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Das Feld am Camlann

Admiral Lunin fuhr gefährlich schnell. Kapitän Dubinin wußte, daß das riskant war, aber eine solche Chance bot sich nur selten. Es war in der Tat seine erste – und auch die letzte? fragte er sich. Warum hatten die Amerikaner ihre nuklearen Streitkräfte in volle Alarmbereitschaft versetzt? Gewiß, eine mögliche Kernexplosion in ihrem Land war eine schwerwiegende Angelegenheit, aber wie konnten sie so wahnsinnig sein und annehmen, die Sowjets hätten sie ausgelöst?

»Die Karte des Polargebiets, bitte«, sagte er zu seinem Steuermannsmaat. Dubinin wußte zwar, was er zu sehen bekommen würde, aber in dieser Situation durfte er sich nicht auf sein Gedächtnis verlassen, sondern durfte nur aufgrund harter Fakten entscheiden. Die einen Quadratmeter große, auf Karton aufgezogene Karte wurde einen Augenblick später auf den Tisch gelegt. Mit einem Stechzirkel maß Dubinin die Distanz zwischen Moskau und der geschätzten Position der Maine einerseits und zu den ICBM-Silos in der Mitte seines Landes andererseits.

»Ja.« Klarer konnte die Lage kaum sein.

»Was ist, Käpt’n?« frage der Starpom.

»USS Maine befindet sich unseren Informationen zufolge im nördlichsten Patrouillensektor der in Bangor stationierten strategischen Boote. Plausibel, nicht wahr?«

»Gewiß. Allerdings wissen wir nur wenig über ihre Kurse.«

»Sie hat die Rakete D-5 an Bord, insgesamt 24, mit je acht Gefechtsköpfen. . .« Er hielt inne. Früher hätte er das auf der Stelle im Kopf ausrechnen können.

»192, Käpt’n«, sagte der Erste Offizier.

»Korrekt, ich danke Ihnen. Sie deckten fast alle unsere SS- 18 mit Ausnahme der im Zuge des Abrüstungsvertrags deaktivierten Raketen ab. Angesichts der Treffsicherheit der D-5 ist zu erwarten, daß diese 192 Sprengköpfe rund 160 ihrer Ziele zerstören, also ein gutes Fünftel unserer Gefechtsköpfe, und die akkuratesten obendrein. Erstaunlich, nicht wahr?« fragte Dubinin leise.

»Halten Sie sie denn wirklich für so zielgenau?«

»Wie sicher die Amerikaner treffen können, haben sie über dem Irak demonstriert. Ich jedenfalls habe nie an der Qualität ihrer Waffen gezweifelt.«

»Käpt’n, wir wissen, daß bei einem Erstschlag höchstwahrscheinlich die D-5 eingesetzt wird ...«

»Führen Sie den Gedanken weiter.«

Der Starpom schaute auf die Karte. »Aber natürlich! Dieses Boot ist am nächsten.«

»Genau. USS Maine ist die Spitze einer auf unser Land gerichteten Lanze.« Dubinin klopfte mit dem Stechzirkel auf die Karte. »Sollten die Amerikaner einen Angriffe starten, fliegen die ersten Raketen von diesem Punkt aus los und werden 19 Minuten später treffen. Ob unsere Genossen von den strategischen Raketenkräften wohl so rasch reagieren können ...?«

»Aber wie sollen wir das verhindern?« fragte der Erste Offizier zweifelnd.

Dubinin nahm die Karte vom Tisch und schob sie zurück in die offene Schublade. »Was wir tun können? Nichts. Ein Präventivangriff ohne Befehl oder schwere Provokation kommt nicht in Frage. Unseren besten Informationen zufolge kann er seine Raketen in einem Zeitabstand von 15 Sekunden, wahrscheinlich sogar weniger, starten. Im Krieg achtet man nicht so sehr auf die technischen Handbücher. Sagen wir, er hat binnen vier Minuten alles abgeschossen. Die Bahnen der Gefechtsköpfe müssen aufgefächert werden, damit sie sich bei der Detonation nicht gegenseitig zerstören. Kein Problem, wenn man sich mit den physikalischen Aspekten befaßt, wie ich das an der Frunse-Akademie tat. Da unsere Raketen Flüssigtreibstoff haben, können sie während eines Angriffs nicht gestartet werden. Selbst wenn ihre Elektronik den elektromagnetischen Puls übersteht, wird die Struktur der Flugkörper den physikalischen Kräften nicht standhalten. Sie müssen also entweder vor dem Einschlag der ersten Sprengköpfe starten oder den Schlag aushalten und ein paar Minuten später abgeschossen werden. Was uns hier angeht: Wir müssen bis auf 6000 Meter an ihn herangehen, wenn wir auf sein erstes Abschußgeräusch hin einen Torpedo abfeuern und ihn noch am Start seiner letzten Raketen hindern wollen.«

»Eine schwierige Aufgabe.«

Der Kapitän schüttelte den Kopf. »Eine unmögliche Aufgabe. Vernünftig wäre nur, ihn auszuschalten, ehe er den Befehl zum Abschuß bekommt. Aber dazu brauchen wir eine Anweisung, und die liegt uns nicht vor.«

»Und was tun wir nun?«

»Viel können wir nicht ausrichten.« Dubinin beugte sich über den Kartentisch. »Nehmen wir einmal an, daß er tatsächlich manövrierunfähig ist und daß wir seine Position akkurat bestimmen können. Dann müssen wir ihn aber immer noch orten. Läuft sein Antrieb nur ganz langsam, ist er praktisch unmöglich zu vernehmen, besonders, wenn das Boot nahe der lauten Oberfläche liegt. Wir könnten ihn natürlich mit Aktivsonar anpeilen, aber was hindert ihn dann, einen Torpedo auf uns loszulassen? In diesem Fall könnten wir nur zurückschießen und hoffen, daß wir überleben. Mag sein, daß unsere Waffe ihn trifft, aber garantiert ist das nicht. Schießt er auf unsere Peilung hin nicht sofort, könnten wir herangehen und ihn einschüchtern, zum Tauchen zwingen. Natürlich verlieren wir dann den Kontakt, wenn er unter der Schicht verschwindet. . . aber wenn wir ihn in die Tiefe zwingen ... und dann über der Schicht bleiben und ihn mit Aktivsonar beharken ... hindern wir ihn vielleicht daran, so weit aufzutauchen, daß er seine Raketen abschießen kann.« Dubinin zog die Stirn kraus. »Hm, nicht gerade ein brillanter Plan. Hätte das einer von denen da vorgeschlagen« – er wies auf die jungen Offiziere, die das Boot steuerten, – »hätte ich ihn zur Schnecke gemacht. Aber etwas Besseres will mir nicht einfallen. Haben Sie eine Idee?«

»Käpt’n, da wären wir aber völlig wehrlos gegen Angriffe.« Der Starpom fand den Plan eher selbstmörderisch, war aber sicher, daß Dubinin das auch wußte.

»Richtig, aber wenn es erforderlich ist, um den Kerl am Erreichen seiner Abschußtiefe zu hindern, werde ich genau das tun. Alle Mann auf Gefechtsstation.«

 

PRÄSIDENT NARMONOW:

BITTE VERSETZEN SIE SICH IN UNSERE LAGE. DIE WAFFE, DIE DENVER ZERSTÖRTE, LÄSST ANGESICHTS IHRER GRÖSSE UND IHRES TYPS EINEN TERRORANSCHLAG SEHR UNWAHRSCHEINLICH ERSCHEINEN. DENNOCH HABEN WIR KEINEN VERSUCH UNTERNOMMEN, GEGEN IRGEND JEMANDEN ZURÜCKZUSCHLAGEN. WÜRDEN NICHT AUCH SIE IHRE STRATEGISCHEN KRÄFTE IN ALARMBEREITSCHAFT VERSETZEN, WENN IHR LAND SO ANGEGRIFFEN WURDE? DEMENTSPRECHEND HABEN WIR UNSERE NUKLEAREN UND KONVENTIONELLEN KRÄFTE ALARMIERT. AUS TECHNISCHEN GRÜNDEN MUSSTE DAS GLOBAL UND KONNTE NICHT SELEKTIV ERFOLGEN. ICH HABE ABER ZU KEINEM ZEITPUNKT OFFENSIVE OPERATIONEN BEFOHLEN. UNSERE BISHERIGEN MASSNAHMEN WAREN REIN DEFENSIV UND SEHR ZURÜCKHALTEND.

HINWEISE, DASS IHR LAND EINEN ANGRIFF GEGEN UNSER LAND EINGELEITET HAT, EXISTIEREN HIER NICHT, ABER ES IST UNS MITGETEILT WORDEN, DASS IHRE TRUPPEN IN BERLIN US-TRUPPEN ANGEGRIFFEN HABEN UND AUCH FLUGZEUGE, DIE WIR ZUR AUFKLÄRUNG ENTSANDTEN, ABSCHOSSEN. MELDUNGEN ZUFOLGE HABEN SICH SOWJETISCHE KAMPFFLUGZEUGE AUCH EINEM AMERIKANISCHEN FLUGZEUGTRÄGER IM MITTELMEER GENÄHERT.

PRÄSIDENT NARMONOW, ICH MUSS SIE DRINGEND ERSUCHEN, IHREN STREITKRÄFTEN ZURÜCKHALTUNG ZU BEFEHLEN. WENN WIR DIE PROVOKATIONEN BEENDEN, KANN AUCH DIESE KRISE ENDEN, ABER ICH KANN MEINEN TRUPPEN DAS RECHT DER SELBSTVERTEIDIGUNG NICHT NEHMEN.

»Zurückhaltung befehlen‹? Unverschämtheit!« rief der Verteidigungsminister. »Wir haben doch überhaupt nichts getan! Er beschuldigt uns, ihn zu provozieren! Seine Panzer sind nach Ostberlin vorgedrungen, seine Jagdbomber haben unsere Einheiten angegriffen, und er bestätigt gerade, daß die Flugzeuge seines Trägers unsere attackiert haben! Was erwartet er denn von uns – daß wir jedesmal, wenn wir einen Amerikaner sehen, weglaufen?«

»Das könnte der vernünftigste Kurs sein«, merkte Golowko an.

