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Manöver

Die seit dem 18. Jahrhundert in fast unveränderter Form praktizierte Zeremonie der Kommandoübergabe bei der Navy ging planmäßig um 11.24 Uhr zu Ende. Sie war zwei Wochen früher als erwartet abgehalten worden, damit der scheidende Kommandant den ungeliebten Dienst im Pentagon rascher aufnehmen konnte. Captain Jim Rosselli hatte die USS Maine durch die letzten achtzehn Monate der Bauzeit bei der General Electrics-Tochter Electric Boat Division in Groton, Connecticut, gebracht, hatte den Stapellauf und die Endausstattung überwacht, die Werft- und Abnahmeprüfungen, die Indienststellung, die diversen Probeläufe, ein Raketen-Übungsschießen vor Port Canaveral, und war dann mit dem riesigen Boot durch den Panamakanal zu dem Stützpunkt Bangor im Staate Washington gefahren. Seine letzte Aufgabe, mit der USS Maine die erste Abschreckungspatrouille im Golf von Alaska durchzuführen, war erledigt, und er hatte nun, vier Tage nach dem Einlaufen, das Boot an Captain Harry Ricks, seine Ablösung, zu übergeben. Ganz so einfach war die Prozedur aber nicht. Raketen-U-Boote hatten schon seit der Indienststellung des ersten Typs dieser Art, der inzwischen längst verschrotteten und recycelten USS George Washington, zwei komplette Besatzungen, die »Blau« und »Gold« hießen. Die strategischen Boote konnten länger in See bleiben, wenn die Mannschaften sich ablösten. Das war zwar teurer, aber auch effizienter. Die strategischen U-Boote der Ohio-Klasse verbrachten im Durchschnitt zwei Drittel des Jahres in See, und zwar auf jeweils siebzigtägigen Patrouillenfahrten, gefolgt von einer fünfundzwanzigtägigen Wartungsperiode. Rosselli übergab also Ricks und seiner Mannschaft »Blau«, die »Gold« ablöste und nun auf Patrouille ging, das gigantische U-Boot.

Nach der Zeremonie zog Rosselli sich in seine Kajüte zurück. Als erstem scheidendem Kommandanten des Bootes standen ihm traditionell bestimmte Souvenirs zu, darunter aus dem Teakholz des Decks gebohrte Cribbage-Stifte. Daß der Skipper nach einem einzigen erfolglosen Versuch nie wieder Cribbage gespielt hatte, tat nichts zur Sache. Diese Traditionen stammten zwar nicht ganz aus dem 18. Jahrhundert, waren aber ebenso unverrückbar. Er konnte nun seiner Sammlung eine goldbestickte Schildmütze, eine Plakette mit dem Namen des Bootes, ein von der ganzen Mannschaft unterschriebenes Erinnerungsfoto und diverse Geschenke von Electric Boat einverleiben.

»Verdammt, so was hab’ ich mir schon immer gewünscht«, murrte Ricks.

»Tja, das sind hübsche Stücke«, erwiderte Rosselli mit einem wehmütigen Lächeln. Nur die allerbesten Offiziere bekamen einen Auftrag dieser Art. Unter seinem Befehl hatte das Jagd-U-Boot USS Honolulu den Ruf eines erfolgreichen und »glücklichen« Schiffes bekommen. Anschließend hatte man ihm die Besatzung »Gold« der USS Tecumseh anvertraut, und auch hier hatte er geglänzt. Dieses dritte und zugleich ungewöhnlichste Kommando war notwendigerweise kürzer gewesen als die üblichen zweieinhalb Jahre. Er hatte den Schiffbauern in Groton auf die Finger gesehen und das Boot für die beiden ersten richtigen Besatzungen klar zum Einsatz gemacht. Wie lange fuhr es nun schon? So um die hundert Tage. Gerade lange genug für ihn, um die Maine in den Griff zu bekommen.

»Machen Sie sich’s doch nicht so schwer, Rosey«, sagte der Geschwaderkommandant, Captain (bald Konteradmiral) Bart Mancuso.

Rosselli bemühte sich um einen heiteren Tonfall. »Hören Sie, Bart, unter uns Italienern: Ein bißchen Mitleid wäre angebracht.«

»Ich weiß, Sie sind un brave. Der Abschied fällt schwer.«

Rosselli wandte sich an Ricks. »Sie bekommen die beste Crew, die ich jemals hatte. Aus dem IA wird einmal ein großartiger Skipper, wenn er soweit ist. Das Boot ist perfekt in Schuß, alles funktioniert. Die Wartungsperiode ist reine Zeitverschwendung. Nur der Anrichteraum der Offiziersmesse ist nicht richtig verkabelt; da hat jemand von der Werft geschlampt und die Schalter nicht richtig etikettiert. Der Bordelektriker wird das in Ordnung bringen. Ansonsten klappt alles.«

»Und der Reaktor?«

»Mannschaft und Gerät haben bei der Sicherheitsinspektion volle vier Punkte bekommen.«

Ricks nickte. Vier Punkte, das war so gut wie perfekt und für die Männer von den Atom-U-Booten so etwas wie der Heilige Gral.

»Sonar?«

»Wir bekamen das neue Modell vor seiner allgemeinen Einführung und haben somit die beste Ausrüstung der ganzen Flotte. Kurz vor der Indienststellung habe ich mit SubGru 2 etwas arrangiert, unter anderem mit einem alten Kameraden, Bart – Dr. Ron Jones. Er arbeitet bei Sonosystems und fuhr sogar eine Woche bei uns mit. Der Strahlenweg-Analysator ist die reinste Magie. Die Reaktionszeit der Torpedomannschaft ließe sich noch um dreißig Sekunden drücken. Der ganze Verein ist relativ jung, der Chief eingeschlossen, und muß sich erst noch einspielen, arbeitet aber insgesamt kaum langsamer als mein Team auf der Tecumseh. Wenn ich ein bißchen mehr Zeit hätte, wäre die Truppe bald ganz auf Draht.«

»Kein Problem«, merkte Ricks phlegmatisch an. »Ich muß ja was zu tun haben, Jim. Wie viele Kontakte hatten Sie auf der ersten Fahrt?«

»Nur ein Boot der Akula-Klasse, die Admiral Lunin, die wir dreimal orteten, jeweils über 60 000 Meter. Und der Russe hatte keine Ahnung, hielt kein eines Mal auf uns zu. Einmal hatten wir ihn 16 Stunden lang. Die Wasserverhältnisse waren günstig, und da, tja –« Rosseli lächelte- »da hab’ ich ihn eben verfolgt, nur so aus Gewohnheit.«

»Sie sind und bleiben ein Jäger«, meinte Ricks und grinste. Er hatte seine ganze Karriere auf strategischen Booten verbracht und mißbilligte Rossellis unkonventionelles Manöver, wollte aber die Atmosphäre nicht durch Kritik verderben.

»Erstklassig fand ich Ihr Profil des Akula«, bemerkte Mancuso, um zu zeigen, daß ihn Rossellis Entscheidung nicht im geringsten gestört hatte. »Ein gutes Boot, nicht wahr?«

»Das Akula ist vorzüglich, aber nicht gut genug«, sagte Rosselli. »Aufzuregen brauchen wir uns erst, wenn es uns gelingt, diese Dinger zu verfolgen. Ich habe das einmal mit der Honolulu gegen die Alabama unter Richie Seitz versucht und fiel prompt herein – zum ersten und einzigen Mal. Höchstens Gott findet ein Ohio – wenn Er einen guten Tag hat.«

Rosselli meinte das ernst. Die Raketen-U-Boote der Ohio-Klasse waren superleise; ihr Betriebsgeräusch lag unter dem Geräuschpegel des Ozeans und war wie ein Flüstern in einem Rockkonzert. Um sie überhaupt zu vernehmen, mußte man unglaublich dicht herankommen, und um das zu verhindern, waren die Ohios mit den bestentwickelten Sonargeräten ausgerüstet. Mit dieser Klasse hatte die Navy einen Volltreffer gelandet. Im Originalvertrag war eine Höchstgeschwindigkeit von 26 bis 27 Knoten gefordert worden; das erste Ohio aber lief 28,5. Maine, mit einem neuen und sehr glatten Superpolymer-Anstrich versehen, schaffte bei den ersten Versuchsfahrten 29,1. Die siebenschauflige Schraube erlaubte eine Geschwindigkeit von fast zwanzig Knoten ohne jedes Kavitationsgeräusch, und der Reaktor, der in fast allen Betriebsarten nach dem Konvektionsprinzip gekühlt wurde, brauchte keine geräuschvolle Umlaufpumpe. Die geradezu besessen auf Geräuschkontrolle bedachte Navy hatte mit dieser Klasse ein Spitzenprodukt geschaffen. Selbst die Messer des Mixers in der Kombüse waren vinylbeschichtet, um metallisches Klappern zu vermeiden. Das Ohio war der Rolls-Royce unter den U-Booten.

Rosselli wandte sich an Ricks. »So, jetzt gehört sie Ihnen, Harry.«

»Niemand hätte sie besser vorbereiten können, Jim. Gehen wir ins Kasino; ich spendiere ein Bier.«

»Gut«, erwiderte der Exkommandant mit belegter Stimme. Die Mannschaft hatte Aufstellung genommen und drückte ihm auf dem Weg von Bord ein letztes Mal die Hand. An der Turmleiter hatte Rosselli Tränen in den Augen. Als er übers Vordeck ging, liefen sie ihm über die Wangen. Mancuso verstand es. Ihm war es nicht anders gegangen. Ein guter Kommandant entwickelt eine echte Liebe zu seinem Boot und seiner Mannschaft, und Rosselli fiel der Abschied ganz besonders schwer, denn er hatte nun schon mehr Kommandos gehabt, als ihm eigentlich zustanden. Er hatte zum letzten Mal die gottähnliche Stellung des Befehlshabenden auf einem Kriegsschiff genossen und mußte nun Mancusos Schicksal teilen – den Befehl von einem Schreibtisch aus zu führen. Selbstverständlich konnte er weiterhin auf Booten mitfahren, um Skipper zu beurteilen und neue Ideen und Taktiken zu prüfen, doch von nun an nur noch als geduldeter, niemals als wirklich willkommener Gast an Bord. Am unangenehmsten aber war, daß ihm ein Besuch auf seinem ehemaligen Boot ganz verboten war; damit sollte vermieden werden, daß die Besatzung seinen Stil mit dem des neuen Kommandanten verglich und damit dessen Autorität untergrub. So muß es meinen Vorfahren ergangen sein, dachte Mancuso, als sie einen letzten Blick zurück auf Italien warfen und wußten, daß sie nie wieder zurückkehren würden, daß dieser Lebensabschnitt unwiderruflich zu Ende war.

