26
Integration
Vor dem Zusammenbau wurden zusätzliche Instrumente gekauft. Einen ganzen Tag nahm die Montage eines schweren Blocks aus abgebranntem Uran innen an einem Ende der Bombenhülle in Anspruch.
»Ich weiß, das zieht sich hin«, sagte Fromm fast entschuldigend. »In Amerika und anderswo setzt man spezielle Einstellvorrichtungen und Werkzeuge ein und stellt Bomben einer Bauart praktisch am Fließband her; alles Vorteile, die wir nicht haben.«
»Dabei müssen wir genauso exakt arbeiten, Kommandant«, fügte Ghosn hinzu.
»Mein junger Freund hat recht. Die Gesetze der Physik sind überall gleich.«
»Dann lassen Sie sich von uns nicht aufhalten«, sagte Kati.
Fromm machte sich sofort wieder an die Arbeit. Während er insgeheim schon das versprochene Geld zählte, konzentrierte er sich gleichzeitig auf seine Aufgabe. An dem eigentlichen kernphysischen Teil der Waffe hatte nur die Hälfte der Maschinisten gearbeitet. Der Rest war voll mit der Herstellung von Teilen beschäftigt gewesen, die als Halterungen dienten. Sie bestanden aus Gründen der Festigkeit und Kompaktheit größtenteils aus Edelstahl, und die einzelnen Komponenten der Bombe wurden daran montiert. Da die Waffe komplexer war als die meisten Maschinen, mußten diese Teile in einer exakten Reihenfolge eingebaut werden. Selbst die Maschinisten waren verblüfft, daß alles zueinanderpaßte, und sie gestanden murmelnd ein, daß dieser Fromm – über seine wahre Identität hatten sie die wildesten Spekulationen angestellt – auf jeden Fall ein verdammt guter Ingenieur war. Am schwierigsten war der Einbau der verschiedenen Uranblöcke. Die Teile aus leichteren und weicheren Materialien ließen sich viel reibungsloser einpassen.
»Wann wird das Tritium umgefüllt?« fragte Ghosn.
»Ganz zuletzt natürlich«, erwiderte Fromm, der gerade eine Messung vorgenommen hatte.
»Wir erhitzen nur die Batterie, um das Gas freizusetzen?«
»Ja«, entgegnete Fromm und nickte. »Halt! So nicht!«
»Was habe ich falsch gemacht?«
»Sie müssen dieses Teil beim Einbau drehen«, sagte Fromm zu dem Maschinisten und führte ihm den Prozeß vor. »Sehen Sie, so geht das.«
»Ich verstehe. Vielen Dank.«
»Hier werden die elliptischen Reflektoren befestigt...«
»Ja, das weiß ich.«
»Dann ist’s ja gut.«
Fromm winkte Ghosn. »Kommen Sie mal rüber. Verstehen Sie jetzt, wie das funktioniert?« Fromm wies auf zwei Reihen hintereinander angeordneter elliptischer Scheiben – insgesamt waren es neunzehn, und jede bestand aus einem anderen Material. »Die Energie der Primärladung trifft auf diese Scheiben und zerstört sie nacheinander, aber dabei...«
»Ja, das Endprodukt ist immer anschaulicher als Zahlen und Gleichungen auf Papier.«
Dieser Teil der Waffe machte sich die Tatsache zunutze, daß Lichtwellen keine Masse haben, aber Bewegungsenergie tragen. Genaugenommen waren es gar keine »Licht«-Wellen, aber da die Energie nur in der Form von Photonen auftrat, blieb das Prinzip gültig. Die Energie würde jede elliptische Scheibe in Plasma verwandeln. Dabei aber leiteten die Scheiben einen kleinen, aber festen Prozentsatz der Energie in eine Richtung um, in die auch die Wucht der Primärladung zielte.
»Ihr Energiebudget ist üppig«, bemerkte Ghosn nicht zum ersten Mal.
Der Deutsche hob die Schultern. »Es darf auch nicht anders sein. Wer nicht testen kann, muß überdimensionieren. Die erste amerikanische Bombe – jene, die auf Hiroshima abgeworfen wurde – war eine ungetestete Konstruktion. Reine Materialverschwendung und ekelhaft ineffizient, aber überdimensioniert. Und sie funktionierte. Wenn wir uns ein ordentliches Testprogramm leisten könnten...« Ein richtiges Testprogramm hätte ihn in die Lage versetzt, Werte empirisch zu ermitteln, die erforderliche Energie und ihre Steuerung, das exakte Verhalten aller Komponenten – und dann jene zu verkleinern, die für die gestellte Aufgabe zu schwer oder zu groß waren. So hatten es die Amerikaner, Russen, Briten und Franzosen seit Jahrzehnten gehalten: ihre Konstruktionen unablässig verbessert, immer effizienter und damit kleiner, zuverlässiger und billiger gemacht. Der Bau einer solchen Bombe war die größte Herausforderung für einen Ingenieur, und er war dankbar, daß er sich an der Aufgabe versuchen durfte. Seine Konstruktion war primitiv, schwer und bestimmt kein Meisterstück, aber für ihn stand fest, daß sie funktionieren würde. Hätte er nur mehr Zeit gehabt, wäre sie viel besser ausgefallen ...