»Fliehen wie ein Dieb vor der Polizei?« fragte der Verteidigungsminister sarkastisch. »Verlangen Sie das von uns?«

»Ich schlug das lediglich als Option vor.« Der erste stellvertretende Vorsitzende des KGB stand tapfer seinen Mann, fand Narmonow.

»Der springende Punkt dieser Nachricht ist der zweite Satz«, meinte der Außenminister, dessen sachlicher Ton seine Analyse noch bedrohlicher machte. »Dort heißt es, man glaube nicht an einen Terroranschlag. Welche möglichen Angreifer bleiben dann übrig? Er fährt fort und betont, Amerika habe noch nicht zurückgeschlagen. Verglichen mit dem ersten Absatz klingt die folgende Erklärung, es bestünden keine Hinweise auf unsere Schuld an dieser Infamie, recht hohl.«

»Und wenn wir die Flucht ergreifen, machen wir ihm nur noch deutlicher klar, daß wir die Sache angezettelt haben«, fügte der Verteidigungsminister hinzu.

»›Noch deutlicher klar<? Wieso?« fragte Golowko.

»Dem muß ich zustimmen«, sagte Narmonow und schaute auf. »Ich muß nun annehmen, daß Fowler nicht mehr rational handelt. Dieses Kommuniqué ist nicht durchdacht. Er gibt uns klar und deutlich die Schuld.«

»Was können Sie zur Natur der Explosion sagen?« fragte Golowko.

»Für Terroristen war diese Waffe tatsächlich zu groß. Unsere Studien haben ergeben, daß man unter Umständen eine Fissionsbombe der ersten oder zweiten Generation bauen könnte, aber deren Leistung läge deutlich unter hundert – wahrscheinlicher sogar unter 40 Kilotonnen. In Denver muß eine Fissionswaffe der dritten Generation oder eher eine mehrphasige Wasserstoffbombe detoniert sein. Daß das die Arbeit von Amateuren war, ist ausgeschlossen.«

»Und wer ist dann verantwortlich?« fragte Narmonow.

Golowko schaute zu seinem Präsidenten hinüber. »Keine Ahnung. Wir deckten ein mögliches Atomwaffenprogramm der DDR auf. Wie Sie alle wissen, produzierte man Plutonium, aber wir haben Grund zu der Annahme, daß das Projekt nie richtig anlief. Wir haben uns auch Programme in Südamerika angeschaut; dort ist man noch nicht soweit. Israel verfügt über solche Fähigkeiten, aber warum sollte es seine Schutzmacht angreifen? Steckte China dahinter, wäre der Angriff eher gegen uns gerichtet worden. Wir haben das Land und die Ressourcen, die China braucht, und China hat die USA lieber als Handelspartner denn als Feind. Nein, ein Nationalstaat scheidet aus. Nur wenige verfügen über die Technologie, und die Probleme bei der Geheimhaltung wären praktisch unüberwindlich. Für ein solches Unternehmen braucht man erstklassig ausgebildete, intelligente und hochengagierte Leute, und das sind Eigenschaften, die man bei Psychoten nicht findet. Mord in einem solchen Maßstab, der eine solche Krise auslöst, kann nur ein Geisteskranker begehen. Selbst wenn Sie das KGB ahwieaen, Andrej Iljitsch, schafften wir das nicht, denn solche Personen gibt es bei uns aus naheliegenden Gründen nicht.«

»Kurz: Sie haben keine Informationen und können auch mit keiner schlüssigen Hypothese die Ereignisse dieses Morgens erklären?«

»So ist es, Genosse Präsident. Ich wollte, ich könnte Ihnen etwas anderes melden.«

»Wer berät Fowler?«

»Das kann ich leider nicht sagen«, gestand Golowko. »Die Minister Talbot und Bunker sind tot. Beide waren beim Spiel – Verteidigungsminister Bunker gehörte sogar eine der beiden Mannschaften. Der Direktor der CIA ist entweder noch in Japan oder auf dem Rückflug.«

»Sein Stellvertreter ist Ryan, nicht wahr?«

»Richtig.«

»Ich kenne den Mann. Er ist vernünftig.«

»Sicher, aber er ist entlassen worden. Fowler mag ihn nicht und hat ihn unseren Informationen zufolge um seinen Rücktritt gebeten. Ich kann also leider nicht sagen, wer ihn berät – außer Elizabeth Elliot, die Sicherheitsberaterin, von der unser Botschafter nicht beeindruckt ist.«

»Wollen Sie damit sagen, daß dieser schwache, eitle Mann vermutlich von niemandem guten Rat bekommt?«

»Ja.«

»Damit ist allerhand erklärt.« Narmonow lehnte sich zurück und schloß die Augen. »Ich bin also der einzige, der ihm guten Rat geben kann, aber er glaubt, daß ich seine Stadt zerstört habe. Großartig.« Vielleicht die scharfsinnigste Analyse der Nacht, aber eine falsche.

 

PRÄSIDENT FOWLER:

ZUERST MÖCHTE ICH IHNEN MITTEILEN, DASS ICH DIE ANGELEGENHEIT MIT MEINEN MILITÄRBEFEHLSHABERN BESPROCHEN UND DIE VERSICHERUNG ERHALTEN HABE, DASS KEIN SOWJETISCHER ATOMSPRENGKOPF FEHLT.

ZWEITENS: WIR SIND UNS BEGEGNET, UND ICH HOFFE, SIE WISSEN, DASS ICH EINEN SOLCHEN KRIMINELLEN BEFEHL NIE GEBEN WÜRDE.

DRITTENS: ALLE BEFEHLE, DIE UNSER MILITÄR ERHIELT, WAREN DEFENSIVER NATUR. ICH HABE KEINE OFFENSIVMASSNAHMEN JEDWEDER ART GENEHMIGT.

VIERTENS: ICH HABE MICH AUCH BEI UNSEREN NACHRICHTENDIENSTEN ERKUNDIGT UND MUSS IHNEN LEIDER MITTEILEN, DASS AUCH WIR NICHT WISSEN, WER DIESE UNMENSCHLICHE TAT BEGANGEN HAT. WIR ERMITTELN NUN UND WERDEN INFORMATIONEN, DIE WIR GEWINNEN, SOFORT AN SIE WEITERLEITEN.

MR. PRESIDENT, WENN PROVOKATIONEN AUSBLEIBEN, WERDE ICH MEINEN STREITKRÄFTEN KEINE WEITEREN BEFEHLE ERTEILEN. DIE HALTUNG DES SOWJETISCHEN MILITÄRS IST DEFENSIV UND WIRD AUCH SO BLEIBEBN.

»Ach du meine Güte«, krächzte Liz Elliot. »Wie viele Lügen haben wir da?« Sie fuhr mit dem Zeigefinger an den Zeilen auf dem Schirm entlang.

»Erstens: Wir wissen, daß ihnen Kernwaffen abhanden gekommen sind. Das ist also eine Lüge.

Zweitens: Warum betont er das Treffen in Rom? Um zu beweisen, daß es tatsächlich er ist, der am anderen Ende sitzt? Die Mühe macht er sich doch nur, weil er glaubt, wir könnten daran zweifeln? Der echte Narmonow hätte das nicht nötig. Wahrscheinlich eine Unwahrheit.

Drittens: Wir wissen, daß wir in Berlin angegriffen wurden. Lüge!

Viertens: Zum ersten Mal erwähnt er das KGB. Warum wohl? Vielleicht haben sie eine Legende ... nachdem sie uns eingeschüchtert haben – ist ja toll –, nachdem sie uns also eingeschüchtert haben, servieren sie uns diese Legende, und wir müssen sie ihnen abnehmen.

Fünftens: Nun warnt er, wir sollten ihn nicht provozieren. Ihre Haltung sei ›defensiv‹. Von wegen.« Liz hielt inne. »Robert, das ist pure Manipulation. Er macht uns etwas vor.«

»So sehe ich das auch. Hat jemand einen Kommentar abzugeben?«

 

»Die Warnung vor Provokationen finde ich besorgniserregend«, erwiderte der CINC-SAC. General Fremont behielt seine Statuskonsole im Auge. Inzwischen hatte er 96 Bomber und über 100 Tanker in der Luft. Seine Interkontinentalraketen waren startbereit. Die Teleobjektive der Frühwarnsatelliten waren nun nicht mehr in ihrem flächendeckenden Modus, sondern holten die sowjetischen ICBM-Stellungen heran. »Mr. President, es muß jetzt gleich etwas besprochen werden.«

»Und das wäre?«

Fremont sprach nun mit der ruhigen, selbstsicheren Stimme des Fachmannes. »Sir, die Reduzierung der strategischen Raketen auf beiden Seiten hat die nukleare Gleichung verändert. Früher, als wir noch über tausend ICBM hatten, hielten weder wir noch die Sowjets einen entwaffnenden Erstschlag für möglich. Inzwischen sicht das anders aus. Fortschritte in der Raketentechnologie und die Reduzierung fester und wertvoller Ziele haben einen solchen Schlag theoretisch in den Bereich des Möglichen gerückt. Fügt man dem die Verzögerung beim Abbau der alten SS- 18 bei den Sowjets hinzu, würde man zu einer strategischen Haltung der anderen Seite gelangen, die in einem Erstschlag eine attraktive Option sehen könnte. Vergessen Sie nicht: Wir haben unsere Raketenbestände rascher reduziert als sie. Ich weiß nun, daß Narmonow Ihnen persönlich die volle Erfüllung der Vertragsbedingungen innerhalb von vier Wochen zugesichert hat, aber soweit wir es beurteilen können, sind die fraglichen Raketenregimenter noch aktiv.

