37

Menschliche Reaktionen

»Captain, Alarmmeldung über ELF.«

»Wie bitte?« fragte Ricks und wandte sich vom Kartentisch ab.

»Hier ist der Spruch, Captain.« Der Kommunikationsoffizier überreichte ihm das Blatt mit der kurzen Codegruppe.

»Ausgerechnet jetzt eine Übung.« Ricks schüttelte den Kopf und sagte: »Auf Gefechtsstationen.«

Ein Maat schaltete sofort die Bordsprechanlage ein und machte die Durchsage. »Alarm, Alarm, alle Mann auf Gefechtsstation.« Als nächstes kam ein elektronisches akustisches Signal, das auch die fesselndsten Träume unterbrach.

»Mr. Pitney«, rief Ricks über das Getöse. »Antennentiefe.«

»Aye, Captain. Tauchoffizier: Gehen Sie auf 20 Meter.«

»20 Meter, aye. Rudergänger: Vordere Tiefenruder an zehn.«

»Vorne an zehn, aye.« Der junge Rudergänger zog das Steuer, das dem Knüppel in einem Flugzeug ähnelte, zurück. »Sir, meine Tiefenruder sind an zehn.«

»Recht so.«

Kaum war der Befehl ausgeführt worden, strömten Männer in die Zentrale. Der Chief – Maines ranghöchster Mannschaftsgrad – ging an der Tauchkonsole auf Station. Lieutenant Commander Claggett kam herein, um den Captain zu unterstützen. Pitney, der Navigator, war bereits auf seinem Posten und überwachte die Steuerung. Verschiedene Mannschaftsgrade nahmen ihre Plätze an den Waffenkonsolen ein. Achtern fanden sich Offiziere und Matrosen in der Raketenzentrale MCC, wo der Status der 24 Trident-ICBM überwacht wurde, und im Hilfsmaschinenraum ein, von wo aus der Notdiesel gesteuert wurde.

In der Zentrale sagte der für die interne Kommunikation zuständige Mann die Namen der Abteilungen an, die sich als bemannt und klar meldeten.

»Was ist los, Captain?« fragte Claggett. Ricks reichte ihm nur den Zettel mit dem Alarmcode.

»Eine Übung?«

»Vermutlich. Warum auch nicht?« fragte Ricks. »Es ist Sonntag, nicht wahr?«

»Ist oben noch schwere See?«

Wie auf ein Stichwort hin begann Maine zu schlingern. Als der Tiefenmesser 89 Meter anzeigte, bekam das mächtige U-Boot jäh 10 Grad Schlagseite. In allen Abteilungen verdrehten die Männer die Augen und murrten. Es gab kein Besatzungsmitglied, das sich nicht schon einmal erbrochen hatte. In diesem engen, fensterlosen Raum, wo alle äußeren Bezugspunkte fehlen, wurde man sehr leicht seekrank, denn das Auge nahm keine Bewegung wahr, wohl aber das Innenohr. Dieser Effekt, unter dem auch fast alle Apollo-Astronauten gelitten hatten, traf nun auch die Seeleute. Unwillkürlich schüttelten sie heftig die Köpfe, als verscheuchten sie ein lästiges Insekt, und hofften alle miteinander, daß das Boot so bald wie möglich wieder in 122 Meter Tiefe zurückkehrte, wo seine Bewegung nicht wahrnehmbar war und wo es hingehörte. Den Grund für das Manöver kannte bisher nur Ricks.

»20 Meter, ausgependelt, Sir.«

»Recht so«, erwiderte Pitney.

»Zentrale, hier Sonar. Kontakt Sierra-16 verloren. Ging im Oberflächenlärm unter.«

»Was war seine letzte Position?« fragte Ricks.

»Letzte Peilung zwei-sieben-null, geschätzte Distanz 27 Meilen«, erwiderte Fähnrich Shaw.

»Gut. UHF-Antenne und Periskop ausfahren«, befahl Ricks dem Steuermannsmaat. Maine schlingerte nun um 20 Grad, und der Captain wollte sehen, warum. Der Steuermannsmaat drehte an dem rotweißen Rad, und hydraulische Kraft ließ den geölten Zylinder zischend aufsteigen.

»Donnerwetter«, sagte der Captain, als er die Hände an den Griffen hatte, denn er konnte bis hier unten spüren, wie heftig die Seen auf das aufgetauchte Oberteil des Instruments einschlugen. Er bückte sich und schaute ins Okular.

»UHF-Signal geht ein«, meldete der Kommunikationsoffizier.

»Sehr gut«, sagte Ricks. »Leute, ich würde sagen, wir haben zehn Meter hohe Seen, zum Teil Brecher. Na, wenn’s sein muß, rauschen wir auch da durch«, fügte er im Scherz hinzu. Es war ja nur eine Übung.

»Wie sieht der Himmel aus?« fragte Claggett.

»Bedeckt – keine Sterne.« Ricks richtete sich auf und klappte die Griffe hoch. »Periskop einfahren.« Er wandte sich an Claggett. »IA, versuchen wir so bald wie möglich, unseren Freund wieder aufzufassen.«

»Aye, Captain.«

Ricks wollte schon den Hörer abnehmen und den Leuten in der Raketenzentrale befehlen, die Übung so rasch wie möglich zu beenden, doch da kam der Kommunikationsoffizier herein.

»Captain, das ist keine Übung.«

»Was soll das heißen?« Ricks merkte, daß der Lieutenant gar nicht froh aussah.

»DEFCON-2, Sir«, meldete der Mann und gab Ricks den Befehl.

»Was?« Ricks überflog die knappe und eiskalt sachliche Meldung. »Was geht hier vor?« Er reichte den Bogen an Dutch Claggett weiter.

»DEFCON-2? Auf dieser Alarmstufe waren wir noch nie, seit ich dabei bin... An ein DEFCON-3 kann ich mich erinnern, aber da war ich noch an der Marineakademie...«

Die Männer in der Zentrale tauschten Blicke. Das amerikanische Militär hat fünf Alarmstufen, die von fünf bis eins numeriert sind. DEFCON-5 bedeutete normale Operationen im Frieden. 4 war etwas höher und verlangte die verstärkte Bemannung bestimmter Posten; es blieben also mehr Leute, vorwiegend Piloten und Soldaten, in der Nähe ihrer Flugzeuge oder Panzer. DEFCON-3 bezeichnete eine sehr viel ernstere Lage; an diesem Punkt hatten sich alle Einheiten voll einsatzbereit zu halten. Bei DEFCON-2 begannen sie in Stellung zu gehen; diese Alarmstufe galt nur bei unmittelbarer Kriegsgefahr. In DEFCON-1 waren die amerikanischen Streitkräfte noch nie versetzt worden. Diese Stufe bedeutete, daß Krieg nicht länger nur drohte; man lud und richtete die Waffen und wartete auf den Feuerbefehl.

Doch das ganze DEFCON-System war willkürlicher eingerichtet, als man glaubt. U-Boote operierten normalerweise auf einer höheren Alarmstufe. Auf strategischen Booten, die immer bereit sein müssen, ihre Raketen binnen Minuten abzuschießen, galt effektiv immer DEFCON-2. Die Nachricht von FLTSATCOM machte das nur offiziell und sehr viel ominöser.

»Was kam noch?« fragte Ricks den Kommunikationsoffizier.