»Ich verstehe. Ein Mann Ihres Kalibers könnte die ganze Einheit auf die Größe eines Eimers reduzieren.«
Ein gewaltiges Kompliment. »Nett, Herr Ghosn, aber trauen Sie mir nicht zuviel zu. So weit verkleinern könnte ich die Bombe zwar nicht, aber immerhin so weit, daß sie in die Nase einer Rakete paßt.«
»Tja, wenn sich unsere irakischen Brüder nur mehr Zeit gelassen hätten ...«
»Wohl wahr, dann gäbe es jetzt kein Israel mehr. Aber die Iraker haben eben alles falsch angefangen.«
»Sie waren zu ungeduldig«, sagte Ibrahim und verfluchte sie insgeheim.
»An solche Dinge muß man kaltblütig und mit klarem Kopf herangehen. Entscheidungen dieser Art müssen auf Logik basieren und nicht auf Emotionen.«
»Genau.«
Achmed fühlte sich hundeelend. Er hatte sich Urlaub genommen, um auf Anweisung des Kommandanten dessen Arzt aufzusuchen. Arztbesuche hatte er bisher nach Möglichkeit vermieden. Er war im Gefecht gewesen und hatte Tote und Verwundete gesehen, war selbst aber immer unversehrt geblieben. Aber selbst eine Verletzung wäre ihm lieber gewesen als sein derzeitiger Zustand. Was Kugeln und Granaten anrichteten, konnte man verstehen, aber was hatte ihn so rasch und unerwartet krank gemacht?
Der Arzt hörte sich seine Beschwerden an, stellte ein paar kluge Fragen und notierte, daß Achmed rauchte – das trug dem Kämpfer ein Kopfschütteln und ein mißbilligendes Schnalzen ein, als ob die Zigaretten etwas mit seinem Zustand zu tun hätten. Was für ein Unsinn, dachte Achmed. Bin ich nicht bis vor kurzem sechs Kilometer am Tag gelaufen?
Nun kam die Untersuchung. Der Arzt setzte ihm ein Stethoskop auf die Brust und lauschte. Der Blick des Mediziners wurde zurückhaltend; Achmed fand, er sah aus wie ein mutiger Kämpfer, der seine Gefühle nicht verraten will.
»Einatmen«, befahl der Arzt. Achmed gehorchte. »So, und jetzt langsam ausatmen.«
Das Stethoskop wurde an einer anderen Stelle angesetzt. »Wieder einatmen.« Die Prozedur wurde an Brust und Rücken sechsmal wiederholt.
»Nun?« fragte Achmed, als die Untersuchung abgeschlossen war.
»Ich bin mir noch nicht sicher und möchte Sie zu einem Lungenspezialisten schicken.«
»Dafür habe ich keine Zeit.«
»Sie werden sich die Zeit nehmen, und wenn ich mit dem Kommandanten persönlich sprechen muß.«
Achmed verkniff sich ein Murren. »Meinetwegen.«
Es war bezeichnend für Ryans Verfassung, daß er von der nachlassenden Aufmerksamkeit seiner Frau ihm gegenüber keine Notiz nahm und sogar Erleichterung empfand. Es half, weil es entlastete. Vielleicht hatte sie eingesehen, daß er einfach nur für eine Weile in Ruhe gelassen werden wollte. Ich mach’ das wieder gut, nahm Jack sich vor, sobald ich in meinem Leben wieder Ordnung geschaffen habe. Dessen war er sich ganz sicher, und das redete er sich ein, obgleich ihn eine innere Stimme warnte, gegen die er sich jedoch verschloß. Er war bemüht, weniger zu trinken, aber da nun geringere Erwartungen an ihn gestellt wurden und er sich mehr Schlaf gönnen konnte, kam er zu dem Schluß, daß der Wein ein gutes Einschlafmittel war. Er nahm sich vor, im Frühling, wenn es wieder wärmer wurde, zu einem gesünderen Leben zurückzukehren. Ja, genau: Joggen. Er wollte in der Mittagspause mit den anderen Fitneß-Fanatikern die Straße an der Einfriedung des CIA-Komplexes entlanglaufen. Und Clark war dabei bestimmt ein guter Trainer. Clark war ein echter Kumpel, anders als Chavez, der unverschämt fit war und überhaupt kein Verständnis für Leute hatte, die sich nicht in Form hielten – zweifellos ein Relikt aus seiner Zeit bei der Infanterie. Nun, wenn er auf die Dreißig zugeht, dachte Ryan, wird er merken, daß jung sein irgendwann aufhört und daß es Grenzen gibt.