So«, fuhr General Fremont fort, »wenn Ihre Information, Narmonow werde von seinem Militär bedroht, korrekt ist – nun, Sir, dann wäre die Lage recht klar.«

»Würden Sie das bitte verdeutlichen?« fragte Fowler so leise, daß der CINC-SAC ihn kaum verstand.

»Was, wenn Dr. Elliot recht hat und man Sie tatsächlich beim Spiel vermutete? Zusammen mit Minister Bunker? Angesichts der Funktionsweise unseres Kommando- und Führungssystems hätte uns das so ziemlich aktionsunfähig gemacht. Ich will nun nicht behaupten, daß sie einen Angriff geführt hätten, aber sie wären definitiv dazu in der Lage gewesen. Man hätte jede Schuld an der Explosion in Denver abgestritten, gleichzeitig den Führungswechsel bekanntgegeben und uns so eingeschüchtert, daß wir nichts dagegen hätten unternehmen können. Gut, und was denken sie nun? Sie mögen glauben, daß Sie eine solche Taktik vermuten und empört genug sind, um auf irgendeine Weise zurückzuschlagen. Und wenn sie das glauben, Sir, mögen sie der Ansicht sein, daß ihr bester Schutz ein rascher Entwaffnungsschlag gegen uns ist. Mr. President, für mich steht nicht fest, daß sie so denken, aber ich kann es nicht ausschließen.« Ein kalter Abend wurde noch eisiger.

»Und wie hindern wir sie daran, General?« fragte Fowler.

»Sir, nur eines kann sie am Abschuß hindern: Die Gewißheit, daß der Schlag keinen Erfolg haben wird. Das trifft besonders zu, wenn wir es mit dem Militär zu tun haben. Diese Leute sind gut, klug und rational. Und wie alle guten Soldaten denken sie, ehe sie handeln. Wenn ihnen klar wird, daß wir beim ersten Anzeichen eines Angriffes losschlagen, wird diese Attacke militärisch sinnlos und daher nicht eingeleitet.«

»Das war ein guter Rat, Robert«, sagte Liz Elliot.

»Was meint NORAD?« fragte Fowler und merkte gar nicht, daß er einen Zweisternegeneral bat, den Standpunkt eines Offiziers mit vier Sternen zu bewerten.

»Mr. President, wenn wir erreichen wollen, daß die Lage rundum rationaler gesehen wird, scheint das die richtige Methode zu sein.«

»Gut. General Fremont, was schlagen Sie vor?«

»Sir, an diesem Punkt können wir den Bereitschaftsgrad unserer strategischen Kräfte auf DEFCON-1 steigern. Das Codewort lautet SNAPCOUNT und steht für die höchste Alarmstufe.«

»Würde sie das nicht provozieren?«

»Nein, Mr. President, und zwar aus zwei Gründen. Erstens wissen sie bereits, daß wir in Alarmbereitschaft sind. Das muß ihnen Sorgen machen, aber sie haben bisher keine Einwände erhoben; der einzige Hinweis auf Rationalität, den wir bislang haben. Zweitens werden sie das erst merken, wenn wir ihnen mitteilen, daß wir eine Stufe höher gegangen sind. Und das brauchen wir ihnen nur zu sagen, wenn sie etwas Provokatives tun.«

Fowler trank einen Schluck Kaffee. Dabei merkte er, daß es Zeit für einen Gang zur Toilette wurde.

»General, ich möchte diese Entscheidung nicht sofort treffen. Lassen Sie mich ein paar Minuten nachdenken.«

»Jawohl, Sir.« Fremonts Stimme verriet keine Enttäuschung, aber 1600 Kilometer von Camp David entfernt drehte sich der CINC-SAC zu seinem Stellvertreter um und warf ihm einen vielsagenden Blick zu.

»Was haben wir hier?« fragte Parsons, der im Moment nichts weiter zu tun hatte. Nachdem er den wichtigen Anruf erledigt und die Arbeit im Labor seinen Kollegen vom NEST-Team überlassen hatte, beschloß er, den Ärzten zu helfen. Er hatte Instrumente mitgebracht, um die Strahlenbelastung zu messen, der die wenigen Überlebenden und die Feuerwehrleute ausgesetzt gewesen waren; normale Mediziner haben da nur wenig Erfahrung. Positiv war die Lage nicht. Fünf der sieben Überlebenden aus dem Stadion zeigten bereits die Symptome schwerer Strahlenkrankheit. Parsons schätzte ihre Belastung zwischen 400 und 1000 Rem ein. 600 war die Obergrenze, wenn ein Patient überleben sollte, aber dank heroischer Behandlung hatten Menschen auch schon höhere Werte überstanden – wenn man zwei Jahre mit drei oder vier Arten von Krebs noch als »überleben« bezeichnen kann. Der letzte Patient schien am wenigsten abbekommen zu haben. Obwohl er an Gesicht und Händen schwere Verbrennungen hatte, fror er noch, hatte sich aber noch nicht erbrochen. Außerdem war er stocktaub.

Ein junger Mann, wie Parsons feststellte. Bei der Kleidung in dem Sack neben seinem Bett lagen eine Handfeuerwaffe und eine Dienstmarke – also ein Polizist. Er hielt auch etwas in der Hand, und als er aufschaute, sah er den FBI-Agenten neben dem NEST-Mann stehen.

Pete Dawkins hatte einen schweren Schock erlitten und war fast gefühllos. Er zitterte nicht nur, weil er durchnäßt war und fror, sondern auch wegen der Nachwirkungen des schlimmsten Schreckens, den je ein Mensch erlebt hatte. Seine Gedanken liefen in drei oder vier verschiedenen Strängen und waren allesamt nicht sehr zusammenhängend. Während Parsons mit einem Instrument die Uniform des Polizisten abtastete, sah Dawkins neben ihm einen Mann stehen, der eine Windjacke trug. Auf Brust und Ärmel war »FBI« gedruckt. Der junge Mann fuhr hoch und riß sich dabei den Tropf aus dem Arm. Ein Arzt und eine Schwester drückten ihn zurück in die Kissen, aber Dawkins wehrte sich mit der Kraft eines Wahnsinnigen und streckte die Hand nach dem FBI-Agenten aus.

Auch Special Agent Bill Clinton saß der Schreck noch in den Knochen, denn er war nur durch Zufall mit dem Leben davongekommen. Er hatte ebenfalls eine Karte fürs Spiel gehabt, sie aber wegen einer Änderung des Dienstplans einem Kollegen überlassen müssen. Dieses Pech, über das sich der junge Agent noch vor vier Tagen aufgeregt hatte, hatte ihm nun das Leben gerettet. Von dem Anblick, der sich ihm im Stadion geboten hatte, war er noch ganz benommen. Seine Strahlendosis – laut Parsons nur 40 Rem – machte ihm angst, aber andererseits war Clinton als Polizist pflichtbewußt und nahm Dawkins das Stück Papier aus der Hand.

Eine Liste von Fahrzeugen, wie er sah. Eines war eingekreist, und neben seiner Zulassung stand ein Fragezeichen.

»Was bedeutet das?« fragte Clinton und drängte sich an einer Schwester vorbei, die versuchte, die IV-Kanüle wieder einzuführen.

»Transporter«, stieß Dawkins hervor, der die Frage nicht gehört hatte, aber verstand, was der Polizist wissen wollte. »Fuhr rein... ich bat den Sergeant, ihn mal zu überprüfen, aber – Südseite, bei den Ü-Wagen. Ein Transporter von ABC, zwei Männer, ich ließ sie durch. Standen aber nicht auf meiner Liste.«

»Südseite... hat das etwas zu bedeuten?« fragte Clinton den Mann vom NEST.

»Dort fand die Explosion statt.« Parsons beugte sich vor. »Wie sahen die beiden Männer aus?« Er wies erst auf das Papier und dann auf sich selbst und Clinton.

»Weiß, um die dreißig, normal... sagten, sie kämen aus Omaha... mit einem Bandgerät. Omaha kam mir aber komisch vor ... sagte ich Sergeant Yankevich ... der ging kurz vorher hin.«

»Ich bitte Sie«, sagte ein Arzt. »Dieser Mann ist in sehr schlechter Verfassung. Ich muß Sie –«

»Verschwinden Sie«, sagte Clinton.

»Schauten Sie in den Transporter?«

Dawkins starrte sie nur an. Parsons schnappte sich ein Stück Papier, zeichnete einen Transporter und wies mit dem Bleistift auf die Skizze.

Dawkins, der kaum noch bei Bewußtsein war, nickte. »Großer Karton, Seitenlänge ein Meter, darauf stand ›Sony‹ – angeblich ein Bandgerät. Transporter kam aus Omaha, aber –« Er deutete auf die Liste.

Clinton schaute genauer hin. »In Colorado zugelassen !«

»Ich ließ sie durch«, stieß Dawkins hervor, ehe er ohnmächtig wurde.

»Seitenlänge ein Meter...«, sagte Parsons leise.

»Los, kommen Sie mit.« Clinton eilte aus der Intensivstation in die Aufnahme, wo die nächsten Telefone standen. Alle vier Apparate wurden benutzt. Clinton nahm einer Krankenhausangestellten den Hörer aus der Hand und legte auf, um die Leitung freizumachen.

»Was fällt Ihnen ein!«

»Ruhe«, befahl der Agent. »Ich muß Hoskins sprechen ... Walt, hier Clinton im Krankenhaus. Bitte lassen Sie ein Kennzeichen abgleichen – Colorado E-R-P-fünf-zwo-null. Verdächtiger Transporter am Stadion. Zwei Insassen, männlich, weiß, um die dreißig, normal aussehend. Der Zeuge, ein Polizeibeamter, ist inzwischen bewußtlos.«

»Gut. Wen haben Sie bei sich?«

»Parsons vom NEST.«

»Kommen Sie her – nein, lieber nicht, aber bleiben Sie an der Leitung.« Hoskins schaltete die Verbindung auf Wartestellung und wählte aus dem Gedächtnis die Nummer der Zulassungsstelle des Staates Colorado. »FBI. Ich möchte rasch ein Kennzeichen prüfen lassen. Funktioniert Ihr Computer?«

»Ja, Sir«, versicherte eine Frau.