Die drei Männer stiegen in Mancusos Dienstwagen und fuhren zum Offizierskasino. Rosselli stellte seine Erinnerungsstücke auf den Boden, holte ein Taschentuch hervor und wischte sich die Augen. Es ist einfach unfair, dachte er. Da werde ich von diesem Superboot auf einen dumpfen Verwaltungsposten verbannt. Zum Teufel mit der Personalpolitik! Rosselli putzte sich die Nase und stellte sich darauf ein, den Rest seiner Dienstzeit an Land zu verbringen.

Mancuso wandte stumm und respektvoll den Blick ab.

Ricks schüttelte nur den Kopf. Was sollte diese Gefühlsduselei? Er dachte schon über seine ersten Maßnahmen nach. Die Torpedomannschaft war noch nicht ganz auf Zack? Wartet nur, euch werd’ ich Beine machen! Und der IA soll ein ganz besonders helles Kerlchen sein. Na und? Welcher Skipper lobt seinen Ersten Offizier nicht? Wenn der Mann wirklich reif für sein eigenes Kommando war, mochte er als IA vielleicht zu eifrig sein und seinen Kommandanten nicht vorbehaltlos unterstützen. Du wärst nicht der erste unter mir, den der Hafer sticht, dachte Ricks, ich werde dir schon zeigen, wer der Chef ist. Die wichtigste und beste Nachricht war natürlich der erstklassige Zustand des Antriebs. Ricks war das Produkt einer Marine, die geradezu besessen auf die Reaktorsicherheit achtete, und auf diesem Gebiet fand er den Geschwaderkommandanten Mancuso etwas zu lässig. Ähnliches ließ sich vermutlich auch über Rosselli sagen. Naschön, das Boot hatte die Sicherheitsprüfung glänzend bestanden. Auf seinen Booten mußten die Ingenieure jeden Tag auf eine solche Inspektion gefaßt sein. Bei der Ohio-Klasse funktionierten alle Systeme so gut, daß die Männer zur Nachlässigkeit neigten, besonders wenn sie gerade eine Prüfung mit Bestnote bestanden hatten. Hochmut kommt vor dem Fall. Und die Cowboy-Mentalität dieser U-Jäger! Wie konnte jemand auf die Wahnsinnsidee kommen, ein Akula zu verfolgen? Gut, der Abstand hatte sechzigtausend Meter betragen, aber was hatte sich dieser Irre eigentlich dabei gedacht?

Ricks hielt sich an das Motto der strategischen U-Boote: VERSTECKT UND STOLZ (die weniger schmeichelhafte Version war SEE-SCHISSER). Wer uns nicht findet, kann uns nichts anhaben. Strategische Boote hatten Konfrontationen auszuweichen; sie waren eigentlich keine Kriegsschiffe, sondern schwimmende Abschußrampen für Interkontinentalraketen. Ricks war erstaunt, daß Mancuso Rosselli nicht auf der Stelle zurechtgewiesen hatte.

Das mußte er sich merken. Mancuso hatte Rosselli nicht zusammengestaucht, sondern belobigt.

Mancuso war sein Geschwaderkommandeur und war zweimal mit der Distinguished Service Medal ausgezeichnet worden. Es war eigentlich unfair, daß ein auf Tarnung bedachter Mann wie Ricks unter dem aggressiven Jägertypen Mancuso dienen mußte, der von seinen Skippern Angriffslust erwartete. Der springende Punkt war, daß Mancuso seine Beurteilung schreiben würde. Ricks war ein ehrgeiziger Mann, der seine Karriere genauestens geplant hatte: Erst Geschwaderkommandeur, dann wollte er eine angenehme Dienstzeit im Pentagon verbringen, der die Ernennung zum Konteradmiral und die Erteilung des Befehls über eine U-Gruppe wie zum Beispiel die in Pearl Harbor folgen sollte, denn es gefiel ihm auf Hawaii. Als krönenden Abschluß stellte er sich eine Rückversetzung ins Pentagon vor. Diesen Karriereplan hatte Ricks sich schon als Lieutenant zurechtgelegt, und wenn er sich nur genauer an die Vorschriften hielt als alle anderen, konnte nichts schiefgehen.

Mit einem Vorgesetzten von den Jagd-U-Booten hatte er allerdings nicht gerechnet. Nun, da mußte er sich eben anpassen. Das konnte er gut. Wenn ihm auf seiner nächsten Fahrt ein Akula in die Quere kam, wollte er Rossellis Beispiel folgen – aber natürlich erfolgreicher. Mancuso erwartete das sicher, und Ricks wußte, daß er im direkten Wettbewerb mit dreizehn anderen SSBN-Kommandanten stand. Wenn er Kommandant des Geschwaders werden wollte, mußte er unter vierzehn der Beste sein und seinen Vorgesetzten beeindrucken. Gewiß, wenn sein Karrierepfad so gerade wie seit zwanzig Jahren bleiben sollte, mußte er neue, ungewohnte Dinge probieren. Das tat er zwar nur ungern, aber die Karriere hatte Vorrang. Er war ausersehen, eines nicht zu fernen Tages die Admiralsflagge in seinem Dienstzimmer im Pentagon stehen zu haben, und an diese Umstellung gewöhnte er sich dann bestimmt leicht. Ein Admiral hatte seinen eigenen Stab, einen Fahrer und einen reservierten Parkplatz vor dem Pentagon und mit viel Glück Aussicht auf einen Posten im E-Ring des Pentagons, wo die Führung saß – oder, besser noch, als Direktor der Reaktorabteilung der Marine. Der Herr aller Reaktoren – eine Funktion, für die er sich qualifiziert fühlte – legte die technischen Standards und Verfahrensregeln fest, schrieb also sozusagen die Bibel für alle, die mit Atomkraft zu tun hatten. Er brauchte sich also nur an diese Bibel zu halten, und dann war der Weg nach oben frei. Ricks, ein brillanter Ingenieur, kannte die Vorschriften inund auswendig.

 

J. Robert Fowler hat also doch menschliche Züge, sagte sich Ryan. Die Konferenz wurde im Obergeschoß des Weißen Hauses, wo sich auch die Schlafzimmer befanden, abgehalten, weil die Klimaanlage im Westflügel wegen Instandsetzungsarbeiten außer Betrieb war und das Oval Office wegen der Sonne, die durch die Fenster knallte, nicht in Frage kam. Man traf statt dessen in einem Wohnraum zusammen, in dem oft bei »informellen, intimen« Empfängen für rund fünfzig Personen das Buffet stand. Die antiken Sitzmöbel waren um einen ziemlich großen Eßtisch gruppiert; ein Wandgemälde stellte historische Szenen dar. Die Atmosphäre war informell und locker. Fowler war das Drum und Dran seines Amtes zuwider. Der ehemalige Bundesanwalt war an eine entspannte Arbeitsatmosphäre gewöhnt und fühlte sich mit gelockerter Krawatte und aufgekrempelten Hemdsärmeln offenbar am wohlsten. Für Ryan, der den Präsidenten als hochnäsig und steif im Umgang mit Untergebenen kannte, war das ein seltsamer Widerspruch. Merkwürdiger noch, der Präsident war mit dem Sportteil der Baltimore Sun, den er lieber las als den der Washington Post, hereingekommen. Fowler war ein begeisterter Football-Fan. Die Vorrunde der kommenden Saison war schon vorbei, und Fowler klopfte nun die Mannschaften der Nationalen Football-Liga NFL auf ihre Chancen ab. Ryan zuckte mit den Achseln und behielt das Jackett an. Fowler war als hochkomplexer Mensch ziemlich unberechenbar.

Fowler, der sich diskret Zeit für diese Nachmittagskonferenz genommen hatte, saß am Kopfende des Tisches direkt unter einer Belüftungsöffnung und lächelte sogar ein wenig, als seine Gäste Platz nahmen. Zu seiner Linken saß G. Dennis Bunker, ein ehemaliger Kampfpilot der Air Force, der zu Beginn des Vietnamkrieges hundert Einsätze geflogen und dann den Dienst quittiert hatte, um eine Firma zu gründen, aus der inzwischen ein Milliarden-Imperium geworden war. Den Konzern und was er an Aktien von anderen Firmen besaß hatte er bis auf ein Unternehmen, die San Diego Chargers, verkauft, um den Kabinettsposten zu besetzen. Kein Wunder, daß sich viele Senatoren bei der Ratifizierung seiner Ernennung spöttisch fragen, ob Fowler sein Verteidigungsminister nicht vorwiegend als Football-Enthusiast sympathisch war. Bunker war als Falke in der Fowler-Administration eine Rarität und ein Fachmann in Verteidigungsfragen, auf den die Militärs hörten. Die Air Force hatte er zwar nur als Captain, aber mit drei Fliegerkreuzen verlassen, die er sich mit seinem Jagdbomber F-105 über Hanoi verdient hatte. Dennis Bunker hatte Gefechtserfahrung und konnte mit Captains über Taktiken und mit Generälen über Strategien fachsimpeln. Militärs und Politiker respektieren den VM gleichermaßen, und das war eine Seltenheit.

Bunkers Nebenmann war Brent Talbot, der Außenminister. Der ehemalige Politologieprofessor der Northwestern University war ein alter Freund und Verbündeter des Präsidenten. Talbot, ein distinguierter Siebziger mit weißem Haar und einem blassen, intelligenten Gesicht, erinnerte weniger an einen Akademiker als an einen Gentleman der alten Schule – wenngleich mit Killer-Instinkt. Nach Jahren als außenpolitischer Berater und Mitglied zahlloser Ausschüsse hatte er endlich eine Stellung, die seinem Wort Gewicht verlieh. Der Theoretiker mit Zugang zu den Schaltstellen der Macht hatte auf Fowler gesetzt und konnte nun selbst die Hebel bewegen. Der Außenminister, ein visionärer Kopf, erkannte in dem neuen Ost-West-Verhältnis die historische Chance, die Welt zu verändern und seinen Namen mit dieser Entwicklung in Verbindung zu bringen.