Weihnachten hätte auch harmonischer verlaufen können, überlegte er an seinem Schreibtisch. Das Fest war aber auf die Wochenmitte gefallen, und das bedeutete, daß die Kinder zwei Wochen schulfrei hatten. Es bedeutete außerdem, daß Cathy ein paar Tage in der Klinik versäumte, und das fiel ihr schwer, denn sosehr sie ihre Kinder liebte, so sehr liebte sie ihre Arbeit. Eigentlich ist es ihr gegenüber unfair, gestand Ryan ein. Auch sie hatte einen anspruchsvollen Beruf, mußte aber die ganze Last der Kindererziehung tragen, weil er nie von seiner Arbeit loskam. Andererseits aber gab es Tausende von Augenchirurgen und ein paar hundert Professoren für Opthalmologie, aber nur einen DDCI, und da lag der Hase im Pfeffer. Vielleicht nicht fair, aber einfach nicht von der Hand zu weisen.
Die Situation wäre erträglicher, wenn ich wenigstens etwas bewirken könnte, sagte sich Ryan. Es war ein Fehler gewesen, Elizabeth Elliot mit diesem Journalisten reden zu lassen, aber von Cabot hatte Jack nichts anderes erwartet. Der Mann war eine Drohne. Er genoß das Prestige, das mit seiner Stellung einherging, aber er tat einfach nichts. Ryan bekam die meiste Arbeit aufgebürdet, ohne die Lorbeeren zu ernten, und wenn etwas schiefging, war er an allem schuld. Nun, vielleicht änderte sich das bald. Er hatte die Steuerung der Aktion in Mexiko vom Direktorat Operationen abgezogen und selbst übernommen und war entschlossen, einen eventuellen Erfolg für sich zu beanspruchen. Vielleicht liefen die Dinge dann besser. Er nahm die Akte der Operation heraus und beschloß, sie in allen Einzelheiten durchzugehen und auf jede denkbare Eventualität zu überprüfen. Der Plan mußte klappen, und dann hatte das Weiße Haus ihm Respekt zu zollen.
»Du gehst jetzt sofort in dein Zimmer!« keifte Cathy den kleinen Jack an. Das war ein Befehl und ein Eingeständnis ihres Versagens zugleich. Dann ging sie mit Tränen in den Augen aus dem Zimmer. Sie benahm sich dumm, schrie ihre Kinder an, anstatt ihren Mann mit ihrem Verdacht zu konfrontieren. Aber wie sollte sie ihn zur Rede stellen? Was sollte sie sagen? Und was, wenn er wirklich eine Geliebte hatte? Was sollte dann werden? Sie redete sich immer wieder ein, so etwas sei unmöglich, aber die Indizien waren nicht von der Hand zu weisen. Sie dachte stolz an den Tag, an dem er sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um sie und die Kinder zu schützen. Sie hatte entsetzliche Angst und eine zugeschnürte Kehle gehabt damals am Strand, als ihr Mann den Bewaffneten entgegengegangen war. Wie konnte jemand, der das getan hatte, seine Frau betrügen? Cathy verstand die Welt nicht mehr.
Doch welche andere Erklärung konnte es geben? Fand er sie nicht mehr aufregend? Und wenn es so war, warum? Sah sie nicht hübsch genug aus? Tat sie nicht alles, was eine Frau tun kann? Die Abweisung an sich war schon schlimm genug, aber die Vorstellung, daß er seine Kräfte, seine Potenz für eine Unbekannte aufsparte, die billiges Parfüm trug, war unerträglich.
Sie mußte ihn zur Rede stellen und die Wahrheit herausfinden.
Aber wie? Das war die Frage. Konnte sie den Fall mit einem Kollegen besprechen, einem Psychiater vielleicht?
Und riskieren, daß die Sache herauskam, an die Öffentlichkeit ging? Professor Caroline Ryan, die attraktive, intelligente Cathy, konnte nicht einmal ihren Ehemann halten? Was sie wohl falsch gemacht hat? würden ihre Freundinnen und Freunde hinter ihrem Rücken wispern. Gewiß, würden sie sagen, es könne nicht ihre Schuld gewesen sein. Später dann würde man zu spekulieren beginnen, was sie anders gemacht haben könnte, warum sie die Signale nicht erkannt hatte, denn am Scheitern einer Ehe sei ja selten nur einer schuld, und Jack Ryan wirke eigentlich treu. Dann bin ich in der beschämendsten Lage meines Lebens, dachte sie und vergaß für den Augenblick, daß sie viel Schlimmeres durchgemacht hatte.