»Emil Richard Paula fünf-zwo-null.« Hoskins starrte auf seinen Schreibtisch. Warum kam ihm das so bekannt vor?

»Augenblick.« Hoskins hörte das Klacken der Tastatur. »Ah, da haben wir’s. Ein fabrikneuer Transporter, zugelassen auf Mr. Robert Friend, wohnhaft in Roggen. Brauchen Sie Mr. Friends Führerscheinnummer?«

»Guter Gott«, sagte Hoskins.

»Wie bitte, Sir?« Er gab die Nummer durch. »Das ist korrekt.«

»Könnten Sie zwei andere Führerscheinnummern abgleichen?«

»Sicher.« Er las sie vor. »Die erste Nummer ist nicht korrekt... und die zweite auch nicht... Moment, die entsprechen ja –«

»Ich weiß. Vielen Dank.« Hoskins legte auf. »Okay, Walt, jetzt ganz schnell nachdenken ...« Erst brauchte er weitere Informationen von Clinton.

 

»Murray.«

»Dan, hier Walt Hoskins. Es ist gerade etwas Wichtiges hereingekommen.«

»Schießen Sie los.«

»Unser Freund Marvin Russell stellte einen Transporter am Stadion ab, und zwar an einer Stelle, an der laut NEST die Bombe explodierte. Mindestens eine Person – halt, Moment. Er hatte einen Beifahrer; der Dritte mußte den Mietwagen gefahren haben. Im Transporter stand ein großer Karton. Das Fahrzeug trug das ABC-Logo. Russell wurde gut drei Kilometer weiter tot aufgefunden. Offenbar stellte er nur das Fahrzeug ab und entfernte sich. Dan, es sieht so aus, als sei die Bombe so hintransportiert worden.«

»Was haben Sie noch, Walt?«

»Paßbilder und Ausweise der beiden anderen Personen.«

»Faxen Sie mir die.«

»Schon unterwegs.« Hoskins ging zum Konuounikationsraum und schnappte sich unterwegs einen anderen Agenten. »Rufen Sie die Mordkommission an oder wer sonst den Fall Russell bearbeitet – ich muß sie sofort sprechen.«

 

»Denken Sie wieder an Terrorismus?« fragte Pat O’Day. »Ich dachte, dafür sei die Bombe zu groß gewesen.«

»Russell stand unter Terrorismusverdacht, und wir glauben – verdammt!« rief Murray aus.

»Was ist los, Dan?«

»Ich will vom Archiv aus Russells Akte die Athener Fotos haben.« Der stellvertretende Direktor wartete, bis der Anruf erledigt war. »Wir erhielten eine Anfrage von der griechischen Polizei. Einer ihrer Beamten wurde ermordet, und man schickte uns Bilder. Damals dachte ich schon, es sei Marvin, aber es saß noch jemand im Fahrzeug, der nur im Profil zu sehen war.«

»Fax aus Denver«, verkündete eine Frau.

»Bringen Sie es rüber«, befahl Murray.

»Hier ist Seite eins.« Der Rest ging rasch ein.

»Flugschein, Ticket für den Anschlußflug, Pat -«

O’Day nahm den Bogen. »Ich prüfe das sofort nach.«

»Verflucht noch mal, sehen Sie sich das an!«

»Kommt Ihnen das Gesicht bekannt vor?«

»Der Mann sieht aus wie ... Ismael Kati vielleicht? Den anderen kenne ich nicht.«

»Schnurrbart und Haar stimmen nicht«, fand O’Day und wandte sich von seinem Telefon ab. »Außerdem sieht er zu mager aus. Fragen Sie mal beim Archiv an, ob neuere Daten über den Kerl vorliegen. Handeln wir lieber nicht übereilt.«

»Richtig.« Murray griff nach dem Hörer.

 

»Gute Nachrichten, Mr. President«, meldete Borstein aus dem Berg Cheyenne. »Ein KH- 11 wird gleich die zentrale Sowjetunion überfliegen. Dort wird es gerade hell, der Himmel ist zur Abwechslung einmal klar, und wir werden ICBM-Anlagen zu sehen bekommen. Programmiert haben wir den Satelliten bereits. NPIC sendet die Bilder in Echtzeit an uns und an Offutt.«

»Zu uns aber nicht«, murrte Fowler. Camp David war für solche Übertragungen nicht eingerichtet; ein bemerkenswertes Versäumnis, wie Fowler fand. Die Signale gingen allerdings an den NEACP, den er hätte besteigen sollen, als sich die Chance bot. »Na gut, dann sagen Sie mir, was Sie sehen.«

»Wird gemacht, Sir. Das sollte sehr nützlich für uns sein«, versprach Borstein.

»Es geht los, Sir«, sagte eine neue Stimme. »Sir, hier spricht Major Costello, NORAD Aufklärung. Der Zeitpunkt könnte nicht günstiger sein. Der Satellit wird dicht an vier Regimenter herankommen und auf einem Kurs von Süden nach Norden Schangis Tobe, Alejsk, Uschur und Gladkaja aufnehmen. Dort sind mit Ausnahme von Gladkaja, wo alte SS- 11 stehen, SS- 18 stationiert. Sir, Alejsk gehört zu den Basen, die eigentlich geschlossen werden sollten, aber noch immer ...«

 

Der Morgenhimmel über Alejsk war klar. Über dem Nordosthorizont wurde es hell, aber die Soldaten der strategischen Raketenstreitkräfte achteten nicht darauf. Sie lagen um Wochen hinter dem Zeitplan zurück und hatten nun den Befehl, den Rückstand wettzumachen. Daß solche Befehle praktisch unausführbar waren, tat nichts zur Sache. Neben jedem der 40 Raketensilos stand ein schwerer Sattelschlepper. Die SS-18 – die bei den Russen übrigens RS-20 heißen, »Rakete, strategisch, Nr. 20« – waren über elf Jahre alt, und deswegen hatten sich die Sowjets auch bereit erklärt, sie abzuschaffen. Ihre Motoren verbrannten flüssigen Treibstoff, gefährliche, korrosive Substanzen – unsymmetrisches Dimethylhydrazin und Distickstofftetroxid –, die nur begrenzt als »lagerfähig« gelten konnten. Sie waren zwar stabiler als Flüssigwasserstoff und -sauerstoff, die gekühlt werden mußten, aber auch hochgiftig und sehr reaktiv. Aus Sicherheitsgründen umgab man die Raketen mit Stahlhüllen, die wie gewaltige Gewehrpatronen in die Silos geladen wurden, um die empfindliche Elektronik vor den Chemikalien zu schützen. Daß sich die Sowjets überhaupt mit solchen Systemen abgaben, hatte seinen Grund nicht, wie amerikanische Geheimdienstler murrten, in der höheren Leistungsabgabe, sondern war auf die Unfähigkeit der Sowjets, einen zuverlässigen und starken Feststoff zu entwickeln, zurückzuführen. Abhilfe hatte erst die neue Feststoffrakete SS-25 geschaffen. Die SS-18, die den ominösen Nato-Code »SATAN« trug, war unbestreitbar groß und leistungsfähig, aber ein bösartiges, schwer zu wartendes Ungeheuer, dem die Mannschaften nur zu gerne den Rücken kehrten. Mehr als ein Soldat der strategischen Raketenstreitkräfte war bei Übungs- oder Instandhaltungsunfällen ums Leben gekommen, und auch in Amerika hatte die vergleichbare Titan-II Todesopfer gefordert. Alle Raketen der Anlage Alejsk waren für die Vernichtung bestimmt, und das war auch der Grund für die Anwesenheit der Männer und der Lkws. Erst aber mußten die Gefechtsköpfe entfernt werden. Inspekteure der Amerikaner konnten bei der Zerstörung der Raketen zusehen, aber die Sprengköpfe selbst waren immer noch streng geheim. Unter dem aufmerksamen Blick eines Obersten wurde die Nasenverkleidung der Rakete Nr. 31 mit Hilfe eines kleinen Krans entfernt, so daß die MIRV sichtbar wurden. Diese konischen »individuell lenkbaren Wiedereintritts-Gefechtskörper« maßen an der Basis 40 Zentimeter und liefen in 150 Zentimeter Höhe nadelspitz aus. Jede dieser Einheiten enthielt eine dreiphasige Wasserstoffbombe mit einer Sprengleistung von einer halben Megatonne. Die Soldaten brachten den MIRV allen gebührenden Respekt entgegen.

 

»Ah, nun gehen Bilder ein«, hörte Fowler Major Costello sagen. »Kaum Aktivität. . . Sir, wir isolieren nur diejenigen Silos, die wir am besten sehen können – die Anlage befindet sich in dichtem Wald, Mr. President, doch der Blickwinkel des Satelliten verrät uns, welche wir am deutlichsten erkennen können ... aha, da ist ein Silo, Tobe 05 ... nichts Ungewöhnliches ... dort befindet sich der Befehlsbunker ... ich kann die Wachposten sehen ... fünf, nein, sieben Personen. Da es dort sehr kalt ist, kann man sie im Infrarotspektrum gut erkennen, Sir. Sonst nichts ... alles normal, Sir. Okay, jetzt kommt die Anlage Alejsk ins Bild – Himmel noch mal!«

»Was ist?«

»Sir, wir haben vier Kameras auf vier verschiedene Silos gerichtet...«

»Das sind Wartungs-Lkws«, sagte General Fremont aus der SAC-Befehlszentrale. »Lkws an allen vier Silos. Siloklappen offen, Mr. President.«

»Was hat das zu bedeuten?«

Costello antwortete: »Sir, das sind alte Raketen, SS-18 Mod 2, die inzwischen eigentlich außer Dienst gestellt sein sollten, aber noch aktiv sind. Wir haben nun fünf Silos in Sicht; an allen stehen Fahrzeuge. In zwei Fällen kann ich Leute erkennen, die an den Raketen hantieren.«

»Was ist ein Wartungs-Lkw?« fragte Liz Elliot.

