, richtige Pistole«, radebrechte Keitel, so gut er konnte.

»Okay, kann besorgen.«

»Wann?«

»Eine Stunde.«

»How much?«

»5000 Mark, kein Pistol. Zehn Pistol 5000 extra.« Die reinste Halsabschneiderei, dachte Keitel.

Er hob wieder die Hände. »10000 Mark, okay.« Um seine ernsthaften Kaufabsichten zu beweisen, zog er ein Bündel Hunderter hervor und steckte dem Soldaten einen Schein in die Tasche. »Ich warte eine Stunde.«

»Komme wieder, eine Stunde.« Der Feldwebel entfernte sich eilig. Keitel ging in die nächste Kneipe und bestellte sich ein Bier.

»Wcnn das noch einfacher wäre«, sagte er zu einem Kollegen, »würde ich eine Falle vermuten.«

»Hast du von dem Panzer gehört?«

»Dem T-80? Ja, warum?«

»Den hat Willi Heydrich für die Amis organisiert.«

»Der Willi?« Keitel schüttelte den Kopf. »Was hat er dafür verlangt?«

»500 000 Mark. Idioten, diese Amis. Das hätte doch jeder einfädeln können.«

»Das wußten sie aber damals nicht.« Der Mann lachte höhnisch. Oberstleutnant Wilhelm Heydrich hatte sich mit dem Geld eine Wirtschaft gekauft und nun ein weitaus besseres Auskommen als jemals zuvor in seiner Stasi-Zeit. Bevor er sich an den Klassenfeind verkauft, seinen Beruf an den Nagel gehängt, seinem politischen Erbe den Rücken gekehrt und sich in einen neudeutschen Bürger verwandelt hatte, war er einer von Keitels vielversprechendsten Untergebenen gewesen. Seine Geheimdiensterfahrung hatte er nun als Vehikel benutzt, um den Amerikanern ein letztes Mal eine Nase zu drehen.

»Und was sprang für den Russen heraus?«

»Der den T-80 verscherbelte? Ha!« Der Mann schnaubte. »Zwei Millionen Mark! Zweifellos gab er dem Divisionskommandeur seinen Anteil, kaufte sich selbst einen Mercedes und tat den Rest auf die Bank. Kurz darauf wurde die Einheit zurück in die Sowjetunion verlegt, und ein Panzer weniger in einer Division... Vielleicht ist das dem Direktorat überhaupt nicht aufgefallen.«

Sie bestellten noch eine Runde und starrten auf den Fernseher über der Theke; auch das ist so eine widerwärtige amerikanische Sitte, dachte Keitel. Nach 40 Minuten ging er wieder hinaus und ließ seinen Kollegen Blickkontakt halten; immerhin war es möglich, daß man ihm eine Falle stellte.

Der russische Feldwebel kam früher und mit leeren Händen zurück.

»Wo Sachen?« fragte Keitel den lächelnden Soldaten.

»In Jeep, um...« Der Mann gestikulierte.

»Corner? Um die Ecke?«

»Da, um die Ecke.« Der Feldwebel nickte eifrig.

Keitel gab seinem Kollegen einen Wink, der daraufhin das Auto holen ging. Gerne hätte er den Soldaten gefragt, welchen Schnitt sein Leutnant bei diesem Geschäft machte, denn Vorgesetzte steckten grundsätzlich einen satten Prozentsatz ein.

Der Armee-Geländewagen GAZ-90 parkte eine Straße weiter. Nun brauchte man nur noch mit dem Auto der Agenten bis an die Heckklappe des eigenen zurückzustoßen und den Kofferraum zu öffnen. Vorher aber mußte Keitel die Ware inspizieren. Er sah zehn Kampfanzüge im Tarnmuster aus einem leichten Stoff besserer Qualität, denn diese Stücke waren für Offiziere gedacht. Dazu gehörten schwarze Felduniformmützen und die etwas antiquiert wirkenden Rangabzeichen eines Panzeroffiziers. Die Schulterstücke der Uniform trugen die drei Sterne eines Oberst. Der Feldwebel hatte auch Koppel und Stiefel mitgebracht.

»Und die Pistolen?« fragte Keitel.

Der Soldat schaute sich mit prüfenden Blicken um und holte dann zehn Pappkartons hervor. Keitel ließ einen öffnen und erblickte eine 9-Millimeter-Makarow PM, einen Nachbau der deutschen Walther PPK. Die Russen hatten großzügigerweise sogar noch fünf Kästen Munition draufgelegt.

»Ausgezeichnet«, meinte Keitel, holte sein Geld heraus und zählte 99 Hunderter ab.

»Thank you«, sagte der Russe. »Wenn mehr brauchen, kommen zu mir.«

Keitel bedankte sich, gab ihm die Hand und stieg in seinen Wagen.