Trotzdem, das Ganze machte keinen Sinn. Nur wußte sie nicht, was sie unternehmen konnte; fest stand nur, daß Nichtstun wohl der ungünstigste Kurs war. Saß sie in einer Falle? Hatte sie überhaupt Optionen?
»Mama, was ist?« fragte Sally mit ihrer Barbie in der Hand.
»Nichts, mein Herz. Laß mich mal einen Augenblick in Frieden, ja?«
»Jack sagt, es tut ihm leid, und er will wieder raus.«
»Meinetwegen, wenn er verspricht, brav zu sein.«
»Toll!« Sally rannte aus dem Zimmer.
War die Lösung so einfach? Cathy war überhaupt nicht nachtragend. Konnte sie Jack auch das verzeihen? Vergeben wollte sie ihm im Grunde nicht. Schließlich ging es nicht nur um ihren Stolz, sondern auch um die Kinder, die einen Vater brauchten, ob er sie nun vernachlässigte oder nicht. Ist mein Stolz wichtiger als ihre Bedürfnisse? Andererseits: In welcher Atmosphäre wuchsen sie auf, wenn die Eltern sich nicht vertrugen? Waren solche Spannungen nicht noch destruktiver? Schließlich konnte sie immer wieder...
... jemanden finden wie Jack?
Sie begann wieder zu weinen. Sie weinte über sich, ihre Unfähigkeit, eine Entscheidung zu treffen, ihren Schmerz. Doch diese Tränen lösten das Problem nicht, sondern machten alles noch schlimmer. Einerseits wollte sie ihn nicht mehr haben. Andererseits wollte sie ihn zurück. Was nur sollte sie tun?
»Ihnen ist natürlich klar, daß das streng vertraulich ist«, sagte der Ermittlungsbeamte in einem Ton, der nicht Frage, sondern Befehl war. Der Mann vor ihm war klein und untersetzt und hatte weiche rosa Hände. Der Bismarckschnauzer sollte ihn wohl männlicher wirken lassen. In Wirklichkeit sah er ganz und gar nicht beeindruckend aus, bis man genauer auf sein Gesicht achtete. Seinen dunklen Augen entging nichts.
»Als Arzt bin ich an vertrauliche Dinge gewöhnt«, versetzte Bernie Katz und reichte den Dienstausweis zurück. »Machen Sie es kurz. Meine Visite beginnt in zwanzig Minuten.«
Der Ermittlungsbeamte glaubte, daß seinem Fall eine gewisse Eleganz immanent war, aber ganz billigen konnte er ihn nicht. Ehebruch war nämlich keine Straftat, wenngleich er die Zulassung eines Mannes zu hohen Geheimhaltungsstufen verhinderte. Wenn jemand ein Versprechen brach, das er in der Kirche gegeben hatte, mochte er auch nicht halten, was er nur auf Papier gelobt hatte.
Bernie Katz lehnte sich zurück und brachte alle Geduld auf, die er hatte, und davon hatte er wenig. Als Chirurg war er gewohnt, seine eigenen Entscheidungen zu treffen und nicht auf andere zu warten. Er schaukelte auf seinem Stuhl und zwirbelte seinen Schnauzer.
»Wie gut kennen Sie Dr. Caroline Ryan?«
»Cathy? Seit elf Jahren arbeite ich mit ihr ab und an zusammen.«
»Was können Sie mir über sie sagen?«
»Sie ist eine erstklassige Chirurgin mit außergewöhnlicher Urteilsfähigkeit und großem Geschick. Eine unserer besten Lehrkräfte. Wir sind befreundet. Worum geht es hier?«
Katz sah den Besucher aus schmalen Augen an.
»Hier stelle ich die Fragen.«
»Ist mir auch schon aufgefallen. Dann fragen Sie mal weiter«, sagte Katz kalt und beobachtete Körpersprache, Mienenspiel und Auftreten des Mannes. Was er sah, mißfiel ihm.