»Mit diesen Fahrzeugen transportiert man die Raketen. Sie haben auch alles notwendige Werkzeug an Bord. jedem Flugkörper ist ein Lkw zugeordnet. Es handelt sich um große Tieflader mit Behältern für Werkzeug und Ausrüstung – Jim, sie haben die Abdeckung entfernt! Da sind die Sprengköpfe, beleuchtet sogar, und man stellt etwas mit ihnen an... was, frage ich mich.«

Fowler war kurz davor, zu explodieren. Es war, als müßte er ein Footballspiel im Radio verfolgen. »Was hat das zu bedeuten?«

»Sir, das können wir nicht beurteilen ... jetzt kommt Uschur in Sicht. Dort herrscht nur wenig Aktivität. In Uschur ist die neue SS-18 Mod 5 stationiert. . . keine Lkws, aber es sind wieder Wachposten zu sehen. Mr. President, die Wachmannschaft kommt mir stärker als gewöhnlich vor. In zwei Minuten kommt Gladkaja vor die Objektive...«

»Warum stehen die Laster da?« fragte Fowler.

»Sir, ich kann lediglich sagen, daß man an den Raketen zu arbeiten scheint.«

»Verdammt noch mal! Was treiben die da!« schrie Fowler ins Mikrofon.

Major Costello klang nun nicht mehr so gelassen wie noch vor wenigen Minuten. »Sir, das läßt sich unmöglich feststellen.«

»Dann sagen Sie mir wenigstens, was Sie wissen!«

»Mr. President, wie ich bereits sagte, sind die Raketen alt, wartungsintensiv und zur Vernichtung vorgesehen. Wir haben verschärfte Sicherheitsmaßnahmen an den drei Anlagen mit SS- 18 festgestellt, und in Alejsk waren die Silos offen. Daneben standen Lkws, und Wartungsmannschaften arbeiteten an den Raketen. Mehr läßt sich den Bildern nicht entnehmen, Sir.«

»Mr. President«, sagte General Borstein, »Major Costello hat Ihnen alles gesagt, was es mitzuteilen gibt.«

»General, Sie versprachen nützliche Ergebnisse dieses Satellitendurchgangs. Was ist nun dabei herausgekommen?«

»Sir, die Arbeiten in Alejsk könnten von Bedeutung sein.«

»Aber Sie wissen doch noch nicht einmal, was die da treiben!«

»Nein, Sir, das wissen wir nicht«, gestand Borstein ziemlich verlegen.

»Ist es möglich, daß man die Raketen startklar macht?«

»Ja, Sir, das kann nicht ausgeschlossen werden.«

»Mein Gott!«

»Robert«, sagte die Sicherheitsberaterin, »ich bekomme es wirklich mit der Angst zu tun.«

»Elizabeth, dafür haben wir jetzt keine Zeit.« Fowler sammelte sich. »Wir müssen uns selbst und die Lage in den Griff bekommen, unbedingt. Wir müssen Narmonow überzeugen –«

»Robert, ist Ihnen denn nicht klar, daß wir es überhaupt nicht mehr mit ihm zu tun haben? Das ist die einzig plausible Erklärung. Wir wissen nicht, mit wem wir verhandeln!«

»Was können wir da unternehmen?!«

»Keine Ahnung.«

»Nun, wer immer es auch sein mag, wird keinen Atomkrieg wollen. Daran kann niemandem gelegen sein. Das wäre Wahnsinn«, versicherte der Präsident und klang fast väterlich.

»Bestimmt, Robert? Sind Sie da ganz sicher? Immerhin hat man versucht, uns zu töten!«

»Selbst wenn das zutreffen sollte, darf es jetzt kein Kriterium sein.«

»Unsinn! Wer einmal zum Töten bereit war, wird es wieder versuchen! Verstehen Sie das denn nicht?«

Helen D’Agustino, die hinter Fowler stand, erkannte nun, daß sie Liz Elliot im vergangenen Sommer korrekt eingeschätzt hatte: Die Sicherheitsberaterin war ebenso aggressiv wie feige. Und wer außer ihr beriet den Präsidenten nun? Fowler stand auf und ging zur Toilette. Pete Connor folgte ihm bis an die Tür, denn selbst diesen Gang durfte der Präsident nicht allein tun. »Daga« schaute auf Dr. Elliot hinab. Deren Gesicht verriet nicht nur Furcht, sondern auch Panik. Agentin D’Agustino hatte selbst Angst, war aber – halt, das war unfair. Niemand fragte sie um Rat, niemand bat sie, Logik in dieses Chaos zu bringen. Nichts ergab einen Sinn. Wenigstens fragte niemand sie nach ihrer Meinung. Aber das war auch nicht ihre Aufgabe; diese Funktion hatte Liz Elliot zu erfüllen.

 

»Kontakt«, sagte ein Sonaroperator an Bord der Sea Devil 13. »Von Boje 3, Richtung zwei-eins-fünf ... zähle jetzt Umdrehungen ... nur eine Schraube ... Atom-U-Boot. Schraubengeräusche weisen auf sowjetischen Kontakt hin. Wiederhole: kein amerikanisches Boot.«

»Ich hab’ ihn über die Vier«, meinte ein anderer Sonarmann. »Donnerwetter, der hat’s eilig, macht Umdrehungen für über 20, vielleicht sogar 25 Knoten. Meine Boje peilt Richtung drei-null-null.«

»Gut«, sagte der taktische Offizier, »ich habe eine Position. Können Sie mir Daten für eine Kursbestimmung geben?«

»Richtung nun zwei-eins-null«, meldete der erste Operator. »Der Bursche tritt mächtig drauf!«

Zwei Minuten später stand fest, daß der Kontakt direkt auf USS Maine zuhielt.

 

»Ist das möglich?« fragte Jim Rosselli. Der Funkspruch war von Kodiak direkt an das NMCC gegangen. Der Kommandeur des Geschwaders wußte nicht, was er tun sollte, und bat verzweifelt um Anweisungen. Die Meldung kam unter dem Codewort RED ROCKET und ging auch an den CINCPAC, der ebenfalls um Instruktionen von oben nachsuchen würde.

»Was meinen Sie?« fragte Barnes.

»Er hält direkt auf Maines Position zu. Wie konnte er sie orten?«

»Wie hätten wir das gemacht?«

»SLOT-Bojen ausgestoßen, Funkverkehr abgehört – mein Gott, hat sich dieser Idiot Ricks nach dem Funkspruch womöglich nicht abgesetzt?«

»Teilen wir das dem Präsidenten mit?« fragte Colonel Barnes.

»Müssen wir wohl.« Rosselli griff nach dem Hörer.

 

»Hier spricht der Präsident.«

»Sir, hier Captain Jim Rosselli, NMCC. Eines unserer Boote, USS Maine, ein strategisches Boot der Ohio-Klasse, hat im Golf von Alaska einen Schraubenschaden erlitten und ist manövrierunfähig. Ein sowjetisches Jagd-U-Boot hält darauf zu und ist nur noch zehn Meilen entfernt. Eine U-Jagd-Maschine Orion P-3C hat den Russen geortet. Man bittet um Anweisungen.«

»Ich dachte, unsere Raketen-U-Boote seien nicht auszumachen.«

»Gewiß, Sir, aber in diesem Fall muß man Maines Position mittels Funkpeilung festgestellt haben, als sie ihren Hilferuf sendete. Maine ist als Raketen-U-Boot Teil von SIOP und operiert nach den unter DEFCON-2 gültigen Regeln. Diese gelten nun auch für die Orion, die sie schützt. Sir, man bittet um Anweisungen.«

»Wie wichtig ist die Maine?« fragte Fowler.

Die Antwort gab General Fremont. »Sir, das Boot ist ein wichtiger Aspekt von SIOP und hat über 200 sehr treffsichere Gefechtsköpfe an Bord. Wenn es den Russen gelingt, sie auszuschalten, haben sie uns einen schweren Schaden zugefügt.«

»Wie schwer?«

»Sir, das risse ein großes Loch in unseren Kriegsplan. Maine hat Raketen D-5 an Bord und die Aufgabe, gegnerische ICBM-Anlagen und Führungsbunker anzugreifen. Stieße ihr etwas zu, brauchten wir buchstäblich Stunden, um die Lücke zu stopfen.«

»Captain Rosselli, Sie sind von der Navy, nicht wahr?«

»Jawohl, Mr. President – ich muß Ihnen auch mitteilen, daß ich bis vor wenigen Monaten befehlshabender Offizier, Besatzung ›Gold‹, der Maine war.«

»Wie rasch müssen wir unsere Entscheidung treffen?«

»Sir, das Akula nähert sich mit 25 Knoten und ist im Augenblick noch rund zehn Meilen von unserem Boot entfernt. Technisch gesehen befindet sich Maine bereits in Torpedoreichweite.«

»Welche Optionen habe ich?«

»Sie können den Befehl zum Angriff geben oder nicht geben«, erwiderte Rosselli.