»Was ist bloß aus der Welt geworden?« fragte sein Kollege, als er anfuhr. Noch vor drei Jahren wäre der Feldwebel für diesen Handel vors Kriegsgericht gestellt und vielleicht sogar erschossen worden.

»Wir haben die Sowjetunion um 10000 Mark bereichert.«

Der Mann am Steuer grunzte. »Stimmt, und der Herstellungspreis der Sachen muß mindestens 2000 betragen haben. Wie nennt man das...?«

»Mengenrabatt.« Keitel wußte nicht, ob er lachen sollte. »Unsere russischen Freunde lernen schnell. Oder der Muschik konnte nur bis zehn zählen.«

»Unser Plan ist gefährlich.«

»Gewiß, aber wir werden gut bezahlt.«

»Meinen Sie vielleicht, ich täte das des Geldes wegen?« fragte der Mann scharf.

»Nein, und ich auch nicht, aber wenn wir schon den Hals riskieren, kann ruhig etwas dabei herauskommen.«

»Wie Sie meinen, Herr Oberst.«

Keitel dachte überhaupt nicht darüber nach, daß er im Grunde nicht wußte, was er tat, daß Bock ihm nicht alles gesagt hatte. Trotz seiner Erfahrung als Fachmann hatte er einfach vergessen, daß er mit einem Terroristen paktierte.

 

Ghosn fand die Stille wundervoll. Soviel Schnee hatte er noch nie gesehen. Das Tief zog langsamer als erwartet, und am Boden lag schon ein halber Meter Schnee, der zusammen mit den Flocken in der Luft alle Geräusche dämpfte. Eine Stille, die man fast hören kann, dachte Ghosn, der auf der Veranda stand.

»Schön, was?« fragte Marvin.

»Ja, sehr schön.«

»Als ich noch klein war, hat es viel mehr geschneit, meterhoch an einem Stück, und dann ist es echt kalt geworden, bis zu – 30 Grad. Wenn man rausging, kam man sich vor wie auf einem anderen Planeten und fragte sich, wie es vor hundert Jahren gewesen sein mochte, als die Indianer mit ihren Squaws und Kindern in Tipis wohnten. Draußen standen die Pferde, und alles war so sauber und rein, wie es sein soll. Muß irre gewesen sein, echt irre.«

Ein Narr mit einer poetischen Ader, dachte Ibrahim. Dieses Volk hatte so primitiv gelebt, daß die meisten Kinder schon im Säuglingsalter gestorben waren, und im Winter hatte es hungern müssen, weil es kein Wild zu jagen gab. Womit hatte man die Pferde gefüttert, wie waren sie an das abgestorbene Gras unter dem Schnee herangekommen? Trotzdem idealisierte Russell dieses Leben, und das fand Ghosn dumm. Marvin war mutig, zäh, stark und treu, aber er haderte mit der Welt, kannte Gott nicht und lebte in einer Phantasiewelt. Eigentlich schade; er hätte ein wertvoller Mitstreiter sein können.

»Wann fahren wir los?«

»Geben wir den Räumtrupps zwei Stunden Zeit. Nehmt ihr den Pkw – der hat Frontantrieb und zieht gut im Schnee. Ich nehme den Transporter. Wir haben ja keine Eile und wollen nichts riskieren, oder?«

»Richtig.«

»So, und jetzt gehen wir lieber wieder rein, ehe wir uns den Arsch abfrieren.«

 

»Gegen diesen Dreck in der Luft muß unbedingt was getan werden«, sagte Clark, als sein Hustenanfall vorüber war.

»Ja, es ist ziemlich finster«, stimmte Chavez zu.

Sie hatten eine kleine Wohnung nicht weit vom Flughafen gemietet. Alles, was sie brauchten, hatten sie in Schränken versteckt. Mit dem Bodenpersonal hatten sie Kontakt aufgenommen; das normale Team würde, gegen ein entsprechendes Honorar natürlich, krank sein, wenn die 747 landete. Es war den beiden CIA-Agenten gar nicht so schwergefallen, an Bord zu kommen. Japaner, zumindest japanische Regierungsvertreter, waren in Mexiko nicht besonders beliebt und standen in dem Ruf, welch Wunder, noch arroganter als die Amerikaner zu sein. Clark schaute auf die Uhr. In neun Stunden würde die Boeing den Dunstschleier durchbrechen. Der Ministerpräsident wollte dem mexikanischen Staatsoberhaupt angeblich nur einen kurzen Höflichkeitsbesuch abstatten und dann weiter nach Washington fliegen, um sich mit Fowler zu treffen. Das erleichterte Clark und Chavez die Arbeit.