»Hat sie in letzter Zeit Hinweise auf häusliche Probleme gegeben?«
»Ihnen ist hoffentlich klar, daß meine Äußerungen als Arzt der Schweigepflicht unterliegen.«
»Ist Cathy Ryan bei Ihnen in Behandlung?«
»Ich habe sie früher untersucht. Das tun wir hier alle.«
»Sind Sie Psychiater?«
Katz’ Antwort war fast ein Grollen. Wie die meisten Chirurgen war er reizbar. »Überflüssige Frage.«
Der Ermittler schaute von seinen Notizen auf und bemerkte in sachlichem Ton: »In diesem Fall findet die Schweigepflicht keine Anwendung. Würden Sie nun bitte meine Frage beantworten?«
»Nein.«
»Was soll das heißen: nein?«
»Nein, sie hat meines Wissens keine derartigen Hinweise gegeben.«
»Auch keine Bemerkungen über ihren Mann gemacht, über Veränderungen in seinem Verhalten?«
»Nein. Ich kenne Jack recht gut und mag ihn. Er ist offenbar ein guter Ehemann. Das Paar hat zwei prächtige Kinder, und Sie wissen ja, was der Familie vor ein paar Jahren zustieß.«
»Sicher, aber Menschen können sich ändern.«
»Die Ryans nicht.« Katz’ Kommmentar hatte die Endgültigkeit eines Todesurteils.
»Sie scheinen sehr sicher zu sein.«
»Ich bin Arzt und lebe von meiner Urteilskraft. Was Sie da unterstellen, ist Quatsch.«
»Ich unterstelle gar nichts«, log der Ermittler, der wußte, daß Katz ihn durchschaute. Er hatte den Mann von Anfang an richtig eingeschätzt. Katz war ein hitzköpfiger, leidenschaftlicher Mensch, der keine Geheimnisse wahrte, die er für überflüssig hielt. Vermutlich war er auch ein erstklassiger Arzt.
»Ich kehre zu meiner ersten Frage zurück. Hat Caroline Ryans Verhalten sich irgendwie geändert – seit letztem Jahr, sagen wir einmal?«
»Sie ist ein Jahr älter geworden. Die Ryans haben Kinder, die größer werden, und Kinder sind manchmal eine Last. Ich habe selber welche. Nun ja, sie hat ein wenig zugenommen – steht ihr nicht schlecht, bisher wollte sie eher zu mager sein –, und sie wirkt auch zu erschöpft. Nun, ihr Weg zur Arbeit ist weit, und die Arbeit hier ist hart, besonders für Mütter mit kleinen Kindern.«
»Und das ist Ihrer Auffassung nach alles?«
»Hören Sie, ich bin Augenarzt und kein Eheberater. Therapie fällt nicht in mein Fachgebiet.«
»Eheberater? Warum sagen Sie das? Habe ich so etwas erwähnt?«
Gerissener Hund, dachte Katz und ließ seinen Schnauzer los. Vielleicht ist er Diplompsychologe... nein, eher Autodidakt. Polizisten sind gute Menschenkenner. Hat dieser Kerl auch mich durchschaut?
»Mit ›häuslichen Problemen‹ sind bei Verheirateten allgemein Ehekrisen gemeint«, sagte Katz langsam. »Nein, Hinweise darauf hat sie nicht gegeben.«
»Sind Sie sicher?«
»Absolut sicher.«
»Gut, dann vielen Dank, Dr. Katz. Tut mir leid, Sie belästigt zu haben.« Er reichte Katz eine Karte. »Sollten Sie etwas in dieser Richtung erfahren, wäre ich dankbar, wenn Sie mich verständigten.«
»Was geht hier eigentlich vor?« fragte Katz. »Wenn Sie an meiner Unterstützung interessiert sind, erwarte ich eine Antwort auf meine Frage. Zum Spaß spioniere ich nämlich anderen Leuten nicht nach.«
»Mr. Ryan hat eine sehr hohe Stellung in der Regierung. Aus Gründen der nationalen Sicherheit behalten wir solche Leute routinemäßig im Auge. Ist das bei Ihnen anders? Ergreifen Sie etwa keine Maßnahmen, wenn ein Chirurg mit einer Alkoholfahne zur Arbeit kommt?«
»So etwas gibt es bei uns nicht«, versicherte Katz.
»Aber wenn es vorkäme, würden Sie es doch nicht übersehen.«
»Ganz bestimmt nicht.«
»Das hört man gern. Wie Sie wissen, hat Dr. Ryan Zugang zu streng geheimen Informationen. Es wäre unverantwortlich von uns, solche Leute nicht zu überwachen. Und hier geht es um eine hochsensitive Angelegenheit, Dr. Katz.«
»Das ist mir inzwischen klar.«
»Wir haben den Verdacht, daß Dr. Ryans Verhalten... irregulär ist. Und dem müssen wir nachgehen. Verstehen Sie das? Wir sind dazu gezwungen.«
»Gut, das sehe ich ein.«
»Und um mehr geht es uns nicht.«
»Na gut.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung, Sir.« Der Ermittlungsbeamte gab Katz die Hand und ging.