»General Fremont?«

»Mr. President – halt, Captain Rosselli?«

»Ja, General?«

»Sind Sie auch sicher, daß die Russen direkt auf unser Boot zulaufen?«

»Das Signal ist ziemlich eindeutig, Sir.«

»Mr. President, wir müssen unsere Aktiva schützen. Erfreut werden die Russen über einen Angriff auf ihr Boot zwar nicht sein, aber es ist ein Jäger und kein strategischer Aktivposten. Wenn sie uns zur Rede stellen, können wir ihnen eine Erklärung geben. Ich möchte aber wissen, warum die Russen dem Akula diesen Kurs befohlen haben. Es muß ihnen doch klar sein, daß uns das in Aufregung versetzt.«

»Captain Rosselli, Sie haben meine Genehmigung, das Boot von Flugzeugen angreifen und versenken zu lassen.«

»Aye, aye, Sir.« Rosselli griff nach einem anderen Telefon. »GREY BEAR, hier MARBLEHEAD« – das war der derzeitige Codename des NMCC –, »Ihre Anfrage ist positiv, ich wiederhole: positiv beschieden. Bitte bestätigen.«

»MARBLEHEAD, hier GREY BEAR. Angriffsbefehl erhalten.«

»Affirmativ.«

»Roger. Out.«

 

Die Orion flog eine Kurve. Selbst die Piloten bekamen nun die Auswirkungen der Witterung zu spüren. Es war zwar noch Tag, aber unter der tiefhängenden Wolkendecke und über der groben See hatten sie das Gefühl, einen gewaltigen und holprigen Korridor entlangzufliegen. Soweit die negativen Aspekte. Positiv war, daß ihr Kontakt sich dumm verhielt, weit unter der Schicht sehr schnell fuhr und fast unmöglich zu verfehlen war. Am Heck der umgebauten Lockheed Electra war ein sogenannter Magnetanomaliedetektor (MAD) befestigt, ein Gerät, das auf Variationen, verursacht durch die Metallmasse eines Unterseebootes im Magnetfeld der Erde, ansprach.

»Madman! Nebel frei!« rief der Systemoperator und warf durch Knopfdruck eine Nebelboje ab. Vorne zog der Pilot die Maschine sofort nach links und begann einen zweiten und dann einen dritten Anflug.

»Wie sieht’s da hinten aus?« fragte er dann.

»Solider Kontakt, atomgetriebenes U-Boot, eindeutig russisch. Schlagen wir diesmal zu, meine ich.«

»Finde ich auch«, meinte der Pilot.

»Mein Gott!« murmelte der Kopilot.

»Klappen öffnen.«

»Öffnen sich. Sicherungen frei, Abwurfeinrichtung scharf, Torpedo ist heiß.«

»Okay, alles eingestellt«, meinte der taktische Offizier. »Klar zum Abwurf.«

Es war fast zu einfach. Der Pilot richtete die Maschine entlang der beinahe geraden Linie der Nebelbojen aus und überflog die erste, zweite, dritte ...

»Abwurf! Torpedo frei!« Der Pilot gab Gas und ließ die Orion höher klettern.

Der Torpedo Mark 50 ASW kam frei, zurückgehalten von einem kleinen Fallschirm, der sich beim Aufprall des Fisches auf die Wasseroberfläche automatisch löste. Diese neue, hochkomplexe Waffe wurde nicht von einer Schraube, sondern durch einen fast geräuschlosen Propulsor angetrieben und war darauf programmiert, inaktiv zu bleiben, bis sie die Zieltiefe von 160 Metern erreicht hatte.

 

Zeit, mit den Umdrehungen zurückzugehen, dachte Dubinin, nur noch ein paar tausend Meter bis zum Ziel. Mit seinem Vabanquespiel war er zufrieden. Die Annahme, das amerikanische Boot würde in der Nähe der Oberfläche bleiben, war durchaus logisch. Wenn er richtig geraten hatte, würde der Amerikaner ihn, der in hundert Metern Tiefe knapp unter der Schicht dahingejagt war, nicht gehört haben. Nun, da er sich in der Nähe befand, konnte er seine Suche verstohlener fortsetzen. Er wollte sich gerade zu seiner klugen taktischen Entscheidung beglückwünschen, als ein Ruf aus dem Sonarraum schallte.

»Torpedo an Steuerbord voraus!« schrie Leutnant Rykow.

»Ruder links, AK voraus! Wo ist der Torpedo?«

Rykow antwortete: »Fünfzehn Grad abwärts! Unter uns!«

»Alarm-Auftauchen! Tiefenruder voll anstellen! Neuer Kurs drei-null-null!« Dubinin hetzte in den Sonarraum.

»Was, zum Teufel, ist los?«

Rykow war blaß. »Ich höre keine Schraube, nur dieses verdammte Peilsignal. . . geht nicht in unsere Richtung – nein, jetzt hat er uns erfaßt!«

Dubinin fuhr herum. »Gegenmaßnahmen – dreimal!«

»Kanister frei!«

Die auf Admiral Lunin für die Gegenmaßnahmen verantwortlichen Seeleute feuerten in rascher Folge drei 15 Zentimeter dicke Behälter mit einer gaserzeugenden Substanz ab. Diese gaben im Wasser Blasen frei, die dem Torpedo ein stationäres Ziel boten. Der Mark 50 hatte das U-Boot bereits geortet und kurvte auf einen Kurs in seine Richtung.

»Tiefe nun 100 Meter«, rief der Starpona. »Fahrt 28 Knoten.«

»In fünfzehn auspendeln, aber wenn wir durchbrechen, macht das auch nichts.«

»Verstanden! 29 Knoten!«

»Kontakt verloren, Auslenkung des Schleppsonars zu groß, hat Empfang ruiniert!« Rykow warf verzweifelt die Hände hoch.

»Nun, dann müssen wir eben Geduld haben«, meinte Dubinin. Ein müder Witz, aber die Sonarmannschaft war ihm trotzdem dankbar.

 

»Die Orion hat den Kontakt angegriffen, Sir. Wir empfingen gerade ein schwaches Ultraschall-Sonarsignal, Richtung zwei-vier-null. Einer von unseren Torpedos, Mark 50.«

»Der sollte ihn erledigen«, merkte Ricks an. »Gott sei gedankt.«

 

»Tiefe nun 50 Meter, pendeln aus, vorne an zehn. Fahrt 31.«

»Die Gegenmaßnahmen haben nicht gewirkt«, meinte Rykow. Das Schleppsonar lag nun fast wieder in Kiellinie, und er konnte den Torpedo immer noch hören.

»Keine Schraubengeräusche?«

»Nein ... sollte ich eigentlich selbst bei dieser Geschwindigkeit auffangen.«

»Muß ein neuer Torpedo sein.«

»Der Mark 50? Ein sehr gewitzter kleiner Fisch, wie ich höre.«

»Wir werden ja sehen. Jewgenij, Sie wissen ja, was an der Oberfläche los ist.« Dubinin lächelte.

Der Starpom gab sich die beste Mühe, aber angesichts der zehn Meter hohen Seen war garantiert, daß das Boot die Oberfläche zwischen Wellenbergen und -tälern durchbrach. Der Torpedo war nurnochknapp 300 Meter entfernt, als das Akula wieder in die Horizontale ging. Der Mark 50 war keine »smarte«, sondern eine »brillante« Waffe der nächsten Generation. Er hatte die Gegenmaßnahmen identifiziert und ignoriert und suchte nun mit seinem leistungsfähigen Ultraschallsonar sein Ziel, doch hier griffen die Gesetze der Physik zugunsten des Russen ein. Man nimmt gemeinhin an, daß Sonar vom stählernen Rumpf eines Schiffes reflektiert wird, aber das trifft nicht zu. Sonarimpulse werden eher von der Luft im Innern eines Unterseebootes zurückgeworfen, genauer gesagt, von der Grenze zwischen Wasser und Luft, die Schallwellen nicht durchdringen können. Und Mark 50 war darauf programmiert, diese Grenzschicht als Schiff zu identifizieren. Als der Torpedo wie eine Rakete auf seine Beute zujagte, begann er riesige, schiffartige Umrisse zu orten, die sich bis außerhalb der Reichweite seines Sonars erstreckten: Wellen. Sein Programm wies ihn zwar an, glatten Oberflächen keine Beachtung zu schenken, um zu vermeiden, daß er von der Grenze zwischen Meer und Atmosphäre »eingefangen« wurde, aber Probleme, die bei schwerer See entstanden, hatten seine Konstrukteure nicht gelöst. Der Mark 50 wählte sich einen solchen Schemen aus, raste auf ihn zu – und sprang in die Luft wie ein Lachs. Dann bohrte er sich in die Flanke der nächsten Welle, faßte wieder ein riesiges Ziel auf und durchbrach erneut die Oberfläche. Diesmal schlug er schräg auf, und hydrodynamische Kräfte lenkten ihn nach Norden ab. Nun lief er im Innern einer riesigen Welle und spürte rechts und links gewaltige Schiffe. Er wandte sich nach links, verließ erneut das Wasser und traf diesmal eine Woge so heftig, daß sein Kontaktzünder ausgelöst wurde.

 

»Das war knapp!« seufzte Rykow.

»So knapp nun auch wieder nicht. 1000 Meter vielleicht, wahrscheinlich mehr.« Der Kapitän lehnte sich in die Zentrale. »Runter auf zehn Knoten und 30 Meter.«

 

»Treffer?«

»Läßt sich nicht sagen, Sir«, erwiderte der Operator. »Er ging mit Höchstfahrt an die Oberfläche, verfolgt von dem Fisch, der einige Kreise zog.« Der Sonarmann fuhr mit dem Zeigefinger über sein Display. »Dann explodierte er hier, also nicht weit von der Stelle, an der das Akula im Oberflächenlärm verschwand. Schwer zu sagen – nein, keine Geräusche, die darauf hinweisen, daß das Akula beschädigt ist. Wohl ein Fehlschuß.«

 

»Richtung und Distanz des Ziels?« fragte Dubinin.

»Null-fünf-null, grob geschätzt 9000 Meter«, antwortete der Starpom. »Was machen wir nun?«

»Wir werden das Ziel orten und zerstören«, erklärte Valentin Borissowitsch Dubinin, Kapitän ersten Ranges.

»Aber –«

»Wir sind angegriffen worden. Der Kerl versuchte, uns zu töten!«

»Diese Waffe war aus der Luft abgeworfen«, erinnerte der Erste Offizier.