Rechts vom Präsidenten saß Arnold van Damm, der Stabschef, denn dies war schließlich eine politische Zusammenkunft, bei der politischer Rat von höchster Bedeutung war. Van Damms Nachbarin war Elizabeth Elliot, die neue Sicherheitsberaterin, die heute recht streng aussah in ihrem teuren Kostüm und dem dünnen Halstuch, wie Ryan fand. Neben ihr hatte sich Marcus Cabot niedergelassen, der Direktor der CIA und Ryans unmittelbarer Vorgesetzter.

Die zweitrangigen Leute waren natürlich weiter vom Zentrum der Macht entfernt gruppiert. Ryan und Adler hatte man am Ende des Tisches untergebracht, wo sie einerseits vom Präsidenten getrennt und andererseits bei ihrem Vortrag im Blick der wichtigeren Konferenzteilnehmer waren.

»Na, Dennis, wird das euer Jahr?« fragte der Präsident den Verteidigungsminister.

»Aber klar«, erwiderte Bunker. »Ich habe lange genug warten müssen, aber mit den beiden neuen Vorverteidigern kommen wir nach Denver.«

»Um dort auf die Vikings zu treffen«, merkte Talbot an. »Dennis, warum haben Sie sich nicht den Tony Wills geschnappt, wo Sie doch die erste Wahl hatten?«

»Weil ich schon drei gute Hinterfeldspieler habe und Vorverteidiger brauchte. Dieser Junge aus Alabama ist ein Naturtalent.«

»Das werden Sie noch bereuen«, erklärte der Außenminister. Tony Wills, der von der Northwestern University in die Nationalliga geholt worden war, hatte als erstklassiger Sportler und Student zugleich seiner Mannschaft wieder zu einem Namen verholfen und war Talbots Lieblingsschüler gewesen. Dem in jeder Hinsicht außergewöhnlichen jungen Mann wurde bereits eine Zukunft in der Politik prophezeit; Ryan hielt das angesichts der sich ständig verändernden politischen Landschaft in den Staaten für verfrüht. »Warten Sie nur, im dritten Spiel der Saison werden Sie abgezogen, und bei der Superbowl dann noch mal – falls Ihre Mannschaft es überhaupt bis ins Endspiel schafft, was ich bezweifle, Dennis.«

»Wir werden ja sehen«, schnaubte Bunker.

Der Präsident ordnete lachend seine Unterlagen. Liz Elliot verbarg erfolglos ihre Mißbilligung, wie Jack auf die Distanz feststellte. Sie hatte Papiere und Stift schon längst bereitliegen und ließ sich ihre Ungeduld anmerken. Solche Gespräche gehörten ihrer Meinung nach in die Umkleidekabine. Nun, jetzt hatte sie wenigstens den Job, auf den sie scharf gewesen war. Die Stelle war zwar nur durch einen Todesfall frei geworden – Ryan hatte die näheren Umstände inzwischen erfahren –, aber sie war nun am Ziel.

»Kommen wir zur Tagesordnung«, sagte der Präsident. Augenblicklich verstummte der Lärm. »Mr. Adler, bitte berichten Sie über Ihre Reise.«

»Gerne, Mr. President. Meiner Auffassung nach sind nun die meisten Teile des Puzzles dort, wo sie hingehören. Der Vatikan ist vorbehaltlos mit den Punkten unseres Friedensplans einverstanden und jederzeit bereit, bei den Verhandlungen als Gastgeber zu fungieren.«

»Wie reagierte Israel?« fragte Liz Elliot, um zu beweisen, daß sie auf dem laufenden war.

»Die Reaktion hätte positiver ausfallen können«, meinte Adler neutral. »Israel wird zwar eine Delegation entsenden, aber ich rechne mit starkem Widerstand.«

»Wie stark?«

»Man wird alles tun, um nicht festgenagelt zu werden. Den Israelis ist diese Idee sehr unangenehm.«

»Kaum verwunderlich, Mr. President«, fügte Talbot hinzu.

»Und die Saudis?« fragte Fowler Ryan.

»Sir, ich habe den Eindruck, daß sie mitziehen werden. Prinz Ali war sehr optimistisch. Wir sprachen eine Stunde lang mit dem König, dessen Reaktion zurückhaltend, aber positiv war. Die Saudis haben nur die Befürchtung, daß sich die Israelis trotz allem massiven Druck von unserer Seite nicht an dem Prozeß beteiligen werden und daß sie damit im arabischen Lager isoliert sind. Aber lassen wir diesen Aspekt einmal beiseite, Mr. President. Die Saudis sind mit der Rohfassung des Plans einverstanden und bereit, an seiner Umsetzung mitzuwirken. Es wurde der Wunsch nach geringfügigen Änderungen laut, die aber allesamt unproblematisch sindundin zwei Fällen sogar eine echte Verbesserung darstellen.«

»Und die Sowjets?«

»Dort hat Scott sondiert«, erwiderte Minister Talbot. »Sie unterstützen die Idee, rechnen aber nicht mit Israels Kooperation. Präsident Narmonow erklärte vorgestern in einem Telex, der Plan stünde im Einklang mit der Politik seiner Regierung. Moskau ist sogar bereit, seine Waffenlieferungen an die anderen Staaten der Region auf reine Verteidigungsbedürfnisse zu reduzieren.«

»Tatsächlich?« platzte Ryan heraus.

»Da haben Sie wohl danebengetippt, was?« meinte Direktor Cabot und lachte in sich hinein.

»Wieso?« fragte der Präsident.

»Mr. President, Waffenlieferungen in den Nahen Osten sind für die Sowjets ein Dukatenesel. Eine Einschränkung dieses Handels würde einen Milliardenverlust an bitter benötigten Devisen bedeuten.« Ryan lehnte sich zurück und pfiff. »Das überrascht mich.«

»Sie möchten auch mit einigen Leuten an den Verhandlungen teilnehmen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Die Waffenlieferungen werden, sollten die Verhandlungen überhaupt so weit gedeihen, in einem Sondervertrag zwischen uns und den Sowjets geregelt.« Liz Elliot lächelte Ryan triumphierend zu. Sie hatte diese Entwicklung vorausgesehen.

»Im Gegenzug erwarten die Sowjets Getreidelieferungen und ein paar Handelskonzessionen«, fügte Talbot hinzu. »Das läßt sich vertreten. Für uns ist sowjetische Mitarbeit in dieser Angelegenheit überaus wichtig, und Narmonow ist an dem mit dem Pakt verbundenen Prestigegewinn interessiert. Es ist ein für beide Seiten fairer Handel. Es liegt bei uns ja genug Getreide herum.«

»Das einzige Hindernis ist also Israel?« fragte Fowler die Runde. Es wurde genickt. »Wie ernst ist das?«

Cabot wandte sich an seinen Stellvertreter. »Jack, wie hat Avi Ben Jakob reagiert?«

»Ich war am Tag vor meinem Abflug nach Saudi-Arabien mit ihm essen und gewann den Eindruck, daß er gar nicht glücklich war. Was genau er nun wußte, kann ich nicht sagen. Ich gab ihm kaum einen Hinweis für seine Regierung, und ...«

»Was heißt hier ›kaum‹, Ryan?« fauchte Elliot.

»Nichts«, antwortete Ryan. »Abwarten und Tee trinken, war meine Antwort, und Leute vom Nachrichtendienst hören so etwas nicht gern. Er ahnte wohl, daß etwas im Busch war, wußte aber nicht, was.«

»Ich erntete in Israel überraschte Blicke«, warf Adler zu Ryans Unterstützung ein. »Man hatte mit etwas gerechnet, war aber auf meine Präsentation nicht vorbereitet.«

Der Außenminister beugte sich vor. »Mr. President, Israel lebt seit zwei Generationen mit der Illusion, daß es einzig und allein für seine Sicherheit verantwortlich ist. Das ist in diesem Land schon fast ein Glaubenssatz. Man ist von unseren Waffenlieferungen und unserer Finanzhilfe abhängig, tut aber so, als sei man autark – aus Angst, die nationale Sicherheit von anderen, die einem dann irgendwann ihre Unterstützung verweigern könnten, garantieren zu lassen.«

»Dieses Argument habe ich langsam satt«, merkte Liz Elliot kalt an.

Wenn du sechs Millionen Verwandte verloren hättest, würdest du anders denken, sagte sich Ryan. Der Holocaust ist und bleibt ein hochempfindliches Thema.

»Wir können wohl davon ausgehen, daß ein bilateraler Verteidigungspakt zwischen den Vereinigten Staaten und Israel den Senat glatt passiert«, ließ sich Arnie van Damm zum ersten Mal vernehmen.

»Wie rasch können wir die erforderlichen Einheiten in Israel einsetzen?«

»In rund fünf Wochen, wenn Sie jetzt grünes Licht geben«, erwiderte der Verteidigungsminister. »Das 10. gepanzerte Kavallerieregiment, das sich gerade formiert, ist praktisch eine schwere Brigade, die jede arabische Division zu schlagen – besser: zu vernichten – in der Lage ist. Hinzu käme eine Einheit der Marineinfantrie, und wenn man uns Haifa als Stützpunkt gibt, haben wir fast immer einen Trägerverband im östlichen Mittelmeer. Zusammen mit dem auf Sizilien stationierten Geschwader F-16 wäre das eine nicht zu verachtende Streitmacht. Dem Militär wird die Sache auch gefallen, weil es ein größeres Manövergelände bekommt. Wir richten einen Stützpunkt in der Negev ein; Üben und nochmals Üben garantiert den optimalen Bereitschaftsgrad der Einheit. Das wird zwar nicht billig, aber ...«

»Sie werden den Preis zahlen«, schnitt der Präsident Bunker sanft das Wort ab. »Das ist die Sache wert, und der Kongreß wird uns wohl die Mittel nicht verweigern, nicht wahr, Arnie?«

»jeder Abgeordnete, der über diesen Plan meckert, wird abgewählt«, sagte der Stabschef zuversichtlich.

»Es muß also nur noch Israels Widerspruch überwunden werden«, faßte Fowler zusammen.

»Korrekt, Mr. President«, erwiderte Talbot für alle Anwesenden.