»Das ist alles, Sir.«

»Gingen keine Nachrichten ein? Existiert irgendwo eine Bedrohung?«

»Sir, wir empfingen gestern die übliche Nachrichtensendung. Die nächste wollte ich in fünf Stunden auffangen, damit wir das Ergebnis der Supcrbowl erfahren.« Der Lieutenant machte eine Pause. »Sir, weder in den Nachrichten noch über offizielle Kanäle gab es Hinweise auf eine Krise.«

»Was, zum Teufel, ist dann los?« fragte Ricks, ohne eine Antwort zu erwarten. »Na, ist egal.«

»Captain«, sagte Claggett, »zuerst einmal sollten wir den Kontakt zu unserem Freund in zwei-sieben-null abbrechen, finde ich.«

»ja. Bringen Sie uns auf Nordwestkurs. Da er den Kurs nicht so bald ändern wird, schaffen wir damit eine gute Distanz. Dann setzen wir uns nach Norden ab.«

Claggett blickte aus Gewohnheit auf die Seekarte, um nachzusehen, wie tief das Wasser war. Im Augenblick befanden sie sich auf der Seeroute von Seattle nach Japan. Auf seinen Befehl hin drehte Maine nach Backbord ab. Man hätte zwar auch eine Wendung nach Steuerbord vollführen können, aber auf diese Weise schaffte das Boot sofort Distanz zu dem Akula, das sie seit mehreren Tagen verfolgt hatten. Eine Minute später lag Maine quer zur See, die zehn Meter hoch ging, und der Turm des Bootes wurde zum Ziel der Naturgewalten. Es krängte um 40 Grad; überall an Bord hielten sich die Männer fest, griffen nach herumfliegenden Gegenständen.

»Sollen wir ein wenig tiefer gehen, Captain?« fragte Claggett.

»In ein paar Minuten. Warten wir erst einmal ab, ob noch etwas über den Satellitenkanal kommt.«

Der Stamm des majestätischsten aller Nadelbäume in Oregon schwamm nun in drei Teilen seit mehreren Wochen im Pazifik. Seit er Treibgut geworden war, hatte er sich weiter mit Wasser vollgesogen, und die Ketten, die die drei Teile zusammenhielten, gaben ihm einen leicht negativen Auftrieb. Ganz an die Oberfläche kam das Holz nicht, schon gar nicht bei diesem Wetter. So schwebten die drei Teile träge wie Luftschiffe und drehten sich langsam, als die See versuchte, ihre Ketten zu zerreißen.

Ein junger Sonarmann der Maine hörte etwas in null-vier-eins, fast genau voraus. Ein seltsames Geräusch, wie ein Klingeln, aber tiefer. Kein Schiff, dachte er, und auch kein Tier. Die Schallquelle verlor sich fast im Oberflächenlärm, und ein Kurs ließ sich nicht feststellen...

»Scheiße!« Er schaltete sein Mikrofon ein. »Zentrale, hier Sonar – Sonarkontakt in nächster Nähe!«

»Was?« Ricks stürzte in den Sonarraum.

»Ich weiß nicht, was es ist, Sir, aber es ist ganz in unserer Nähe!«

»Wo?«

»Das kann ich noch nicht sagen; der Kontakt liegt links und rechts von unserem Bug. Ein Schiff scheidet aus, aber ich weiß nicht, was das ist, Sir!« Der Maat starrte auf den Lcuchtflcck auf seinem Display und lauschte angestrengt. »Nicht eindeutig auszumachen, aber ganz nahe, Sir!«

»Aber -« Ricks hielt inne und schrie automatisch: »Alarmtauchen!« Aber er wußte, daß es dazu zu spät war.

Im ganzen Rumpf der USS Maine hallte es wie in einer großen Trommel, als Holz die Fiberglasverkleidung des Bugsonars traf.

Der Baumstamm war in drei Teile zersägt worden. Das erste bekam axial Berührung mit der Seite des Sonardoms und richtete nur wenig Schaden an, weil das U-Boot nur ein paar Knoten lief und solide gebaut war. Aber der Lärm war schlimm genug. Das erste Stück wurde also beiseite geschoben, aber es folgten noch zwei weitere, und eines kollidierte gerade in Höhe der Zentrale mit dem Rumpf.

Der Rudergänger reagierte sofort auf den Befehl des Captains und stieß das Steuer bis zum Anschlag nach vorne. Augenblicklich hob sich das Heck des Bootes in die Bahn der Stammsegmente. Maines Heck endete in einem Kreuz. Über und unter der Schraubenwelle waren Ruder befestigt. Rechts und links befanden sich die Hecktiefenruder, die wie die Höhenflossen eines Flugzeuges funktionierten. An ihrem Ende gab es eine weitere vertikale Einrichtung, die wie ein Hilfsrudcr aussah, in Wirklichkeit aber ein Fitting für Sonarsensoren war. Daran blieb die Kette zwischen zwei Stammteilen hängen; zwei Teile außenbords, eines innenbords, und letzteres war gerade lang genug, um die sich drehende Schraube zu erreichen. Das Resultat war der fürchterlichste Lärm, den die Mannschaft an Bord je gehört hatte. Die siebenflügelige Schraube der Maine bestand aus einer Mangan-Bronze-Legierung und war in einem sieben Monate langen Fertigungsprozeß in ihre fast perfekte Form gebracht worden. Sie war widerstandsfähig, aber nicht unverwüstlich. Ihre krummsäbelähnlichen Flügel trafen nun nacheinander den Stamm wie eine langsame, stumpfe Kreissäge, und jeder Aufprall riß Scharten in die Kanten oder verbog sie. Der Offizier im achtern liegenden Maschinenraum hatte die Wellenkupplung schon ausgerückt, als er den Befehl dazu erhielt. Von draußen hörte er ein häßliches, metallisches Kreischen, als das Sonarfitting vom Steuerbordtiefenruder gerissen wurde; dabei ging auch die Vorrichtung, die das Schleppsonar hielt, verloren. An diesem Punkt trieben die drei Stammteile (eines nun sehr zersplittert) ins Kielwasser der Maine, und der ärgste Lärm hörte auf.

»Verdammt, was war das?« schrie Ricks fast.

»Schleppsonar ist weg«, meldete ein Sonarmann. »Und die rechte laterale Batterie ist beschädigt, Sir.« Ricks hatte den Raum bereits verlassen. Der Maat redete nur noch zu sich selbst.

»Zentrale, hier Maschinenraum«, drang es aus einem Lautsprecher. »Etwas ist gerade in unsere Schraube geraten. Ich prüfe nun die Welle auf Schäden.«

»Hecktiefenruder beschädigt, Sir«, sagte der Rudergänger. »Steuerung spricht nur träge an.« Der Chief zog den jungen Mann vom Sitz, nahm seinen Platz ein und bewegte langsam und vorsichtig das Rad.

»Fühlt sich nach defekter Hydraulik an. Die Trimmruder« – diese wurden elektrisch bewegt – »scheinen in Ordnung zu sein.« Er drehte das Rad nach links und rechts. »Ruder ist unbeschädigt, Sir.«

»Hecktiefenruder in Neutralstellung bringen. Vordere Tiefenruder an zehn.« Dieser Befehl kam vom IA.

»Aye.«

 

»Und was war das?« fragte Dubinin.

»Metall – ein unglaublich starker metallischer Schallimpuls in null-fünfeins.« Der Offizier tippte auf den grellen Fleck auf seinem Schirm. »Eine niedrige Frequenz, wie Sie sehen, wie eine Trommel... aber dieser Ton hier ist viel heller. Ich bekam ihn über meine Kopfhörer mit; er klang wie ein Maschinengewehr. Moment«, sagte Leutnant Rykow, der angestrengt nachdachte. »Die Frequenz... will sagen, die Intervalle der Impulse – da muß etwas in eine Schraube geraten sein. Etwas anderes kommt nicht in Frage.«

»Und nun?« fragte der Kapitän.

»Ist die Schraube im Eimer.«

»Die ganze Sonarmannschaft auf Station.« Kapitän Dubinin kehrte in die Zentrale zurück. »Neuer Kurs null-vier-null, Fahrt zehn.«

 

Einen GAZ der sowjetischen Armee zu organisieren war eine Kleinigkeit. Sie stahlen ihn einfach, zusammen mit einem Befehlsfahrzeug. Es war nach Mitternacht in Berlin, der lebhaften Metropole, deren Straßen jetzt aber verlassen dalagen, weil am Montag wieder gearbeitet wurde. Die Deutschen nahmen ihre Arbeit ernst. Ein paar Leute trieben sich herum, die vielleicht spät ihre Kneipe verlassen hatten oder von der Schicht kamen. Insgesamt war es ruhig auf den Straßen, und das war entscheidend, damit sie ihr Ziel rechtzeitig erreichen konnten.