»Ich habe kein Flugzeug gehört. Wir sind angegriffen worden und werden uns verteidigen.«

 

»Nun?«

Inspektor Pat O’Day machte sich hastig Notizen. American Airlines hatte, wie alle großen Fluglinien, einen Buchungscomputer. Mit Hilfe der Flugschein-und Flugnummer konnte jeder Passagier ausfindig gemacht werden. »Gut«, sagte er zu der Frau am anderen Ende der Leitung, »warten Sie einen Augenblick.« Dann drehte er sich um. »Dan, für den Flug von Denver nach Dallas/ Fort Worth waren nur sechs Erster-Klasse-Tickets gebucht; die Maschine ist also fast leer – aber sie hat wegen Eis und Schnee in Dallas noch nicht abgehoben. Wir haben die Namen von zwei Erster-Klasse-Passagiere, die sich auf einen Flug nach Miami umbuchen ließen. Ursprünglich hatten sie in Dallas Anschluß an einen Flug nach Mexico City. Und in Miami stiegen sie in eine DC-10 um, die ebenfalls nach Mexico City geht und nun nur noch eine Flugstunde von dort entfernt ist.«

»Lassen wir sie umkehren?«

»Die Fluglinie sagt, dazu reichte der Treibstoff nicht.«

»Eine Stunde – verdammt noch mal!« fluchte Murray.

O’Day fuhr sich übers Gesicht. Er hatte ebensoviel Angst wie alle Menschen in Amerika – mehr noch sogar, da er in der Befehlszentrale über weitreichendere Informationen verfügte. Inspektor Patrick Sean O’Day bemühte sich mit aller Kraft, die Furcht zu verdrängen und sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Die Indizien, die ihm bisher vorlagen, waren noch zu schwach, um als feste Beweise gelten zu können. In seinen 20 Jahren beim FBI hatte er viele Koinzidenzen dieser Art erlebt; andererseits waren aber auch große Fälle mit Hilfe kleiner Hinweise gelöst worden. Man hielt sich an das, was man zur Verfügung hatte, und mehr als die gegenwärtigen Informationen lag nicht vor.

»Dan, ich –«

Eine Frau vom Archiv kam herein und reichte Murray zwei Akten. Der stellvertretende Direktor schlug Russells Dossier zuerst auf und suchte nach dem Lichtbild aus Athen. Dann nahm er das neueste Foto von Ismael Kati heraus und legte die beiden Aufnahmen neben die Paßbilder, die gerade als Fax aus Denver gekommen waren.

»Nun, was meinen Sie, Pat?«

»Der Bursche auf dem Paßfoto ist hagerer als Kati... Backenknochen und Augen stimmen, der Schnurrbart nicht. Wenn das Kati ist, hat er auch Haarausfall.«

»Halten wir uns an die Augen?«

»Die Augen stimmen, Dan, die Nase auch – ja, das ist er. Wcr ist dieser andere Typ?«

»Ich habe keinen Namen, sondern nur diese Aufnahmen aus Athen. Helle Haut, dunkles Haar, gepflegt. Frisur stimmt, Haaransatz stimmt.« Er prüfte noch einmal die Daten auf Führerschein und Paß. »Kleinwüchsig, zierlich gebaut... paßt, Pat.«

»Finde ich auch ... die Chance, daß wir richtig liegen, ist 80 Prozent. Wer leitet die Rechtsabteilung unserer Botschaft in Mexico City?«

»Bernie Montgomery – verdammt! Der ist zu einer Besprechung in Washington.«

»Versuchen wir Langley?«

»Ja.« Murray schaltete auf die Standleitung zur CIA um. »Wo ist Ryan?«

 

»Hier, Dan. Was gibt’s?«

»Wir haben etwas. Erstens: Ein gewisser Marvin Russell, Sioux-Indianer und Mitglied der Warrior Society, tauchte letztes Jahr ab, nach Europa, wie wir glaubten. Heute wurde er mit durchschnittener Kehle in Denver aufgefunden. Zwei Personen, die ihn begleiteten, sind mit dem Flugzeug geflohen. Von einer haben wir ein Bild, aber keinen Namen. Bei dem anderen könnte es sich um Ismael Kati handeln.«

Dieser Hund! dachte Ryan. »Wo sind sie?«

»In einer Maschine der American Airlines von Miami nach Mexico City. Sie fliegen erster Klasse und sollen in einer Stunde landen.«

»Und Sie glauben, daß ein Zusammenhang mit der Explosion besteht?«

»Ein auf Marvin Russell alias Robert Friend, wohnhaft Roggen, Colorado, zugelassenes Fahrzeug war auf dem Stadiongelände. An der Mordszene fanden wir gefälschte Ausweise für Kati und den Unbekannten. Für eine Festnahme wegen Mordverdachts reicht das aus.«

Wäre die Lage nicht so gräßlich gewesen, hätte Ryan jetzt gelacht. »Aha, Mord. Wollen Sie versuchen, sie festzunehmen?«

»Ja, wenn Ihnen nichts Besseres einfällt.«

Ryan schwieg kurz. »Möglich. Augenblick, bitte.« Er nahm einen anderen Hörer ab und wählte die US-Botschaft in Mexico City an. »Hier Ryan, ich möchte den Stationschef sprechen. Tony? Jack Ryan. Ist Clark noch da? Gut, verbinden Sie mich mit ihm.«

»Himmel noch mal, Jack, was ist –«

Jack schnitt ihm das Wort ab. »Still, John. Aufgepaßt, in einer Stunde soll eine Maschine der American Airlines aus Miami in Mexico City landen. An Bord sind zwei Personen, die etwas mit der Explosion zu tun haben könnten. In ein paar Minuten faxe ich Ihnen ihre Bilder.«

»Also ein Terroranschlag?«

»Bislang unsere beste Information, John. Diese beiden wollen wir so bald wie möglich vernehmen.«

»Das könnte Probleme mit der mexikanischen Polizei geben«, warnte John. »Ich kann ja hier nicht einfach eine Schießerei inszenieren.«

»Ist der Botschafter im Haus?«

»Ich glaube schon.«

»Stellen Sie mich durch und bleiben Sie am Apparat.«

»Wird gemacht.«

Aus dem Vorzimmer des Botschafters meldete sich eine Frau.

»CIA-Zentrale. Ich muß sofort den Botschafter sprechen.«

»Sicher.« Diese Frau läßt sich nicht aus dem Konzept bringen, dachte Ryan.

»Ja, was kann ich für Sie tun?«

»Mr. Ambassador, hier Jack Ryan, stellvertretender Direktor der CIA –«

»Sie sprechen über eine offene Leitung.«

»Weiß ich! Jetzt hören Sie zu. Zwei Personen treffen mit einem Flug der American Airlines aus Miami in Mexico City ein. Sie müssen festgenommen und so rasch wie möglich hierher zurückgebracht werden.«

»US-Bürger?«

»Nein, wir halten sie für Terroristen.«

»Sie müßten aber erst vor ein mexikanisches Gericht gestellt werden und –«

»Dazu ist keine Zeit!«

»Ryan, Brachialmethoden lassen sich die Leute hier nicht bieten.«

»Mr. Ambassador, ich bitte Sie, sofort den mexikanischen Präsidenten anzurufen und um seine Unterstützung zu bitten – es geht hier um Leben und Tod, klar? Wenn er nicht sofort zustimmt, bitte ich Sie, ihm folgendes zu sagen – schreiben Sie sich das auf. Richten Sie ihm aus, wir seien über seine Altersversorgung informiert. Verstanden? Drücken Sie sich genau so aus: Wir sind über seine Altersversorgung informiert.«

»Was bedeutet das?«

»Das bedeutet, daß Sie diese exakte Formulierung zu benutzen haben, verstanden?«

»Hören Sie, solche Spiele mißfallen mir, und -«

»Mr. Ambassador, wenn Sie meine Anweisungen nicht exakt befolgen, lasse ich Sie von einem meiner Leute bewußtlos schlagen. Den Anruf erledigt dann der Stationschef.«

»So können Sie mir nicht drohen!«

»Aber doch. Und wenn Sie mir nicht glauben, stellen Sie mich ruhig auf die Probe.«

»Langsam, Jack«, mahnte Goodley.

Jack wandte den Blick vom Telefon. »Verzeihung, Sir. Die Lage hier ist sehr gespannt, weil in Denver eine Atombombe losging, und dies könnte unsere beste Spur sein. Aber wir haben jetzt keine Zeit für Details. Bitte spielen Sie mit.«

»Na gut.«

Ryan atmete erleichtert aus. »Okay, richten Sie ihm bitte auch aus, daß einer meiner Leute, ein Mr. Clark, in wenigen Minuten ins Büro der Flughafensicherheit kommt. Mr. Ambassador, ich kann die Wichtigkeit dieses Falles nicht genug betonen. Bitte handeln Sie sofort.«

»ja. Und Sie beruhigen sich besser«, riet der Karrierediplomat.

»Wir bemühen uns, Sir. Bitte weisen Sie Ihre Sekretärin an, mich wieder mit dem Stationschef zu verbinden. Ich danke Ihnen.« Ryan schaute zu Goodley hinüber. »Geben Sie mir ruhig eins auf den Deckel, wenn Sie es für notwendig halten, Ben.«

Nun meldete sich Clark wieder.