»Und wie ist das am einfachsten zu erreichen?« Fowlers Frage war rein rhetorisch, denn eine Antwort war bereits formuliert. Die gegenwärtige israelische Regierung war eine wacklige, zerstrittene Koalition, für die ein gezielter Schubs aus Washington ausreichte, um sie zu Fall zu bringen. »Und der Rest der Welt?«

»Die NATO-Länder sind kein Problem. Die restlichen UN-Mitglieder werden widerwillig mitziehen«, erklärte Elliot, ehe Talbot etwas sagen konnte. »Solange die Saudis mitspielen, schließt sich die islamische Welt an. Sperrt sich Israel, steht es isolierter da als je zuvor.«

»Zu großen Druck würde ich nicht ausüben«, sagte Ryan.

»Dr. Ryan, das fällt nicht in Ihren Zuständigkeitsbereich«, sagte Elliot sanft. Einige Konferenzteilnehmer bewegten leicht die Köpfe oder machten schmale Augen, aber es setzte sich niemand für Ryan ein.

»Gewiß, Dr. Elliot«, unterbrach Ryan die peinliche Stille. »Andererseits könnte exzessiver Druck auf Israel das Gegenteil von dem bewirken, was der Präsident beabsichtigt. Und wir dürfen auch die moralische Dimension nicht außer acht lassen.«

»Dr. Ryan, es geht uns hier nur um die ethische Dimension«, sagte der Präsident. »Und die läßt sich leicht definieren: Es hat in der Region genug Kriege gegeben; es ist Zeit, Frieden zu schaffen. Unser Plan ist ein Mittel zu diesem Zweck.«

Unser Plan, hörte Ryan ihn sagen. Van Damms Blick flackerte kurz. Jack erkannte, daß er in diesem Raum so isoliert war, wie Israel es in der Absicht des Präsidenten sein sollte. Er schaute auf seine Unterlagen und schwieg. Von wegen ethische Dimension, dachte Ryan zornig. Hier geht es um einen Meilenstein in der Geschichte und um das politische Kapital, das Fowler aus seiner Rolle als großer Friedensstifter schlagen kann. Aber dies war nicht der Augenblick für Zynismen. Der Plan war zwar nicht mehr Ryans Geisteskind, aber trotzdem eine löbliche Sache.

»Und wie nehmen wir die Israelis in den Schwitzkasten?« fragte Fowler heiter. »Ich denke nicht an drastische Maßnahmen, sondern an einen diskreten, deutlichen Wink.«

»Nächste Woche soll eine Ladung Flugzeugersatzteile an sie abgehen«, sagte Verteidigungsminister Bunker. »Israel will die Radarsysteme seiner F-15 austauschen. Es gäbe auch noch andere Druckmittel, aber diese neue Radaranlage, die wir selbst gerade erst in unsere Maschinen einbauen, ist ihnen sehr wichtig. Das gleiche gilt für das Raketensystem der F-16. Die Luftwaffe ist Israels Kronjuwel. Wenn wir diese Lieferungen aus technischen Gründen zurückhalten, ist das ein Wink mit dem Zaunpfahl.«

»Läßt sich das unauffällig bewerkstelligen?« fragte Elliot.

»Wir können ihnen zu verstehen geben, daß laute Reklamationen wenig hilfreich sind«, meinte van Damm. »Wenn die Rede vor den Vereinten Nationen wie erwartet positiv aufgenommen wird, könnten wir der israelischen Lobby im Kongreß zuvorkommen.«

»Es wäre besser, ihnen den Kompromiß mit mehr Waffen schmackhafter zu machen, als ihre existierenden Systeme lahmzulegen.« Das war Ryans letzter Versuch. Die Sicherheitsberaterin knallte ihm die Tür vor der Nase zu.

»Dazu fehlen uns die Mittel.«

Der Stabschef stimmte zu: »Der Verteidigungshaushalt gibt selbst für Israel nichts mehr her. Das Geld ist einfach nicht da.«

»Ich bin dafür, Israel vorzuwarnen – falls wir tatsächlich Druck ausüben wollen«, sagte der Außenminister.

Liz Elliot schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn die Botschaft wirklich ankommen soll, müssen wir hart durchgreifen. Dafür sollte Israel, das ja selbst nicht mit Samthandschuhen arbeitet, Verständnis haben.«

»Nun gut.« Der Präsident machte sich eine letzte Notiz. »Warten wir bis nach meiner Rede. Ich habe sie geändert und eine formelle Einladung zu Verhandlungen, die in zwei Wochen in Rom beginnen sollen, eingefügt. Wir geben Israel zu verstehen, daß es zwei Möglichkeiten hat: mitzuspielen oder sich auf die Konsequenzen gefaßt zu machen. Diesmal meinen wir es ernst. Und diesen Wink geben wir auf die von Minister Bunker vorgeschlagene Weise – ohne Vorwarnung. Sonst noch etwas?«

»Indiskretionen?« fragte van Damm leise.

»Hält Israel dicht?« fragte die Sicherheitsberaterin Scott Adler.

»Ich habe gesagt, die Sache sei streng geheim, aber...«

»Brent, rufen Sie den israelischen Außenminister an und bestellen Sie ihm, daß es ernste Konsequenzen gibt, wenn etwas an die Öffentlichkeit gelangt.«

»Jawohl, Mr. President.«

»Und im übrigen dringt nichts über diese Gruppe hinaus.« Dieser Befehl des Präsidenten zielte auf das Ende des Tisches. »Ende der Sitzung.«

Ryan nahm seine Papiere und ging hinaus. Einen Moment später hielt Marcus Cabot ihn im Korridor an. »Jack, Sie sollten wissen, wann Sie den Mund zu halten haben.«

»Ich bitte Sie, Sir, wenn wir zu viel Druck machen ...«

»Kriegen wir, was wir wollen.«

»Ich halte das für falsch und unklug. Wir bekommen sowieso, was wir wollen, auch wenn es ein paar Monate dauert. Aber dazu brauchen wir Israel nicht zu drohen.«

»Der Präsident will es aber so.« Cabot beendete das Gespräch, indem er sich entfernte.

»Jawohl, Sir«, sagte Jack ins Leere.

Der Rest der Gruppe kam im Gänsemarsch heraus. Talbot zwinkerte ihm zu und nickte. Die anderen vermieden mit Ausnahme von Scott Adler jeden Blickkontakt. Adler kam herüber, nachdem sein Chef ihm etwas zugeflüstert hatte. »Schöner Versuchsballon, Jack. Vor ein paar Minuten wären Sie beinahe geflogen.«

Ryan war verblüfft. Sollte er denn nicht seine Meinung sagen? »Scott, wenn ich noch nicht einmal...«

»Sie dürfen dem Präsidenten nicht in die Parade fahren, jedenfalls nicht bei diesem Projekt. Sie haben nicht den Rang, um mit einer Gegenmeinung durchzukommen. Brent war im Begriff, dieses Argument anzubringen, aber dann fuhren Sie dazwischen, setzten sich nicht durch und nahmen ihm damit den Spielraum. Halten Sie sich also beim nächsten Mal zurück, klar?«

»Danke für Ihre Unterstützung«, versetzte Jack mit einiger Schärfe.

»Jack, Sie haben sich selbst die Tour vermasselt, einen korrekten Standpunkt falsch vertreten. Lassen Sie sich das eine Lehre sein.« Adler machte eine Pause. »Mein Chef sagt, Sie hätten das in Riad sehr gut gemacht. Wenn Sie nun noch lernen könnten, wann Sie den Mund zu halten haben, wären Sie perfekt, meinte er.«

»Tja, da hat er wohl recht«, gestand Ryan.

»Wo wollen Sie jetzt hin?«

»Nach Hause. Im Büro ist heute nichts mehr zu tun.«

»Kommen Sie mit uns. Brent will mit Ihnen reden. Wir nehmen drüben bei uns einen kleinen Imbiß.« Adler führte Jack zum Aufzug.

 

»Nun?« fragte der Präsident, der im Sitzungszimmer geblieben war.

»Sieht bestens aus, finde ich«, meinte van Damm. »Besonders, wenn wir die Sache noch vor den Wahlen über die Bühne bringen.«

»Ja, ein paar Extramandate wären angenehm«, stimmte Fowler zu. Die ersten beiden Jahre seiner Amtszeit waren nicht einfach gewesen. Haushaltsprobleme und eine unsichere Wirtschaftslage hatten seine Programme lahmgelegt und seinen aggressiven Führungsstil fragwürdig wirken lassen. Die Kongreßwahlen im November waren der erste Test für die neue Administration, und die Ergebnisse der Meinungsumfragen sahen nicht gerade glänzend aus. Zwar mußte die Partei des Präsidenten normalerweise bei Zwischenwahlen Sitze abgeben, aber zu große Verluste konnte sich dieser Präsident nicht leisten. »Bedauerlich, daß wir die Israelis unter Druck setzen müssen, aber...«

»Der politische Gewinn wiegt schwerer – vorausgesetzt, wir bringen den Friedensvertrag durch.«

»Das schaffen wir«, meinte Elliot. »Wenn wir unsere Termine einhalten, kann der Senat die Sache bis zum 16. Oktober ratifiziert haben.«

»An Ehrgeiz mangelt es Ihnen nicht«, merkte Arnie an. »So, ich habe noch zu arbeiten. Wenn Sie mich entschuldigen wollen, Mr. President?«

»Bis morgen, Arnie.«

Fowler trat an das Fenster über der Pennsylvania Avenue. Über dem Asphalt flimmerte die Luft in der Augusthitze. Gegenüber im Lafayette Park standen noch zwei Atomwaffengegner mit Transparenten. Fowler grinste verächtlich und schnaubte. Wußten diese Spinner denn nicht, daß Atomwaffen längst überholt waren? Er drehte sich um.

»Elizabeth, haben Sie Lust, mit mir zu Abend zu essen?«

Dr. Elliot strahlte ihren Chef an. »Aber sicher, Bob.«

 

Das einzig Gute an den Drogengeschäften seines Bruders war, daß er einen alten Koffer mit fast hunderttausend Dollar zurückgelassen hatte. Marvin hatte das Geld an sich genommen und war nach Minneapolis gefahren, um sich ordentliche Kleidung, anständiges Reisegepäck und einen Flugschein zu kaufen. Im Gefängnis hatte er unter anderem gelernt, wie man sich eine andere Identität beschafft, und besaß nun gleich drei Pässe, von denen die Polizei nichts wußte. Das Gefängnis hatte ihn außerdem gelehrt, sich unauffällig zu verhalten. Seine Kleidung war vorzeigbar, aber nicht knallig. Er kaufte ein Standby-Ticket für einen Flug, der wahrscheinlich unterbucht war, und sparte so einige hundert Dollar. Der Rest des Geldes, 91 545 Dollar, mußte lange reichen, denn da, wo er hinwollte, war das Leben nicht billig. Menschenleben hingegen schon, die zählten dort wenig. Nun, damit kann sich ein Krieger abfinden, dachte er.

