14

Offenbarung

»Nun, was haben Sie gefunden?«

»Er ist ein hochinteressanter Mann«, erwiderte Goodley, »der bei der CIA fast unglaubliche Dinge getan hat.«

»Über die U-Boot-Geschichte und die Desertion des KGB-Chefs weiß ich Bescheid. Was liegt noch vor?« fragte Liz Elliot.

»Bei ausländischen Nachrichtendiensten ist er recht beliebt – zum Beispiel bei Sir Basil Charleston in England –, kein Wunder, aber auch in anderen Nato-Ländern, außerdem in Frankreich. Ryan stieß zufällig auf Hinweise, die es der DGSE ermöglichten, mehrere Mitglieder der Action directe zu fassen«, erklärte Goodley, der sich in seiner Spitzelrolle nicht ganz wohl fühlte.

Die Sicherheitsberaterin ließ sich nur ungern auf die Folter spannen, wollte den jungen Gelehrten aber nicht unter Druck setzen und lächelte nur ironisch. »Fangen Sie etwa an, den Mann zu bewundern?«

»Er hat gute Arbeit geleistet, aber auch Fehler gemacht. Den Zeitpunkt des Zerfalls der DDR und der deutschen Wiedervereinigung hat er völlig falsch eingeschätzt.« Daß alle anderen ebenso schiefgelegen hatten, war ihm nicht klar. Goodley selbst hatte die Wende fast exakt prophezeit und mit einem Artikel in einer obskuren Zeitschrift das Weiße Haus auf sich aufmerksam gemacht. Nun hielt der Assistent wieder inne.

»Und?« bohrte Elliot.

»Nun, es gibt ein paar besorgniserregende Aspekte in seinem Privatleben.«

Na endlich! dachte Elliot. »Und die wären?«

»Die Börsenaufsicht ermittelte wegen möglicher Insider-Geschäfte vor Ryans Eintritt bei der CIA gegen ihn. Er hatte offenbar erfahren, daß einer Software-Firma ein Großauftrag der Navy winkte, kaufte ihre Aktien und verdiente dabei ein Vermögen. Die Börsenaufsicht, die auch gegen die Geschäftsleitung der Firma ermittelte, fand das heraus und durchleuchtete Ryans Unterlagen. Er kam aber aufgrund einer Formsache ungestraft davon.«

»Erläutern Sie das näher«, befahl Liz Elliot.

»Zu ihrer eigenen Absicherung ließen die Manager der Firma einen kurzen Artikel über die Sache in einer militärischen Fachzeitschrift erscheinen, um zu beweisen, daß die Informationen, auf die hin sie und Ryan gehandelt hatten, allgemein bekannt gewesen waren. Damit war die Transaktion legal. Interessanter noch ist, was Ryan mit dem Geld anfing, nachdem die Börsenaufsicht darauf aufmerksam geworden war. Er löste es aus seinem Portefeuille, das inzwischen gleich von vier Treuhändern verwaltet wird, um Interessenkonflikten vorzubeugen, heraus ... Wissen Sie, wie groß Ryans Vermögen ist?«

»Nein.«

»Er besitzt über fünfzehn Millionen Dollar und ist damit der bei weitem reichste Mann der CIA. Ich halte sein Aktienpaket eher für unterbewertet und würde auf knapp zwanzig Millionen tippen. Er hat seit seinem Eintritt bei der CIA sein Buchhaltungsverfahren unverändert beibehalten, und das kann man ihm nicht zum Vorwurf machen. Die Ermittlung eines Nettovermögens ist eine eher metaphysische Angelegenheit, und für die Wertstellung gibt es mehrere Methoden. Wie auch immer, was fing er mit dem unerwarteten Profit an? Er schob ihn auf ein separates Konto und brachte ihn vor kurzem in eine Ausbildungsstiftung ein.«

»Für seine Kinder?«

»Nein«, antwortete Goodley. »Die Begünstigsten – Moment, das muß ich näher erläutern. Mit einem Teil des Geldes eröffnete er einen kleinen Supermarkt – 7-Eleven – für eine Witwe und ihre Kinder. Der Rest ist in Pfandbriefen und erstklassigen Aktien für die Ausbildung ihrer Kinder angelegt.«

»Wer ist diese Frau?«

»Sie heißt Carol Zimmer, ist von Geburt Laotin und die Witwe eines Sergeants der Air Force, der bei einem Manöverunfall ums Leben kam. Ryan hat sich um die Familie gekümmert und nahm sich sogar frei, um bei der Geburt des jüngsten Kindes – ein Mädchen übrigens – dabeizusein. Er besucht die Familie regelmäßig«, schloß Goodley.

»Aha, ich verstehe.« Natürlich verstand sie nichts. »Gab es eine berufliche Verbindung?«

»Eigentlich nicht. Mrs. Zimmer stammt, wie ich schon sagte, aus Laos. Ihr Vater gehörte zu jenen Stammeshäuptlingen, die von der CIA im Kampf gegen die Nordvietnamesen unterstützt wurden. Seine ganze Gruppe wurde aufgerieben. Wie ihr die Flucht gelang, weiß ich nicht. Sie heiratete einen Sergeant der Air Force und ging nach Amerika. Er kam irgendwo vor kurzer Zeit bei einem Unfall ums Leben. In Ryans Akte findet sich kein Hinweis auf eine frühere Beziehung zu der Familie. Eine Verbindung zu Laos ist denkbar – über die CIA, meine ich –, aber Ryan war damals nicht im Regierungsdienst, sondern noch Student. Nichts in der Akte deutet auf eine Verbindung hin. Kurz vor der letzten Präsidentschaftswahl richtete er plötzlich diese Stiftung ein und begann, die Familie einmal in der Woche zu besuchen. Ach ja, und da ist noch etwas.«

»Ja?«

»In einer anderen Akte entdeckte ich, daß es in dem 7-Eleven-Markt Ärger gab; Jugendliche aus der Gegend belästigten die Familie Zimmer. Ryans wichtigster Leibwächter ist ein CIA-Mann namens Clark, der früher im Außendienst war und jetzt im Personenschutz arbeitet. An seine Akte kam ich nicht heran«, erklärte Goodley. »Wie auch immer, dieser Clark griff offenbar zwei Bandenmitglieder an und schlug eines davon krankenhausreif. Ich sah den Zeitungsausschnitt; nur eine Kurzmeldung. Angeblich wurden Clark und ein anderer CIA-Mann – das Blatt beschrieb die beiden als Angestellte der Bundesregierung; kein Hinweis auf die CIA – von vier Schlägern angepöbelt. Dieser Clark muß ein harter Brocken sein. Der Anführer kam mit gebrochenem Knie ins Krankenhaus, ein Zweiter wurde nur bewußtlos geschlagen, und der Rest stand bloß da und machte sich die Hosen naß. Die Polizei behandelte den Fall als typische Jugendbanden-Angelegenheit – eher eine ehemalige. Anklage wurde nicht erhoben.«

»Was wissen Sie noch über diesen Clark?«

»Ich habe ihn ein paarmal erlebt. Ein großer, schwerer Mann Ende Vierzig, still, wirkt fast schüchtern. Aber seine Bewegungen erinnern mich an den einen Karatekurs, den ich einmal machte. Da gab es einen Lehrer, der in Vietnam bei einer Sondereinheit gedient hatte, und der bewegte sich wie ein Sportler, flüssig und knapp, aber seine Augen ... die waren immer in Bewegung, genauso ist Clark. Er sieht die Leute von der Seite an und entscheidet, ob sie eine Bedrohung darstellen oder nicht.« Goodley machte eine Pause und erkannte in diesem Augenblick, wer und was Clark wirklich war. Ben Goodley war nicht auf den Kopf gefallen. »Clark ist gefährlich.«

»Wie bitte?« Liz Elliot wußte nicht, wovon er redete.