»John, wir faxen Ihnen Bilder der beiden und ihre Namen und Sitznummern. Ehe Sie zugreifen, stimmen Sie sich mit dem Chef der Flughafensicherheit ab. Ist Ihre Maschine noch da?«

»Ja.«

»Wenn Sie die beiden geschnappt haben, bringen Sie sie an Bord und so rasch wie möglich hierher.«

»Wird gemacht, Jack.«

Ryan unterbrach diese Verbindung und ging wieder an die Leitung zu Murray. »Faxen Sie die Daten an unseren Stationschef Mexiko. Ich habe zwei gute Agenten vor Ort, Clark und Chavez.«

»Clark?« fragte Murray, als er Pat O’Day die Unterlagen für den Telekopierer reichte. »Der Mann, der –«

»Genau.«

»Ich wünsche ihm Glück.«

 

Das taktische Problem war komplex. Dubinin hatte eine U-Jagd-Maschine über sich und konnte sich keinen einzigen Fehler leisten. Irgendwo vor ihm lag ein amerikanisches Raketen-U-Boot, das zu versenken er entschlossen war. Er hatte den Befehl, sich zu verteidigen, und war mit einer scharfen Waffe angegriffen worden. Das änderte die Lage drastisch. Eigentlich sollte er das Oberkommando der Flotte über Funk um Instruktionen bitten oder ihm wenigstens seine Absichten bekanntgeben, aber angesichts des feindlichen Flugzeugs über ihm war Auftauchen Selbstmord. Er war heute schon einmal knapp dem Tod entronnen und wollte das Schicksal nicht noch einmal herausfordern. Die Attacke auf die Admiral Lunin konnte nur bedeuten, daß die Amerikaner einen Angriff auf sein Land planten. Sie hatten gegen ihr Lieblingsprinzip verstoßen – die Freiheit der Meere – und ihn in internationalen Gewässern angegriffen, ehe er nahe genug herangekommen war, um eine feindselige Handlung begehen zu können. Jemand mußte also annehmen, daß Krieg herrschte. Nun denn, dachte Dubinin.

Das Schleppsonar des Unterseebootes hing nun tief unter der Kielebene, und die Sonarleute arbeiteten so konzentriert wie nie zuvor.

»Kontakt«, rief Leutnant Rykow. »Sonarkontakt in eins-eins-drei, eine Schraube... laut, klingt wie ein beschädigtes U-Boot.«

»Sind Sie auch sicher, daß es kein Überwasserkontakt ist?«

»Absolut... Überwasserschiffe bleiben wegen des Sturmcs weiter südlich. Das Geräusch ist definitiv charakteristisch für einen Atomantrieb... aber laut, als wäre etwas schadhaft ... driftet nach Süden, Richtung nun eins-eins-fünf.««

Valentin Borissowitsch drehte sich um und rief in die Zentrale: »Geschätzte Distanz zur gemeldeten Position des Ziels?«

»7000 Meter!«

»Hm, sehr weiter Schuß ... driftet nach Süden ... Geschwindigkeit?«

»Schwer zu sagen... auf jeden Fall unter sechs Knoten... Umdrehungen sind zu hören, aber so schwach, daß ich sie nicht zählen kann.«

»Mehr als einen Schuß werden wir kaum abgeben können ...«, flüsterte Dubinin und ging zurück in die Zentrale. »WO, stellen Sie einen Torpedo auf Kurs eins-eins-fünf ein, Suchtiefe anfangs 70 Meter, Aktivierung nach... 4000 Metern.«

»Zu Befehl.« Der Leutnant nahm an seiner Konsole die entsprechenden Einstellungen vor. »Rohr 1 ... Waffe scharf! Äußere Klappe geschlossen, Käpt’n.«

Dubinin drehte sich um und schaute den Ersten Offizier an. Der Starpom, ein Mann, der dafür bekannt war, daß er selbst bei Festessen stocknüchtern blieb, nickte. Dubinin war auf seine Zustimmung zwar nicht angewiesen, aber trotzdem dankbar.

»Äußere Klappe öffnen.«

»Äußere Klappe offen.« Der Waffenoffizier klappte die Kunststoffabdekkung des Feuerknopfes hoch.

»Feuer!«

Der Leutnant drückte auf den Knopf. »Waffe frei.«

 

»Zentrale, hier Sonar! Abschußgeräusch in eins-sieben-fünf, Torpedo im Wasser!«

»AK voraus!« rief Ricks dem Rudergänger zu.

»Captain!« schrie Claggett. »Widerrufen Sie diesen Befehl!«

»Wie bitte?« Der Rudergänger war gerade neunzehn und hatte noch nie Widerspruch gegen den Befehl eines Captains gehört. »Was soll ich tun, Sir?«

»Captain, wenn Sie so drauftreten, ist in 15 Sekunden die Welle im Eimer!«

»Verflucht, Sie haben recht.« Ricks’ Gesicht sah in der roten Gefechtsbeleuchtung rosa aus. »Befehlen Sie dem Maschinenraum, auf die größte vertretbare Fahrt zu gehen. Ruder zehn Grad rechts, neuer Kurs null-null-null.«

»Ruder zehn rechts, aye«, bestätigte der Junge mit zittriger Stimme und drehte am Rad. Angst ist ansteckend. »Sir, Ruder an zehn rechts, neuer Kurs null-null-null liegt an.«

Ricks schluckte und nickte. »Recht so.«

»Zentrale, hier Sonar. Torpedo nun in eins-neun-null, bewegt sich von links nach rechts und peilt im Augenblick nicht.«

»Danke«, erwiderte Claggett.

»Ohne unseren Schwanz werden wir ihn sehr bald verlieren.«

»Leider richtig, Captain. Sollen wir der Orion mitteilen, was sich hier tut?«

»Gute Idee. Antenne ausfahren.«

»Sea Devil 13, hier Maine.«

»Maine, hier 13, wir bewerten noch immer die Wirkung unseres Torpedos und –«

»13, wir haben in eins-acht-null einen Torpedo im Wasser. Sie haben den Kerl verfehlt. Suchen Sie südlich von uns nach ihm. Ich glaube, daß sein Fisch unser MOSS angreift.«

»Roger, schon unterwegs.« Der taktische Offizier teilte Kodiak mit, daß inzwischen ein echtes Gefecht im Gang war.

 

»Mr. President«, sagte Ryan, »wir könnten eine wichtige Information haben.« Jack saß am Telefon, und seine Hände, die er flach auf dem Tisch liegen hatte, waren so feucht, daß sie Spuren auf dem Resopal hinterließen, wie Goodley sah. Trotzdem bewunderte er Ryans Selbstbeherrschung.

»Und was wäre das?« versetzte Fowler schroff.

Auf diesen Ton hin ließ Ryan den Kopf sinken. »Sir, das FBI teilt uns gerade mit, daß es Daten über zwei, möglicherweise auch drei Personen in Denver hat, die wegen Terrorismus gesucht werden. Zwei sollen sich in einer Linienmaschine nach Mexiko befinden. Ich habe dort Leute, die versuchen werden, sie festzunehmen.«

 

»Moment mal«, sagte Fowler. »Wir wissen doch genau, daß das kein Terroranschlag war.«

»Ryan, hier General Fremont. Wie wurde diese Information gewonnen?«

»Alle Einzelheiten kenne ich nicht, aber es wurde ein Fahrzeug – ein Transporter - auf das Stadiongelände geschmuggelt. Man glich das Kennzeichen ab, stellte den Besitzer fest – dieser wurde tot aufgefunden – und machte die beiden anderen über die Fluggesellschaft ausfindig. Außerdem –«

»Halt!« Der CINC-SAC schnitt Ryan das Wort ab. »Was soll das? So etwas kann doch nur ein Überlebender vom Detonationspunkt wissen! Himmel noch mal, Mann, das war eine Waffe mit 100 KT –«

»Äh, General, das FBI meldet inzwischen 50 KT, und –«

»Das FBI?« redete Borstein von NORAD dazwischen. »Was verstehen die denn davon? Wie auch immer, selbst eine Waffe mit 50 KT ließe im Umkreis von einer Meile niemanden am Leben. Mr. President, diese Information kann nicht zuverlässig sein.«

 

»Mr. President, hier NMCC«, klang es über eine andere Leitung. »Es ging gerade ein Spruch aus Kodiak ein. Das sowjetische U-Boot greift USS Maine an. Torpedo im Wasser, Maine versucht Ausweichmanöver.«

Ein seltsames Geräusch, das Jack nicht identifizieren konnte, kam aus dem Lautsprecher.

»Sir«, sagte Fremont sofort, »das ist eine sehr bedrohliche Entwicklung.«

»Das ist mir klar, General«, sagte Fowler so leise, daß man ihn gerade noch verstehen konnte. »General – SNAPCOUNT.«

»Was, zum Teufel, ist das?« fragte Goodley leise.

»Mr. President, das wäre ein Irrtum. Uns liegen solide Informationen vor. Sie wollten welche haben, und wir haben sie geliefert!«« bellte Ryan und hätte beinahe wieder den Kopf verloren. Die Hände hatte er nun zu Fäusten geballt. Er kämpfte mit sich und gewann die Beherrschung wieder. »Sir, das ist ein wichtiger Hinweis.«

»Ryan, ich habe das Gefühl, daß Sie mich den ganzen Tag belogen und in die Irre geführt haben«, sagte Fowler in einer Stimme, die kaum noch menschlich klang. Die Verbindung wurde ein letztes Mal unterbrochen.

 

Der schärfste Alarm ging über Dutzende von Kanälen gleichzeitig heraus. Die Duplikation dieser Kanäle, ihre bekannte Funktion, die Kürze des Befehls und das identische Verschlüsselungsmuster verrieten den Sowjets viel, noch ehe ein abgefangenes Signal in ihre Computer eingegeben wurde. Als das eine Wort dechiffriert war, wurde es nur Sekunden später im Befehlsbunker des Kremls ausgedruckt. Golowko nahm den Bogen aus dem Gerät und sagte schlicht: »SNAPCOUNT.«

»Was bedeutet das?« fragte Präsident Narmonow.

»Das ist ein Codewort.« Golowko verkniff den Mund so heftig, daß seine Lippen weiß wurden. »Soviel ich weiß, ist das ein Begriff aus dem amerikanischen Football und bedeutet die Zurufe vor dem Anspiel.«

»Das verstehe ich nicht«, meinte Narmonow.

»Früher hieß das amerikanische Codewort für höchste strategische Bereitschaft COCKED PISTOL, entsicherte Pistole. Sehr eindeutig, nicht wahr?« Der stellvertretende Vorsitzende des KGB fuhr wie im Traum fort: »Für einen Amerikaner hat SNAPCOUNT die Bedeutung: Gleich geht’s los! Daraus kann ich nur schließen, daß –«

»Ja.«