Nach einem Zwischenstopp in Frankfurt flog er in südlicher Richtung weiter. Russell, ein gewitzter Mann, hatte vor vier Jahren an einer Art internationaler Konferenz teilgenommen – die Reise hatte ihn eine komplette Identität gekostet – und gelernt, wie man Kontakte herstellt. Internationale Terroristen sind angesichts der vielen Verfolgungen notgedrungen vorsichtig. Ohne es zu wissen, hatte Russell Glück – einer von drei Kontakten, an die er sich erinnerte, war schon vor langer Zeit zusammen mit zwei Mitgliedern der Roten Brigaden aufgeflogen. Er wählte eine der anderen beiden Nummern, es klappte, und er wurde in Athen zu einem Treff geführt, bei dem man ihn überprüfte und ihm den Weiterflug genehmigte. Russell war hastig in sein Hotel zurückgekehrt – er vertrug das griechische Essen nicht – und wartete nun nervös auf einen Anruf. Trotz aller Vorsicht fühlte er sich angreifbar. Er hatte noch nicht einmal ein Taschenmesser dabei – bewaffnet zu fliegen war viel zu gefährlich – und war jedem bewaffneten Polizisten vollkommen ausgeliefert. Was, wenn sein Kontakt »verbrannt« war? Dann würde man ihn hier verhaften oder in einen sorgfältig geplanten Hinterhalt locken, aus dem es nur mit Glück ein Entkommen gab. Europäische Ordnungshüter scherten sich weniger um verfassungsmäßig garantierte Rechte als ihre amerikanischen Kollegen – aber er verwarf diesen Gedanken sofort, als er sich entsann, wie das FBI mit seinem Bruder umgesprungen war.

Verdammt! Wieder ein Sioux-Krieger abgeknallt wie ein Hund. Er hatte noch nicht einmal Zeit für die Totenklage gehabt. Dafür sollen sie büßen, dachte Russell und korrigierte sich: Zumindest, wenn ich lange genug lebe.

Er saß in dem dunklen Zimmer am Fenster, beobachtete den Verkehr, hielt Ausschau nach der Polizei, wartete auf den Anruf. Wie soll ich meinen Bruder rächen? fragte sich Russell, ohne daß er eine Antwort darauf wußte, aber das machte nichts. Entscheidend war, daß er überhaupt etwas unternahm. Der Geldgürtel spannte und trug an seiner Taille auf: ein Nachteil seines Krafttrainings. Aber er durfte sein Kapital nicht verlieren. Was machte Geld doch für Umstände! DM in Deutschland, Drachmen oder Drachen oder was sonst hier in Griechenland. Zum Glück hatte er seinen Flugschein in Dollar bezahlen können. Aus diesem Grund zog er amerikanische Fluggesellschaften vor; die Stars and Stripes am Heck waren ihm schnuppe. Das Telefon ging. Russell nahm den Hörer ab. »Ja?«

»Warte morgen um halb zehn reisefertig vor dem Hotel. Verstanden?«

»Neun Uhr dreißig. Verstanden.« Es wurde aufgelegt.

»Gut«, sagte Russell, stand auf und ging zum Bett. Die Tür war mit einer Vorhängekette gesichert und zweimal abgeschlossen; außerdem hatte er einen Stuhl unter die Klinke geklemmt. Marvin bedachte seine Lage. Wenn dies eine Falle war, konnte er direkt vor dem Hotel erwischt oder in einen Hinterhalt außerhalb der Sichtweite der Passanten gelockt werden ... Für wahrscheinlicher hielt er die letztere Möglichkeit. Man würde sich doch nicht die Mühe machen, einen Treff zu vereinbaren, um dann hier die Tür einzutreten. Andererseits waren Polizisten unberechenbar. Er schlief also bekleidet in Jeans und Hemd und mit seinem umgeschnallten Geldgürtel; schließlich mußte er auch vor Dieben auf der Hut sein.

 

Russell erwachte beim ersten rosa Schimmer der Morgendämmerung. Er hatte sich ganz bewußt ein Zimmer mit Ostfenster geben lassen, sprach nun ein Morgengebet zur Sonne und bereitete sich auf die Abreise vor. Das Frühstück ließ er sich aufs Zimmer bringen – auf die paar Drachmen extra kam es nun wirklich nicht an – und packte die wenigen Sachen, die er aus seinem Koffer genommen hatte, wieder ein. Um neun war er fertig. Er war sehr nervös. Wenn etwas passierte, konnte in dreißig Minuten alles vorbei sein. Vielleicht mußte er noch vor der Mittagszeit sterben – in einem fremden Land, fern den Geistern seines Volkes. Bringt man meine Leiche zurück ins Reservat? fragte er sich. Wohl kaum. Man läßt mich bestimmt einfach verschwinden. Er unterstellte der Polizei Methoden, die er selbst angewandt hätte. Russell ging im Zimmer auf und ab, schaute immer wieder aus dem Fenster auf den Verkehr und die Straßenverkäufer. Jeder, der dort unten Cola verkaufte oder Andenken an die Touristen verhökerte, konnte jemand von der Polizei sein. Vielleicht sogar alle. Bullen fehlte der Mumm zu einem fairen Kampf; sie schossen aus dem Hinterhalt und griffen in Rudeln an.

9:15. Die Ziffern der Digitaluhr sprangen entweder rasch oder träge um – je nachdem, wie oft sich Russell nach ihnen umdrehte. Nun war es soweit. Er nahm sein Gepäck und verließ das Zimmer, ohne noch einmal zurückzuschauen. Ein kurzer Weg zum Aufzug, der so schnell kam, daß Russells Paranoia wieder geweckt wurde. Kurz darauf stand er in der Halle. Ein Page wollte ihm das Gepäck abnehmen, aber er lehnte das Angebot ab und ging an den Empfang. Hier war nur noch das Frühstück zu bezahlen; er beglich die Rechnung mit seinen restlichen Drachmen. Da er nun noch ein paar Minuten Zeit hatte, sah er am Kiosk nach, ob es dort Zeitungen in Englisch gab. Was geschieht auf der Welt? fragte er sich und stutzte: Die Welt, was ist das eigentlich? Für ihn, der von Gefahr, Bedrohung und Fluchtinstinkten eingeengt lebte, war die Welt das, was er jeweils gerade sehen konnte, eine Sphäre, die immer nur so weit war, wie seine Sinne reichten. In der Heimat konnte er ferne Horizonte und die riesige Himmelskuppel sehen. Hier wurde die Realität von Mauern eingegrenzt. Er bekam einen jähen Anfall von Angst, erkannte plötzlich, wie ein gehetztes Tier sich fühlen mußte, und kämpfte gegen die Panik an. Nun schaute er auf die Uhr: 9.28. Es war Zeit.

Russell ging hinaus zum Taxistand, in gespannter Erwartung, was nun passieren würde. Er stellte sein Gepäck ab und sah sich in dem Bewußtsein, daß vielleicht schon Gewehrläufe auf seinen Kopf gerichtet waren, so lässig wie möglich um. Droht mir nun Johns Schicksal? Ein Schuß in den Kopf, ohne Warnung? Bei dem Gedanken wurde ihm übel. Russell ballte die Fäuste, um das Zittern zu stoppen, als ein Wagen sich näherte. Der Fahrer schaute zu ihm hinüber. Er nahm seine Koffer und ging auf das Auto zu.

»Mr. Drake?« Das war der Name, unter dem Russell reiste. Der Fahrer war nicht der Mann, dem er am Vorabend begegnet war. Russell wußte nun, daß er es mit Profis zu tun hatte. Ein gutes Zeichen.

»Der bin ich«, erwiderte Russell mit einem schiefen Lächeln.

Der Fahrer stieg aus und öffnete den Kofferraum. Russell wuchtete die Koffer hinein, ging dann an die Beifahrerseite und stieg ein. Wenn das eine Falle war, konnte er wenigstens den Fahrer mit in den Tod nehmen.

Fünfzig Meter weiter saß Wachtmeister Spiros Papanikolaou von der griechischen Staatspolizei in einem alten Opel-Taxi. Der Beamte, der einen mächtigen schwarzen Schnauzbart trug und gerade in ein belegtes Brötchen biß, sah ganz und gar nicht wie ein Polizist aus. Er hatte eine kleine Automatic im Handschuhfach liegen, mit der er jedoch nicht sehr gut umgehen konnte, wie viele seiner europäischen Kollegen. Seine eigentliche Waffe war die Nikon in der Federhalterung unterm Sitz. Papanikolaou observierte im Auftrag des Ministeriums für öffentliche Ordnung. Sein Personengedächtnis war phänomenal – die Kamera war eigentlich nur für Leute, denen dieses Talent, auf das er mit Recht stolz war, fehlte. Sein Beruf erforderte große Geduld, aber an der mangelte es ihm nicht. Wenn seine Vorgesetzten Hinweise auf eine mögliche Terroristen-Aktion im Raum Athen erhalten hatten, ging er in Hotels, am Hafen und auf dem Flughafen Streife. Er war zwar nicht der einzige Beamte mit dieser Funktion, aber der beste und hatte das feine Gespür seines Vaters, eines Fischers, geerbt, der auch immer gewußt hatte, wo die Schwärme zogen. Außerdem haßte er Terroristen mehr als alle anderen Kriminellen und war wütend auf seine Regierung, die sich nicht dazu durchringen konnte, das Gesindel aus dem Land zu jagen. Im Augenblick aber griff man zur Abwechslung einmal härter durch. Vor einer Woche war ein vermutliches Mitglied der PFLP in der Nähe des Parthenon gesehen worden. Vier Männer seines Dezernats überwachten den Flughafen, andere taten in Piräus Dienst, wo die Kreuzfahrtschiffe anlegten, aber Papanikolaou observierte am liebsten in Hotels. Irgendwo mußten die Kerle nämlich unterkommen. Nie in den besten Häusern – das wäre zu auffällig gewesen. Auch nie in billigen Absteigen – dazu legten sie zu großen Wert auf Komfort. Nein, man zog Familienhotels in Nebenstraßen vor, wo man in der Masse der Touristen unterging. Papanikolaou aber hatte die scharfen Augen seines Vaters geerbt und konnte ein Gesicht in einer halben Sekunde über eine Distanz von siebzig Metern erkennen.