»Entschuldigung, das hat mir der Karatelehrer beigebracht. Die gefährlichsten Menschen wirken ganz harmlos. Ist man mit ihnen zusammen in einem Raum, übersieht man sie leicht. Mein Karatelehrer zum Beispiel wurde in einer U-Bahn-Station überfallen. Man wollte ihn ausrauben. Am Ende lagen drei Jugendliche blutend am Boden. Offenbar hielten sie ihn, einen Afro-Amerikaner so um die Fünfzig, für einen einfachen Hausmeister. So kleidet er sich auch und wirkt dadurch ganz harmlos. Und so kommt mir auch Clark vor, er ist wie mein alter Sensei. Sehr interessant«, meinte Goodley. »Nun ja, er ist beim Personenschutz, und diese Leute sollen sich auf ihr Handwerk verstehen.

Ryan erfuhr, spekuliere ich, daß Mrs. Zimmer von diesen Kerlen belästigt wurde, und ließ seinen Leibwächter Ordnung schaffen. Der Polizei des Anne Arundel County war das ganz recht.«

»Bitte fassen Sie zusammen.«

»Ryan hat manchmal erstklassige Arbeit geleistet, aber auch Böcke geschossen. Im Grunde gehört er der Vergangenheit an und ist immer noch ein Kalter Krieger. Er kritisiert die Regierung wie zum Beispiel vor ein paar Tagen, als Sie an einem CAMELOT-Spiel nicht teilnahmen. Er findet, daß Sie Ihren Job nicht ernst nehmen und hält Ihr Fernbleiben für unverantwortlich.«

»Hat er das gesagt?«

»Fast wörtlich. Ich war bei Cabot im Zimmer, als er hereinkam und mekkerte.«

Elliot schüttelte den Kopf. »Da spricht der Kalte Krieger. Wenn der Präsident seine Arbeit richtig tut und ich meine, gibt es keine Krisen, die gemanagt werden müssen. Das ist der Zweck der Übung, oder?«

»Und bisher scheinen Sie Erfolg zu haben«, bemerkte Goodley.

Die Sicherheitsberaterin ignorierte die Bemerkung und schaute auf ihre Notizen.

 

Die Wände waren errichtet und mit Kunststoffplatten verkleidet. Die Klimaanlage lief schon und entfernte Feuchtigkeit und Staub aus der Luft. Fromm arbeitete an den Tischen für die Werkzeugmaschinen. »Tisch« war eine zu einfache Bezeichnung. Die Stücke hatten eine Tragfähigkeit von mehreren Tonnen und an den massiven Beinen Schraubspindeln zur Höheneinstellung. Nun brachte der Deutsche jede einzelne Maschine mit Hilfe von eingebauten Wasserwaagen in die Horizontale.

»Perfekt«, sagte er, nachdem er drei Stunden gearbeitet hatte. Es mußte auch alles perfekt sein. Nun war er zufrieden. Unter jedem Tisch befand sich ein meterdicker Sockel aus Stahlbeton, mit dem die Tischbeine nun verschraubt wurden.

»Müssen die Maschinen denn so starr montiert werden?« fragte Ghosn.

Fromm schüttelte den Kopf. »Ganz im Gegenteil. Sie schweben auf einem Luftkissen.«

»Aber Sie sagten doch, daß sie über eine Tonne wiegen!« wandte Kati ein.

»Haben Sie einmal ein Bild von einem Hovercraft gesehen? Das Ding ist hundert Tonnen schwer und schwebt auch auf Luft. Das Luftkissen isoliert unsere Maschinen gegen Bodenvibrationen.«

»Mit welchen Toleranzen müssen wir arbeiten?« fragte Ghosn.

»Etwa mit der Präzision, die beim Bau eines astronomischen Teleskops erforderlich ist«, erwiderte der Deutsche.

»Aber die ersten Bomben ...«

Fromm schnitt Ghosn das Wort ab. »Die ersten amerikanischen Bomben, die auf Hiroshima und Nagasaki fielen, waren primitiv und ineffizient. Der Großteil des spaltbaren Materials wurde vergeudet, besonders bei der Hiroshima-Waffe – so eine Waffe würden Sie ebensowenig bauen wie eine Bombe mit altmodischer Schwarzpulverlunte, oder? Wie auch immer, eine so unwirtschaftliche Konstruktion kommt nicht in Frage«, fuhr Fromm fort. »Nach den ersten Bomben sahen sich die amerikanischen Ingenieure mit dem Problem der beschränkten Verfügbarkeit spaltbaren Materials konfrontiert. Die paar Kilo Plutonium drüben sind das teuerste Material der Welt. Die Reaktoren, in denen Plutonium aus U235 ausgebrütet wird, kosten Milliarden; hinzu kommt der Aufwand für die Trennung in einer anderen Anlage, noch eine Milliarde. Nur Amerika hatte genug Geld für das ursprüngliche Projekt. Das Prinzip der Kernspaltung war auf der ganzen Welt bekannt – Geheimnisse gibt es in der Physik nicht –, doch nur Amerika verfügte über die Mittel und Ressourcen, um eine praktische Anwendung zu versuchen. Und über die Leute«, fügte Fromm hinzu. »Was waren das für Köpfe! Für die ersten Bomben – es waren übrigens drei – verbrauchte man das gesamte spaltbare Material, das zur Verfügung stand, und entschied sich, weil Zuverlässigkeit das Hauptkriterium war, für eine primitive, aber wirksame Konstruktion. Die Waffe war so schwer, daß nur das größte Flugzeug sie tragen konnte.

Nach 1945 war der Atomwaffenbau kein hastig durchgezogenes Kriegsprojekt mehr, sondern ging in die Domäne der Wissenschaft über. Der Plutoniumreaktor in Hanford erzeugte damals nur wenige Kilo im Jahr, und die Amerikaner mußten lernen, das Material effizient einzusetzen. Die Bombe Mark-12 war die erste echte Weiterentwicklung, und die Israelis verbesserten sie. Sie lieferten mit einem Fünftel des spaltbaren Materials, das die Hiroshima-Waffe hatte, die fünffache Sprengkraft – also eine Verbesserung des Wirkungsgrads um das Zehnfache.