Hier hat einmal die Mauer gestanden, dachte Günther Bock. Auf einer Seite amerikanische, auf der anderen sowjetische Truppen mit kleinen, aber häufig benutzten Übungsplätzen an ihren Kasernen. Die Mauer war nun verschwunden, und die beiden Panzereinheiten trennte nur noch Gras. Das Befehlsfahrzeug hielt am Tor der sowjetischen Kaserne. Der Wachposten war ein 20jährigcr pickliger Oberfeldwebel in schlampiger Uniform, der große Augen machte, als er die drei Sterne auf Keitels Schulterstücken sah.

»Nehmen Sie gefälligst Haltung an!« brüllte Keitel in perfektem Russisch. Der Junge gehorchte sofort. »Ich komme vom Oberkommando der Armee und werde eine unangekündigte Inspektion durchführen. Sie dürfen unser Eintreffen niemandem melden. Ist das klar?«

»Jawohl, Herr Oberst!«

»So, und wenn ich zurückkomme und Sie immer noch in dieser verdreckten Uniform vorfinde, versetze ich Sie an die chinesische Grenze. Losfahren!« befahl Keitel Bock, der am Steuer saß.

»Zu Befehl, Herr Oberst«, versetzte Bock spöttisch, als sie wieder rollten. Im Grunde war die Situation komisch. Die Sache hat witzige Aspekte, dachte Bock, wenngleich nur ein paar. Man mußte eben den richtigen Sinn für Humor haben.

Das Hauptquartier des Regiments befand sich in einer alten Wehrmachtskaserne, die die Russen mehr benutzt als instand gehalten hatten. Umgeben war es von einer Anlage, in der im Sommer die Blumen eines Beets das Symbol der Einheit bilden. Bei der Truppe hier handelte es sich um ein Gardepanzerregiment mit einer Tradition, der seine Soldaten, nahm man den Wachposten am Tor zum Maßstab, wenig Beachtung schenkten. Bock hielt direkt vor dem Eingang an. Keitel und die anderen stiegen aus ihren Fahrzeugen und schritten wie übellaunige Götter hinein.

»Wer ist der Offizier vom Dienst in diesem Puff?« dröhnte Keitel. Ein Gefreiter zeigte nur in die entsprechende Richtung. Gefreite hatten gegen die Befehle von Offizieren im Stabsrang keine Einwände zu erheben. Der Offizier vom Dienst war, wie sie feststellten, ein etwa 30jähriger Major.

»Was soll das?« fragte der junge Offizier.

»Ich bin Oberst Iwanenko vom Inspektorat. Das ist eine unangekündigte Prüfung Ihrer Einsatzbereitschaft. Geben Sie Alarm!« Der Major machte zwei Schritte und drückte auf einen Knopf, der überall im Lager Sirenen losheulen ließ.

»So, und jetzt rufen Sie Ihren Regimentskommandeur an und richten ihm aus, er soll mit seinem Suffkopp hierherkommen. Was ist Ihr Bereitschaftsgrad?« herrschte Bock den Mann an und ließ ihn nicht zu Atem kommen. Der junge Offizier, der gerade zum Telefon greifen wollte, hielt inne und wußte nicht, welchen Befehl er zuerst befolgen sollte. »Nun?«

»Unser Bereitschaftsgrad entspricht der für die Einheit festgesetzten Norm, Herr Oberst.«

»Sie bekommen Gelegenheit, das unter Beweis zu stellen.« Keitel wandte sich an einen seiner Begleiter. »Schreiben Sie den Namen dieses Jüngelchens auf!«

2000 Meter weiter gingen die Lichter einer amerikanischen Kaserne im ehemaligen Westberlin an.

»Aha, da drüben wird auch geübt«, bemerkte Keitel/Iwanenko. »Bestens. Mal sehen, ob wir schneller sind als die.«

»Was soll das?« Der Regimentskommandeur, ebenfalls ein Oberst, erschien mit noch nicht zugeknöpfter Uniformjacke.

»Das ist ein trauriger Verein hier!« brüllte Keitel. »Dies ist eine unangekündigte Inspektion. Sie haben ein Regiment zu führen, Herr Oberst. Machen Sie sich an die Arbeit, ohne weitere Fragen zu stellen.«

»Aber -«

»Was heißt hier aber?« herrschte Keitel. »Wissen Sie denn nicht, was eine Inspektion ist?«

Eines darf man nicht vergessen, wenn man mit den Russen umgeht, dachte Keitel. Sie sind arrogant und anmaßend und hassen die Deutschen, auch wenn sie das Gegenteil behaupten, aber wenn man sie unter Druck setzt, sind sie berechenbar. Sein Rang war zwar nicht höher als der dieses Mannes, aber er hatte eine lautere Stimme, und das genügte.

»Ich werde Ihnen zeigen, was meine Männer leisten.«

»Und wir werden uns das draußen ansehen«, versicherte Keitel.

 

»Dr. Ryan, kommen Sie einmal rüber.« Es wurde aufgelegt.

»Na gut«, brummte Jack, schnappte seine Zigaretten und ging ins Zimmer 7-F-27, den Lageraum der CIA. Dieser befand sich auf der Nordseite des Gebäudes und hatte die Größe von sechs auf zehn Meter. Sobald man die Tür mit dem Schloß, das sich nur auf einen bestimmten Code öffnete, passiert hatte, erblickte man einen großen runden Tisch, auf dessen Mitte ein drehbares Bücherregal stand, und sechs Sessel. Über jedem davon hingen Schilder: Offizier vom Dienst, Presse, Afrika · Lateinamerika, Europa · UdSSR, Naher Osten · Terrorismus und Südasien · Ostasien · Pazifik. Uhren an der Wand zeigten die Zeit in Moskau, Peking, drei anderen Zeitzonen und natürlich auch die Weltzeit an. Angrenzend gab es ein Konferenzzimmer, das sich zum Innenhof des Gebäudes öffnete. Ryan erschien mit Goodley im Schlepptau. »Was gibt’s?«

»Laut NORAD ist in Denver gerade eine Atombombe explodiert.«

»Das ist doch wohl hoffentlich ein Witz!« gab Jack zurück. Auch das war nur ein Reflex. Doch ehe der Mann antworten konnte, krampfte sich Ryans Magen zusammen. Mit so etwas scherzte man nicht.

»Schön wär’s«, erwiderte der Offizier vom Dienst.

»Was wissen wir?«

»Nicht viel.«

»Gar nichts? Ist etwas auf der Gefahrenkonsole?« Auch das war nur ein Reflex. Wenn etwas vorgelegen hätte, würde er es inzwischen erfahren haben. »Okay. Wo ist Marcus?«

»Auf dem Heimflug in der C-141, irgendwo zwischen Japan und den Aleuten. Sie leiten, Sir«, betonte der Offizier und dankte dem gütigen Gott, daß er die Verantwortung nicht übernehmen mußte. »Der Präsident ist in Camp David. Verteidigungsminister und Außenminister -«

»Sind tot?« fragte Ryan.

»Es hat den Anschein, Sir.«

Ryan schloß die Augen. »Mein Gott. Und der Vizepräsident?«

»In seinem Amtssitz. Das Ganze läuft erst seit drei Minuten. Der Offizier vom Dienst im NMCC ist Captain James Rosselli. General Wilkes ist unterwegs. Wir haben Verbindung zur DIA. Sie – will sagen, der Präsident, hat gerade DEFCON-2 für unsere strategischen Kräfte angeordnet.«

»Was tun die Russen?«

»Nichts Ungewöhnliches. In Ostsibirien findet eine regionale Luftabwehrübung statt, das ist alles.«

»Gut, alarmieren Sie alle Stationen. Ich will alle Informationen haben, die vorliegen – alle. Man soll so rasch wie möglich jede verfügbare Quelle anzapfen.« Jack machte eine Pause. »Sind Sie auch sicher, daß das passiert ist?«

»Sir, zwei DSP-Satelliten haben den Atomblitz registriert. Ein KH-11 wird Denver in ungefähr 20 Minuten überfliegen, und ich habe NPIC angewiesen, jede verfügbare Kamera im All auf Denver zu richten. NORAD sagt, es habe definitiv eine nukleare Detonation stattgefunden, aber zu Sprengleistung und Schäden gibt es noch keine Angaben. Die Bombe scheint in der unmittelbaren Umgebung des Stadions explodiert zu sein – wie im Schwarzen Sonntag, Sir, aber real. Dies ist keine Übung, Sir. Wie würden wir die strategischen Streitkräfte sonst in DEFCON-2 versetzen?«

»Raketenangriff oder Abwurf vom Flugzeug?«

»Im ersten Punkt negativ, Sir. Es wurde weder ein Raketenstart noch eine ballistische Flugbahn erfaßt.«

»Etwa ein FOBS?« fragte Goodley. Das sogenannte Orbitalraketensystem brachte Kernwaffen als Satelliten in eine Umlaufbahn, aus der sie dann »abgerufen« werden konnten.