Und der Fahrer des blauen Fiat kam ihm bekannt vor. Er konnte keinen Namen mit ihm in Verbindung bringen, entsann sich aber, sein Gesicht irgendwo gesehen zu haben, in der Akte »Unbekannt« vermutlich, die Hunderte von Bildern enthielt, die Interpol und militärische Nachrichtendienste geliefert hatten. Griechenland – Hellas für den Wachtmeister – hatte Leonidas und Xenophon, Odysseus und Achilles hervorgebracht und war als Land der epischen Helden und als Wiege der Demokratie kein Tummelplatz für ausländisches Mordgesindel.

Und wer ist der andere? fragte sich Papanikolaou. Gekleidet wie ein Amerikaner, aber seltsame Gesichtszüge. Mit einer fließenden Bewegung hob er die Kamera, stellte das Teleobjektiv scharf und schoß in rascher Folge drei Aufnahmen. Der Fiat war angefahren. Papanikolaou schaltete die Beleuchtung des Taxischilds auf dem Wagendach aus und beschloß, ihm zu folgen.

Russell machte es sich auf dem Sitz bequem und schnallte sich nicht an. Der Gurt war nur hinderlich, falls er aus dem Fahrzeug fliehen mußte. Sein Begleiter steuerte geschickt durch den dichten Verkehr und sagte kein Wort, und das war Russell recht. Der Amerikaner hielt nach verräterischen Anzeichen für eine Falle Ausschau. Im Wageninneren selbst gab es keine auffälligen Verstecke für Waffen; es waren auch keine Mikrofone oder Funkgeräte zu sehen. Das bedeutete an sich noch nichts, aber er überzeugte sich trotzdem. Schließlich gab er sich entspannt und neigte den Kopf so, daß er nach vorne und im rechten Außenspiegel auch nach hinten schauen konnte. Sein Jägerinstinkt war an diesem Morgen scharf. Überall lauerten potentielle Gefahren.

Der Fahrer schien ziellos herumzukurven. Genau konnte Russell das allerdings nicht beurteilen, denn die uralte Stadt war trotz einiger Konzessionen an den motorisierten Verkehr alles andere als autofreundlich. Gemessen an amerikanischen Verhältnissen waren dies winzige Fahrzeuge, die in einem einzigen chaotischen Stau dahinkrochen. Er hätte gerne gewußt, wohin die Fahrt ging, erkundigte sich aber nicht, weil er zum einen nicht in der Lage gewesen wäre, eine korrekte Antwort von einer Lüge zu unterscheiden, und zum anderen auch mit der Wahrheit wenig anzufangen gewußt hätte. Er war auf diesen Kurs festgelegt. Das verbesserte Russells Laune zwar nicht, aber er war kein Mann, der sich etwas vormachte. Nun blieb ihm nur eines übrig: wachsam zu sein.

Aha, es geht zum Flughafen, dachte Papanikolaou. Sehr günstig. Dort taten nicht nur Leute aus seinem Dezernat, sondern auch zwanzig andere mit Pistolen und MPs bewaffnete Kollegen Dienst. Einfacher Fall: ein paar Beamte in Zivil ganz in der Nähe in Stellung bringen, zwei Schwerbewaffnete vorbeischlendern lassen und dann die Verdächtigen rasch und unauffällig schnappen. Ab zur Überprüfung in ein Hinterzimmer, und wenn sie sich dann als harmlos entpuppten, entschuldigte sich der Hauptmann umständlich: Nichts für ungut, aber sie sähen Personen ähnlich, die von Italien oder Frankreich gesucht wurden, und im internationalen Flugverkehr könne man nicht vorsichtig genug sein. Und zum Trost bekamen die zu Unrecht Verdächtigten dann ein Erster-Klasse-Ticket. Das wirkte fast immer.

Andererseits: Wenn Papanikolaou sich nicht irrte, hatte er in diesem Jahr schon den dritten Terroristen erwischt, oder gar den vierten. Daß der zweite Mann wie ein Amerikaner aussah, bedeutete noch nicht, daß er auch einer war. Vier in acht Monaten – nein, sieben, korrigierte sich der Wachtmeister – das war nicht übel für einen eigenbrötlerisch veranlagten Beamten. Papanikolaou holte ein wenig auf, um diese beiden Fische im dichten Verkehr nicht zu verlieren.

Russell sah zahlreiche Taxen, die vorwiegend Touristen, aber auch ein paar verkehrsscheue Athener transportierten... Halt, da stimmt was nicht! In einem Auto saß nur der Fahrer, aber das Taxischild war unbeleuchtet wie bei den vielen anderen besetzten Taxen. Eine leere Droschke, die dennoch nicht frei war? Russells Fahrer bog nach rechts ab und hielt auf eine vierspurige Schnellstraße zu. Die meisten Taxen fuhren geradeaus weiter, wohl zu Sehenswürdigkeiten oder Einkaufsstraßen, aber das Fahrzeug mit dem dunklen Schild bog ebenfalls rechts ab und blieb fünfzig Meter hinter ihnen.

»Wir werden verfolgt«, sagte Marvin leise. »Ist das ein Freund, der uns bewacht?«

»Nein.« Der Fahrer schaute sofort in den Rückspiegel. »Welches Auto haben Sie im Verdacht?«

»Das ist kein Verdacht, sondern eine Gewißheit. Das Taxi auf der rechten Spur, schmutzigweiß, Schild unbeleuchtet, die Marke kenne ich nicht. Ist zweimal mit uns abgebogen. Sie sollten besser aufpassen«, fügte Russell hinzu und fragte sich, ob die befürchtete Falle nun zuschnappte. Mit dem Fahrer werde ich leicht fertig, dachte er, dem drehe ich den Hals um wie einer Opfertaube. Kein Problem.

»Danke für den Hinweis... stimmt.« Der Fahrer hatte das Taxi entdeckt und bog nun aufs Geratewohl wieder ab. Der weiße Opel blieb hinter ihnen.

»Sie haben recht«, meinte der Fahrer nachdenklich. »Wie haben Sie das gemerkt?«

»Ich halte die Augen offen.«

»Hm ... das wirft unsere Pläne um.« Der Fahrer dachte fieberhaft nach. Seine Organisation meinte es ehrlich und wollte den Gast nicht in die Falle locken, was Russell natürlich nicht wissen konnte. Wenn der Gast ein Spitzel war, hätte er ihn bestimmt nicht auf den Verfolger aufmerksam gemacht – oder wahrscheinlich nicht. Nun, es gab einen Weg, seinen schweigsamen Passagier auf die Probe zu stellen. Der Fahrer hatte auch einen Haß auf die Griechen, denn einer seiner Genossen war in Piräus verschwunden und wenige Tage später in England aufgetaucht. Nun saß dieser Freund im Gefängnis Parkhurst auf Wight. Früher konnte die Gruppe in Griechenland ungestraft operieren und hatte das Land meist als sichere Transitstation benutzt. Die Erkenntnis, daß es ein Fehler gewesen war, im Land Operationen durchzuführen, anstatt es ausschließlich als wertvolle Basis zu benutzen, konnte seinen Zorn auf die griechische Polizei nicht dämpfen.

»Da werden wir etwas unternehmen müssen.«

Russell schaute den Fahrer an. »Ich habe keine Waffe.«

»Ich schon, aber ich möchte sie lieber nicht benutzen. Wie stark sind Sie?«

Zur Antwort packte Russell das rechte Knie des Fahrers mit der Linken und drückte zu.

»Danke, das genügt«, sagte der Mann gleichmütig. »Mit einem kaputten Knie kann ich nicht mehr fahren. Haben Sie schon mal jemanden getötet?«

»Klar«, log Russell, der sich immerhin mit dem Töten von Tieren auskannte. »Das kann ich.« Der Fahrer nickte und gab Gas.

Papanikolaou runzelte die Stirn. Schade, der Fiat fuhr doch nicht zum Flughafen. Gut, daß er noch nicht über Funk Alarm gegeben hatte. Nun denn. Er fiel zurück und suchte hinter anderen Fahrzeugen Deckung. Der Fiat war dank seiner Lackierung leicht zu sehen, und da der Verkehr nun spärlicher wurde, brauchte er nicht mehr so aufzupassen. Vielleicht waren die beiden unterwegs zu einem konspirativen Haus. In diesem Fall mußte er sehr vorsichtig sein, gewann andererseits aber auch einen wertvollen Hinweis. Wer ein konspiratives Haus identifizierte, hatte einen Coup gelandet. Auf einen solchen Hinweis hin griffen die Spezialeinheiten ein, oder das Haus wurde observiert, bis alle Bewohner identifiziert waren, und dann gestürmt. Am Ende der Aktion winkten eine Auszeichnung und eine Beförderung. Er erwog erneut einen Funkspruch – doch was hatte er zu melden? Daß er versuchsweise ein namenloses Gesicht entdeckt hatte? Hatten ihn seine Augen getrogen? War der Mann vielleicht nur ein gewöhnlicher Krimineller?

Spiros Papanikolaou verfluchte sein Pech und behielt das Fahrzeug im Auge. Sie kamen nun in ein altes Arbeiterviertel in Athen mit schmalen, fast leeren Straßen. Wer eine Stelle hatte, war auf der Arbeit. Die Hausfrauen kauften ein. Kinder spielten in den Anlagen. Viele Leute machten Urlaub auf den Inseln, und die Straßen lagen verlassener da als erwartet. Der Fiat bremste jäh ab und bog in eine der vielen anonymen Seitenstraßen.

»Fertig?«

»Ja.«

Der Wagen hielt kurz an. Russell, der schon Jackett und Krawatte ausgezogen hatte, dachte noch immer an eine Falle, aber mit Gleichmut. Wenn das Schicksal es will ... Er ging auf der Straße zurück und ließ die Fingermuskeln spielen.