Ein Expertenteam könnte mit den entsprechenden Einrichtungen diese Leistung noch einmal um das Vierfache erhöhen. Moderne Sprengköpfe sind die elegantesten, faszinierendsten ...«

»Zwei Megatonnen?« fragte Ghosn ungläubig.

»Hier schaffen wir das nicht«, erwiderte Fromm mit Bedauern. »Die verfügbaren Informationen sind unzureichend. Die Physik wäre kein Problem, wohl aber die Herstellung, und über Bombenkonstruktionen liegen keine Publikationen vor, die uns weiterhelfen könnten. Vergessen Sie nicht, daß man noch heute Testexplosionen durchführt, um die Bomben kleiner und effizienter zu machen. Auf diesem Gebiet wie auf jedem anderen muß man experimentieren, und das können wir nicht. Es fehlt uns auch das Geld für die Ausbildung von Technikern, die die Konstruktion ausführen. Ich könnte zwar eine Bombe mit einer Leistung von über einer Megatonne entwerfen, aber die Chance, daß sie dann auch funktionierte, läge bei fünfzig Prozent. Vielleicht auch ein bißchen höher, aber ohne ein richtiges Testprogramm wäre das ein unrealistisches Projekt.«

»Was können Sie uns dann bieten?« fragte Kati.

»Eine Waffe mit einer nominalen Sprengkraft von vier- bis fünfhundert Kilotonnen, die ungefähr einen Kubikmeter groß wäre und rund fünfhundert Kilo wöge.« Fromm machte eine Pause, um die Mienen der beiden anderen zu studieren. »Es wird also eine wenig elegante, sondern eine klobige und schwere, aber recht starke Waffe werden.« In der Konstruktion sollte sie viel raffinierter werden als alles, was amerikanische oder russische Techniker in den ersten 15 Jahren des Atomzeitlalters zustande gebracht hatten, und das, fand Fromm, war eine beachtliche Leistung.

»Mit Sprengstoff-Ummantelung?« fragte Ghosn.

»Ja«, antwortete Fromm und war von der Auffassungsgabe des jungen Arabers überrascht. »Bei den ersten Bomben benutzte man Stahlhüllen. Wir setzen statt dessen Sprengstoff ein, der leicht und voluminös, aber genauso wirkungsvoll ist. Im Augenblick der Detonation wird Tritium in den Kern gespritzt. Wie bei der ursprünglichen israelischen Konstruktion werden dadurch große Mengen von Neutronen freigesetzt, die den Spaltungsprozeß intensivieren; diese Reaktion wiederum wird zusätzliche Neutronen in eine zweite Tritiummasse schleudern und zur Kernfusion führen. Die Primärladung erzeugt eine Sprengleistung von rund fünfzig Kilotonnen; die Sekundärladung bringt vierhundert.«

»Wieviel Tritium wird gebraucht?« fragte Ghosn, der wußte, daß Tritium in kleinen Mengen leicht erhältlich war – Uhrmacher und Hersteller von Waffenvisieren brauchten es, wenngleich nur in mikroskopisch kleinen Quantitäten – aber wenn es über zehn Milligramm hinausging, war so gut wie unmöglich heranzukommen, wie er gerade selbst festgestellt hatte. Tritium und nicht Plutonium, wie Fromm gesagt hatte, war das teuerste Material auf Erden. Dafür war es jedoch, anders als Plutonium, im Handel erhältlich.

»Ich habe fünfzig Gramm«, erklärte Fromm selbstgefällig. »Das ist weitaus mehr, als wir brauchen.«

»Fünfzig Gramm!« rief Ghosn aus. »Wirklich?«

»Unser Reaktorblock produzierte spezielle nukleare Materialien für unser eigenes Bombenprogramm. Kurz vor ihrem Sturz beschloß die DDR-Regierung, das Plutonium als Loyalitätsgeste in Sachen Weltsozialismus der Sowjetunion zu übergeben. Die Sowjets aber sahen das anders und waren«, Fromm hielt inne, »ungehalten. Die Einzelheiten überlasse ich Ihrer Phantasie. Jedenfalls waren sie so aufgebracht, daß ich unseren Tritiumvorrat beiseite schaffte. Wie Sie wissen, ist sein Handelswert hoch – er war sozusagen meine Versicherungspolice.«

»Und wo ist er nun?«

»Bei mir zu Hause im Keller, versteckt in Nickel-Wasserstoff-Batterien.«

Kati gefiel das überhaupt nicht. Der arabische Guerillaführer war ein kranker Mann, wie Fromm sah, und konnte seine Gefühle nicht mehr so gut verbergen.

»Ich muß ohnehin nach Deutschland zurück, um die Werkzeugmaschinen zu holen«, beschwichtigte er.

»Haben Sie sie denn schon?«

»Ich wohne fünf Kilometer vom Astrophysischen Institut ›Karl Marx‹ entfernt. Dort sollten wir eigentlich astronomische Teleskope, optische und für Röntgenstrahlen empfindliche, bauen. Leider lief das Programm nie an. In der Werkstatt stehen Kisten, beschriftet mit ASTROPHYSIKALISCHE INSTRUMENTE, die sechs hochpräzise, fünfachsige Maschinen des besten Herstellers enthalten«, erklärte Fromm mit einem wölfischen Grinsen. »Cincinnati Milacron, USA. Das Modell, das die Amerikaner in ihren Kernwaffenfabriken Oak Ridge, Rocky Flats und Pantex einsetzen.«

»Und das Bedienungspersonal?« fragte Ghosn.

»Wir bildeten zwanzig Leute aus, sechzehn Männer und vier Frauen, alles Akademiker... aber nein, das wäre zu riskant und auch gar nicht nötig. Die Maschinen sind ›benutzerfreundlich‹, wie man heute sagt. Wir könnten sie sogar selbst bedienen, aber das nähme zu viel Zeit in Anspruch. Jeder Optiker oder sogar Büchsenmachermeister kann mit ihnen umgehen. Was vor fünfzig Jahren das Geschäft von Nobelpreisträgern war, erledigt heute ein tüchtiger Maschinist«, sagte Fromm. »Das nennt man Fortschritt.«

 

»Das könnte etwas sein, oder auch nicht«, meinte Jewgenij. Er war nun seit 20 Stunden ununterbrochen im Dienst, und nur sechs Stunden Schlaf, die vermutlich auch noch unterbrochen werden würden, trennten diese Schicht von der nächsten, noch längeren.