»Auch das wäre ausgemacht worden«, erwiderte der Offizier. »Nach dieser Möglichkeit habe ich mich bereits erkundigt. Was einen Abwurf durch ein Flugzeug betrifft, kann man noch nichts Genaues sagen und prüft im Augenblick die Bänder der Flugsicherung.«

»Wir wissen also überhaupt nichts.«

»Korrekt.«

»Hat der Präsident schon Kontakt aufgenommen?«

»Nein, aber wir haben dort eine Standleitung. Die Sicherheitsberaterin ist ebenfalls in Camp David.«

»Welches Szenarium halten Sie für am wahrscheinlichsten?«

»Terrorismus, würde ich sagen.«

Ryan nickte. »Finde ich auch. So, ich übernehme nun das Konferenzzimmer. DO, DI und DS &T sollen sofort kommen. Falls sie mit Hubschraubern geholt werden müssen, fordern Sie welche an.« Ryan ging ins Nebenzimmer und ließ die Tür offen.

»Himmel noch mal«, sagte Goodley. »Wollen Sie mich überhaupt dabeihaben?«

»Ja, und wenn Ihnen was einfällt, sagen Sie es laut. An ein FOBS hatte ich gar nicht gedacht.« Jack nahm den Hörer ab und drückte auf den Knopf für eine Verbindung mit dem FBI.

»Befehlszentrale.«

»Hier CIA, stellvertretender Direktor Ryan. Wer ist am Apparat?«

»Inspektor Pat O’Day. Der stellvertretende Direktor Murray ist ebenfalls hier. Sie sind auf Lautsprecher, Sir.«

»Um Himmels willen, Dan, was geht hier vor?«

»Keine Ahnung, Jack. Wir wissen nichts Konkretes. Denken Sie an Terrorismus?«

»Das scheint mir im Augenblick die plausibelste Alternative zu sein.«

»Können Sie das mit einiger Sicherheit sagen?«

»Sicherheit?« Goodley sah, wie Ryan den Kopf schüttelte. »Was soll das heißen?«

»Ich verstehe. Auch wir sind noch bemüht, uns ein Bild zu verschaffen. Im Fernsehen bekomme ich noch nicht einmal CNN.«

»Was?«

»Ein Mann von der Kommunikation sagt, die Satelliten seien alle ausgefallen«, erklärte Murray. »Wußten Sie das nicht?«

»Nein.« Mit einer Geste schickte Jack Goodley in den Lageraum, um weiteres in Erfahrung zu bringen. »Wenn das stimmt, scheidet Terrorismus aus. Verdammt, das ist beängstigend!«

»Es stimmt, Jack. Wir haben nachgeprüft.«

»Wie ich höre, funktionieren zehn kommerzielle Nachrichtensatelliten nicht«, meldete Goodley. »Die militärischen funktionieren aber alle. Unsere Nachrichtenverbindungen sind in Ordnung.«

»Machen Sie einen Fachmann von S&T ausfindig und fragen Sie ihn, was Satelliten deaktivieren kann. Los!« befahl Jack. »Wo ist Shaw?«

»Auf dem Weg hierher. Angesichts der Straßenzustände wird es eine Weile dauern, bis er ankommt. Jack, ich gebe alles, was ich hier erfahre, an Sie weiter.«

»Wir halten das auch so.« Es wurde aufgelegt.

Das Schlimmste in diesem Moment war, daß Jack nicht wußte, was er als nächstes tun sollte. Er hatte die Aufgabe, Daten zu sammeln und an den Präsidenten weiterzugeben, die aber einfach nicht vorlagen, Informationen würden nur über militärische Kanäle eingehen. Die CIA hat mal wieder versagt, dachte Ryan. Jemand hatte seinem Land Schaden zugefügt, aber niemanden gewarnt. Menschen waren tot, weil seine Behörde ihrem Auftrag nicht gerecht geworden war. In Wirklichkeit schmiß Ryan als stellvertretender Direktor den Laden, nicht die politische Drohne, die man ihm vor die Nase gesetzt hatte. Das Versagen war also seine persönliche Schuld. Vielleicht hatte es eine Million Tote gegeben, und er saß hier in einem netten, kleinen Konferenzzimmer und starrte untätig eine kahle Wand an. Er stellte eine Verbindung zu NORAD her.

»NORAD«, meldete sich eine geisterhafte Stimme.

»Lageraum CIA, stellvertretender Direktor Ryan. Ich brauche Informationen.«

»Viel liegt nicht vor, Sir. Wir glauben, daß die Bombe in der unmittelbaren Nähe des Skydome explodierte. Wir versuchen im Augenblick die Sprengleistung einzuschätzen, aber bisher liegt noch nichts vor. Vom Luftstützpunkt Lowery ist ein Hubschrauber unterwegs.«

»Würden Sie uns bitte auf dem laufenden halten?«

»Jawohl, Sir.«

»Danke.« Damit ist mir auch nicht geholfen, dachte Ryan. Jetzt weiß ich nur, daß man anderswo nichts weiß.

 

Daß eine pilzförmige Wolke nichts Magisches an sich hatte, wußte Brandmeister Mike Callaghan von der Berufsfeuerwehr Denver bereits. Als junger Feuerwehrmann hatte er eine solche Wolke schon einmal gesehen. Damals, 1968, war auf dem Güterbahnhof Burlington direkt neben einer Zugladung Bomben, die für den Munitionsterminal Oakland in Kalifornien bestimmt war, ein Tankwagen mit Propan explodiert. Sein Brandmeister war so klug gewesen, seine Leute zurückzunehmen, als der Tank barst, und aus 400 Meter Entfernung hatten sie mit angesehen, wie 100 Tonnen Bomben wie eine Serie höllischer Kracher losgingen. Auch damals war eine pilzförmige Wolke entstanden. Eine gewaltige Masse heißer Luft war wirbelnd aufgestiegen und hatte einen Ring gebildet, durch den kühlere Luft nach oben gerissen wurde und den Stiel des Pilzes bildete ...

Doch diese Wolke war sehr viel größer.

Er saß am Steuer seines roten Kommandowagens und begann auf den ersten Alarm hin mit drei Seagrave-Löschgruppenfahrzeugen, einem Drehleiterfahrzeug und zwei Krankenwagen den Einsatz. Eine kümmerliche erste Maßnahme. Callaghan griff nach dem Mikrofon des Funkgeräts und befahl Großalarm. Dann wies er seine Leute an, sich der Brandstelle aus der Windrichtung her zu nähern.

Guter Gott, dachte er, was ist hier passiert?

Eine Atombombe? Nein, die Stadt war größtenteils intakt.

Viel wußte Brandmeister Callaghan nicht, aber fest stand, daß Brände zu bekämpfen und Menschen zu retten waren. Als sein Wagen in den zum Stadion führenden Boulevard einbog, erblickte er eine riesige Rauchwolke. Natürlich der Parkplatz, dachte er. Die pilzförmige Wolke wurde rasch nach Südwesten zu den Bergen geweht. Der Parkplatz war ein einziges Flammenmeer von brennenden Autos und Benzin. Eine heftige Bö verwehte den Rauch kurz, so daß er gerade noch erkennen konnte, daß hier Minuten zuvor noch ein Stadion gestanden hatte... das ließ sich an ein paar leichter beschädigten Teilen noch ausmachen. Callaghan verdrängte Gedanken daran und konzentrierte sich auf die Brandbekämpfung. Das erste Löschgruppenfahrzeug mit der Pumpe an Bord hielt an einem Hydranten. Zum Glück gab es hier genug Wasser. Das ganze Stadion hatte eine Sprinkleranlage, die von zwei 90 Zentimeter starken Hochdruckleitungen gespeist wurde.