Katz errötete erst, als der Mann fort war. Im Grunde genommen kannte er Jack gar nicht so gut. Sie hatten sich fünf- oder sechsmal auf Parties getroffen, ein paar Witze gerissen und über das Wetter, Baseball oder internationale Politik geredet. Dabei hatte sich Jack nie unter dem Vorwand der Geheimhaltung um eine Antwort gedrückt. Eigentlich ein angenehmer Mensch, dachte Katz. Und allem Anschein nach ein guter Vater. Aber richtig kennen tue ich ihn nicht.
Cathy hingegen kannte er besser als seine anderen Kollegen, und er hielt sie für einen wunderbaren Menschen. Sie war eine von den drei Medizinern, denen er im Falle einer Operation seine Kinder anvertraut hätte, und das war das höchste Kompliment, das er zollen konnte. Sie halfen sich gegenseitig bei Fällen und Eingriffen. Wenn einer Rat suchte, wandte er sich an den anderen. Sie waren gute Freunde und Kollegen. Sollten sie jemals beschließen, das Institut zu verlassen, würden sie gemeinsam eine Praxis eröffnen; eine Partnerschaft unter Medizinern ist schwerer intakt zu halten als eine gute Ehe. Hätte ich Chancen gehabt, hätte ich sie sogar geheiratet, dachte Katz. Es wäre mir nicht schwergefallen, sie zu lieben. Sie mußte eine gute Mutter sein. Unter ihren Patienten waren überdurchschnittlich viele Kinder, denn sie hatte kleine, zierliche und überaus geschickte Hände und überschüttete die Kleinen mit Aufmerksamkeit. Aus diesem Grund war sie beim Pflegepersonal sehr beliebt. Und nicht nur dort, nein, sie war überall beliebt. Ihr Operationsteam stand fest zu ihr. Eine bessere Ärztin als Cathy konnte man sich nicht vorstellen.
Häusliche Probleme? dachte Katz. Jack hintergeht sie und tut ihr weh?
»Dreckskerl!« zischte er.
Er hatte sich wieder einmal verspätet, wie Cathy feststellte; diesmal war es nach neun. Konnte er denn nie zu einer anständigen Zeit nach Hause kommen?
Wenn es so war, was steckte dahinter?
Sie hätte beinahe wieder zu weinen angefangen.
Cathy saß wieder in ihrem Sessel, als Jack auf dem Weg zur Küche durchs Zimmer kam. Ihm fiel weder ihr Blick noch ihr Schweigen auf. Sie blieb sitzen und nahm das Fernsehbild, auf das sie starrte, überhaupt nicht wahr. Ihr Verstand quälte sich an dem Rätsel, ohne eine Antwort zu finden, und rührte nur noch mehr Wut auf.
Wenn sie ihre Ehe retten wollte, brauchte sie Rat. Sie spürte, wie Enttäuschung und Zorn Vernunft und Liebe verdrängten. Das war ungut, und sie wußte, daß sie sich dagegen wehren sollte, aber der Zorn fachte sich immer wieder von neuem an. Cathy ging leise in die Küche und goß sich ein Glas ein. Morgen war kein Eingriff angesetzt; ein Drink konnte also nicht schaden. Wieder warf sie einen Blick hinüber zu ihrem Mann, und wieder nahm er keine Notiz. Warum sieht er mich nicht? fragte sie sich verzweifelt. Sie hatte so viele Kompromisse gemacht. Gewiß, die Zeit in England und im Guy’s Hospital war angenehm gewesen und hatte ihre Stellung in Amerika nicht gefährdet. Aber diese ganzen anderen Aktionen – Jack war einfach zu oft nicht da! Das dauernde Pendeln zwischen Washington und Moskau zu der Zeit, als er an den Abrüstungsverhandlungen beteiligt war. Da hatte er Spion oder sonst was gespielt und sie zu Hause mit den Kindern sitzengelassen. Zwei wichtige Operationen hatte sie sausenlassen und Bernie zuschieben müssen, weil kein Babysitter aufzutreiben gewesen war.
Und was hatte Jack damals getrieben? Früher hatte sie akzeptiert, daß sie sich nach seinen Aktivitäten noch nicht einmal erkundigen durfte. Was hatte er in Wirklichkeit getan? Sich über sie kaputtgelacht, sich ein kleines Abenteuer mit einer heißblütigen Agentin geleistet? Wie im Film? Hatte er sich an einem exotischen Ort in einer diskreten, schummrigen Bar mit einer Agentin getroffen, und hatte dann eins zum anderen geführt...?
Cathy setzte sich wieder vor den Fernseher und trank einen Schluck. Beinahe hätte sie alles wieder ausgespuckt, denn an Bourbon pur war sie nicht gewöhnt.
Hier ist irgendwie alles falsch.
In ihr schien ein Krieg zwischen den Kräften des Guten und des Bösen zu wüten – oder kämpfte der Realitätssinn mit der Naivität? Sie war zu verwirrt, um zu einem Urteil zu gelangen.