Das Orten der Signatur, sollte es sich um eine handeln, hatte Dubinins ganzes Können erfordert. Er vermutete, daß das amerikanische U-Boot sich nach Süden gewandt hatte und ungefähr fünf Knoten machte. Nun mußte er die Umweltverhältnisse berücksichtigen, nahe seinem Ziel in der Direktbahn-Zone bleiben und eine Sonar-Konvergenzzone meiden. Eine KZ ist ein ringförmiges Gebiet, das ein Boot umgibt. Schall, der sich von einem Punkt innerhalb der Zone nach unten ausbreitet, wird von Unterschieden in Wasserdruck und -temperatur gebrochen und spiralt in unregelmäßigen, von Umwelteinflüssen abhängigen Intervallen zwischen Oberfläche und Grund hin und her. Indem Dubinin diese Zonen relativ zu der Richtung, in der er sein Ziel vermutete, mied, entzog er sich einer Ortung. Dazu mußte er allerdings innerhalb der sogenannten Direktbahn-Distanz bleiben, dem Gebiet, in dem sich Schall nur radial von seiner Quelle ausbreitete. Um das unerkannt zu bewerkstelligen, mußte er über der Thermoklincalc bleiben – er ging davon aus, daß der Amerikaner sich unter ihr hielt –, und sein Schleppsonar knapp unter ihr treiben lassen. Auf diese Weise würden seine Maschinengeräusche wahrscheinlich von der Schicht und von dem amerikanischen Boot wegreflektiert.

Dubinins taktisches Problem war seine technische Unterlegenheit. Das amerikanische Boot war leiser als seines und verfügte über eine bessere Sonaranlage und bessere Sonar-Operatoren. Leutnant Jewgenij Nikolajewitsch Rykow war ein sehr intelligenter Offizier, aber leider der einzige Sonarmann an Bord, der es mit seinen amerikanischen Pendants einigermaßen aufnehmen konnte, und der Junge machte sich dabei kaputt. Kapitän Dubinins einziger Vorteil war sein taktisches Geschick. Genau daran aber mangelte es dem amerikanischen Kapitän, was dieser jedoch nicht wußte – und das geriet ihm zum Nachteil. Dubinin blieb über der Thermoklinealen und setzte sich der Gefahr einer Ortung durch amerikanische U-Jagd-Flugzeuge aus, nahm dieses Risiko aber in Kauf. Ihm winkte ein Preis, den bisher noch kein russischer U-Boot-Kommandant gewonnen hatte.

Der Kapitän und der Leutnant starrten auf ein »Wasserfall«-Display und studierten keine Röhrenblitze, sondern eine unterbrochene, kaum sichtbare vertikale Linie, deren Helligkeit schwächer war als erwartet. Das amerikanische Boot der Ohio-Klasse war leiser als das Hintergrundgeräusch des Ozeans, und die beiden Männer fragten sich, ob ihnen besondere Umweltverhältnisse den akustischen Schatten dieses modernsten aller strategischen Boote gerade sichtbar machten. Es kann auch gut sein, dachte Dubinin, daß die Phantasie unseren übermüdeten Augen etwas vorspiegelt.

»Wir brauchen ein Geräusch«, seuzte Rykow und griff nach seiner Teetasse. »Wenn doch jemand einen Hammer fallen ließe oder ein Luk zuschlüge... bitte macht einen Fehler...«

Ich könnte ihn direkt anpeilen ... kurz unter die Schicht tauchen, ihm einen Peitschenhieb mit Aktivsonar versetzen und Klarheit schaffen... NEIN! dachte Rykow, wandte sich ab und hätte beinahe geflucht. Geduld, Walentin, sagte er sich. Wir müssen Ruhe bewahren.

»Jewgenij Nikolajewitsch, Sie sehen erschöpft aus.«

»Ausschlafen kann ich mich in Petropawlowsk, Herr Kapitän. Ich besuche meine Frau und lege mich eine Woche lang ins Bett – aber nicht nur zum Schlafen«, meinte er mit einem müden Grinsen. Der gelbe Schein des Monitors erhellte das Gesicht des Leutnants. »Aber eine solche Chance lasse ich mir nicht entgehen!«

»Auf Fehler brauchen wir nicht zu hoffen.«

»lch weiß. Diese verdammten amerikanischen Mannschaften ... ich weiß genau, daß da ein Ohio lauert! Was soll das sonst sein?«

»Einbildung, Jewgenij, und Wunschdenken.«

Leutnant Rykow drehte sich um. »Das nehme ich Ihnen nicht ab.«

»Ich glaube, mein Leutnant hat recht«, sagte Dubinin und dachte: Was ist das doch für ein spannendes Spiel! Schiff gegen Schiff, Verstand gegen Verstand. Dreidimensionales Schach unter sich fortwährend ändernden Umweltbedingungen. Und Dubinin wußte, daß bei diesem Spiel die Amerikaner die Meister waren. Bessere Ausrüstung, bessere Mannschaften, bessere Ausbildung. Natürlich wußten die Amerikaner das auch, und nach zwei Generationen der Überlegenheit war Arroganz an die Stelle von Innovation getreten ... nicht bei allen, aber bei einigen. Wäre der Kommandant des strategischen Bootes gewieft gewesen, hätte er sich anders verhalten. Kommandierte ich so ein Boot, überlegte Dubinin, fände mich niemand auf der Welt!

»Noch zwölf Stunden, dann müssen wir den Kontakt abbrechen und die Rückfahrt antreten.«

»Schade«, meinte Rykow nicht ganz aufrichtig. Sechs Wochen in See reichten ihm.

 

»Auf 20 Meter gehen«, sagte der Diensthabende.

»20 Meter, aye«, erwiderte der Tauchoffizier. »Bug-Tiefenruder an zehn Grad.«

Die Raketenabschußübung, die regelmäßig durchgeführt wurde, hatte gerade begonnen. Sie sollte die Kompetenz der Mannschaft sicherstellen und sie gegen den Horroreffekt ihres wichtigsten Kampfauftrages unempfindlich machen: das Abfeuern von 24 Raketen UGM-93 Trident-II D-5 mit jeweils zehn Sprengköpfen Mark 5 und einer Nominalsprengleistung von 400 Kilotonnen. Die insgesamt 240 Kernwaffen an Bord hatten eine Gesamtnettoleistung von 96 Megatonnen. Doch der verzahnten Logik mehrerer Gesetze der Physik nach steekte noch mehr dahinter. Kleine Kernwaffen setzen ihre Sprengleistung effizienter ein als große. Am wichtigsten aber war die Tatsache, daß der Sprengkopf Mark 5 eine demonstrierte Zielgenauigkeit von plusminus 50 Metern hatte; das bedeutete, daß nach einem über 4000 Seemeilen langen Flug die Hälfte der Bomben innerhalb von 100 Metern einschlugen. Die Abweichung war wesentlich kleiner als der Krater, den ein solcher Sprengkopf riß. Aus diesem Grund war die D-5 die erste für einen Erstschlag geeignete seegestützte Rakete. Unter Berücksichtigung der Taktik, ein Ziel mit zwei Bomben zu belegen, bedeutete dies, daß Maine 120 sowjetische Raketensilos und/oder Befehlsbunker ausschalten konnte – rund zehn Prozent der gegenwärtigen sowjetischen Interkontinentalwaffen, die selbst für einen Erstschlag konfiguriert waren.