Er hielt neben dem ersten großen Seagrave an und kletterte auf das Dach dieses Fahrzeuges. Schwere Strukturteile – das Stadiondach, vermutete er – lagen rechts von ihm auf dem Parkplatz. Weitere Trümmer waren 400 Meter entfernt auf dem glücklicherweise leeren Parkplatz eines Einkaufszentrums gelandet. Über sein Funktelefon dirigierte er die nächsten Einheiten zum Einkaufszentrum und in das Wohngebiet dahinter. Die kleineren Brände konnten warten. Im Stadion mußte es Menschen geben, die Hilfe brauchten, doch seine Leute mußten sich erst einen Weg durch eine 200 Meter breite Barriere aus brennenden Fahrzeugen bahnen ...

Nun schaute er auf und erblickte einen blauen Rettungshubschrauber der Air Force. Der UH-1N landete 30 Meter von dem Fahrzeug entfernt; Callaghan eilte darauf zu. Hinten in der Maschine saß ein Major der Army.

»Brandmeister Callaghan«, stellte er sich vor.

»Griggs«, erwiderte der Major. »Wollen Sie sich einen Überblick verschaffen?«

»Ja, gerne.«

»Gut, dann steigen Sie ein.« Der Major sprach in das an seinem Kopfhörer befestigte Mikrofon, und der Helikopter hob ab. Callaghan hielt sich an einem Gurt fest, schnallte sich aber nicht an.

Bald sah er mehr. Was sich von der Straße her wie eine Rauchwand ausgenommen hatte, entpuppte sich nun aus der Luft gesehen als eine Reihe grauer und schwarzer Rauchsäulen. Ungefähr die Hälfte der Autos war in Brand geraten. Der Anfahrtsweg für seine Löschfahrzeuge war stellenweise von zerstörten und brennenden Wagen blockiert. Der Hubschrauber umflog einmal das Stadion und wurde von den Turbulenzen der heißen, wirbelnden Luft durchgeschüttelt. Callaghan schaute nach unten und sah eine Masse geschmolzenen Asphalts, der stellenweise noch rot glühte. Nur von einer Stelle an der Südseite, die seltsam glitzerte, stieg kein Rauch auf. Auszumachen war ein Krater, dessen Ausmaße nicht abzuschätzen waren, da sie ihn immer nur teilweise zu Gesicht bekamen. Erst nach einiger Zeit konnten sie feststellen, daß Teile der Tribüne noch standen, vier oder fünf Abschnitte vielleicht. Dort muß es Überlebende geben, dachte Callaghan.

»Gut, ich habe genug gesehen«, sagte Callaghan zu Griggs. Der Offizier reichte ihm einen Kopfhörer, damit sie sich besser verständigen konnten.

»Was ist hier passiert?«

»Sieht wie eine Atomexplosion aus«, erwiderte Griggs. »Was brauchen Sie?«

»Schwere Kranwagen. In den Überresten des Stadions sind wahrscheinlich noch Überlebende, und an die müssen wir heran. Aber – was ist mit der Strahlung?«

Der Major zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Wenn ich wieder zurückfliege, hole ich ein Team aus Rocky Flats. Ich arbeite im Arsenal und kenne mich ein wenig aus, aber die Spezialisten sitzen in Rocky Flats, darunter ein NEST-Team; das sind Fachleute für Fälle, wie dies einer ist, und die bringe ich hierher. Ich verständige die Nationalgarde im Arsenal und lasse sie schwere Räumfahrzeuge heranschaffen. Halten Sie Ihre Leute in Windrichtung, bleiben Sie hier. Nähern Sie sich von keiner anderen Seite dem Stadion, klar?«

»Verstanden.«

»Richten Sie bei Ihren Fahrzeugen einen Dekontatninationsplatz ein. Wenn Leute herauskommen, spritzen Sie sie ab – ausziehen und abspritzen. Verstanden?« fragte der Major, als der Hubschrauber aufsetzte. »Dann schaffen Sie sie ins nächste Krankenhaus – und zwar in Windrichtung. Alles muß nach Nordosten abtransportiert werden; nur dort sind sie sicher.«

»Und der Fallout?«

»Ich bin kein Fachmann, will Ihnen aber sagen, was ich weiß. Es sieht so aus, als sei hier eine kleine Bombe explodiert; der radioaktive Niederschlag ist also gering. Der Aufwärtssog im Feuerball und der Wind sollten den größten Teil des strahlenden Drecks hochgerissen und verweht haben. Nicht alles zwar, aber doch das meiste. Der Strahlung können Sie sich für eine Stunde oder so aussetzen. Bis dahin habe ich das NEST-Team hier, und das kann Ihnen dann genauer Auskunft geben. Mehr kann ich im Augenblick nicht für Sie tun. Viel Glück.«

Callaghan sprang hinaus und rannte geduckt aus dem Bereich der Rotorblätter. Der Helikopter hob ab und flog Richtung Nordwesten nach Rocky Flats.

 

»Nun?« fragte Kuropatkin.

»General, wir messen die Sprengkraft anhand der Anfangs- und Restwärmestrahlung. Irgend etwas kommt mir hier komisch vor, aber meine beste Schätzung liegt zwischen 150 und 200 Kilotonnen.« Der Major zeigte seinem Vorgesetzten die Berechnungen.

»Was ist daran komisch?«

»Die Wärmeenergie des ersten Blitzes war schwach; da mögen Wolken im Weg gewesen sein. Aber die Restwärme ist sehr intensiv. Fest steht, daß es sich um eine sehr große Explosion handelt, vergleichbar der Wirkung eines großen taktischen oder kleinen strategischen Gefechtskopfes.«

»Hier ist das Zielbuch«, sagte ein Leutnant. Und es sah auch in der Tat wie ein normaler, in Leinen gebundener Band im Quartformat aus, dessen dicke Seiten in Wirklichkeit gefaltete Karten waren. Es wurde zur Einschätzung der bei einem Atomschlag entstehenden Schäden benutzt. Über der Karte des Großraums Denver lag eine durchsichtige, mit den Zielen sowjetischer Raketen bedruckte Plastikfolie. Die Stadt sollte mit insgesamt acht Raketen angegriffen werden, fünf SS-18 und drei SS-19 mit insgesamt 64 Gefechtsköpfen und einer Gesamtleistung von 20 Megatonnen. Jemand muß in Denver ein wichtiges Ziel gesehen haben, überlegte Kuropatkin.

»Gehen wir von einer Detonation am Bodennullpunkt aus?« fragte Kuropatkin.

»Korrekt«, erwiderte der Major und zog mit dem Zirkel einen Kreis um den Stadionkomplex. »Eine 200-Kilotonnen-Bombe würde schon durch die Druckwelle innerhalb dieses Radius tödlich wirken.«

Die Karte war farbig gekennzeichnet. Schwer zu zerstörende Gebäude waren braun, Wohnhäuser gelb. Grün bedeutete Geschäftsgebäude und andere »weiche« Ziele. Das Stadion und seine Umgebung waren, wie Kuropatkin sah, grün schraffiert. Innerhalb des tödlichen Radius standen Hunderte von Einfamilienhäusern und niedrigen Wohnblocks.

»Wie viele Besucher waren im Stadion?«

»Danach habe ich mich beim KGB erkundigt«, sagte der Leutnant. »Das Gebäude ist überdacht, denn die Amerikaner schätzen Komfort. Es faßt über 60000 Personen.«

»Mein Gott«, hauchte Kuropatkin. »60000 allein dort, 100000 innerhalb dieses Kreises ... Die Amerikaner müssen wie von Sinnen sein.« Und wenn sie glauben, daß wir verantwortlich sind... fügte er in Gedanken hinzu.

 

»Nun?« fragte Borstein.

»Ich habe dreimal nachgerechnet. 150 KT ist unsere beste Schätzung, Sir«, sagte der Captain, eine Frau.