Nun, heute abend war die Sache nicht so wichtig. Sie hatte ihre Tage, und wenn Jack wollte, was sie für unwahrscheinlich hielt, würde sie nein sagen. Warum sollte er überhaupt etwas von ihr wollen, wo er sich sein Vergnügen doch anderswo verschaffte? Und warum sollte sie einverstanden sein? Warum die zweite Geige spielen?
Diesmal trank sie behutsamer.
Ich muß mich bei jemandem aussprechen, dachte sie. Aber bei wem?
Vielleicht Bernie, entschied sie. Ihm vertraute sie. In zwei Tagen, wenn sie wieder arbeitete.
»Und damit wären die Vorarbeiten erledigt.«
»Genau, Boß«, erwiderte der Trainer. »Wie steht’s im Pentagon, Dennis?«
»So viel Spaß wie Sie habe ich nicht, Paul.«
»Na ja, Sie haben’s ja so gewollt. Verantwortung oder Vergnügen?«
»Sind die Jungs alle in Form?«
»Klar! Wir stehen prächtig da, und ich warte nur darauf, es den Vikings noch einmal zu zeigen.«
»Ich auch«, sagte Bunker in seinem Büro im E-Ring. »Können wir Tony Wills diesmal wirklich stoppen?«
»Versuchen wir’s. Ist der Junge nicht klasse? So einen Stürmer habe ich seit Gayle Sayers nicht mehr erlebt. Ein hartes Stück Arbeit, gegen ihn Defensive zu spielen.«
»Denken wir nicht zu weit voraus. In ein paar Wochen will ich in Denver sitzen.«
»Wir gehen sie einen nach dem anderen an, Dennis. Es steht nur noch nicht fest, wer unser Gegner ist. Mir wäre Los Angeles am liebsten. Mit denen werden wir leicht fertig«, meinte der Trainer. »Und anschließend treten wir wohl in der Divisions-Endrunde gegen Miami an. Das ist eine stärkere Mannschaft, aber wir schaffen es bestimmt.«
»Das glaube ich auch.«
»Ich habe ihre Spiele auf Band und kann sie analysieren.«
»Gut. Vergessen Sie nicht: einen nach dem anderen. Aber wir brauchen drei Siege.«
»Sagen Sie dem Präsidenten, er soll nach Denver kommen und uns dort erleben. Das ist San Diegos Jahr. Die Chargers kommen ins Endspiel.«
Dubinin sah das Wasser ins Trockendock fluten, als die Schleusen geöffnet wurden. Die Admiral Lunin war fertig. Das neue Schleppsonar war in seinem tropfenförmigen Gehäuse über dem Ruderschaft aufgerollt. Die siebenschauflige Schraube aus Manganbronze war inspiziert und poliert, der Rumpf wieder wasserdicht gemacht worden. Das U-Boot war seeklar.
Die Mannschaft war es auch. Dubinin hatte sich achtzehn Wehrpflichtiger entledigt und an ihrer Stelle achtzehn Offiziere an Bord geholt. Die radikale Verkleinerung der sowjetischen Unterseebootflotte hatte viele Offiziere ihren Posten gekostet. Es wäre ein Jammer gewesen, dieses gut ausgebildete Personal zurück ins Privatleben und in eine Privatwirtschaft zu schicken, in der es kaum Arbeitsplätze gab. So hatte man sie umgeschult und als technische Experten auf den verbliebenen Booten untergebracht. Die Sonarabteilung war nun fast ausschließlich von Offizieren bemannt – bei der Wartung sollten zwei mitschmani helfen –, die allesamt Spezialisten waren. Erstaunlicherweise wurde kaum gemurrt. Die Unterkünfte der Akula-Klasse waren für sowjetische Verhältnisse recht komfortabel. Wichtiger aber war, daß die neuen Offiziere voll über den Einsatzbefehl und die Leistung des Bootes auf der vorhergegangenen Fahrt informiert worden waren. Diesen Trick zu wiederholen appellierte an ihren Sportsgeist. Ein strategisches Boot zu orten war die größte Herausforderung für einen U-Boot-Fahrer. Dafür waren alle bereit, ihr Bestes zu geben.
Dubinin ebenfalls. Er hatte bei Kollegen alte Schulden eingetrieben und dem Schiffbaumeister so lange in den Ohren gelegen, bis die Generalüberholung ein Wunder an Perfektion war. Man hatte Matratzen und Bettzeug erneuert, das Schiff geschrubbt wie einen Operationssaal und mit hellen, freundlichen Farben gestrichen. Dubinin hatte den Versorgungsoffizieren den besten Proviant abgeschwatzt, denn eine gutverpflegte Mannschaft war gut gelaunt und arbeitete gern unter einem Kommandanten, der sich für sie einsetzte. Dies reflektierte den neuen professionellen Geist in der sowjetischen Marine. Valentin Borissowitsch hatte sein Handwerk beim besten Lehrer der Marine gelernt und war entschlossen, der neue Marko Ramius zu werden. Er hatte das beste Boot, die beste Mannschaft und wollte unbedingt auf dieser Fahrt neue Maßstäbe für die sowjetische Pazifikflotte setzen.