In der Raketenzentrale hinter dem riesigen Raketenraum schaltete ein Obermaat die Stromversorgung seiner Konsole ein. Alle 24 Flugkörper waren startbereit. Navigationscomputer an Bord speisten Daten in die Lenksysteme der Raketen ein; Signale, die von Navigationssatelliten ausgesendet wurden, brachten diese Information im Abstand von wenigen Minuten auf den neuesten Stand, denn die Raketen mußten, um treffen zu können, nicht nur ihr Ziel, sondern auch ihre exakte Startposition kennen. Das globale Satelliten-Navigationssystem NAVSTAR lieferte diese Information mit einer Toleranz von weniger als fünf Metern. Als der Computer die Raketen abfragte, signalisierten die Kontrolleuchten Aktiv-Status.

Der Wasserdruck auf den Rumpf des Bootes nahm beim Auftauchen ab. Die Druckentlastung führte zu einer leichten Ausdehnung des Rumpfes, und der sich entspannende Stahl knisterte leise.

 

Es war nur ein Ächzen, das selbst von den Sonarsystemen kaum vernommen wurde und dem Ruf eines Wales verführerisch ähnlich klang. Rykow war vor Erschöpfung so benommen, daß er es wenige Minuten später nicht mehr wahrgenommen hätte, aber sein Verstand war scharf genug geblieben, daß er das Geräusch isolierte.

»Käpt’n ... Rumpfknistern... hier!« Er tippte auf einen Punkt knapp unter dem Schatten auf dem Schirm, den er sich zusammen mit Dubinin betrachtet hatte. »Er taucht auf.«

Dubinin hastete in die Zentrale. »Klarmachen zum Tauchen.« Er setzte seinen Kopfhörer auf und war nun mit Leutnant Rykow verbunden.

»Jewgenij Nikolajewitsch, jetzt müssen wir geschickt und rasch handeln. Ich gehe unter die Schicht, sobald der Amerikaner über ihr ist...«

»Nein, Käpt’n, das hat Zeit. Sein Schlepp-Sonar wird so wie unseres noch kurz unter ihr bleiben.«

»Verflucht, Sie haben recht!« Beinahe hätte Dubinin gelacht. »Verzeihung, Leutnant. Ich schulde Ihnen eine Flasche Starka.« Das war Wodka vom Besten.

»Meine Frau und ich werden auf Sie anstoßen. Ah, ich bekomme eine Winkelpeilung... Fünf Grad unter unserem Schleppsonar... Wenn ich den Kontakt halten und nach dem Durehbrechen der Schicht wieder auffassen kann...«

»Ja, schätzen Sie rasch die Distanz!« Sie konnten zwar nur mit einem groben Wert rechnen, aber das war besser als gar nichts. Dubinin schnarrte dem Offizier am Kartentisch Befehle zu.

»Zwei Grad ... Rumpfknistern ist weg ... Kontakt schwer zu halten, aber er hebt sich jetzt besser vom Hintergrund ab – und weg ist er, liegt nun über der Schicht!«

»Eins, zwei, drei ...«, zählte Dubinin. Der Amerikaner mußte entweder eine Abschußübung durchführen oder auf 20 Meter gegangen sein, um einen Funkspruch zu empfangen. Sein Schleppsonar... 500 Meter lang, Fahrt fünf Knoten ... Jetzt!

»Rudergänger: Bug-Tiefenruder fünf Grad abwärts. Wir gehen knapp unter die Schicht. Starpom, achten Sie auf die Wassertemperatur. Sachte, sachte am Ruder ...«

Admiral Lunin senkte den Bug und glitt unter die wogende Grenze zwischen dem relativ warmen Oberflächenwasser und der kälteren Tiefe.

»Distanz?« fragte Dubinin den Offizier am Kartentisch.

»Schätzungsweise zwischen fünf- und neuntausend Meter, Käpt’n! Eine genauere Schätzung lassen die vorliegenden Daten nicht zu.«

»Bravo, Kolja! Gut gemacht!«

»Wir sind unter der Schicht. Wassertemperatur um fünf Grad gesunken!« rief der Starpom.

»Tiefenruder auf Nullposition, Boot auspendeln.«

»Tiefenruder auf Nullposition, Boot ausgependelt.«

Wäre die Decke nicht so niedrig gewesen, wäre Dubinin aufgesprungen. Ihm war gerade gelungen, was bisher noch kein anderer sowjetischer U-Boot-Kommandant geschafft hatte – und wenn die Aufklärung ihn richtig informiert hatte, gab es auch nur eine Handvoll Amerikaner, die ein strategisches Boot der Ohio-Klasse geortet und sogar verfolgt hatten. In einer Kriegssituation konnte er nun mit Aktiv-Sonar die exakte Distanz feststellen und Torpedos abschießen. Er hatte sich an das scheuste Wild der Welt herangepirscht und war nahe genug für einen Fangschuß herangekommen. Die Erregung ließ seine Haut prickeln. Mit diesem Gefühl ließ sich nichts auf der Welt vergleichen, aber auch gar nichts.

»Ryl neprawa«, befahl er nun. »Ruder rechts, neuer Kurs drei-null-null. Fahrt langsam auf zehn Knoten erhöhen.«

»Aber Käpt’n ...«, sagte sein Starpom – der Erste Offizier.

»Wir brechen den Kontakt ab. Die Übung dort drüben wird noch mindestens dreißig Minuten dauern. Nach ihrem Abschluß werden wir uns der Gegenortung nicht entziehen können. Setzen wir uns also besser jetzt ab. Er darf nicht erfahren, was wir getan haben. Keine Angst, wir werden ihm wieder begegnen. Unseren Auftrag haben wir jedenfalls ausgeführt. Wir haben ihn erfaßt und in Schußweite gebracht. Männer, in Petropawlowsk gibt’s ein Gelage, und die Rechnung zahlt euer Kapitän! So, jetzt verschwinden wir leise, damit er überhaupt nicht merkt, daß wir da waren.«

 