Borstein rieb sich das Gesicht. »Guter Gott. Und die Zahl der Opfer?«

»200 000. Diese Zahl basiert auf einem Computcrmodell und einem kurzen Studium der Karten im Archiv«, erwiderte sie. »Sir, die Bombe ist zu groß, um von Terroristen gelegt worden zu sein.«

Borstein aktivierte die Konferenzschaltung zum Präsidenten und dem CINC-SAC.

»Hier liegen erste Werte vor.«

 

»Gut, ich warte«, sagte der Präsident und starrte den Lautsprecher an, als wäre er eine Person.

»Ersten Schätzungen zufolge betrug die Sprengleistung 150 Kilotonnen.«

»So hoch?« fragte General Fremont.

»Wir haben dreimal nachgerechnet.«

»Und die Zahl der Opfer?« fragte der CINC-SAC dann.

»Schätzungsweise 200 000, die sofort starben. 50 000 werden den Nachwirkungen erliegen.«

Der Präsident fuhr zurück, als hätte er einen Schlag ins Gesicht erhalten. Im Lauf der letzten fünf Minuten hatte er sich gegen die Erkenntnis gesträubt, aber das ging nun nicht mehr. 200 000 Tote, seine Bürger. Im Amtseid hatte er geschworen, sie zu schützen und Schaden von ihnen zu wenden.

»Was noch?« fragte er mit brüchiger Stimme.

»Verzeihung, ich habe Sie nicht verstanden«, meinte Borstein.

Fowler holte tief Luft. »Was liegt noch vor?«

»Sir, wir sind hier der Auffassung, daß die Sprengleistung für eine Terroristenbombe zu hoch ist.«

»Damit muß ich konform gehen«, erklärte der CINC-SAC. »Eine improvisierte Waffe des Typs, den wir von Terroristen, also Laien, erwarten, sollte nicht mehr als 20 KT leisten. Dies aber klingt nach einer Mehrstufenbombe.«

»Und was wäre das?« fragte Liz Elliot dazwischen.

»Eine thermonukleare Waffe«, erwiderte General Borstein. »Eine Wasserstoffbombe.«

 

»Hier Ryan, wer spricht?«

»Major Fox, Sir, NORAD. Wir haben eine ungefähre Vorstellung von der Sprengleistung und der Zahl der Opfer.« Der Major gab die Werte durch.

»Zu groß für eine Terroristenwaffe«, erklärte ein Mann vom Direktorat Wissenschaft und Technik.

»Das finden wir auch, Sir.«

»Und die Zahl der Opfer?« fragte Ryan.

»Auf der Stelle tot so um die 200 000, die Menschen im Stadion eingeschlossen.«

Du mußt aufwachen, sagte sich Ryan und kniff die Augen zu. Das muß alles nur ein böser Traum sein, aus dem ich gleich aufwache. Doch als er die Augen wieder öffnete, hatte sich nichts verändert.

 

Robby Jackson saß in der Kajüte des Skippers der Theodore Roosevelt, Captain Ernie Richards. Sie hatten mit halbem Ohr das Spiel verfolgt, aber vorwiegend Taktiken für ein bevorstehendes Manöver besprochen. Der Trägerverband sollte sich Israel von Westen nähern und die Rolle eines angreifenden Feindes spielen, in diesem Fall die Russen. Das Szenarium war natürlich sehr unwahrscheinlich, aber von irgendeiner Konfrontation mußte man bei dem Manöver ja schließlich ausgehen. Die Russen sollten schlau die enge taktische Formation ihres Verbandes auflösen, um den Eindruck zu erwecken, als näherte sich nur eine Ansammlung von Frachtern. Die erste Angriffswelle von Jägern und Jagdbombern sollte auf der IFF (Identität Freund/Feind-)Frequenz »International« senden und versuchen, als Verkehrsmaschinen getarnt unerkannt im Anflug auf den Flughafen Ben Gurion in den israelischen Luftraum einzudringen. Jacksons Leute hatten sich schon Flugpläne verschafft und versuchten nun, den richtigen Zeitfaktor zu finden, um ihre erste Attacke so plausibel wie möglich zu machen. Ihre Chancen standen nicht gut. Es war nicht zu erwarten, daß die Theodore Roosevelt gegen die israelische Luftwaffe und das neue Kontingent der USAF mehr als ein Störfaktor sein konnte. Aber Jackson gefielen Unternehmungen mit schlechten Erfolgschancen.

»Stellen Sie mal das Radio ein bißchen lauter, Rob. Ich habe den Spielstand vergessen.«

Jackson beugte sich über den Tisch und drehte am Lautstärkeregler, hörte aber nur Musik. Der Träger hatte sein eigenes Bordfernsehen und übertrug auch AFN. »Vielleicht ist die Antenne kaputt«, meinte der Geschwaderkommandeur.

Richards lachte. »Ausgerechnet jetzt? Das könnte eine Meuterei geben.«

»Und das würde sich in Ihrer Personalakte gar nicht gut ausmachen.« Es klopfte an. »Herein!« rief Richards. Es war ein Verwaltungsoffizier.

»Blitzmeldung, Sir«, sagte der Mann und reichte Richards einen Blockhalter.

»Was Wichtiges?« fragte Robby.

Richards gab ihm nur die Meldung. Dann griff er nach dem Bordtelefon und rief die Brücke an. »Generalalarm!«

»Was, zum Teufel...«, murmelte Jackson. »DEFCON-3 – warum, um Himmels willen?«

Ernie Richards, ein ehemaliger Kampfpilot, stand in dem Ruf, ein Individualist zu sein, und hatte die alte Sitte der Navy, Übungen mit einem Hornsignal anzukündigen, wieder aufleben lassen. Nun schallten aus den Lautsprechern die ersten Takte von John Williams’ Titelmusik aus dem »Krieg der Sterne«, der Ruf zu den Waffen, gefolgt von dem üblichen elektronischen Gong.

»Auf geht’s, Rob.« Die beiden Männer rannten los zur Gefechtszentrale.

 

»Was können Sie mir sagen?« fragte Andrej Iljitsch Narmonow.

»Die Bombe hatte eine Stärke von fast 200 Kilotonnen, muß also eine Wasserstoffbombe gewesen sein«, erwiderte General Kuropatkin. »Es ist mit über 100000 Toten zu rechnen. Außerdem haben wir Hinweise auf einen starken elektromagnetischen Puls, der einen unserer Frühwarnsatelliten traf.«

»Was könnte den ausgelöst haben?« fragte einer von Narmonows Militärberatern.

»Das wissen wir nicht.«

»Fehlen uns Kernwaffen?« hörte Kuropatkin seinen Präsidenten fragen.

»Ganz bestimmt nicht«, erwiderte eine dritte Stimme.

»Sonst noch etwas?«

»Mit Ihrer Genehmigung möchte ich Wojska PWO in höhere Alarmbereitschaft versetzen. In Ostsibirien findet bereits eine Übung statt.«

»Ist das nicht provokativ?« fragte Narmonow.

»Nein, rein defensiv. Der Aktionsradius unserer Abfangjäger reicht nur ein paar hundert Kilometer über unsere Grenzen hinaus; jenseits davon können sie niemandem etwas anhaben. Vorerst halte ich meine Flugzeuge im sowjetischen Luftraum.«

»Gut, tun Sie das.«

Kuropatkin gab in seinem unterirdischen Befehlsstand nun einem anderen Offizier ein Zeichen, der daraufhin nach einem Telefon griff. Die sowjetischen Luftverteidigungskräfte waren natürlich schon vorgewarnt. Binnen einer Minute nach Eingang der Funksprüche gingen überall an den Grenzen des Landes die Suchradare an. Sowohl die Funksprüche als auch die Radarimpulse wurden sofort von Antennen der amerikanischen NSA am Boden und im All aufgefangen.

»Was soll ich sonst noch tun?« fragte Narmonow seine Berater.