 

Um Mitternacht fuhren sie los nach Denver. Die Räumtrupps hatten gründliche Arbeit geleistet. Was die Schneepflüge nicht beseitigen konnten, war mit Salz und Splitt bestreut worden, so daß sie für die sonst einstündige Fahrt nur fünfzehn Minuten länger brauchten. Marvin meldete sie beim Empfang an und bestand auf einer Quittung für seine Reisekostenabrechnung. Als der Mann am Empfang das ABC-Logo auf dem Kastenwagen sah, bedauerte er, der Gruppe die Zimmer an der Rückfront gegeben zu haben. Vor dem Motel geparkt, hätte der Wagen vielleicht Gäste angelockt. Sobald Marvin gegangen war, setzte sich der Mann wieder vor den Fernseher und döste vor sich hin. Am nächsten Tag würden die Fans aus Minnesota kommen; bestimmt ein wilder, undisziplinierter Haufen.

 

Der Treff mit Lyalin war leichter als erwartet zu arrangieren gewesen. Auch Cabots Besuch bei dem neuen Chef des koreanischen Geheimdienstes war glatter verlaufen, als er zu hoffen gewagt hatte – seine koreanischen Kollegen waren sehr professionell –, und so konnte er zwölf Stunden früher als geplant nach Japan abfliegen. Der Chef der CIA-Station Tokio hatte ein diskretes und leicht zu überwachendes Geishahaus in einer der zahllosen verwinkelten Gassen nicht weit von der amerikanischen Botschaft ausgesucht.

»Hier ist meine neueste Meldung«, sagte Agent MUSASHI und händigte Cabot einen Umschlag aus.

»Unser Präsident ist von der Qualität Ihrer Informationen sehr beeindruckt«, erwiderte Cabot.

»So wie ich von meinem Gehalt.«

»Nun, was kann ich für Sie tun?«

»Ich wollte nur sicherstellen, daß Sie mich ernst nehmen«, sagte Lyalin.

»Das tun wir«, versicherte Cabot und dachte: Glaubt er denn, daß wir die Millionen aus Jux und Tollerei rauswerfen? Es war Cabots erste Begegnung mit einem Agenten. Zwar hatte er mit einem Gespräch dieser Art gerechnet, war aber dennoch überrascht.

»Ich habe vor, in einem Jahr zusammen mit meiner Familie zu Ihnen überzulaufen. Was exakt werden Sie dann für mich tun?«

»Nun, wir werden Sie erst einmal gründlich befragen und Ihnen dann helfen, ein komfortables Haus und einen angenehmen Arbeitsplatz zu finden.«

»Wo?«

»Wo Sie wollen. Sie können sich praktisch überall niederlassen.«

»Praktisch überall?«

»Eine Wohnung gegenüber der sowjetischen Botschaft käme natürlich nicht in Frage. Haben Sie schon eine Vorstellung?«

»Nein.«

Warum bringt er die Sache dann zur Sprache? dachte Cabot und fragte: »Welches Klima mögen Sie?«

»Bevorzugt ein warmes.«

»Dann käme das sonnige Florida in Frage.«

»Ich will es mir überlegen.« Der Agent hielt inne. »Lügen Sie auch nicht?«

»Mr. Lyalin, wir versorgen unsere Gäste gut.«

»Na schön. Ich werde Ihnen weiterhin Informationen zukommen lassen.« Damit stand der Mann einfach auf und ging.

Marcus Cabot unterdrückte einen Fluch, doch sein wütender Blick brachte den Stationschef zum Lachen.

»War das Ihre erste hautnahe Begegnung mit einem Agenten?«

»Ja. War es das etwa schon?« Cabot konnte es kaum glauben.

»Direktor, das ist ein seltsames Gewerbe. Es mag verrückt klingen, aber Sie haben gerade etwas sehr Wichtiges getan«, sagte Sam Yamata. »Nun weiß er, daß wir uns wirklich um ihn kümmern. Es war übrigens geschickt von Ihnen, den Präsidenten zu erwähnen.«

»Wenn Sie meinen...« Cabot öffnete den Umschlag und begann zu lesen. »Du lieber Himmel!«

»Mehr Interna über die Reise des Premiers?«

»Ja, Einzelheiten, die wir bisher noch nicht kannten. Auf welche Bank das Geld kommt, welche Regierungsvertreter noch geschmiert werden. Vielleicht brauchen wir jetzt die Maschine gar nicht zu verwanzen...«

»Wie bitte? Ein Lauschangriff auf ein Flugzeug?« fragte Yamata.

»Das haben Sie mich niemals sagen gehört.«

Der Stationschef nickte. »Wie sollte ich? Offiziell waren Sie ja niemals hier.«

»Ich muß das sofort nach Washington schicken.«

Yamata schaute auf die Uhr. »Den Direktflug erwischen wir nicht mehr.«

»Dann faxen wir es über eine sichere Leitung.«

»Dafür sind wir nicht eingerichtet.«

»Und wenn wir es an die NSA senden?«

»Die hat die Anlage, aber man hat uns gewarnt, daß ihr System nicht unbedingt sicher ist.«

»Der Präsident muß das sofort zu sehen bekommen. Es muß raus. Machen Sie, ich nehme es auf meine Kappe.«

»Jawohl, Sir.«