Captain Robert Jefferson Jackson wünschte sich, wieder jung zu sein, wieder ganz schwarzes Haar zu haben und als »Nugget« frisch von der Ausbildung in Pensacola zum ersten Mal mit einem jener bedrohlich wirkenden Kampfflugzeuge zu starten, die wie riesige Raubvögel an der Startlinie des Stützpunkts der Marineflieger in Oceana standen. Daß er alle 24 F-14D Tomcat in seiner unmittelbaren Umgebung befehligte, war nicht so befriedigend wie die Gewißheit, eine sein eigen nennen zu können. Nun aber »gehörten« ihm als Commander der Air Group zwei Geschwader Tomcat, zwei weitere mit F/A-18 Hornet, eines, das sich aus Bodenkampfflugzeugen A-6E Intruder zusammensetzte, ein Geschwader U-Jäger S-3 und schließlich die weniger glanzvollen Tanker, Prowler für die elektronische Kriegsführung und die Hubschrauber mit der Doppelfunktion Rettungseinsatz und U-Boot-Abwehr. Insgesamt 78 Flugzeuge im Wert von ...? Einer Milliarde Dollar? Mehr noch, wenn man die Wiederbeschaffungskosten berücksichtigte. Hinzu kamen die 3000 Männer und Frauen, die die Maschinen flogen und warteten; diese waren natürlich mit Gold nicht aufzuwiegen. Und er war für das Ganze verantwortlich. Es machte viel mehr Spaß, als junger Pilot seine eigene Maschine zu fliegen und die Sorgen der Führung zu überlassen. Genau zu der gehörte Robby nun; er war der Mann, über den die Leute in ihren Kabinen auf dem Schiff redeten. Sie empfanden Unbehagen, wenn sie in seine Kajüte zitiert wurden, weil sie das Gefühl hatten, wie auf der Penne vor den Rex geschleift zu werden. Sie flogen auch nicht gerne mit ihm, weil sie erstens dachten, er sei zu alt, um noch Höchstleistungen zu bringen, und weil sie zweitens ihre Fehler von ihm unter die Nase gerieben bekamen – Kampfpiloten gestehen ihre Schnitzer nur untereinander ein.

Seiner Situation haftete eine gewisse Ironie an. Zuletzt hatte er sich im Pentagon als Papierkrieger betätigt und sehnlichst das Ende dieses Jobs herbeigesehnt, dessen aufregendster Aspekt die tägliche Suche nach einem anständigen Parkplatz war. Dann hatte er endlich den Befehl über einen Trägerverband bekommen – und hatte nun mehr bürokratischen Mumpitz zu verkraften als je zuvor. Nun, wenigstens kam er einmal in der Woche zum Fliegen ... wenn er Glück hatte. Heute war ein solcher Tag. Sein Stabsbootsmann grinste ihm zu, als er hinausging.

»Passen Sie auf den Laden auf«, meinte Robby.

»Roger, Skipper. Ich halte die Stellung.«

Jackson blieb wie angewurzelt stehen. »Meinetwegen können Sie den ganzen Papiermist klauen lassen.«

»Mal sehen, was sich machen läßt, Sir.«

Ein Dienstwagen brachte ihn zur Startlinie. Jackson trug bereits seine Nomex-Kombination, ein altes, stinkiges und verwaschenes Stück, das an den Ellbogen und am Hosenboden fast durchgescheuert war. Aber Piloten sind abergläubisch, und Robby und die Kombination hatten zusammen allerhand erlebt.

»He, Skipper!« rief einer seiner Geschwaderkommandanten.

Commander Bud Sanchez war kleiner als Jackson. Seine olivfarbene Haut und sein Bismarck-Schnauzer betonten die hellen Augen und ein Grinsen wie aus der Zahnpastareklame. Sanchez, der VF-1 kommandierte, sollte heute mit Jackson aufsteigen. Sie waren zusammen geflogen, als Jackson noch VF-41 der John F. Kennedy kommandiert hatte. »Ihr Vogel ist klar. Zeigen wir den Kerlen mal, wo der Hammer hängt?«

»Gegen wen geht es heute?«

»Muffköppe aus Cherry Point in F-18 Delta. Unser Hummer kreist schon 100 Meilen vor der Küste. Unser Auftrag bei der Übung: Gefechtspatrouille, Abwehr tieffliegender Eindringlinge.« Hierbei ging es darum, angreifende Flugzeuge am Überfliegen einer imaginären Linie zu hindern. »Lust auf’n geilen Luftkampf? Die Marines haben am Telefon große Sprüche geklopft.«

»Der Marine, mit dem ich nicht fertig werde, muß erst noch geboren werden«, sagte Robby und nahm seinen Helm, der sein Rufzeichen »Spade« trug (er war schwarz), vom Haken.

»He, ihr Ärsche«, rief Sanchez, »raus da, wir stoßen zu!«

»Schon da, Bud.« Michael »Lobo« Alexander kam hinter den Spinden hervor, gefolgt von Jacksons Radaroffizier, Henry »Shredder« Walters. Beide waren Lieutenants unter Dreißig. In den Umkleidekabinen redete man sich mit dem Rufzeichen, nicht mit dem Rang an. Robby liebte die kameradschaftliche Atmosphäre im Geschwader ebensosehr wie sein Land.

Draußen führten die Chefs der Wartungstrupps die Offiziere zu ihren Maschinen und halfen ihnen an Bord. (Auf dem gefährlichen Flugdeck eines Trägers werden die Piloten von Mannschaftsgraden praktisch an der Hand geführt, damit sie sich nicht verlaufen oder verletzen.) Jacksons Vogel trug am Bug eine Nummer, die mit »00« begann. Unterm Cockpit stand »CAPT. R. J. Jackson SPADE«, damit auch alle wußten, daß dies die Maschine des Chefs war. Ein Aufkleber darunter stellte eine Mirage dar, deren irakischer Pilot versehentlich zu dicht an Jacksons Tomcat herangeflogen war. Nichts Besonderes; der andere Pilot hatte nur einmal vergessen, auf seine »Sechs«, also auf Flugzeuge hinter sich zu achten, und das hatte er büßen müssen – aber ein Abschuß bleibt ein Abschuß, und dafür leben Kampfpiloten.

Fünf Minuten später waren alle vier Männer angeschnallt, und die Triebwerke liefen.

»Wie sind Sie heute drauf, Shredder?« fragte Jackson über die Bordsprechanlage.

»Bereit, ein paar Marines abzusägen, Skipper. Hier hinten ist alles klar. Meinen Sie, daß die Kiste heute fliegt?«

»Werden wir gleich feststellen.« Jackson schaltete auf Funk um. »Bud, hier Spade. Startklar.«

»Roger, Spade, Sie führen.« Beide Piloten drehten sich um, bekamen von den Chefs der Wartungsteams das Klarzeichen und schauten dann wieder nach vorne.

»Spade führt.« Jackson löste die Bremsen. »Rolle an.«

 

»Hallo, Schatz«, sagte Manfred Fromm zu seiner Frau.

Traudl eilte auf ihn zu, um ihn zu umarmen. »Wo warst du denn?«

»Geheimsache«, erwiderte Fromm, zwinkerte vielsagend und summte ein paar Takte aus »Evita«.

»Ich wußte doch, daß du zur Vernunft kommst.« Traudl strahlte ihn an.

»Darüber darfst du mit niemandem sprechen.« Um ihre Vermutung zu bestätigen, gab er ihr ein Bündel Banknoten, insgesamt 50000 Mark. Damit wäre dem geldgeilen Biest das Maul gestopft, dachte er. »Ich bleibe nur eine Nacht hier. Ich war geschäftlich unterwegs und muß natürlich...«

»Aber selbstverständlich, Manfred.« Mit dem Geld in den Händen umarmte sie ihn noch einmal. »Wenn du doch bloß angerufen hättest!«

Das Ganze war lächerlich einfach zu arrangieren gewesen. In 72 Stunden lief ein Schiff aus Rotterdam aus – Bestimmungshafen Latakia in Syrien. Er und Bock hatten die Werkzeugmaschinen von einer Spedition in einen kleinen Container packen lassen, der in Rotterdam aufs Schiff geladen und sechs Tage später in Syrien auf den Kai gehievt werden sollte. Der Transport mit dem Flugzeug oder mit der Bahn nach Italien oder Griechenland zur Weiterverschiffung wäre schneller gegangen, aber in Rotterdam, dem geschäftigsten Hafen der Welt, sind die Leute vom Zoll überarbeitet und suchen vorwiegend nach Drogen. Diesen Container konnten die Schnüffelhunde nach Herzenslust beschnuppern.