Ein Vertreter des Außenministeriums sprach für alle. »Am besten nichts. Wenn Fowler mit uns reden will, wird er sich melden. Er hat auch ohne unsere Einmischung schon genug um die Ohren.«

 

Die MD-80 der American Airlines landete auf dem Miami International Airport und rollte ans Terminal. Kati und Ghosn erhoben sich von ihren Sitzen in der ersten Klasse und verließen das Flugzeug. Ihr Gepäck sollte automatisch auf den Anschlußflug umgeladen werden, aber das kümmerte sie nicht besonders. Die beiden Männer waren nervös, aber doch nicht so unruhig, wie man erwartet hätte. Auf die Möglichkeit, daß diese Mission mit ihrem Tod endete, waren sie gefaßt; und wenn sie überlebten ... um so besser. Ghosn geriet erst in Panik, als er keine ungewöhnliche Aktivität wahrnahm. Eigentlich müßte doch auch hier Aufruhr herrschen, dachte er. Er fand eine Bar und schaute auf den wie üblich hoch angebrachten Fernscher. Das Spiel wurde nicht übertragen. Er erwog, sich zu erkundigen, verzichtete aber darauf. Eine kluge Entscheidung, denn eine Minute später hörte er, wie jemand nach dem Spielstand fragte.

»14:7 für die Vikings«, antwortete eine zweite Stimme. »Aber dann fiel das Signal aus.«

»Wann?«

»Vor zehn Minuten. Komisch, noch immer kein Bild.«

»Ein Erdbeben vielleicht, wie bei dem Baseballspiel in San Francisco?«

»Da kann ich auch nur raten«, versetzte der Mann hinter der Theke.

Ghosn stand auf und ging zurück in den Warteraum.

 

»Was hat die CIA?« fragte Fowler.

»Im Augenblick nichts, Sir. Wir sammeln Daten, aber Sie sind über alles informiert, was wir – Moment.« Ryan nahm vom Offizier vom Dienst einen Zettel entgegen. »Sir, Blitzmeldung von der NSA. Die russischen Luftverteidigungssysteme sind gerade in höhere Alarmbereitschaft versetzt worden. Radare aktiviert, viel Funkverkehr.«

»Was bedeutet das?« fragte Liz Elliot.

»Lediglich eine Schutzmaßnahme. PWO stellt eine Bedrohung nur für jene dar, die sich dem sowjetischen Luftraum nähern oder in ihn eindringen.«

»Und warum haben sie das getan?«

»Vielleicht, weil sie einen Angriff befürchten.«

»Verdammt noch mal, Ryan!« rief der Präsident.

»Verzeihung, Mr. President, das war keine schnodderige Bemerkung, sondern entspricht der Wahrheit. Wojska PWO ist ein Verteidigungssystem wie unsere NORAD. Unsere Luftverteidigungs- und Frühwarnsysteme sind nun auf einer höheren Alarmstufe, und die Russen haben eine vergleichbare und rein defensive Maßnahme getroffen. Sie müssen wissen, was bei uns geschehen ist. Angesichts eines solchen Vorfalls ist es nur natürlich, wenn man seine Verteidigung aktiviert, so wie wir es auch getan haben.«

»Das ist potentiell beunruhigend«, sagte General Borstein im NORAD-Hauptquartier. »Ryan, Sie vergessen, daß wir angegriffen worden sind, die Russen aber nicht. Und nun schlagen sie Alarm, ohne uns vorher verständigt zu haben. Das finde ich etwas besorgniserregend.«

»Ryan, könnten diese Berichte über verschwundene sowjetische Kernwaffen etwas mit dieser Situation zu tun haben?« fragte Fowler

»Verschwundene Kernwaffen?« rief der CINC-SAC entsetzt. »Warum hat man mich darüber nicht informiert?«

»Kernwaffen welchen Typs?« wollte Borstein sofort wissen.

»Das stammt aus dem unbestätigten Bericht von einem unserer Agenten in Moskau. Einzelheiten liegen nicht vor«, antwortete Ryan. »Insgesamt erhielten wir folgende Informationen: Man sagte uns, daß Narmonow politische Probleme mit seinem Militär hat, weil es mit seinen Entscheidungen und seinem Führungsstil nicht einverstanden ist; daß beim Truppenabzug aus Deutschland eine unbekannte Anzahl von Kernwaffen – vermutlich taktische – verschwunden ist; und daß der KGB eine Suchaktion gestartet hat, um sie, sollten sie überhaupt abhanden gekommen sein, ausfindig zu machen. Angeblich befürchtet Narmonow Erpressungsversuche von nuklearen Dimensionen. Aber, und ich möchte das ABER betonen, wir waren trotz wiederholter Versuche nicht in der Lage, diese Berichte zu bestätigen, und prüfen nun die Möglichkeit, daß unser Agent lügt.«

»Warum haben Sie uns davon nichts gesagt?« fragte Fowler.

»Mr. President, wir formulieren im Augenblick noch unsere Analyse. Wir haben das Wochenende durchgearbeitet, sind aber noch nicht fertig.«

»Auf jeden Fall war es keine von unseren Bomben«, sagte General Fremont hitzig. »Für eine Terroristenbombe war sie viel zu groß. Und Sie erzählen uns jetzt, daß in den russischen Arsenalen womöglich etwas fehlt. Das ist mehr als bedenklich, Ryan.«

»Das könnte auch die höhere Alarmbereitschaft der PWO erklären«, fügte Borstein in unheilverkündendem Ton hinzu.

»Wollen Sie beide etwa sagen, daß dies eine sowjetische Bombe gewesen sein kann?« fragte Fowler.

»Nun, so viele Atommächte gibt es ja nicht«, erwiderte Borstein als erster. »Und für das Werk von Amateuren war die Sprengkraft zu groß.«

»Langsam«, fuhr Jack dazwischen. »Vergessen Sie nicht, daß wir hier nur sehr spärliche Fakten haben. Es gibt einen Unterschied zwischen Information und Spekulation.«

»Wie groß sind eigentlich die sowjetischen taktischen Kernwaffen?« wollte Liz Elliot wissen.

Die Erklärung übernahm der CINC-SAC. »Ungefähr so stark wie unsere. Sie reichen von Artilleriegranatcn mit einer KT zu Gefechtsköpfen von bis zu 500 KT, die aus den abgeschafften SS-20 stammen.«

»Mit anderen Worten: Die Sprengkraft dieser Explosion fällt in den Leistungsbereich der verschwundenen sowjetischen Kernwaffen?«

»Korrekt, Dr. Elliot«, antwortete General Fremont.

 

In Camp David lehnte sich Elizabeth Elliot in ihrem Sessel zurück und wandte sich an den Präsidenten. Sie sprach so leise, daß das Mikrofon der Konferenzschaltung ihre Worte nicht auffing.

»Robert, du wolltest doch mit Brent und Dennis zu diesem Spiel.«

Seltsam, dieser Gedanke war Fowler noch gar nicht gekommen. Auch er setzte sich nun zurück. »Nein«, erwiderte er, »ich kann nicht glauben, daß die Russen so etwas versucht haben.«

»Was war das?« fragte eine Stimme aus dem Lautsprecher.

»Augenblick«, sagte der Präsident zu leise.

»Mr. President, ich habe Sie nicht verstanden.«

»Augenblick, hab’ ich gesagt!« brüllte Fowler und legte die Hand übers Mikrofon. »Elizabeth, wir müssen die Lage unter Kontrolle bringen und werden das auch schaffen. Lassen wir diesen persönlichen Kram erst mal beiseite.«

»Mr. President, Sie sollten so rasch wie möglich NEACP besteigen«, sagte der CINC-SAC. »Die Lage könnte sehr ernst sein.«

»Wenn wir die Situation unter Kontrolle bringen wollen, Robert, müssen wir rasch handeln.«

Fowler wandte sich an einen Marineoffizier, der hinter ihm stand. »Wann trifft der Hubschrauber ein?«

»In 25 Minuten, Sir. Die Flugzeit nach Andrews zum fliegenden Befehlsstand beträgt 30 Minuten.«

»Also fast eine Stunde...« Fowler schaute auf die Wanduhr, so wie man es tut, wenn man bereits weiß, wie spät es ist, weiß, wieviel Zeit etwas in Anspruch nimmt, aber trotzdem auf das Zifferblatt starrt. »Die Funkverbindungen des Hubschraubers sind für diese Situation unzureichend. Der Hubschrauber soll Vizepräsident Durling abholen und zum NEACP bringen. General Fremont?«

»Ja, Mr. President.«

»Sie haben auch noch andere NEACP-Maschinen zur Verfügung, nicht wahr?«

»Jawohl, Sir.«

»Ich lasse den Vizepräsidenten mit NEACP-1 aufsteigen. Und Sie schicken uns eine Ersatzmaschine. Kann sie in Hagerstown landen?«

»Jawohl, Sir, wir können den Flugplatz von Fairchild-Republic benutzen. Dort wurde früher die A-10 gebaut.«

»Gut, tun Sie das. Bis ich auf Andrews bin, vergeht eine Stunde, und soviel Zeit kann ich nicht vergeuden. Ich muß diese Sache in den Griff bekommen und brauche diese Stunde.«

»Das, Sir, ist ein Fehler«, sagte Fremont in seinem eisigsten Tonfall. Es konnten nämlich zwei Stunden vergehen, ehe die Ersatzmaschine in Maryland landete.