Wachtmeister Spiros Papanikolaou fuhr rascher auf die Straßenecke zu. Wenn er in diesem Labyrinth enger Gassen in Sichtweite bleiben wollte, mußte er aufschließen. Und wenn die beiden ihn identifizieren sollten, konnte er einen Hilferuf funken. Ein Polizist mußte immer mit dem Unerwarteten rechnen. Als er die Ecke erreichte, sah er einen Mann am Straßenrand stehen und Zeitung lesen. Keine von den Personen, die er beschattete. Dieser Mann trug kein Jackett. Er hatte aber das Gesicht abgewandt, und seine Körperhaltung erinnerte Papanikolaou an einen Film. Der Wachtmeister lächelte ironisch, wurde dann aber plötzlich ernst.

Papanikolaou war nun in der Seitenstraße und sah den Fiat nicht mehr als zwanzig Meter entfernt im Rückwärtsgang rasch auf sich zufahren. Der Beamte stieg auf die Bremse und überlegte, selbst zurückzustoßen, als vor seinen Augen ein Arm auftauchte. Er löste die Hände vom Steuer, um ihn zu packen, aber eine starke Hand ergriff sein Kinn, und eine andere schloß sich um seinen Nacken. Er versuchte, den Kopf zu wenden, aber da riß eine Hand sein Haupt nach links, und er sah gerade noch das Gesicht des Amerikaners, che seine Halswirbel vernehmlich brachen. Sekunden vor seinem Tod erkannte Papanikolaou, was er an dem Mann so sonderbar gefunden hatte. Seine Züge erinnerten ihn an Gestalten aus einem Western...

Russell löste sich mit einem Sprung von dem Taxi und winkte. Der Fiat fuhr wieder an und rammte den Opel. Der Kopf des Taxifahrers fiel nach vorne und hing schlaff herunter. Sicherheitshalber tastete Russell nach dem Puls des Mannes und drehte seinen Kopf hin und her, um festzustellen, daß das Rückgrat auch gebrochen war. Dann ging er lächelnd zum Fiat zurück. Hm, die Sache war kinderleicht gewesen ...

»Er ist tot. Hauen wir ab!«

»Ganz bestimmt?«

»Klar, der ist tot. Ich hab’ ihm den Hals umgedreht. War ja nur ein schmächtiges Kerlchen.«

»So wie ich?« Der Fahrer wandte den Kopf und lächelte. Nun mußte er natürlich das Auto verschwinden lassen, aber im Augenblick überwog das Hochgefühl. Sie waren entkommen und hatten einen Feind getötet. Und er hatte einen guten Kameraden gefunden. »Wie heißt du?«

»Marvin.«

»Und ich bin der Ibrahim.«

 

Die Rede des Präsidenten war ein Triumph. Der Mann weiß, wie man eine erstklassige Vorstellung hinlegt, sagte sich Ryan, als donnernder Applaus die Halle der UN-Vollversammlung in New York erfüllte. Fowler dankte den Vertretern von über hundertsechzig Staaten mit einem huldvollen, aber ziemlich kalten Lächeln. Die Kameras schwenkten auf die israelische Delegation, die im Gegensatz zu den Arabern nur der Form halber Beifall spendete – offenbar war sie nicht rechtzeitig informiert worden. Die Sowjets übertrafen sich selbst und waren wie viele andere aufgestanden. Jack griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus, ehe der ABC-Kommentator die Ausführungen des Präsidenten zusammenfassen konnte. Ryan hatte einen Entwurf der Rede auf dem Schreibtisch liegen und sich Notizen gemacht. Vor wenigen Augenblicken hatte der Vatikan per Telex Einladungen an die Außenministerien aller betroffenen Länder gesandt. Die Konferenz sollte in zehn Tagen in Rom beginnen; ein Vertragsentwurf lag bereits vor. Eine Handvoll Botschafter und Staatssekretäre hatten inzwischen rasch und diskret andere Regierungen über die Initiative informiert und durchweg positive Antworten erhalten. Das wußten die Israelis, denen über die entsprechenden Kanäle gezielte Indiskretionen zugespielt worden waren. Wenn sie jetzt mauerten  – nun, Bunker hatte eine Liefersperre für Flugzeugersatzteile verhängt, und die Israelis waren so schockiert, daß ihre Reaktion bisher ausgeblieben war. Genauer gesagt hatte man ihnen zu verstehen gegeben, daß sie am besten überhaupt nicht reagierten, wenn sie die neuen Radarsysteme jemals zu sehen bekommen wollten. Schon ging ein Grollen durch die israelische Lobby, die in der US-Regierung über eigene Quellen verfügte, und wichtige Kongreßmitglieder erhielten bereits diskrete Anrufe. Fowler aber hatte die Führung des Kongresses schon vor zwei Tagen informiert und eine vorläufig positive Reaktion auf seinen Plan erhalten. Der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Senat hatte ihm die Annahme beider Vertragsentwürfe binnen einer Woche versprochen.

Die Sache läuft also wirklich, dachte Jack, und wird vielleicht sogar ein Erfolg. Schaden konnte der Versuch nicht. Amerikas Goodwill, den es sich mit seinem Abenteuer am Golf verdient hatte, stand auf dem Spiel. Die Araber mußten dies als grundlegenden Kurswechsel der amerikanischen Außenpolitik interpretieren, was es auch war – die USA klopften Israel auf die Finger. Israel sah das vermutlich genauso, aber zu Unrecht, denn der Frieden sollte auf die einzig mögliche Weise garantiert werden: durch Amerikas militärische und politische Macht. Das Ende der Konfrontation zwischen Ost und West hatte Amerika in die Lage versetzt, im Einklang mit anderen Großmächten einen gerechten Frieden zu diktieren. Nun ja, eben das, was wir für einen solchen halten, korrigierte sich Ryan. Hoffentlich klappt es.

Für Zweifel war es zu spät, jetzt, da der Fowler-Plan, seine Idee, der Weltöffentlichkeit präsentiert worden war. Sie mußten den Teufelskreis durchbrechen, einen Weg finden.

Einzig Amerika besaß das Vertrauen beider Seiten, das es zum einen mit dem Blut seiner Soldaten und zum anderen mit gewaltigen Geldsummen gewonnen hatte. Amerika mußte den Frieden garantieren, und dieser Frieden mußte für alle Beteiligten so gerecht wie nur möglich sein. Diese Gleichung war simpel und komplex zugleich und ließ sich in ihren Grundzügen in einem einzigen kurzen Paragraphen erklären. Die Durchführungsbestimmungen aber würden ein kleines Buch füllen. Und die Kosten – nun, es stand zu erwarten, daß der Kongreß die Mittel trotz der gewaltigen Summen anstandslos bewilligte. Saudi-Arabien hatte erst vor vier Tagen Minister Talbots Bitte entsprochen und sich bereit erklärt, ein Viertel der Kosten zu übernehmen. Als Gegenleistung erhielt das Land eine weitere Lieferung hochmoderner Waffen, die Minister Bunker zusammengestellt hatte. Diese beiden Männer hatten nach Ryans Auffassung erstklassige Arbeit geleistet. Der Präsident mochte seine Fehler haben, aber seine beiden wichtigsten Kabinettsmitglieder – alte Freunde – waren das beste Team, das er je im Regierungsdienst erlebt hatte. Und in der vergangenen Woche hatten sie für ihren Präsidenten etwas ganz Besonderes geleistet.

»Ja, das haut hin«, sagte Ryan ruhig zu sich selbst in die Stille seines Büros hinein. »Vielleicht, vielleicht, vielleicht.« Er schaute auf die Uhr. In drei Stunden war mit einem klareren Bild der Lage zu rechnen.

 

Kati saß vor dem Fernseher und runzelte die Stirn. Ist das möglich? fragte er sich. Nein, sagte sein Geschichtssinn, aber ...

Aber die Saudis hatten seiner Organisation, die im Golfkrieg aufs falsche Pferd gesetzt hatte, die Finanzhilfe gestrichen. Seine Leute waren knapp bei Kasse, obwohl sie im Lauf der Jahre ihr Vermögen gewinnbringend angelegt hatten. Banken in der Schweiz und anderswo sorgten für einen ständigen Geldfluß, und der Engpaß war eher ein psychologischer als ein realer, aber für Araber wie auch für scharfsinnige Politiker waren psychologische Aspekte real.

Der entscheidende Punkt, das wußte Kati, war die Frage, ob die Amerikaner tatsächlich echten Druck ausüben würden. Das hatten sie bisher noch nie getan. Israel hatte ein US-Kriegsschiff angegriffen und amerikanische Seeleute getötet, aber der Zwischenfall wurde vergessen und vergeben, noch ehe die letzte Blutung gestillt, das letzte Opfer gestorben war. Während das amerikanische Militär beim Kongreß um jeden Dollar betteln mußte, überschlug sich dieser rückgratlose Haufen politischer Huren geradezu, wenn es um Waffenlieferungen an die Juden ging. Amerika hatte Israel niemals richtig unter Druck gesetzt. Und das war der Schlüssel zu Israels Existenz. Solange es im Nahen Osten keinen Frieden gab, hatte Kati eine Mission: die Vernichtung des Judenstaates. Ohne diese ...

Doch die Probleme im Nahen Osten waren älter als er. Eine Lösung konnte es nur geben, wenn ...

Zeit, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, sagte sich Kati und streckte die müden und schmerzenden Glieder. Hatte er denn Aussichten auf die Vernichtung Israels? Von außen nicht. Solange Amerika die Juden unterstützte und die Araber uneins blieben ...

Und die Russen? Die verfluchten Russen waren nach Fowlers Rede hochgesprungen wie bettelnde Hunde.

Doch, aus diesem Plan konnte etwas werden. Diese Vorstellung fand Kati nicht minder bedrohlich als seinen Krebs. Er lehnte sich zurück und schloß die Augen. Was, wenn die Amerikaner tatsächlich die Juden unter Druck setzten? Was, wenn die Russen diesen absurden Plan unterstützten? Was, wenn die Israelis nachgaben? Was, wenn die Palästinenser Israels Konzessionen akzeptierten? Dann konnte der Plan Erfolg haben. Dann existierte der Zionistenstaat weiter. Koexistenz war denkbar.

Dann aber war sein Leben zwecklos, alle Arbeit, Entbehrungen und Opfer wären umsonst gewesen. Dann hatten seine Freiheitskämpfer eine Generation lang für eine verlorene Sache gefochten, ihr Leben gegeben.

Verraten nun von den arabischen Brüdern, die seine Männer finanziell und politisch unterstützt hatten.

Verraten von den Russen, die seine Bewegung mit Waffenlieferungen am Leben gehalten hatten.

Verraten von den Amerikanern, und zwar auf ganz besonders perverse Weise: Sie hatten ihnen den Feind genommen.