Fromm schickte seine Frau in die Küche, um Kaffee zu kochen. Das würde genau die paar Minuten dauern, die er brauchte. Er ging in den Keller, wo in einer Ecke auf ordentlich gestapelten Brettern vier schwarze, je zwölf Kilo schwere Metallkästen standen. Fromm trug sie nacheinander nach oben – bevor er zum zweiten Mal ging, zog er Schutzhandschuhe an – und stellte sie in den Kofferraum seines gemieteten BMW. Als der Kaffee fertig war, war auch seine Arbeit getan.

»Schön braun bist du«, bemerkte Traudl, die mit dem Tablett aus der Küche kam. Im Geist hatte sie die Hälfte des Geldes bereits ausgegeben. Endlich war ihrem Manfred ein Licht aufgegangen. Ich habe ja gewußt, daß er sich früher oder später dazu durchringt, dachte sie. Nun, besser früher als später. Sie nahm sich vor, am Abend ganz besonders lieb zu sein.

 

»Günther?«

Bock überließ Fromm nur ungern sich selbst, hatte aber nun selbst eine andere, riskante Aufgabe zu erledigen. Die ganze Operation ist sehr riskant, sagte er sich, besonders im Planungsstadium, und das war merkwürdig und erleichternd zugleich.

Erwin Keitel lebte von einer nicht gerade großzügigen Pension, und das hatte zwei Gründe. Erstens war er ein ehemaliger Oberstleutnant der Stasi, des Geheim-und Spionageabwehrdienstes der nicht mehr existierenden DDR, und zweitens hatte er im Laufe seiner 32jährigen Karriere seine Arbeit gerne getan. Während die meisten seiner früheren Kollegen ihre deutsche Identität vor die alte Ideologie gestellt und beim Bundesnachrichtendienst ausgepackt hatten, war Keitel zu dem Entschluß gekommen, daß er nicht für Kapitalisten arbeiten wollte. So wurde er zu einem Arbeitslosen aus politischen Gründen im vereinten Deutschland, den man aus rein praktischen Erwägungen in Pension geschickt hatte. Die Bundesregierung kam den von der DDR eingegangenen Verpflichtungen in gewisser Weise nach, weil das politisch zweckdienlich war und weil das Land nun einen täglichen Kampf mit widersprüchlichen Fakten zu führen hatte. Es war also einfacher, Keitel ein Ruhegehalt zu zahlen, statt ihn auf die offizielle Liste der Arbeitslosen zu setzen, was als erniedrigend galt. Dies war die Auffassung der Bundesregierung. Keitel sah das anders. Wenn es auf der Welt mit rechten Dingen zuging, fand er, hätte man ihn hinrichten oder ins Exil schicken sollen – nur wohin wußte er nicht. Er hatte erwogen, zu den Russen überzulaufen, weil er beim KGB über Kontakte verfügte, diesen Gedanken aber rasch verworfen. Mit den Bürgern der Ex-DDR wollten die Sowjets nichts mehr zu tun haben; sie fürchteten, von jenen, die dem Weltsozialismus die Treue gebrochen hatten, aufs neue verraten zu werden. Für welche Sache die Sowjetunion inzwischen stand, wußte Keitel allerdings nicht. Er nahm neben Bock in der Ecknische einer stillen Kneipe im alten Ostberlin Platz und sagte: »Das ist sehr gefährlich, mein Freund.«

»Ist mir klar, Erwin.« Bock bestellte zwei große Bier. Die Bedienung war schneller als vor ein paar Jahren, aber darum kümmerten sich die beiden nicht.

»Ich kann dir gar nicht sagen, wie leid mir die Sache mit Petra tut«, sagte Keitel, nachdem die Kellnerin sich entfernt hatte.

»Weißt du eigentlich, was sich genau abgespielt hat?« fragte Bock in ruhigem und emotionslosem Ton.

»Der Kriminalbeamte, der ihren Fall bearbeitete, besuchte sie häufig im Gefängnis – aber nicht, um sie zu verhören, sondern um sie ganz bewußt zum Wahnsinn zu treiben. Dir sollte klar sein, daß der Mut jedes Menschen seine Grenzen hat. Petra hat nicht aus Schwäche gehandelt. Jeder kann seelisch brechen. Das ist nur eine Frage der Zeit. Man hat ihr kaltblütig beim Sterben zugesehen.«

»So?« Bocks Miene veränderte sich nicht, aber die Knöchel seiner Finger, die das Glas umklammerten, wurden weiß.

»In ihrer Zelle war eine versteckte Überwachungskamera eingebaut. Der Selbstmord ist auf Videoband. Die Schweine sahen ihr zu und griffen nicht ein.«

Bock schwieg. Das Lokal war so schummrig, daß niemand sehen konnte, wie blaß er wurde. Heiße Luft wie aus einem Hochofen schien ihm entgegenzufegen, gefolgt von arktischer Kälte. Er schloß die Augen, um sich wieder in den Griff zu bekommen. Petra hätte einen Gefühlsausbruch zu einem so entscheidenden Zeitpunkt mißbilligt. Er schlug die Augen auf und schaute seinen Freund an.

»Ist das wirklich wahr?«

»Ich kenne den Namen und die Anschrift des Beamten. Man hat immer noch Freunde«, versicherte Keitel.

»Das glaube ich dir, Genosse. So, und nun möchte ich dich um einen Gefallen bitten.«

»Nur zu.«

»Natürlich weißt du, was uns in diese katastrophale Lage gebracht hat.«

»Kommt darauf an, was du meinst«, sagte Keitel. »Das Volk, das sich so leicht verführen ließ, hat mich enttäuscht, aber die Massen waren ja schon immer undiszipliniert und wußten nicht, was gut für sie ist. Verantwortlich für unser nationales Unglück sind...«

»Genau, die Amerikaner und Russen.«

»Genosse, selbst ein vereintes Deutschland ist nicht stark genug...«

»O doch. Wenn wir die Welt nach unserem Bilde neu erschaffen wollen, Erwin, müssen wir den Unterdrückern großen Schaden zufügen.«

»Aber wie?«

»Es gibt einen Weg. Kannst du mir fürs erste einmal glauben?«

Keitel leerte sein Glas und lehnte sich zurück. Er hatte einen Anteil an Bocks Ausbildung gehabt. Mit 56 war er zu alt, um seine Weltanschauung zu ändern, aber immer noch ein guter Menschenkenner. Bock war ein Mann wie er selbst: vorsichtig, rücksichtslos und sehr tüchtig bei verdeckten Operationen.