»Mag sein, aber das ist meine Entscheidung. Ich will jetzt nicht einfach weglaufen.«

Hinter dem Präsidenten tauschten Pete Connor und Helen D’Agustino einen bösen Blick. Sie machten sich keine Illusionen über das Ergebnis eines Atomschlages gegen die USA. Mobilität war die beste Verteidigung des Präsidenten, und diese hatte er gerade leichtfertig verspielt.

 

Von Camp David ging der Funkspruch sofort heraus. Der Hubschrauber des Präsidenten, der gerade Washingtons Autobahnring überflog, machte kehrt und wandte sich zurück nach Südosten. Auf dem Gelände des Observatoriums der Marine ging er nieder. Vizepräsident Durling und seine ganze Familie sprangen an Bord und schnallten sich noch nicht einmal an. In der Maschine knieten Agenten des Secret Service mit Uzi-MPs im Anschlag. Durling wußte lediglich, was seine Leibwächter ihm mitgeteilt hatten. Er ermahnte sich zur Ruhe und beschloß, einen kühlen Kopf zu wahren. Nun schaute er sein jüngstes Kind an, einen vierjährigen Jungen. Noch einmal so jung sein, hatte er erst gestern gedacht, und in einer Welt aufwachsen, der kein großer Krieg mehr droht. Die Schrecken seiner Jugend, die Kubakrise, die er als Erstsemester miterlebt hatte, seine Dienstzeit bei der 82. Luftlandedivision, das Jahr, das er als Zugführer in Vietnam verbracht hatte. Die Erfahrungen in diesem Krieg hatten aus Durling einen höchst ungewöhnlichen liberalen Politiker gemacht. Er hatte sich nicht gedrückt, sondern sein Leben aufs Spiel gesetzt; zwei seiner Männer waren in seinen Armen gestorben. Erst gestern hatte er, als er seinen Sohn betrachtete, Gott gedankt, daß dem Kleinen solche Erlebnisse erspart bleiben würden.

Und jetzt das. Sein Sohn, der gerne flog, wußte nur, daß es einen überraschenden Hubschrauberflug gab. Seine Frau war besser informiert und hatte Tränen in den Augen.

Der VH-3 setzte 50 Meter von dem Flugzeug entfernt auf. Ein Agent des Secret Service sprang hinaus und erblickte einen Zug Militärpolizisten der Air Force, die den Weg zur Treppe sicherten. Der Vizepräsident wurde praktisch hingcschlcift; ein stämmiger Agent schnappte sich seinen Sohn und rannte mit ihm los. Zwei Minuten später, noch ehe die Passagiere angeschnallt waren, ließ der Pilot des fliegenden Befehlsstandes NEACP die Triebwerke aufheulen und jagte die Maschine die Startbahn 01 links entlang. Er ging auf Ostkurs zum Atlantik, wo bereits eine KC-10 kreiste, um die Tanks der Boeing aufzufüllen.

 

»Das ist ein ernstes Problem«, sagte Ricks im Maschinenraum. Sie hatten gerade versucht, wieder Fahrt aufzunehmen, aber bei mehr als drei Knoten heulte die Schraube gespenstisch. Die Welle war leicht verbogen, würde aber wohl noch eine Weile halten. »Alle sieben Flügel müssen beschädigt sein. Wenn wir versuchen, Umdrehungen für mehr als drei Knoten zu machen, erzeugen wir Lärm. Bei über fünf Knoten fliegen die Drucklager der Welle binnen Minuten raus. Der Außenborder brächte uns auf fünf Knoten, ist aber ebenfalls laut. Kommentare?« Niemand sagte etwas. Niemand an Bord zweifelte an Ricks’ Qualifikationen als Ingenieur. »Optionen?«

»So gut wie keine«, meinte Claggett. »Sieht finster aus.«

Die Maine mußte bei dieser Alarmstufe nahe der Oberfläche bleiben, um innerhalb von Minuten ihre Raketen abfeuern zu können. Normalerweise wäre sie nun auf eine größere Tiefe gegangen, um wenigstens dem scheußlichen Schlingern zu entkommen, das die Turbulenz an der Oberfläche erzeugte, aber wegen der reduzierten Fahrt dauerte dann das Auftauchen zu lange.

»Wie weit ist Omaha entfernt?« fragte der leitende Ingenieur.

»Wohl hundert Meilen, und auf Kodiak sind P-3 stationiert – aber das Akula macht uns immer noch Kummer«, meinte Claggett. »Sir, wir können das hier abwettern.«

»Kommt nicht in Frage. Wir haben ein havariertes strategisches Boot und brauchen Unterstützung.«

»Das bedeutet Schallausstrahlung«, mahnte der IA.

»Lassen wir eine SLOT-Boje los.«

»Das bringt uns bei zwei Knoten Fahrt auch nicht viel, Sir. Captain, Lärm erzeugen ist ein Fehler.«

Ricks schaute seinen leitenden Ingenieur fragend an. Der sagte: »Ich finde die Idee, einen Freund in der Nähe zu haben, angenehm.«

»Ich auch«, meinte der Captain. Sekunden später war die Boje an der Oberfläche und begann sofort auf UHF einen kurzen Spruch zu senden. Sie war darauf programmiert, ihn stundenlang zu wiederholen.

 

»Das gibt eine landesweite Panik«, sagte Fowler. Das war nicht gerade seine scharfsinnigste Bemerkung. Er wußte, daß in seiner eigenen Befehlszentrale Panik auszubrechen begann. »Irgendwelche Nachrichten aus Denver?«

»Über Radio und Fernsehen meines Wissens nichts«, erwiderte jemand bei NORAD.

»Gut. Bleiben Sie an der Leitung.« Fowler suchte an seiner Konsole nach einem anderen Knopf.

»FBI-Befehlszentrale, Inspektor O’Day.«

»Hier spricht der Präsident«, erklärte Fowler überflüssigerweise. Es war eine Standleitung, und die Leuchte an der Konsole beim FBI war deutlich gekennzeichnet. »Wer ist bei Ihnen der Verantwortliche?«

»Ich bin stellvertretender Direktor Murray, Mr. President, und im Augenblick hier der höchste Beamte.«

»Wie sind Ihre Nachrichtenverbindungen?«

»Gut, Sir. Wir haben Zugang zu militärischen Fernmeldesatelliten.«

»Kummer macht mir die Möglichkeit einer landesweiten Panik. Um dies zu verhindern, weise ich Sie an, dafür zu sorgen, daß Leute in die Zentralen der TV-Netze geschickt werden und dort erklären, daß über diesen Vorfall nicht berichtet werden darf. Wenn erforderlich, sind sie befugt, Sendungen mit Gewalt zu verhindern.«

Das gefiel Murray überhaupt nicht. »Mr. President, das verstößt –«

»Das Gesetz kenne ich, klar. Schließlich war ich selbst mal Staatsanwalt. Dieser Befehl sichert Menschenleben und die öffentliche Ordnung und ist auszuführen, Mr. Murray. Das ist eine Anweisung der Exekutive. Gehen Sie an die Arbeit.«

»Jawohl, Sir.«