Verraten von Israel, das zu einer Art gerechtem Frieden bereit zu sein schien. Doch solange auch nur ein einziger Zionist auf arabischem Boden lebte, konnte es keine Gerechtigkeit geben.

Würden ihn auch die Palästinenser verraten? Woher sollte er seine Kämpfer rekrutieren, wenn die PLO-Führung diesen Plan akzeptierte?

Haben uns denn alle verraten? dachte er verzweifelt.

Nein, das konnte Allah nicht zulassen. Allah war gnädig und seinen Getreuen ein Licht.

Nein, diese Ungeheuerlichkeit konnte, durfte nicht wahr werden. Zu viele Bedingungen mußten erfüllt werden, damit diese Höllenvision Wirklichkeit werden konnte. Und waren nicht schon so viele Friedenspläne für die Region gescheitert? Selbst das Camp-David-Abkommen, bei dem die Amerikaner ihre Verbündeten zu echten Konzessionen gezwungen hatten, war gestorben, weil sich die Israelis hartnäckig gegen eine gerechte Lösung der Palästinenserfrage gesträubt hatten.

Nein, sagte sich Kati, aus dieser Sache wird nichts. Auf die Amerikaner kann man sich nicht verlassen, wohl aber auf die Israelis. Seiner Auffassung nach waren die Juden viel zu dumm, arrogant und kurzsichtig, um zu erkennen, daß langfristig nur ein gerechter Friede ihre Sicherheit garantieren konnte. Die Ironie der Lage zwang ihn zu einem Lächeln. Es mußte Allahs Plan sein, daß seine Bewegung ausgerechnet von ihren bittersten Feinden am Leben gehalten wurde. Die starrsinnigen Juden würden dafür sorgen, daß der Krieg weiterging. Das war das Zeichen, mit dem Allah Kati und seinen Männern bedeutete, daß sie tatsächlich einen heiligen Krieg in seinem Namen führten.

 

»Niemals! Nie und nimmer beuge ich mich dieser Infamie!« schrie der Verteidigungsminister. Der Ausbruch war selbst für seine Verhältnisse dramatisch. Er schlug so fest auf den Tisch, daß sein Glas umkippte und der Inhalt auf seine Hose zu laufen drohte. Er ignorierte die Lache und schaute mit blitzenden blauen Augen in die Runde.

»Und wenn Fowler seine Drohungen ernst meint?«

»Dann ruinieren wir seine Karriere«, erwiderte der Verteidigungsminister. »Und das schaffen wir auch. Er wäre nicht der erste amerikanische Politiker, den wir auf Vordermann gebracht haben.«

»Was uns hier aber nicht gelungen ist«, sagte der Außenminister sotto voce zu seinem Nachbarn.

»Was war das?«

»Ich wollte sagen, daß wir in diesem Fall vielleicht nicht durchkommen, Rafi.« David Aschkenasi trank einen Schluck Wasser und fuhr fort: »Unser Botschafter in Washington meldet breite Unterstützung für Fowlers Plan auf dem Kapitol-Hügel. Am vergangenen Wochenende gab der Botschafter von Saudi-Arabien einen großen Empfang für die leitenden Vertreter der beiden Parteien im Kongreß und legte die Position seines Landes sehr überzeugend dar. Richtig, Avi?«

»Jawohl, Herr Minister«, antwortete General Ben Jakob, der in Vertretung seines verreisten Vorgesetzten für den Mossad sprach. »Die Saudis und die anderen ›gemäßigten‹ Golfstaaten sind bereit, den Kriegszustand zu beenden, mit uns in Vorbereitung einer späteren vollen diplomatischen Anerkennung Beziehungen auf ministerieller Ebene aufzunehmen und einen Teil der amerikanischen Stationierungskosten zu tragen. Außerdem wollen sie die Friedenstruppe und die wirtschaftliche Rehabilitation der Palästinenser finanzieren.«

»Wie können wir das ablehnen?« fragte der Außenminister trocken. »Wundert Sie denn die Unterstützung, die der Vorschlag im amerikanischen Kongreß findet?«

»Das ist doch alles nur ein Trick!« beharrte der Verteidigungsminister.

»Mag sein, aber dann ist es ein verdammt cleverer«, versetzte Ben Jakob.

»Sie glauben dieses Geschwätz, Avi? Ausgerechnet Sie, Avi?« Ben Jakob war vor Jahren auf dem Sinai Rafi Mandels bester Bataillonskommandeur gewesen.

»Ich weiß nicht, Raf.« Der stellvertretende Direktor des Mossad war sich seiner Position als zweiter Mann sehr bewußt. Es fiel ihm nicht leicht, für seinen Vorgesetzten zu sprechen.

»Wie schätzen Sie die Lage ein?« fragte der Ministerpräsident freundlich. Er fand, daß wenigstens einer am Tisch die Ruhe bewahren mußte.

»Die Amerikaner sind völlig aufrichtig«, erwiderte Avi. »Ihre Bereitschaft, mittels eines Verteidigungsabkommens und der Stationierung von Truppen hier unsere Sicherheit zu garantieren, ist echt. Vom rein militärischen Standpunkt aus...«

»Für die Verteidigung Israels spreche ich!« fauchte Mandel.

Ben Jakob drehte sich um und sah seinem ehemaligen Kommandeur fest in die Augen. »Rafi, Sie hatten immer einen höheren Rang als ich, aber Sie wissen genau, daß auch ich im Feld meinen Mann gestanden habe.« Avi legte eine Pause ein, um seine Worte wirken zu lassen, und fuhr dann leise und gemessen und so leidenschaftslos wie möglich fort: »Die amerikanischen Einheiten repräsentieren ein echtes Engagement. Die Schlagkraft unserer Luftwaffe erhöhte sich um zwanzig Prozent, und dieser Panzerverband hat mehr Feuerkraft als unsere stärkste Brigade. Mehr noch, ich sehe nicht, wie die USA dieses Engagement jemals rückgängig machen können. Das werden unsere Freunde dort niemals zulassen.«

»Es wäre nicht das erste Mal, daß man uns im Stich läßt!« betonte Mandel. »Verlassen wir uns nur auf uns selbst.«

»Rafi«, sagte der Außenminister mahnend, »was hat uns das eingebracht? Auch wir haben Seite an Seite gekämpft, und nicht nur in diesem Raum. Soll das Morden denn nie enden?«

»Lieber gar keinen Vertrag als einen schlechten!«

»Das finde ich auch«, meinte der Ministerpräsident. »Aber wie ungünstig soll dieser Vertrag für uns ausfallen?«

»Den Entwurf haben wir ja alle gelesen. Ich werde zwar einige geringfügige Änderungen vorschlagen, bin aber der Auffassung, daß es Zeit für einen Frieden ist«, erklärte der Außenminister. »Ich würde Ihnen raten, den Fowler-Plan unter bestimmten Bedingungen zu akzeptieren.« Diese legte er kurz dar.

»Werden die Amerikaner darauf eingehen, Avi?«

»Sie werden über die zusätzlichen Kosten klagen, aber unsere Freunde im Kongreß werden den Vorschlag unterstützen, ob Präsident Fowler nun einverstanden ist oder nicht. Man wird die historische Bedeutung unserer Konzessionen erkennen und dafür sorgen, daß wir uns innerhalb unserer Grenzen sicher fühlen können.«

»Dann trete ich zurück!« brüllte Rafi Mandel.

»Unsinn, Rafi.« Der Premier hatte die Theatralik des Mannes satt. »Wenn Sie zurücktreten, manövrieren Sie sich selbst ins Abseits. Sie machen sich doch Hoffnungen auf meinen Posten, oder? Wenn Sie jetzt das Kabinett verlassen, bekommen Sie ihn nie.«

Die Zurechtweisung ließ Mandel rot anlaufen.

Der Ministerpräsident schaute in die Runde. »Nun denn, formulieren wir die Haltung unserer Regierung.«

 

Vierzig Minuten später ging Jacks Telefon. Beim Abheben stellte er fest, daß es die geheimste Leitung war, die, die nicht übers Vorzimmer lief.

»Ryan.« Er lauschte kurz und machte sich Notizen. »Danke.« Dann stand er auf, ging durch Nancy Cummings Zimmer und wandte sich nach links zu Marcus Cabots geräumigerem Büro. Cabot lag auf einer Couch, die in der Ecke stand. Wie Richter Arthur Moore, sein Vorgänger, rauchte Cabot gelegentlich Zigarre. Er hatte die Schuhe ausgezogen und las eine Akte, die mit einem gestreiften Band gekennzeichnet, also geheim war. Der rundliche CIA-Direktor ließ die Akte sinken. Er qualmte wie ein Vulkan.

»Nun, Jack, was gibt’s?«

»Gerade rief unser Freund aus Israel an. Das Kabinett schickt eine Delegation nach Rom und hat die Vertragsbedingungen angenommen – mit einigen Modifikationen.«

»Mit welchen?« fragte Cabot, nahm Ryans Notizen entgegen und überflog sie. »Da haben Sie und Talbot recht behalten.«

»Tja, und ich hätte den Mund halten und ihn die Karte ausspielen lassen sollen.«

»Gut gemacht. Bis auf einen Punkt haben Sie alles richtig prophezeit.« Cabot stand auf, schlüpfte in seine schwarzen Halbschuhe und ging zu seinem Schreibtisch ans Telefon. »Richten Sie dem Präsidenten aus, daß ich ihn im Weißen Haus erwarte, wenn er aus New York zurückkommt. Talbot und Bunker sollen auch an der Besprechung teilnehmen. Sagen Sie, die Sache liefe.« Cabot legte auf und grinste mit der Zigarre zwischen den Zähnen. »Na, was sagen Sie jetzt?«

»Bis wann können wir die Sache zum Abschluß bringen?«

»Angesichts der Vorarbeit, die Sie und Adler geleistet haben, und der Beiträge von Talbot und Bunker ...? Hm, sagen wir zwei Wochen. So schnell wie in Camp David wird es nicht gehen, weil zu viele Berufsdiplomaten beteiligt sind, aber ich wette, daß der Präsident in vierzehn Tagen mit seiner 747 zur Vertragsunterzeichnung nach Rom fliegt.«

»Möchten Sie mich im Weißen Haus dabeihaben?«

»Nein, das regle ich allein.«

»Gut.« Das kam nicht unerwartet. Ryan ging.