»Was stellen wir mit diesem Kriminalbeamten an?«

Bock schüttelte den Kopf. »Nichts, auch wenn mir Rache eine große Genugtuung wäre. Jetzt ist nicht die Zeit, private Rechnungen zu begleichen. Wir müssen eine Bewegung und ein Land retten.«Mehr als eines, dachte Bock, aber das braucht der Genosse noch nicht zu wissen. Was in seinen Gedanken Konturen annahm, war ein gewaltiger Schlag, ein atemberaubendes Manöver, das unter Umständen – er war vor sich selbst ehrlich genug, um nicht »ganz sicher« zu denken – die Welt formbarer machen könnte. Was danach käme, konnte niemand sagen. Aber das war ganz unwichtig. Entscheidend war, daß er und seine Freunde den ersten kühnen Schritt wagten.

»Wie lange kennen wir uns jetzt schon – fünfzehn, zwanzig Jahre?« Keitel lächelte. »Natürlich vertraue ich dir, Genosse.«

»Wie viele vertrauenswürdige Leute kennst du?«

»Wie viele brauchen wir denn?«

»Insgesamt acht.«

Keitels Miene wurde ausdruckslos. Acht Männer, denen wir uneingeschränkt vertrauen können? dachte er.

»Das sind aus Gründen der Sicherheit zu viele, Günther. Was für Leute sollen es denn sein?« fragte er und sagte, nachdem Bock geantwortet hatte: »Nun, ich weiß, wo ich ansetzen muß. Möglich wäre das ... Männer in meinem und ein paar in deinem Alter. Leute mit diesen Qualifikationen sind nicht schwer zu finden, aber du darfst nicht vergessen, daß es vieles gibt, worauf wir keinen Einfluß haben.«

»Wie meine Freunde anderswo sagen, liegt das in Allahs Hand«, meinte Günther und grinste süffisant.

»Barbaren!« schnaubte Keitel. »Die konnte ich noch nie ausstehen.«

»Stimmt, die gönnen einem noch nicht mal ein Bierchen.« Bock lächelte. »Aber sie sind stark, Erich, entschlossen und der Sache treu.«

»Und welche Sache wäre das?«

»Eine, die uns im Augenblick gemeinsam ist. Wie lange wirst du brauchen?«

»Zwei Wochen. Erreichen kannst du mich...«

»Kommt nicht in Frage.« Bock schüttelte den Kopf. »Das ist zu riskant. Kannst du reisen, wirst du observiert?«

»Mich observieren? Alle meine Untergebenen sind Wendehälse, und der BND weiß, daß der KGB nichts mit mir zu tun haben will. An mir wird kein Personal verschwendet. Ich bin sozusagen kastriert.«

»Mir kommst du ganz schön potent vor, Erwin«, meinte Bock und drückte dem ehemaligen Stasi-Offizier Geld in die Hand. »Treffen wir uns in zwei Wochen auf Zypern. Achte aber auf Beschatter.«

»Das habe ich noch nicht verlernt. Bis dann, Genosse.«

 

Fromm erwachte bei Tagesanbruch. Er zog sich gemächlich an und war bemüht, Traudl nicht zu wecken. In den letzten zwölf Stunden war sie eine angenehmere Partnerin gewesen als in den vergangenen zwölf Monaten, und sein Gewissen sagte ihm, daß die Schuld an ihrer annähernd gescheiterten Ehe vielleicht doch nicht nur bei ihr lag. Zu seiner Überraschung stand das Frühstück schon auf dem Tisch.

»Wann kommst du zurück?«

»Kann ich noch nicht sagen. In ein paar Monaten wahrscheinlich.«

»So lange willst du wegbleiben?«

»Schatz, ich muß verreisen, weil man mein Wissen braucht und mich gut bezahlt.« Er nahm sich vor, Kati um weitere Überweisungen zu bitten. Solange Geld einging, hielt sie still.

»Darf ich denn nicht mitkommen?« fragte Traudl und zeigte echte Zuneigung.

»Das ist kein Platz für Frauen.« Die Antwort war ehrlich genug, um seine Gewissensbisse zu mildern. »So, ich muß jetzt fort.«

»Komm bald wieder.«

Manfred Fromm gab seiner Frau einen Kuß und ging aus dem Haus. Der BMW verkraftete die 50 Kilo im Kofferraum locker. Er winkte Traudl noch einmal zu und fuhr los. Durch den Rückspiegel warf er einen letzten Blick auf das Haus. Seine Vermutung dabei, daß er es nic wiedersehen würde, sollte sich bewahrheiten.

Die nächste Station war das Astronomische Institut »Karl Marx«. Die eingeschossigen Gebäude sahen schon verwahrlost aus; ein Wunder, daß Vandalen die Scheiben noch nicht eingeschlagen hatten. Der Lkw wartete bereits. Fromm schloß die Werkstatt auf, wo die Maschinen in ihren hermetisch versiegelten Kisten mit der Aufschrift ASTROPHYSISCHE INSTRUMENTE standen. Nun mußte er nur noch die Formulare unterschreiben, die er am Nachmittag des Vortages getippt hatte. Der Lkw-Fahrer verstand sich auf die Bedienung des gasgetriebenen Gabelstaplers und lud die Kisten in den Container. Fromm holte die Batterien aus dem Kofferraum seines Mietwagens und packte sie in eine Holzkiste, die zuletzt aufgeladen wurde. Der Fahrer brauchte eine halbe Stunde, um die Ladung festzuzurren, dann brach er auf. Den »Herrn Professor Fromm« würde er am Stadtrand von Rotterdam wiedersehen.

Fromm traf sich mit Bock in Greifswald. Sie stiegen in Bocks Wagen, weil der ein besserer Fahrer war, und fuhren Richtung Westen.

»Wie war’s daheim?«

»Traudl hat sich sehr über das Geld gefreut«, meldete Fromm.

»Sie bekommt noch mehr, in regelmäßigen Raten ... alle zwei Wochen, glaube ich.«

»Gut. Darüber wollte ich mit Kati sprechen.«

»Wir versorgen unsere Freunde gut«, bemerkte Bock, als sie einen ehemaligen Zonengrenzübergang passierten. Nun sproß dort Gras.

»Wie lange wird die Herstellung dauern?«

»Drei Monate ... vielleicht auch vier. Wir könnten es auch schneller schaffen«, sagte Fromm entschuldigend, »aber vergessen Sie nicht, daß ich nie mit richtigem Material gearbeitet, sondern immer nur simuliert habe. Es gibt absolut keinen Fehlerspielraum. Mitte Januar ist alles fertig und steht Ihnen zur Verfügung.« Fromm fragte sich natürlich, was Bock und die anderen mit dem Material vorhatten, aber das ging ihn im Grunde nichts an. Oder vielleicht doch?