Glück mußte er natürlich auch haben.
»So, jetzt sind alle Komponenten bereit«, sagte Fromm. »Von nun an...«
»Beginnen wir mit der Endmontage. Wie ich sehe, haben Sie die Konstruktion etwas modifiziert.«
»Ja, wir haben jetzt zwei Tritiumreservoirs. Kürzere Einspritzleitungen sind mir lieber. Mechanisch macht die Änderung keinen Unterschied. Der exakte Zeitpunkt ist nicht kritisch, und das Drucksystem stellt sicher, daß alles richtig funktioniert.«
»Es war bestimmt auch Ihre Absicht, das Einfüllen des Tritiums zu vereinfachen.«
»Korrekt, Herr Ghosn.«
Wenn Ghosn in die Bombe hineinschaute, fühlte er sich an ein zur Hälfte montiertes außerirdisches Raumschiff erinnert: komplexe und hochpräzise Teile wie aus einem Flugzeug, aber seltsam und verwirrend konfiguriert. Wie im Science-fiction-Film, dachte Ghosn... aber bis vor kurzem war diese Technologie ja auch Zukunftsmusik gewesen. Hatte nicht H. G. Wells nukleare Waffen erstmals öffentlich erwähnt? Das war noch gar nicht so lange her.
»Kommandant, ich war bei Ihrem Doktor«, sagte Achmed aus der Ecke.
»Sie sehen aber immer noch krank aus, mein Freund«, bemerkte Kati. »Was fehlt Ihnen?«
»Er will mich zu einem anderen Arzt in Damaskus schicken.«
Das gefiel Kati nun überhaupt nicht. Aber Achmed hatte der Bewegung seit Jahren gedient und ihm zweimal das Leben gerettet. Wie konnte er ihm dann einen Arztbesuch verbieten?
»Sie wissen, was wir hier tun...«
»Kommandant, eher sterbe ich, als daß ich auch nur ein Wort über diese Werkstatt sage. Ich verstehe dieses... Projekt zwar nicht, aber ich schweige.«
An dem Mann war nicht zu zweifeln, und Kati konnte gut nachempfinden, wie einem jungen, schwerkranken Menschen zumute sein mußte. Schließlich ging er selbst ja auch regelmäßig zum Arzt. Was würden die Männer denken, wenn er Achmeds Bitte abschlug?
»Ich suche zwei Männer aus, die Sie begleiten.«
»Vielen Dank, Kommandant. Verzeihen Sie meine Schwäche.«
»Schwäche?« Kati packte den Mann an der Schulter. »Sie sind unser Stärkster! Werden Sie bloß wieder gesund, denn wir brauchen Sie! Morgen fahren Sie nach Damaskus.«
Achmed nickte und zog sich beschämt an seinen Platz zurück. Daß der Kommandant todkrank war, wußte er. Den häufigen Arztbesuchen nach zu urteilen, mußte es Krebs sein. Was immer es war, der Kommandant tat weiter seine Pflicht. Achmed bewunderte seinen Mut.
»Machen wir für heute Schluß?« fragte Ghosn.
Fromm schüttelte den Kopf. »Nein, setzen wir noch ein, zwei Stunden lang Sprengstoffplatten zusammen. Wir sollten sie wenigstens zum Teil an Ort und Stelle haben, ehe wir zu müde werden.« Beide schauten auf, als Kati zu ihnen trat.
»Läuft alles noch nach Plan?«
»Herr Kati, wir werden einen Tag früher als vorgesehen fertig. Ibrahim hat bei seiner Arbeit am Sprengstoff diesen Vorsprung herausgeholt.« Der Deutsche hielt eine kleine sechseckige Platte hoch. Der Zünder, von dem Kabel baumelten, war bereits eingesetzt. Fromm schaute die beiden anderen an, bückte sich dann und paßte das Teil ein. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß es richtig saß, befestigte er einen numerierten Anhänger am Kabel und legte es in eine mehrfach unterteilte Kunststoffschale. Ghosn schloß das Kabel an eine Klemme an, deren Bezeichnung der Nummer auf dem Anhänger entsprach. Das Ganze dauerte vier Minuten. Die Elektrik war bereits getestet worden. Eine nochmalige Prüfung unter Spannung war ausgeschlossen, denn das erste Teil der Bombe war nun scharf.